Kirche und Staat

  1. I. Historische Entwicklung
  2. II. Politische Perspektive
  3. III. Staatsrechtliche Aspekte
  4. IV. Neuausrichtung durch das Konzil

I. Historische Entwicklung

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1. Grundlegung und Typologie

Die Grundvoraussetzung für das Entstehen und die Entfaltung des Verhältnisses zwischen Kirche (K.) und Staat (S.) bildet die Dualität von religiöser und politischer Ordnung, die im abendländisch-europäischen (Abendland) Raum die antike Einheit beider Ordnungen überwand. Das frühe Christentum berief sich auf das Reich (Reich Gottes), das nicht von dieser Welt ist. Es entzog sich dem sakralen Herrschaftsanspruch des römischen Imperators und des griechischen Stadtstaats. Damit zerfiel die identitäre Einbindung der Angehörigen einer staatlichen oder staatsähnlichen Gemeinschaft in einen unentrinnbaren politisch-religiösen Kosmos. Die faktische und begriffliche Unterscheidung zwischen religiösen und politischen Institutionen eröffnete in der zentralen Frage der religiös-politischen Verfasstheit der Gesellschaft für das nicht mehr Gemeinschaftszwecken unterworfene Individuum einen neuen Freiheitsraum, der für den Kulturraum Europa und seine Derivate geschichtsmächtige Bedeutung erlangte.

Bei der Betrachtung der komplexen abendländischen Entwicklung lassen sich drei Grundtypen des Verhältnisses oder der Zuordnung beider Institutionen erkennen:

a) Versuche der Überordnung der K. über den S.,

b) Formen der Überordnung des S.es über die K.,

c) ein breites Band von Koordinations- und Trennungsmodellen auf der Grundlage gegenseitiger Anerkennung bei unterschiedlichen Voraussetzungen.

Eine idealtypische Auflistung der kirchlich-staatlichen Verhältnisse nach diesem Schema würde allerdings die historische Realität verkennen. Übergangs- und Mischformen mit gleitenden Übergängen bestimmen das Bild. Die Modelle waren in sich differenziert und konnten extreme Ausprägungen annehmen. Zudem sind die wechselseitigen institutionellen Beeinflussungen und die innerkirchlichen Entwicklungen und Spaltungen zu beachten.

2. Mittelalter und Neuzeit

Die gegen Byzanz gerichtete These von der Unterwerfung der weltlichen Herrschaft unter die geistliche Gewalt ging auf die Zwei-Gewalten-Lehre des Papstes Gelasius (492–496) zurück. Sie gipfelte im rechtlichen Suprematieanspruch des „Dictatus Papae“ Gregors VII. (1075) und in der Bulle „Unam sanctam“ (1302), mit der Papst Bonifaz VIII. die direkte kirchliche Herrschaft über die Temporalien einforderte. Der Anspruch bewegte sich allerdings auf theoretischer Ebene und war geschärft durch die Konfliktlagen, die ihn hervorbrachten. Er ließ sich nicht logisch aus der eigentlichen Aufgabe der K. herleiten, die Menschen dem übernatürlichen Heil entgegenzuführen. Die überlegene Bildungsmacht der mittelalterlichen K. oder die Unterordnung der Philosophie unter die Theologie erklärte sich historisch, weil der Klerus der einzige gelehrte Stand war und die Universitäten beherrschte, bis ihm urbane Bildungsschichten zur Seite traten. Die K. behielt sich eine Aufsichtspflicht über das Verhalten der Fürsten vor, um sie von den Sünden des Betruges, der Gewalttätigkeit und des Mordes fernzuhalten. Sie bedurfte ihrerseits des Schutzes der weltlichen Macht. Als oberster Schutzherr der Christenheit trat der Kaiser des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation auf. Er lieh der K. seinen Schutz, damit sie als geistliche Macht überleben konnte. Sein Kaisertum war archetypisch für die bis ins 20. Jh. hineinragende christliche Monarchie. Trotz der weltlichen Natur seines ausgedehnten Reiches begriff es der Habsburger Karl V. als seinen wesentlichen Auftrag, sich auch um das Seelenheil der ihm anvertrauten Untertanen zu kümmern. So weigerte er sich aus Gewissensgründen, die Reformation anzuerkennen, weil er davon die Spaltung der Christenheit befürchtete. Die sakrale Konnotation der Monarchie schlug sich schon in den Herrschertiteln nieder: Seine Kaiserliche und Königliche Apostolische Majestät für den Kaiser von Österreich (seit 1804/1869) und den König von Ungarn, Allerchristlichste Majestät für den König von Frankreich, Katholische Majestät für den König von Spanien.

Die vom Monarchen übernommene Schutzfunktion bildete aber auch den Ausgangspunkt für staatskirchliche Bestrebungen, am frühesten ausgeprägt in Frankreich, wo die Pragmatische Sanktion von Bourges (1438) den Grundstein für den Gallikanismus legte. Der König reklamierte Mitsprache bei den Bischofswahlen, bei der Erhebung der päpstlichen Annaten, Einspruch gegen Exkommunikation und Interdikt. Die Fürstenkonkordate von 1447/48 stärkten die landesherrlichen Kirchenrechte in Deutschland. Der Josephinismus in Österreich (unter Kaiser Joseph II., 1765–95) unterwarf die K. der strengen Aufsicht des S.es und regulierte die Klöster gemäß dem aufgeklärten Prinzip der Nützlichkeit. Die Verwässerung des Religionsbegriffs, das Vordringen des Vernunftrechts und der Fürstensouveränität begünstigten im 18. Jh. das Staatskirchentum. Die protestantischen deutschen Landesfürstentümer beseitigten das kanonische Recht in ihren Gebieten. An die Stelle der bisherigen kirchlichen Obrigkeiten, der Bischöfe und des Papstes, trat der Summepiskopat des Landesherrn; er ersetzte den bisherigen staatlich-kirchlichen Dualismus. Die Beseitigung der Exemtionen des Klerus und die Übernahme der Patronatsrechte in den Städten bei Einführung der Reformation dienten der Erhöhung der städtischen Obrigkeiten.

Vorherrschend blieb in Deutschland bis 1806 eine Art Koordinationsmodell der beiden Gewalten. Es wurde auf den oberen und unteren Ebenen in vielfältigen Formen der Durchkreuzung und Überlappung praktiziert. Die Bischöfe übten als Reichsstände auch staatstragende Funktionen aus (Herrschaftsliturgien, Reichsrechte, Bildungsvorsprung), teilten ihre Macht aber mit den Domkapiteln, die sich ebenfalls für Temporalien und Spiritualien zuständig fühlten. Die Gemengelage der beiden Gewalten oder Befugnisse reichte bis in die Pfarreien hinab. Von der tradierten Rechtslage und den Machtverhältnissen vor Ort hing es ab, ob die Einnahmen und Vermögen für die geistlichen Belange im engeren Sinne oder für Bildung und Armenfürsorge verwendet wurden. Geteilt war auch das Stiftungswesen, wo Laien-Stifter wegen ihrer Zuwendungen Mitspracherechte bei den Verwendungszwecken verlangten. Die Koordinationspartner gerieten häufig in (begrenzte) Konflikte.

