Religionsfreiheit

1. Begriff und Aspekte der Entstehungsgeschichte

Die R. ist nach heute gängigem Verständnis ein umfassendes Grund- und Menschenrecht, das staatlich, supranational und völkerrechtlich gewährt und geschützt wird und sich inhaltlich umfassend auf die Bereiche von Glauben und Bekenntnis sowie der entsprechenden Ausübung dieser Rechte erstreckt. Sie ist Ausdruck der Menschenwürde (vgl. u. a. BVerfGE 33,23 [28 f.], BVerfGE 108,282 [305]). Mit ihren individuellen und kollektiven Gewährleistungen enthält dieses Freiheitsrecht zudem eine wertentscheidende Grundsatznorm und bildet die prägende Grundlage für das Verständnis des gesamten Staatskirchen- bzw. Religionsverfassungsrechts.

Schon in ihrer geschichtlichen Entwicklung war die R. immer sehr eng mit der Frage nach dem Verhältnis von Kirche und Staat (Kirche und Staat) verknüpft, was in der insoweit sehr wechselvollen Geschichte auch die Frage nach der religiösen Wahrheit und einem damit verbundenen staatlichen Religionszwang beinhaltete. In dem mit dem Christentum stark verflochtenen Deutschen Reich war der Staat über sehr lange Zeit im Kern religiös an eine bestimmte Konfession gebunden. Erst mit der Verfassung von Weimar, in deren Folge der Staat auf die rein weltlichen Aufgaben beschränkt wurde, konnte sich in Deutschland letztlich auch eine umfassende Gewährleistung der R. im heutigen Sinne entwickeln.

Speziell für die Verhältnisse in Deutschland sind mit Blick auf die Entwicklung der R. die Reformation und ihre Folgen von Bedeutung. So brachte der Augsburger Religionsfriede von 1555 erste Ansätze einer Glaubensfreiheit. Das Augsburger Bekenntnis von 1530 war nunmehr als zweite Religion neben der katholischen Konfession durch das Reichsrecht anerkannt und den damaligen Reichsständen wurde die Möglichkeit zur Wahl zwischen der katholischen und der Augsburger Konfession eingeräumt (ius reformandi). Danach hatte der Landesherr u. a. das Recht, den Bekenntnisstand und die Ordnung des Kirchenwesens in seinem Gebiet zu bestimmen (cuius regio eius religio). Für die Untertanen bestand jedoch keine entsprechende religiöse Wahlfreiheit. Andersgläubigen Untertanen gegenüber konnte der Landesherr zwar nach seinem Belieben Toleranz üben und ihnen die Emigration gestatten (ius emigrandi). Von einer umfassenden R. im heutigen Sinne war man aber noch weit entfernt, zumal andere als die katholische und Augsburger Konfession ausdrücklich ausgeschlossen waren (Glaubenszweiheit). Der Westfälische Friede, genauer der Osnabrücker Friedensvertrag vom 24. 10. 1648 zwischen Kaiser, Reichsständen und dem schwedischen König (Instrumentum Pacis Osnabrugense), veränderte dieses System nur sehr geringfügig. Das calvinistische (reformierte) Bekenntnis (Calvinismus) wurde als drittes Bekenntnis zugelassen (Glaubensdreiheit) und das ius reformandi leicht modifiziert. Danach war die Religionsausübung, sofern sie im Jahre 1624 (dem hier maßgeblichen sogenannten Normaljahr) rechtmäßig war, auch weiterhin garantiert, unabhängig von der aktuellen Konfession des jeweiligen Landesherren. Für Untertanen mit abweichendem Bekenntnis waren diese Regelungen ein Fortschritt, da sie auch in anderskonfessionellen Territorien fortan nicht nur geduldet, sondern auch in ihrer stillen Hausandacht (devotio domestica) oder am Besuch eines Gottesdienstes ihrer Konfession in einem anderen Territorium nicht gehindert werden sollten.