3. Neueste Zeit

Die in Thronen und Kontrakten manifestierte, im mittelalterlichen Universalismus wurzelnde Zuordnung von K. und S. im Rahmen einer immer noch gegebenen Verbindlichkeit und Einheit der Christenheit zerbrach in der Französischen Revolution. Der „infamen“ Feudalkirche wurde im Namen einer Diesseits- und Ersatzreligion, des Kultes der Vernunft und der Nation, der Kampf angesagt. S. und K. wurden getrennt, die Kirchengüter – mit Folgewirkungen über Frankreich hinaus – säkularisiert (Säkularisation). Die neu heraufziehende Staatenwelt mit ihren Republiken, Diktaturen und weiter bestehenden Monarchien eröffnete den K.n aber auch neue Wege des Zusammenlebens. Einer davon war die Wiederbelebung der Konkordate, beginnend mit dem Konkordat Napoleons (1802). Die Staaten erhofften sich Erhaltung oder Wiedergewinnung des inneren Friedens, wenn sie Zugeständnisse an die K. machten und diese zugl. zur rückhaltlosen Anerkennung der Staatsgewalt verpflichteten. Die Päpste errangen einen vertragsgesicherten Platz als Rechtspartner im neuen völkerrechtlichen Gefüge und den Sieg über die innerkirchliche Konkurrenz des bisher staatsaffinen Episkopalismus. Zugl. schien die säkular gewendete Botschaft der Grund- und Menschenrechte geeignet, den Christen im modernen Staat die Religionsfreiheit zu sichern. Gegenüber den neoabsolutistischen Staaten des Deutschen Bundes und im Bismarckreich nutzten Katholiken die freiheitlichen Instrumente der Presse und der Parlamente, um für ihr ungehindertes Glaubensleben und die Parität mit dem Protestantismus einzutreten (Kulturkampf). Neben der Religionsfreiheit vertraten sie weitere, aus christlichen Auffassungen abgeleitete Programmpunkte zur Gestaltung des öffentlichen Lebens (z. B. christliche Parteien). Doch besserte erst die Koalitionsfreiheit der Parteien in der Weimarer Republik die Stellung der K.n (Länderkonkordate) und die Parität in der Personalpolitik. Papst Leo XIII. ermutigte die französischen Katholiken zur Aussöhnung mit der Republik und zur Mitarbeit am Staatsleben, war aber auch bemüht, die universelle Stellung des Papsttums durch gute Beziehungen zu den Großmächten wiederzubeleben und vertrat Neutralität gegenüber den Staatsformen. Die laizistische französische Republik (Laizismus) kannte keine korporationsrechtliche Sonderstellung der K.n wie in Deutschland, entband aber eine beträchtliche Eigendynamik kirchlicher und kirchennaher Institutionen und Gruppen.

Die UdSSR verschmähte Konkordate. Das „Dritte Reich“ entschied sich 1933 für den Abschluss des Reichskonkordats aus taktischen Gründen, um die Katholiken für sich einzunehmen, doch unter dem Vorbehalt seiner Aushöhlung. Die Weltanschauungsdiktaturen verfolgten die K., weil sie diese als Glaubensmacht ablösen statt nur dem S. unterordnen wollten. Die Wahl zwischen Verfolgung und Anpassung, die sie nur ließen, fiel aus der vielgestaltigen Normalität der bisherigen staatlich-kirchlichen Beziehungen heraus. Die BRD und nach 1990 die neuen Bundesländer gewährten der K. wieder Autonomie im Rahmen des GG gemäß dem Staatskirchenrecht, das die K.n als öffentlich wirksame Kräfte der Gesellschaft und Vertragspartner anerkannte, wobei übergeordnete staatliche Souveränität fraglos vorausgesetzt war. Die Europäisierung des Staatskirchenrechts birgt allerdings Probleme für die Ausdehnung und den Schutz der Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften, speziell auf den Gebieten der Konkordate und Staatskirchenverträge, der kirchlichen Selbstverwaltung, des kirchlichen Arbeits- und Vergaberechts und der wirtschaftlichen und karitativen Tätigkeit, sofern diese dem Wettbewerbsrecht der EU unterworfen wird. Zudem ist das Verhältnis zwischen kirchlicher Lehre und staatlicher Gesetzgebung durch postmoderne (Postmoderne) Veränderungsprozesse vor neue Herausforderungen gestellt. Vertreter nicht-christlicher Religionen, militanter Dechristianisierung, kirchenferner Auffassungen von Ehe, Familie, ungeborenem Leben, Sexualität und Gender erheben, auch im erklärten Gegensatz zur K., den Anspruch auf (totale) gesetzliche Normgebung.

II. Politische Perspektive

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Das Verhältnis von Religion und Politik hat sich in der politischen Geschichte des Westens korrespondierend zu den jeweiligen institutionellen Vergemeinschaftungsformen Kirche (K.) und Staat (S.) entwickelt. Deren Herausbildung beeinflusst sich wechselseitig: In der Rechtsgestalt der K. sind Verfassungselemente des römischen Reichs aufgenommen worden und der moderne säkulare S. ist in seiner Rechtsform nicht ohne die römisch-katholische K. (Katholische Kirche) und die sie prägenden Prinzipien der Amtsverfasstheit, der synodalen Beratungsformen, ihrer hierarchischen Gliederung und des Theologemenons der Allmacht Gottes zu denken. Zugl. ist in der jahrhundertewährenden Entwicklung dieses Verhältnisses eine Tendenz zu erkennen, die von der Konkurrenz von Thron und Altar zur Komplementarität von K.n und demokratischem Verfassungs-S. führt: Im religiös und weltanschaulichen neutralen S., der die Gewissens- und Religionsfreiheit als eines seiner ihn definierenden Strukturprinzipien aufweist, werden die Geltungsansprüche, die K.n und S. für das soziale Leben erheben, jeweils qualitativ unterschieden. So wie die K.n die Suprematie des staatlichen Rechts im weltlichen Bereich anerkennen, so beschränkt sich der S. auf ebenjenen Bereich, der zur Aufrechterhaltung des gerechten Friedens in der sozialen Ordnung notwendig ist und erhebt keine Ansprüche auf das Individuum, die dessen Gewissensentscheidungen zugunsten oder gegen eine religiöse Situierung in Frage stellen. Damit wird das Verhältnis zwischen Religion und Politik im Grundsatz befriedet.

Eine unhintergehbare Spannung bleibt jedoch erhalten. Sie ist in der existentiellen Dimension von Religion begründet. In Religionen werden Antworten auf die letzten Fragen gesucht, die mit der menschlichen Existenz aufgeworfen sind: Woher wir kommen, warum wir hier sind, wie wir leben sollen und wohin wir gehen. Die für die universalistischen Erlösungsreligionen typische Erwartung eines jenseitigen Heils kann dann eine stärkere Bindung begründen als diejenige, die in weltlichen Zusammenhängen (seien diese allgemeinsozialer, gesellschaftlicher oder politischer Natur) gefunden wird. So ist im christlichen Kontext mit der Aussicht auf das himmlische Jerusalem eine Relativierung der irdischen Existenz und ihrer Bezüge verbunden. Mit der soteriologisch-eschatologischen Ausrichtung ging im Frühchristentum entspr. eine Weltabgewandtheit einher, die sich historisch gesehen allerdings in dem Maße zu einem weltgestaltenden Anspruch veränderte, wie sich die K. als Organisationsform entwickelt hat, in der Elemente der politischen Gemeinschaft wie auch der institutionell-rechtlichen Form des römischen Reiches aufgenommen wurden. Insofern ist „die“ K. kein Allgemeinbegriff für christliche Religionsgemeinschaften, sondern eine historisch sehr spezifische Form, so wie auch der S. eine bestimmte Form politischer Ordnung darstellt, gekennzeichnet durch einen auf ein Gebiet und seine Einwohnerschaft bezogenen Herrschaftsanspruch, den er mit dem Monopol legitimer Gewaltsamkeit durchsetzt.

1. Verhältnisbestimmungen

In der sozialwissenschaftlichen und politiktheoretischen Diskussion dominieren vier Konzepte, die dieses spannungsvolle Verhältnis von Religion und Politik sowie die sich in der westlichen politischen Entwicklung herauskristallisierenden institutionellen Vergemeinschaftungsformen K. – seit den K.n-Spaltungen: K.n – und S. in modernen Gesellschaften analytisch und normativ zu erfassen suchen: Säkularisierung, Zivilreligion, politische Theologie und politische Religion.

1.1 Säkularisierung

Das wichtigste Konzept ist das der Säkularisierung, das die Frage nach der (empirischen und normativen) Bedeutung der Religion in der modernen Gesellschaft im Allgemeinen und für den S. im Besonderen stellt. Im säkularen S. sind religiöse Autorität und politische Herrschaftsgewalt institutionell getrennt, Funktion und Legitimation des S.es liegen nicht in einer religiösen sondern einer weltlichen Zweckbestimmung. Historisch hat sich diese Trennung in mehreren Phasen entwickelt, die von der Herausarbeitung einer analytischen Unterscheidung der Sphären, über die institutionelle Konkurrenz von Thron und Altar (ausgetragen insb. im Investiturstreit) bis hin zu der Befriedung der konfessionellen Bürgerkriege durch die Ordnungsleistung des modernen S.es und dem Paradigmenwechsel in der Begründung des weltlich-politischen Rechts reicht („auctoritas, non veritas facit legem“ [Hobbes 1668: 133]). Nach den konstitutionellen Revolutionen in den Vereinigten Staaten und Frankreich erweitert sich die Legitimationsgrundlage des modernen S.es um seine mit den Menschenrechtserklärungen einhergehende normative Bindung an Freiheit und Gleichheit der Person und die reziproke Solidar-Verpflichtung der Bürger. Die in den Erklärungen der Rechte enthaltene und in die Grundrechtskataloge moderner Verfassungen eingegangene Religionsfreiheit geht nicht unmittelbar mit einer vollständigen Trennung von K.n und S. einher. Diese entwickelt sich vielmehr in den jeweiligen National-S.en insb. in Abhängigkeit von der jeweiligen konfessionellen Landschaft (Konfessionalisierung) in unterschiedlichen Schüben. Aber prinzipiell kann von einer Differenzierung unterschiedlicher Teilsysteme gesprochen werden.

Im westlichen Europa ist es in der zweiten Hälfte des 20. Jh. zu einem tendenziellen Rückgang der Religiosität der Einzelnen und der Bedeutung der Religion im öffentlichen Leben gekommen. Dies gilt nicht für andere vom Christentum geprägte Länder wie die USA oder die Länder Lateinamerikas und auch nicht für vom Islam geprägte Länder. Durch die wachsenden Migrationsbewegungen nach Westeuropa intensiviert sich in den vormals religiös relativ homogenen Gesellschaften zugl. der religiöse Pluralismus, da viele Migranten muslimischen Glaubens sind und aus Gesellschaften kommen, die nicht nur keine vergleichbare säkular-demokratische Ordnung, sondern in jüngerer Zeit auch häufig eine Politisierung des Islams aufweisen. Beide Phänomene: Rückgang der christlichen Religiosität und religiöse Pluralisierung sind mit der Kennzeichnung der Gesellschaft als postsäkular aufgerufen.

1.2 Zivilreligion

Unter Zivilreligion wird in empirisch-analytischer Hinsicht die performative Bezugnahme auf religiöse Symbole im politischen Raum verstanden, die dazu dient, die Bürgerschaft von einer auf ein bloß zweckrationales Kalkül gestützten Interessenassoziation zu einer dichteren Form politischer Gemeinschaft zu transzendieren. Paradigmatisch kommt dies in der politischen Kultur der USA zum Ausdruck, wobei der Bezug auf Religion nicht exklusiv erfolgt, sondern in einer die Bürger unterschiedlichen Glaubens zusammenführenden Weise. In normativer Hinsicht hat Jean-Jacques Rousseau Zivilreligion als eine für die politische Integration funktional notwendige Gelingensbedingung der auf die autonomen Willen der Individuen gegründeten Demokratie in die moderne politische Theorie eingeführt. Für J.-J. Rousseau ist mit Christen kein S. zu machen, deren Loyalität im Konfliktfall den religiösen Normen gilt. Demgegenüber bedarf es bei J.-J. Rousseau eines von religiösen Bekenntnissen unabhängigen Glaubens an Gott, der die Bürger an den S. bindet.