Erst die Idee, dass für eine konfessionell gemischte Bevölkerung auch ein konfessionsübergreifender Staatsverband notwendig sei, der sich auf innerweltliche Zwecke beschränkt und sich einer Antwort auf die konfessionelle Wahrheitsfrage enthält, schaffte letztlich die Grundlage für ein – gegen den Staat gerichtetes – Grundrecht auf R. im heutigen Sinne. Ausgehend von England entwickelte sich im 17. Jh. vor dem Hintergrund der Philosophie der Aufklärung auch der Gedanke individueller religiöser Freiheit für alle Menschen, unabhängig von Vorgaben der jeweiligen staatlichen Landesherren. Von diesen Entwicklungen blieb auch Deutschland nicht unberührt, wenngleich diese Zeit politisch durch das Staatskirchentum und eine allgemeine staatliche Kirchenhoheit geprägt war. Gerade in Preußen wurde aber der Gedanke individueller religiöser Freiheit – zumindest anfanghaft – aufgenommen. So sah das PrALR von 1794 schon eine gewisse Form individueller R. vor (Teil II. Titel 11: „Von den Rechten und Pflichten der Kirchen und geistlichen Gesellschaften“). U. a. war geregelt, dass jedem Einwohner im Staate eine „vollkommene Glaubens- und Gewissenfreyheit“ (§ 2 II 11 PrALR) gestattet werden müsse und niemand „schuldig“ (§ 3 II 11 PrALR) sei, „über seine Privatmeinungen in Religionssachen Vorschriften vom Staate anzunehmen“ (§ 3 II 11 PrALR). Dennoch gab es auch in Preußen wie auch in den anderen Territorien nach wie vor keine Trennung von Staat und Kirche im heutigen Sinne, sodass die Kirchen weitreichender staatlicher Kontrolle und Leitung unterworfen waren (iura in sacra). Es standen sich eine durchaus weitgehende individuelle R. und eine staatliche Reglementierung der öffentlichen Religionsausübung gegenüber.

Ein umfassendes individuelles Recht des Einzelnen auf R. im heutigen Sinne enthielt dann aber erstmals die (allerdings nie in Kraft getretene) Frankfurter Reichsverfassung (Paulskirchenverfassung) von 1848/49 (Art. V §§ 144 ff.), die auf die Preußische Verfassung von 1850 bestimmenden Einfluss hatte. Schon zuvor sahen bereits die Verfassungen der süd- und mitteldeutschen Staaten Garantien der Glaubens- und Gewissensfreiheit vor, wenngleich dort noch ein umfassendes Recht auf öffentliche Religionsausübung fehlte. Art. V § 144 der Paulskirchenverfassung bestimmte: „Jeder Deutsche hat volle Glaubens- und Gewissensfreiheit. Niemand ist verpflichtet, seine religiöse Überzeugung zu offenbaren.“ Zudem sah die Paulskirchenverfassung vor, dass jeder Deutsche unbeschränkt in der „häuslichen und öffentlichen Übung seiner Religion“ sei. Ferner waren die vom Staat unabhängige Bildung neuer Religionsgesellschaften, ein Selbstbestimmungsrecht in eigenen Angelegenheiten sowie das Verbot der Bevorzugung einer Religionsgesellschaft geregelt. Auch sollte keine Staatskirche mehr bestehen. Insgesamt waren hier die späteren Regelungen der WRV und des GG bereits vorgezeichnet. Die Preußische Verfassung von 1850 übernahm weitgehend die Gedanken der Paulskirchenverfassung (Art. 12 bis 14). Art. 12 S. 1 und 2 der Preußischen Verfassung von 1850 bestimmten: „Die Freiheit des religiösen Bekenntnisses, der Vereinigung zu Religionsgesellschaften (Art. 30 und 31) und der gemeinsamen häuslichen und öffentlichen Religionsausübung wird gewährleistet. Der Genuß der bürgerlichen und staatsbürgerlichen Rechte ist unabhängig von dem religiösen Bekenntnisse.“ Mit diesen Regelungen erscheint die R. jetzt nicht mehr als staatliche Toleranz, sondern als echtes subjektives Recht. Das Gesetz des Norddeutschen Bundes vom 3. 7. 1869 hob dann alle Beschränkungen der bürgerlichen und staatbürgerlichen Rechte auf, die aus der Verschiedenheit des religiösen Bekenntnisses hergeleitet wurden.

Zur umfassenden Gewährleistung der R. auf reichsrechtlicher Ebene kam es aber erst 1919 mit der WRV (Art. 135 bis 141 WRV). Der Staat war nunmehr religiös und weltanschaulich neutral (Art. 137 Abs. 1 WRV). „Alle Bewohner des Reichs genießen volle Glaubens- und Gewissensfreiheit. Die ungestörte Religionsausübung wird durch die Verfassung gewährleistet und steht unter staatlichem Schutz. Die allgemeinen Staatsgesetze bleiben hiervon unberührt“ (Art. 135 S. 1 bis 3 WRV). Durch Art. 136 Abs. 3 und 4 WRV wurde auch die sogenannte negative R. geschützt: „Niemand ist verpflichtet, seine religiöse Überzeugung zu offenbaren. Die Behörden haben nur soweit das Recht, nach der Zugehörigkeit zu einer Religionsgesellschaft zu fragen, als davon Rechte und Pflichten abhängen oder eine gesetzlich angeordnete statistische Erhebung dies erfordert“ (Art. 136 Abs. 3 WRV); „Niemand darf zu einer kirchlichen Handlung oder Feierlichkeit oder zur Teilnahme an religiösen Übungen oder zur Benutzung einer religiösen Eidesform gezwungen werden“ (Art. 136 Abs. 4 WRV).

In der nationalsozialistischen Zeit kam es zur einer weitgehenden Aushöhlung der R. Der Parlamentarische Rat zeigte sich bei der Schaffung des GG nicht in der Lage, ein neues Staatskirchenrecht zu erarbeiten. Art. 135 WRV bot dem Parlamentarischen Rat aber die Vorlage für Art. 4 Abs. 1 und 2 GG in der heutigen Fassung. Zusammen mit Art. 140 GG i. V. m. den Art. 136, 137, 138, 139 und 141 WRV, die vollgültiges Verfassungsrecht darstellen (BVerfGE 19,206 [219]), den Diskriminierungsverboten der Art. 3 Abs. 3, 33 Abs. 3 GG und der Regelung religiöser und weltanschaulicher Bezüge in Schulen in Art. 7 Abs. 2, 3, 5 und Art. 141 GG sind die religiösen Freiheitsrechte heute von fundamentaler Bedeutung für das rechtliche Verhältnis von Staat und Religionsgemeinschaften in Deutschland. Das Verfassungsrecht der Länder weist inhaltlich überwiegend keine nennenswerten Abweichungen vom GG auf. In jedem Fall genießt das GG Vorrang vor dem Landesverfassungsrecht (Art. 31, 142 GG).

2. Die Auslegung des Schutzbereichs

Die R. ist heute in Deutschland v. a. durch die Garantien in Art. 4 Abs. 1 und 2 GG gewährleistet. Art. 4 Abs. 1 GG bestimmt: „Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sind unverletzlich.“ Art. 4 Abs. 2 GG ergänzt: „Die ungestörte Religionsausübung wird gewährleistet.“ Das BVerfG interpretiert den sachlichen Schutzbereich der R. gemäß Art. 4 Abs. 1 und 2 GG sehr weit und ohne dabei streng zwischen den im Wortlaut des Grundrechts aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG ausdrücklich aufgeführten einzelnen Gewährleistungen zu differenzieren (st. Rspr., vgl. u. a. BVerfGE 24,236 [246]; BVerfGE 32,98 [106]; BVerfGE 108,282 [297]). Lediglich die Freiheit des Gewissens (Gewissen, Gewissensfreiheit) wird nach allgemeiner Ansicht als eigenes Grundrecht von der R. im engeren Sinne abgegrenzt, wobei sich durchaus Überschneidungen ergeben können. Mit den durch Art. 140 GG inkorporierten Art. 136 bis 141 WRV bildet die R. nach Ansicht des BVerfG ein „organisches Ganzes“ (vgl. BVerfGE 53,366 [400]; BVerfGE 70,138 [167]). In diesem Sinne entnimmt das BVerfG Art. 4 Abs. 1 und 2 GG ein „umfassend zu verstehendes einheitliches Grundrecht“, das sich „nicht nur auf eine innere Freiheit, zu glauben oder nicht zu glauben, sondern auch auf die äußere Freiheit, den Glauben zu bekunden und zu verbreiten“ erstreckt. „Dazu gehört auch das Recht des Einzelnen, sein gesamtes Verhalten an den Lehren seines Glaubens auszurichten und seiner inneren Glaubensüberzeugung gemäß zu handeln. Dies betrifft nicht nur imperative Glaubenssätze, sondern auch solche religiösen Überzeugungen, die ein Verhalten als das zur Bewältigung einer Lebenslage richtige bestimmen“ (vgl. u. a. BVerfGE 108,282 [297]). Dieser Rechtsprechung des BVerfG hat sich die herrschende Lehre weitgehend angeschlossen. Folge ist, dass das BVerfG zur Schutzbereichsbestimmung entscheidend vom jeweiligen Selbstverständnis des Grundrechtsträgers ausgeht, wobei jedoch insofern eine Plausibilitätsprüfung erfolgt (vgl. BVerfGE 108,282 [299]).