1.3 Politische Theologie und Politische Religion

Der schillernde Begriff der politischen Theologie wird in verschiedener Bedeutung verwandt. Immer geht es um politisches oder theologisches Denken, das die jeweils andere Sphäre bes. thematisiert. In der politischen Theorie hat Carl Schmitt mit seiner Beobachtung, dass alle prägnanten Begriffe der modernen Staatslehre ihrer Herkunft und systematischen Struktur nach säkularisierte theologische Begriffe seien, der politischen Theologie ihre klassische Bedeutung verliehen. Aus der Perspektive der Theologie kann darunter ganz allg. die Gesamtschau der theologischen Aussagen über die politische Ordnung oder das Selbstverständnis einer dezidiert sich als politisch verstehenden Theologie (z. B. als Befreiungstheologie) verstanden werden.

Mit dem Konzept der politischen Religion wird aus empirisch-analytischer Perspektive der Blick auf den quasi-religiösen Charakter von Politik in totalitären Diktaturen (Totalitarismus) gerichtet. So lässt sich der Nationalsozialismus mit seinem „Mythos der Erlösung“ (Maier 2007: 114) durch die Absolutsetzung des Volkes und seiner Repräsentation in einem Führer sowie der instrumentellen Verwendung religiöser Symbole, Kulte und Feste als eine zu politischen Herrschaftszwecken und Gewaltdurchsetzung erfundene Quasi-Religion deuten. Vergleichbar gilt dies auch für den Stalinismus.

Politische Theologie und politische Religion stellen allerdings keinen geeigneten Heurismus zur Verfügung, um damit die religionspolitische Lage in demokratischen Verfassungs-S.en analytisch und normativ zu erfassen.

2. Koexistenzordnung in der Situation religiöser Pluralität

Das Verhältnis von K.n respektive Religionsgemeinschaften und S. sowie der einzelnen Gläubigen zum demokratischen Verfassungs-S. findet seine normative Grundlage in der Religionsfreiheit, worunter im einzelnen „das Recht, einen religiösen Glauben zu haben oder nicht zu haben (Glaubensfreiheit), diesen Glauben privat und öffentlich zu bekennen und für ihn einzutreten oder dieses nicht zu tun (Bekenntnisfreiheit), die Religion öffentlich auszuüben oder nicht (Kultusfreiheit) und sich zu Religionsgemeinschaften zusammenzuschließen (religiöse Vereinigungsfreiheit)“ (Böckenförde 2007: 447) zu verstehen ist. Das objektivrechtliche Korrelat dazu bildet das Prinzip der religiös-weltanschaulichen Neutralität. In der zeitgenössischen Situation religiöser Pluralität gilt es, diese normative Grundlage für die jeweils neuen Konfliktlagen zwischen rechtlichen und religiösen Normen, zwischen S. und K.n respektive Religionsgemeinschaften, zwischen Gläubigen, Nichtgläubigen und Andersgläubigen, immer wieder neu zu arrangieren und auszuhandeln. Eine solche Koexistenzordnung kann nur auf der Basis wechselseitiger Anerkennung gelingen, die auch den Religionsgemeinschaften ein bestimmtes Ethos abverlangt.

2.1 Prinzip religiös-weltanschaulicher Neutralität

In der konstitutionellen Demokratie wie sie im Rahmen des bundesrepublikanischen demokratischen Verfassungs-S.es gestaltet ist, stellt sich das Verhältnis von S. und K.n respektive Religionsgemeinschaften als das einer freiheitlichen Trennung dar. Das Prinzip der religiös-weltanschaulichen Neutralität enthält drei zentrale Elemente: Der S. kann sich in seinem Legitimationsanspruch (Legitimation) nicht auf religiöse Gründe berufen, er hat Religionsgemeinschaften gleich zu behandeln, und die jeweiligen Institutionen sind im Prinzip getrennt, was Formen funktionaler Kooperation in sozialen und Bildungseinrichtungen nicht ausschließt. Damit sind die grundsätzlichen Möglichkeiten einer Über- oder Unterordnung von K. und S. zueinander im Sinne einer Theokratie einerseits und einer Funktionalisierung der Religion für Politik vergleichbar dem antiken Polis-Kult andererseits, keine Optionen mehr. Verbleibende Konflikte zwischen den Ansprüchen eines Rechts auf Religion und eines Rechts des Freiseins von Religion (positive und negative Religionsfreiheit) werden im Rahmen dieser offenen und übergreifenden Neutralitätsordnung rechtlich ausbalanciert, was ein Gegenmodell zu der distanzierenden Neutralität der französischen laïcité (Laizismus) bildet. Der Grundsatz, dass das GG allen Bürgern unabhängig von ihren Glaubensüberzeugungen und Weltanschauungen eine Heimstatt bietet, ist vom BVerfG für die Gegebenheiten der postsäkularen Gesellschaft aktualisiert worden: Die staatliche Anordnung zur Anbringung von Kruzifixen im Klassenzimmer hat das Gericht als Verstoß gegen die negative Religionsfreiheit erachtet (Kruzifix-Beschluss); die Versagung des Privilegs des Körperschaftsstatus an die Zeugen Jehovas kann nach seiner Rechtsprechung nicht mit mangelnder Loyalität gegenüber dem demokratischen Verfassungs-S. begründet werden; das nicht durch ein Gesetz abgestützte Verbot des Kopftuchs für die verbeamtete Lehrerin ist als Verstoß gegen die positive Religionsfreiheit bewertet und die Frage eines gesetzlich zu normierenden Verbots oder der Erlaubnis in den demokratischen Spielraum der Landesgesetzgeber gelegt worden (Kopftuch-Urteil I), wobei allerdings ein erfolgtes Verbot nicht allein durch den Hinweis auf eine bloß abstrakte Gefahr gerechtfertigt werden kann (Kopftuch-Urteil II). In diesen und weiteren rechtlichen Entscheidungen zeigt sich ein Wandel vom Staatskirchenrecht zum Religionsverfassungsrecht.