Die derart weite Ausdehnung des Schutzbereichs der R. durch das BVerfG ist in der Praxis allerdings nicht unproblematisch, zumal das BVerfG davon ausgeht, dass die R. vorbehaltlos gewährleistet ist und sich Einschränkungen nur aus der Verfassung selbst ergeben können – sogenannte verfassungsimmanente Schranken (vgl. u. a. BVerfGE 93,1 [21]). Da einem subjektiv definierten Vorbringen in Bezug auf Religion und Weltanschauung letztlich keine Grenzen gesetzt sind, stellt sich v. a. die Frage nach einer effektiven Begrenzung der R. Probleme entstehen v. a. als Folge der fortschreitenden Pluralität und Individualität religiös-weltanschaulichen Lebens in Deutschland, insb. dann, wenn hinter einem angeblich religiösem Verhalten keine – institutionalisierte – Religionsgemeinschaft mehr steht, wie z. B. die katholische oder evangelische Kirche, mit deren Vorgaben das jeweilige subjektive Vorbringen auf Plausibilität hin tatsächlich abgeglichen werden kann. Zu bedenken ist dabei, dass eine abschließende Definition der R. nach Art. 4 Abs. 1 und 2 GG und ihrer tatbestandlichen Merkmale auf der Grundlage objektiver Kriterien nicht möglich ist. Eine auf nationaler oder internationaler Ebene anerkannte oder gar rechtsverbindliche Definition der Begriffe „Religion“ oder „Weltanschauung“ gibt es nicht. Es bleibt im praktischen Ergebnis dann häufig nichts anderes übrig, als allein auf das subjektiv definierte Selbstverständnis des Grundrechtsträgers abzustellen, wobei eine Plausibilitätsprüfung schwierig bis unmöglich ist, wenn objektiv greifbare Kriterien für eine solche Prüfung nicht vorhanden sind. Mit entsprechender Kreativität in der Argumentation ergeben sich dadurch für den Grundrechtsträger Möglichkeiten, sich – ggf. sogar missbräuchlich – den Vorgaben des objektiven Rechts zu entziehen. Bes. Schwierigkeiten ergeben sich im Zusammenhang mit der negativen R., die das BVerfG – wie die ganz herrschende Meinung in der Literatur auch – anerkennt (vgl. u. a. BVerfGE 93,1 [15 f.]). Dabei geht es darum, nicht religiös sein zu müssen, insb. nicht an kultischen Handlungen eines religiösen Glaubens teilnehmen zu müssen. Die negative Seite des Grundrechts schützt dabei das Recht, die positive Seite des Grundrechts unterlassen zu dürfen. Versteht man die R. wie das BVerfG als umfassendes Recht, das gesamte Leben gemäß den religiösen Überzeugungen gestalten zu dürfen, dann fehlen rechtsdogmatisch klare Abgrenzungskriterien, wenn das Recht auf R. mit dem Recht auf R. eines anderen Grundrechtsträgers im Einzelfall kollidiert. Es stellt sich dann die Frage, worin denn die Umkehrung des positiven Rechts auf R. liegen soll und wo dann die Grenzen zu ziehen sind.