2.2 Verhältnis der Religionsgemeinschaften gegenüber dem Staat

Dass die Religionsgemeinschaften sich in caritativer und diakonischer (Caritas, Diakonie) Weise sorgend um die Schwachen in der Gesellschaft kümmern, ist wesentlicher Teil ihres urspr.en Ethos, sind die kirchlichen sozialen und Bildungsinstitutionen doch älter als die des S.es. Darüber hinaus erheben sie einen politischen Mitgestaltungsanspruch, der etwa durch öffentliche Stellungnahmen, durch Kontaktbüros an den Sitzen von Parlament und Regierung, durch Mitarbeit in Rundfunkräten, durch Kirchentage und nicht zuletzt durch die Aktualisierung der religiösen Botschaft bezogen auf gesellschaftliche Problemlagen in den Gottesdiensten artikuliert wird. Im demokratischen Verfassungs-S. nehmen die Religionsgemeinschaften dies nicht als Teil einer bes. Freiheit wahr, die nur ihnen zustünde, so wie es insb. in der katholischen S.s-Lehre bis zum Zweiten Vatikanischen Konzil vertreten wurde, die noch von einer Gleichrangigkeit von S. und K. und dem Votum für den „katholischen S.“ getragen war. Vielmehr agieren die K.n im Rahmen der ihnen wie anderen gesellschaftlichen Organisationen auch zustehenden allg.en Freiheit. Religionsgemeinschaften können einen wichtigen Beitrag für das Wohlfunktionieren einer freiheitlichen politischen Ordnung leisten, insofern sie ein Ethos ausprägen, das ihre Anhänger zu Toleranz und Respekt vor Anders- und Nicht-Gläubigen, zu friedlichem Konfliktaustrag und Rechtsbefolgung und zu Solidarität auch jenseits ihrer religiösen Zugehörigkeit motiviert. Zudem können in einer spezifisch religiösen Rede Sinnhorizonte artikuliert werden, die in einer rein säkularen Sprache nicht eingeholt werden und die im demokratischen Ringen um das Gemeinwohl eine Bereicherung darstellen können. Kontrovers bleibt hierbei, inwiefern religiös motivierte Argumentationen im engeren politischen Raum staatlicher Institutionen einem Übersetzungsvorbehalt in säkulare Sprache unterliegen.

Der freiheitliche und säkulare Verfassungs-S. bleibt darauf angewiesen, dass die Religionsgemeinschaften und ihre Angehörigen seine Freiheitlichkeit bejahen und den legitimen gesellschaftlichen Pluralismus respektieren, was zu den Voraussetzungen gehört, auf die der S. angewiesen ist, deren Vorhandensein er aber nicht garantieren kann.

III. Staatsrechtliche Aspekte

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1. Allgemeines

Das Verhältnis der Kirchen (K.n) zum Staat (S.) wird in rechtlicher Hinsicht insb. durch das GG sowie durch Konkordate u. a. staatskirchenrechtliche Verträge (Staatskirchenverträge) maßgeblich bestimmt. Während das GG den Begriff der „K.“ überhaupt nur bei der Absage an die Staats-K. (Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 Abs. 1 GG) verwendet und ansonsten durchgängig religionsneutral und unspezifisch von „Religionsgesellschaften“ oder – sinnidentisch – von „Religionsgemeinschaften“ (Art. 7 Abs. 3 S. 2 GG) spricht, womit auch, aber keineswegs nur die (christlichen) K.n, sondern auch nicht-kirchlich strukturierte Religionsgemeinschaften erfasst werden, sind Vertragspartner des S.es bei den staatskirchenrechtlichen Verträgen traditionell die katholische K. und die evangelischen Landes-K.n, zu denen in jüngerer Zeit allerdings auch die jüdischen (Judentum) und in allerjüngster Zeit auch einzelne muslimische (Islam) Gemeinschaften hinzugetreten sind.

Der S. des GG erkennt die K.n als Institutionen mit einem originären Recht der Selbstbestimmung (Autonomie) an, die vom S. unabhängig sind und ihre Gewalt nicht von ihm herleiten. Daraus folgt, dass er in ihre inneren Verhältnisse nicht eingreifen darf.

Die Pflicht des S.es zu religiöser Neutralität ist nicht i. S. v. Indifferenz oder kritischer Distanz zu Religion und Religionsgemeinschaften zu verstehen. Das Verhältnis zwischen K.n und S. ist unter dem GG vielmehr durch wechselseitige Zugewandtheit und Zusammenarbeit gekennzeichnet.

2. Grundgesetz

Das GG enthält die entscheidenden materiell-rechtlichen Vorgaben für das wechselseitige Verhältnis von S. und K.n. Es verbürgt individuelle und korporative Religionsfreiheit, und es enthält mit den inkorporierten „Kirchenartikeln“ der WRV (Art. 140 GG i. V. m. Art. 136–139, 141 WRV) institutionelles Staatskirchenrecht.

Dabei ist die grundrechtliche Garantie der Religionsfreiheit auch für das Verhältnis von S. und K. dominant geworden. Art. 4 Abs.1 und 2 GG gewährleisten mit der Glaubens-, Bekenntnis- und Religionsausübungsfreiheit nicht nur ein umfassendes individuelles religiöses Selbstbestimmungsrecht; das Grundrecht der Religionsfreiheit umfasst vielmehr nach der Rechtsprechung des BVerfG auch die religiöse Vereinigungsfreiheit als das Recht, sich mit anderen aus und zu gemeinsamem Glauben zusammenzuschließen. Es garantiert damit auch die Freiheit der K.n und anderer Religionsgemeinschaften zum öffentlichen Bekenntnis gemäß ihrem Auftrag. Das BVerfG schlägt auch den bes.n staatskirchenrechtlichen Status der Religionsgemeinschaften, insb. ihre Eigenständigkeit und Selbstbestimmung (Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 Abs. 3 WRV), der Religionsfreiheit zu. Damit wird die Religionsfreiheit zu einem Gesamtgrundrecht, das neben seinem individualrechtlichen Gehalt auch korporative Bezüge aufweist, in die das Selbstbestimmungsrecht der K.n in ihren eigenen Angelegenheiten jedenfalls in seinem Kern eingeschlossen ist. Schließlich hat das BVerfG sogar den Körperschaftsstatus (Körperschaft) nach Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 Abs. 5 WRV in den Zusammenhang der grundrechtlichen Garantie des Art. 4 GG gestellt und als Mittel zur Entfaltung der Religionsfreiheit gedeutet.

Die großen christlichen K.n besitzen wie auch viele kleinere, christliche wie nichtchristliche Religionsgemeinschaften den Status einer K.d.ö.R. gemäß Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 Abs. 5 WRV. Dieser Status vermittelt eine Reihe öffentlich-rechtlicher Befugnisse. Nach Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 Abs. 6 WRV sind die K.n als korporierte Religionsgemeinschaften berechtigt, von ihren Mitgliedern Steuern (Kirchensteuer) zu erheben. Ihre Organisationsgewalt gibt ihnen die Befugnis, öffentlich-rechtliche Untergliederungen u. a. Institutionen mit Rechtsfähigkeit zu bilden. Aufgrund ihrer Dienstherrenfähigkeit können sie Beamtenverhältnisse begründen. Sie können eigenes Recht setzen und durch Widmung kirchliche öffentliche Sachen schaffen. Das Parochialrecht gibt ihnen schließlich die Befugnis, die Zugehörigkeit eines Mitglieds zu einer Gemeinde allein von der Wohnsitznahme abhängig zu machen.