Das BVerfG begegnet derartigen Problemen bei der Anwendung von Art. 4 Abs. 1 und 2 GG durchweg nicht auf der Grundlage abstrakter Leitlinien, sondern kasuistisch mit Blick auf die Besonderheiten des jeweiligen Einzelfalles. Damit ist nicht gesagt, dass das BVerfG nicht zu ausgewogenen Lösungen gelangt. Es werden aber mit Blick auf die Rechtsanwendung in der täglichen Praxis keine allgemein handhabbaren abstrakten und rechtsdogmatisch abgesicherten Kriterien zur Begrenzung des weiten Schutzbereichs aufgezeigt. So verneint das BVerfG z. B. im Zusammenhang mit der negativen R. ein Recht, von fremden Glaubensbekundungen, kultischen Handlungen und religiösen Symbolen gänzlich verschont zu bleiben (vgl. u. a. BVerfGE 93,1 [15 f.]); BVerfGE 41,29 [49 f.]). Eine dogmatisch abgesicherte Begründung wird nicht geliefert. Das Obiter Dictum aus der Entscheidung des BVerfG zur Religionsgemeinschaft der Bahá’í (BVerfGE 83,341 [353]) bietet ebenfalls keine substantielle Hilfe bei der Begrenzung des Schutzbereichs der R. aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG. Das BVerfG stellte dort fest: „Zwar können nicht allein die Behauptung und das Selbstverständnis, eine Gemeinschaft bekenne sich zu einer Religion und sei eine Religionsgemeinschaft, für diese und ihre Mitglieder die Berufung auf die Freiheitsgewährung des Art. 4 Abs. 1 und 2 GG rechtfertigen; vielmehr muss es sich auch tatsächlich, nach geistigem Gehalt und äußerem Erscheinungsbild, um eine Religion und Religionsgemeinschaft handeln. Dies im Streitfall zu prüfen und zu entscheiden, obliegt – als Anwendung einer Regelung der staatlichen Rechtsordnung – den staatlichen Organen, letztlich den Gerichten, die dabei freilich keine freie Bestimmungsmacht ausüben, sondern den von der Verfassung gemeinten oder vorausgesetzten, dem Sinn und Zweck der grundrechtlichen Verbürgung entsprechenden Begriff der Religion zugrunde zu legen haben.“ Hier wird im Ergebnis nur die Darlegungslast desjenigen, der sich auf das Grundrecht beruft sowie die Verpflichtung der staatlichen Gerichte, die verfassungsrechtlichen Begriffe auszulegen und darüber zu entscheiden, hervorgehoben. Das Problem der Begrenzung des weiten Schutzbereichs wird dadurch nicht gelöst.

Angesichts der Probleme des weiten Schutzbereichs erscheint eine differenzierte Betrachtung der einzelnen Gewährleistungen des Art. 4 Abs. 1 und 2 GG sowie ein möglichst objektives Verständnis der maßgeblichen Rechtsbegriffe angezeigt, um der Praxis möglichst objektive Auslegungskriterien an die Hand zu geben, mit denen subjektiv definiertes Vorbringen dogmatisch klarer auf Plausibilität hin geprüft werden kann. Dieses Erfordernis lässt sich u. a. aus der Forderung religiös-weltanschaulicher Neutralität staatlicher Stellen und der Gleichberechtigung aller in religiösen Angelegenheiten entnehmen.

3. Die Tatbestände des Art. 4 Abs. 1 und 2 GG

Bei aller Forderung nach möglichst objektiven Auslegungskriterien darf aber nicht übersehen werden, dass eine völlige Objektivierung der R. nicht möglich ist. Das jeweilige Selbstverständnis des Betroffenen steht daher als Ausgangspunkt völlig zu Recht im Zentrum der Betrachtung. Richtigerweise kommt es nämlich nicht dem zur Neutralität verpflichteten Staat zu, zu definieren, was für den Einzelnen oder eine Gemeinschaft zu Glauben, Bekenntnis und entsprechender Betätigung gehört. Dies können nur die Betroffenen selbst definieren. Die staatlichen Organe haben insoweit keine Bestimmungsmacht (vgl. BVerfGE 83,341 [353]). Der Staat hat sich vielmehr „in Fragen des religiösen oder weltanschaulichen Bekenntnisses neutral zu verhalten“ (vgl. u. a. BVerfGE 105,279 [294]). Will man aber dem Rechtsanwender ein effektives Instrumentarium zur Prüfung des subjektiven Vorbringens an die Hand geben, so erscheint in der Tat eine differenzierte und möglichst objektive Betrachtung der maßgeblichen Rechtsbegriffe des Art. 4 Abs. 1 und 2 GG hilfreich.