Darüber hinaus sind mit dem Körperschaftsstatus eine Vielzahl von einfachgesetzlichen Einzelbegünstigungen verbunden (sog.e Privilegienbündel). Zu ihnen gehören bspw. steuerliche Begünstigungen, Vollstreckungsschutz, ein bauplanungsrechtliches Gebot der Rücksichtnahme auf kirchliche Belange, die Pflicht der Träger der Sozialhilfe zur Zusammenarbeit mit den K.n bei der Wohlfahrtspflege und ihre Anerkennung als Träger der freien Jugendhilfe.

Als (alt-)korporierte Religionsgemeinschaften unterliegen die K.n im Gegenzug, auch soweit sie keine hoheitlichen Befugnisse ausüben, einer Bindung an die Grundrechte. Sie haben darüber hinaus die fundamentalen S.s-Strukturprinzipien und die Grundsätze des freiheitlichen Religions- und Staatskirchenrechts zu wahren und zu beachten.

Wie alle Religionsgemeinschaften genießen die K.n das Selbstbestimmungsrecht nach Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 Abs. 3 GG. Sie ordnen und verwalten danach ihre Angelegenheiten innerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes selbständig. Diese Garantie fügt der grundrechtlichen Freiheit des religiösen Lebens und Wirkens der K.n die zur Wahrnehmung ihrer Aufgaben unerlässliche Freiheit der Bestimmung über Organisation, Normsetzung und Verwaltung hinzu. Das Selbstbestimmungsrecht umfasst alle Maßnahmen, die der Sicherstellung der religiösen Dimension des Wirkens im Sinne kirchlichen Selbstverständnisses und der Wahrung der unmittelbaren Beziehung der Tätigkeit zum kirchlichen Grundauftrag dienen. Unter die Freiheit des „Ordnens“ und „Verwaltens“ fällt auch die rechtliche Vorsorge für die Wahrnehmung kirchlicher Dienste durch den Abschluss entspr.er Arbeitsverträge (Kirchliches Arbeitsrecht). Die K.n bestimmen selbst, frei und autonom darüber, welche Dienste sie in welchen Rechtsformen ausüben wollen und sind nicht auf spezifisch kanonische oder kirchenrechtliche Gestaltungsformen beschränkt; sie können sich vielmehr zur Erfüllung ihres Auftrags und ihrer Sendung auch privatrechtlicher Formen bedienen. Das kirchliche Selbstbestimmungsrecht steht nach Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 Abs. 3 WRV, auch soweit sich der Schutzbereich mit demjenigen der korporativen Religionsfreiheit überlagert, unter dem Vorbehalt des für alle geltenden Gesetzes, das der Wechselwirkung von Kirchenfreiheit und Schrankenzweck bei der Entfaltung und Konturierung der Schrankenbestimmung Rechnung zu tragen hat. Beim Ausgleich der gegenläufigen Interessen ist zu beachten, dass Art. 4 Abs. 1 und 2 GG die korporative Religionsfreiheit vorbehaltlos gewährleisten, und insofern dem Selbstbestimmungsrecht und dem Selbstverständnis der Religionsgesellschaften bes.s Gewicht zumessen. Trifft ein Gesetz die K. in ihrer Besonderheit als K. härter als sonstige Adressaten, weil es ihr Selbstverständnis, insb. ihren geistig-religiösen Auftrag beschränkt, bildet es insoweit keine wirksame Schranke.

Die K.n erhalten als Folge der Säkularisation zu Beginn des 19. Jh. bis heute Staatsleistungen (Staatsleistungen an die Kirchen), deren gesetzliche Ablösung noch immer aussteht (Art. 140 GG i. V. m. Art. 138 Abs. 1 WRV). Ihr religiösen Zwecken zu dienen bestimmtes Vermögen genießt den bes.n Schutz der Kirchengutsgarantie (Art. 140 GG i. V. m. Art. 138 Abs. 2 WRV).

3. Verträge

Die vertraglichen Rechtsbeziehungen zwischen den Ländern und den K.n ergänzen und konkretisieren das verfassungsrechtliche Rechtsverhältnis zwischen S. und K.n. Im Wesentlichen wiederholen und bekräftigen die vertraglichen Regelungen die wechselseitigen Rechte und Pflichten, wie sie sich aus dem GG ergeben. Sie sichern diese als eigenständige Rechtstitel zusätzlich ab, was bei Änderungen des GG oder des einfachen staatlichen Rechts relevant werden könnte; denn solche Rechtsänderungen heben weder die vertraglichen Verpflichtungen auf, die der S. gegenüber den K.n eingegangen ist, noch können sie diesen gegenüber Vorrang beanspruchen. Das versteht sich für die Konkordate als völkerrechtliche Verträge von selbst, dürfte aber – aus Gründen der Parität und der Rechtsstaatlichkeit – auch für die anderen K.n-Verträge des S.es gelten. Eine Vertragsanpassung kann der S. von den kirchlichen Vertragspartnern nur bei grundlegender Veränderung der bei Vertragsschluss bestehenden Umstände (clausula rebus sic stantibus) fordern.

Der Pflege der wechselseitigen Beziehungen dienen auch die Kontakt- und Verbindungsstellen, die die K.n bei den Ländern und beim Bund unterhalten (katholische Büros; Beauftragte der Evangelischen K.n). Innerhalb der Bundesregierung liegt die Zuständigkeit für Fragen der Beziehung zu den K.n beim Bundesministerium des Innern, bei den Landesregierungen zumeist in den Staatskanzleien.

4. Kooperation

Durch eine Kooperation mit den K.n oder anderen Religionsgemeinschaften und deren Förderung verstößt der S. nicht gegen das grundgesetzliche Verbot institutioneller Verschränkung von S. und K. Beide bleiben getrennt, dürfen und sollen aber zusammenwirken. Weil sie unterschiedliche Aufgaben und Funktionen haben, aber „sich für dieselben Menschen, für dieselbe Gesellschaft verantwortlich fühlen, entsteht damit die Notwendigkeit verständiger Kooperation. […] Im Grunde ist das auch gemeint, wenn das Grundverhältnis zwischen Staat und Kirche in der Bundesrepublik Deutschland als Verhältnis einer ‚hinkenden Trennung‘, als wechselseitige Selbständigkeit innerhalb eines Koordinationssystems oder als Partnerschaft zwischen Kirche und Staat charakterisiert wird“ (BVerfGE 42, 312, 330–340). Anwendungsfelder für die Zusammenarbeit zwischen S. und K.n sind namentlich der Religionsunterricht als ordentliches Lehrfach an staatlichen Schulen (Art. 7 Abs. 3 GG), die Theologischen Fakultäten an staatlichen Universitäten und die von der K. getragenen Bildungseinrichtungen, deren Ausbildungsgänge und Abschlüsse staatlich anerkannt werden. Der S. gewährleistet darüber hinaus die kirchliche Seelsorge an Soldaten (Militärseelsorge), in öffentlichen Krankenhäusern und in Strafanstalten (Anstaltsseelsorge). Bei den sozialen Diensten der Wohlfahrtspflege räumt der S. den freien und damit auch den kirchlichen Trägern gemäß dem Subsidiaritätsprinzip (Subsidiarität) einen Vorrang ein.

IV. Neuausrichtung durch das Konzil

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Eine angemessene Verhältnisbestimmung von Kirche (K.) und Staat (S.) muss ihren Ausgang bei den Dokumenten des Zweiten Vatikanischen Konzils (1962–65) nehmen (LG, GS, DH), das eine deutliche Neuausrichtung der früheren kirchlichen Lehre formuliert. Während die klassische katholische Staatslehre ein klar umrissenes, naturrechtlich basiertes Lehrgebäude präferierte, findet sich in den Konzilsdokumenten mit guten Gründen keine geschlossen-systematische Gesamtdarstellung zum K.-S. -Verhältnis mehr. Die vielfältigen Facetten müssen vielmehr aus den verschiedenen Texten zusammengetragen werden.

1. Religionsfreiheit

Der Intention des Konzils wird nur angemessen Rechnung getragen, wenn man bei „dem durch Staat und Kirche gleichermaßen anerkannten Grundrecht der Religionsfreiheit“ (Listl 1996: 969) als „Schnittpunkt zwischen weltlichem und kirchlichem Freiheitsverständnis“ (Mikat 1987: 478) ansetzt, wie es am deutlichsten die Erklärung über die Religionsfreiheit DH formuliert. Nirgends sonst offenbart sich der Wandel in der Verhältnisbestimmung von S. und K. deutlicher als im Freiheitsverständnis, das in der Geschichte Grund zahlloser Auseinandersetzungen war. Auch geht es nicht mehr primär um die Wahrheitsfrage, die in der Tradition mit dem Grundsatz, der Irrtum hat kein Existenzrecht, die entscheidende Rolle gespielt hat. Vielmehr bildet das Recht auf Religionsfreiheit den Ausgangs- und Zielpunkt (nach-)konziliarer Verhältnisbestimmung von S. und K. Das Fundament dieses Rechts (vgl. DH 2) stellt die „Würde der menschlichen Person“ mit ihrem immer größeren Anspruch auf Freiheit dar. Mit der expliziten Anerkennung des Menschenrechts auf Religionsfreiheit und dessen Integration in die eigene Soziallehre (Katholische Soziallehre) setzt sich das Konzil deutlich ab von der bisherigen „katholischen“ Staatslehre, die von dem Ideal eines katholischen Staatwesens ausging und Religionsfreiheit prinzipiell nur als Duldung von Nichtkatholiken innerhalb einer staatlichen Ordnung denken konnte. Mit diesem Neuansatz wendet sich die katholische Kirche endgültig ab von der Forderung nach staatlicher Privilegierung ihrer Religion. Der Vorwurf erneuter Privilegierung der K.n in den sog.en res mixtae (u. a. Religionsunterricht, Militärseelsorge) verfehlt den eigentlichen Sachverhalt, geht es hier doch um den Ausdruck der autonomen Kooperation von S. und K.

Das Recht auf Religionsfreiheit impliziert sowohl negative Religionsfreiheit, also das Recht auf Freiheit vom Bekenntnis (vgl. DH 2), als auch positive Religionsfreiheit, also das Recht auf Freiheit zum Bekenntnis und zur öffentlichen Ausübung von Religion. Dafür hat der S. die Möglichkeit zu schaffen. Dabei befindet sich der S. „[a]ls Garant des Freiheitsrechtes […] in einem paradoxen Verhältnis zu den materialen Gehalten und dem Gegenstand, die zu schützen er sich verpflichtet“: Er ist bzgl. der inhaltlichen Bestimmung „zur äußersten Zurückhaltung aufgefordert“, er „muss aber zugleich ein Wissen davon haben, was er eigentlich zu schützen hat“ (Bogner 2012: 4). Die Unterscheidung zwischen individueller und korporativer Religionsfreiheit basiert auf der Erkenntnis, dass Religionen Gemeinschaft (Religionsgemeinschaften) bilden und immer auch Öffentlichkeitscharakter haben. Von daher kommt ihnen korporative Freiheit zu. Diese artikuliert sich auch als Recht, als K. Verantwortung wahrzunehmen in der (Mit-)Gestaltung von Gesellschaft. Dafür aber ist wiederum die „Überzeugungskraft des jeweiligen inhaltlichen Programms, das eine Religionsgemeinschaft für den gesellschaftlichen Diskurs anbieten kann“ (Bogner 2012: 9), relevant. Grenzen der Religionsfreiheit sind dort gegeben, „wo das Recht auf Religionsfreiheit sinnwidrig beansprucht und überdehnt wird – insbesondere dort, wo es zu Kollisionen mit anderen Freiheits- und Grundrechten kommt“ (Frühbauer 2016: 12). Im Kontext aktueller Debatten müssen sich S. und Gesellschaft vor einer einseitigen Auslegung des Grundrechts der Religionsfreiheit hüten.

2. Autonomie und Neutralität der politischen Gemeinschaft

In GS wird die Anerkennung der Autonomie der politischen Gemeinschaft von Seiten der K. vollzogen: „Die politische Gemeinschaft und die Kirche sind je auf ihrem Gebiet voneinander unabhängig und autonom“ (GS 76). Das ist eine klare Absage an die historisch gewachsene gelasianische Zwei-Schwerter-Lehre: K. versteht sich nicht länger als die Macht, die aufgrund der Verantwortung für das Seelenheil der Menschen die letzte Gewalt über den S. hat, sondern anerkennt die wesensmäßige Unterschiedenheit von S. und K. Systematisch ist diese Entwicklung als Ausdruck des in GS grundlegend formulierten, gewandelten Verständnisses von und Verhältnisses zu der Welt (Kirche und Welt) zu sehen, die nicht länger als prinzipiell glaubensfeindlich angesehen, sondern deren Autonomieanspruch in seiner eigenen Legitimität anerkannt wird. Das führt zu der für das Konzil so signifikanten Formel der „richtige[n] Autonomie der irdischen Wirklichkeiten“ (GS 36; iusta autonomia), deren eine der Bereich der Politik darstellt.

Aus der Anerkenntnis der Autonomie der politischen Gemeinschaft folgt konsequent die Abkehr vom Modell der Staatsreligion. Damit wird zugl. der Pluralismus als konstitutives Merkmal der Demokratie, die Koexistenz verschiedener christlicher Bekenntnisse und nichtchristlicher Religionen anerkannt sowie ein „klares Ja zur religiösen Neutralität des modernen demokratischen Staates“ (Listl 1996: 974, i. O. zum Teil kursiv) gesprochen. Dies wurde auch deswegen möglich, weil sich das Demokratieverständnis des modernen Verfassungsstaates deutlich von der antireligiösen, antikirchlichen und laizistischen Einstellung (Laizismus) des politischen Liberalismus des 19. Jh. unterscheidet. Das Freiheitsverständnis der modernen Demokratie ist nicht material-inhaltlich geprägt, sondern es geht um die Bedingung der Möglichkeit für individuelle und kollektive Freiheit; um die rechtliche Ordnung der Gesellschaft, die es der menschlichen Person und einzelnen Gemeinschaften ermöglicht, Freiheit, mithin auch das Recht auf Religionsfreiheit, zu realisieren (vgl. DH 2). S. und K. werden als zwei autonome Wirklichkeitsbereiche mit unterschiedlichen Bestimmungen gesehen, die jedoch wesentliche Schnittstellen haben. Politisch ergibt sich aus dem Selbstverständnis des modernen Verfassungsstaates notwendig die weltanschauliche und religiöse Neutralität der Demokratie, denn sie will und kann nicht die Sinnfragen menschlicher Existenz beantworten. Die religiöse Neutralität des S.es resultiert aus der politisch und theologisch begründeten Trennung von S. und Religion bzw. S. und K. Diese Trennung stellt einerseits einen Schutz vor Ideologie und „Gesinnungsterror“ dar, bedeutet aber andererseits weder Areligiosität des S.es noch die politische „Verallgemeinerung einer säkularistischen Weltsicht“ (Habermas 2005: 36), sondern vielmehr eine „respektvolle Nicht-Identifikation“ (Bielefeldt 2007: 79). Der S. ist dadurch gehalten, dem breiten religiösen Feld in der Öffentlichkeit eigenständige und eigensetzliche Entwicklung zu ermöglichen.

Aus der religiösen Neutralität des S.es folgt nicht notwendig ein Verbot der Kooperation zwischen S. und K. Aus theologischer Perspektive ergibt sich sogar die Abkehr vom Modell einer vollständigen Trennung von S. und K., sofern man darunter „die französische Laïcité als radikal wirkende laizistische Trennung“ (Hense 2015: 1839) versteht mit dem Kernanliegen, den S. vor vermeintlich schädlichem kirchlichen Einfluss zu bewahren. Ausgehend von der Erkenntnis, dass der christliche Glaube alle Bereiche menschlichen und damit auch gesellschaftlichen Lebens tangiert, verfolgt GS vielmehr den Ansatz einer autonomen Kooperation zwischen beiden; denn beide „dienen, wenn auch in verschiedener Begründung, der persönlichen und gesellschaftlichen Berufung der gleichen Menschen“ (GS 76). Mit dem korporativen Recht auf Religionsfreiheit ist verbürgt, qua Institution als gesellschaftlicher Akteur aufzutreten. Mit dieser rechtlichen Aussage geht das Zweite Vatikanische Konzil über eine rein grundrechtsbezogene Argumentation hinaus. Hier kommt je nach kultureller und politischer Tradition und Pfadabhängigkeit, so etwa im GG der BRD, ein eigenes komplexes Staatskirchenrecht zum Tragen. Eine entscheidende Rolle spielt dabei die Tatsache, dass der S. neben dem Grundrechtsbezug auch ein eigenes Interesse am Beitrag der K.n hat, der darauf basiert, dass der „freiheitliche, säkularisierte Staat […] von Voraussetzungen [lebt], die er nicht selbst garantieren kann“ (Böckenförde 1976: 60; i. O. zum Teil kursiv). Wenn er also die Begründung für die Geltung der Freiheitsrechte und die daraus folgende Politik nicht selber leisten kann, so „bedient er sich, soweit es um die seinen eigenen innerweltlichen Horizont übersteigenden, aber für den gesellschaftlichen Zusammenhalt unverzichtbaren Einstellungen zu den letzten Dingen geht, der Religionsgemeinschaften“ (Jestaedt 2012: 82), speziell auch der K.n. Vor diesem Hintergrund nimmt Jürgen Habermas auch die liberale Gesellschaft zu ihrem eigenen Wohl in die Pflicht, „sich an Anstrengungen [zu] beteiligen, relevante Beiträge aus der religiösen in eine öffentlich zugängliche Sprache zu übersetzen“ (Habermas 2005: 36).

3. Kirchliches Engagement für das Gemeinwohl der Gesellschaft

Aus ihrem Selbstverständnis als „Zeichen und Schutz der Transzendenz der menschlichen Person“ (GS 76) nimmt die K. für sich in Anspruch, politische und gesellschaftliche Angelegenheiten „einer sittlichen Beurteilung zu unterstellen, wenn die Grundrechte der menschlichen Person oder das Heil der Seelen es verlangen“ (GS 76) und sich entspr. dem „sittliche[n] Prinzip der personalen und sozialen Verantwortung“ (DH 7), für das Gemeinwohl der Gesellschaft zu engagieren. Gemeinwohl wird vom Zweiten Vatikanischen Konzil definiert als „Gesamtheit jener Bedingungen des sozialen Lebens, unter denen die Menschen ihre eigene Vervollkommnung in größerer Fülle und Freiheit erlangen können; es besteht besonders in der Wahrung der Rechte und Pflichten der menschlichen Person“ (DH 6). Zwischen den Aufgaben und Zuständigkeiten von K. und S. besteht zwar ein deutlicher Unterschied, so dass die vormalige Vermischung zwischen beiden aufgehoben ist. Zugl. aber gilt, dass die K. in derselben Gesellschaft lebt und ein positives Verhältnis zu ihr und zum S. entwickelt. Mit der Verpflichtung für die (Mit-)Sorge um das Gemeinwohl ist eine wesentliche Aufgabe der K. genannt, wobei ihre Sendung sich „nicht auf den [rein] politischen, wirtschaftlichen oder sozialen Bereich“ (GS 42) bezieht. Bedeutsam ist auch die Unterscheidung, ob Äußerungen und Handlungen im Namen der K. ausgeübt werden oder ob Christen in ihrer Rolle als Staatsbürger aus ihrer eigenen christlichen Verantwortung politisch oder wirtschaftlich tätig werden (vgl. GS 76). Neben dem Verhältnis der K. zum S. ist immer auch und zunehmend das Verhältnis zur Gesellschaft (Kirche und Gesellschaft) mit einzubeziehen.