Zunächst ist dabei allerdings festzustellen, dass „Religion“ und „Weltanschauung“ trotz der differenzierten Erwähnung in Art. 4 GG letztlich nicht voneinander abgrenzbar sind. Auch die vielfach bemühte Gegenüberstellung (vgl. BVerwGE 90,112 [115]) von Transzendenz (Religion) und Immanenz (Weltanschauung) führt letztlich nicht zu einer juristisch fassbaren Unterscheidung der Begriffe. Religion und Weltanschauung haben sich in religionswissenschaftlicher, theologischer und philosophischer Hinsicht so stark angenähert, dass die Verfassungsinterpretation nicht mehr daran vorbeigehen kann. Der Schutz durch Art. 4 Abs. 1 und 2 gilt daher für Religion und Weltanschauung in gleicher Weise. Art. 4 Abs. 2 GG schützt damit auch die ungestörte Ausübung einer Weltanschauung, auch wenn der Begriff dort nicht explizit aufgeführt ist. Religion und Weltanschauung dürfen darüber hinaus nicht i. S. einer bestimmten Konfession, Religion, Theologie oder Weltanschauung ausgelegt werden. Dies wäre mit der religiös-weltanschaulichen Neutralität des Staates nicht vereinbar. Die sogenannte „Kulturvölker-Formel“, die das BVerfG in seiner frühen Rechtsprechung noch – wenngleich ohne sie ausdrücklich so zu benennen – bemühte, hat das Gericht später selbst wieder aufgegeben (BVerfGE 41,29 [50]). Die Bandbreite der Überzeugungen, die das GG damit als Religion bzw. Weltanschauung schützt, ist daher unbegrenzt, sodass die Frage, ob es sich im konkreten Fall um eine Religion oder Weltanschauung bzw. um religiös oder weltanschaulich motiviertes Verhalten handelt, nur mit Blick auf den konkreten Vortrag der Betroffenen beantwortet werden kann.

Für eine an möglichst objektiver Betrachtung orientierte Interpretationsarbeit bietet mit Blick auf die Begriffe „Religion“ und „Weltanschauung“ jedoch schon die Verfassung selbst Anhaltspunkte. So besteht die verfassungsrechtliche Funktion der R. darin, dem Einzelnen und Personengemeinschaften einen (insb. im Verhältnis zu Art. 5 und 8 GG) besonderen Schutz seiner religiös-weltanschaulichen Überzeugung zu vermitteln. Der Grund für diese Privilegierung liegt darin, dass Religion bzw. Weltanschauung eine Überzeugung ist, die für den Betroffenen in besonderer Weise verbindlich, mit seiner personalen Identität verknüpft ist. Erhöhte Verbindlichkeit entfaltet eine solche Überzeugung, weil sie Fragen nach Herkunft und Ziel des Daseins, der Stellung des Menschen in der Welt und dem abstrakten Sinn des Lebens zu Gegenstand hat. Diese formalen Kriterien können ergänzt werden durch negative Kriterien, die an die im GG angelegte Unterscheidung von Religion, Wirtschaft und Politik anknüpfen (vgl. Art. 4, 5, 8, 12, 14 GG). Wer – wie etwa die Church of Scientology – quasireligiöses Gebaren nur als Vorwand für wirtschaftliche Ziele verwendet, vertritt keine Religion bzw. Weltanschauung i. S. d. GG. Gleiches gilt für Lehren, die zur Verschleierung von politischen Zielen dienen.

Die in Art. 4 Abs. 1 GG gewährleistete Glaubensfreiheit schützt das sogenannte forum internum, d. h. die Freiheit der inneren Überzeugung, der Gedanken in Fragen des Glaubens. Demnach ist es dem Staat verwehrt, auf die Bildung von Glaubensüberzeugungen Einfluss zu nehmen. Beeinträchtigt werden kann die Glaubensfreiheit durch Formen von Glaubenszwang, wie Suggestion und Indoktrination (etwa durch sogenannte Psychotechniken und weitere Formen der Gehirnwäsche). Geschützt ist auch die Bildung eines Glaubens. Insofern gibt die Glaubensfreiheit ein Abwehrrecht gegen staatliche Behinderung des Zugangs zu den dazu benötigten Hilfsmitteln. Die Glaubensfreiheit hat auch eine negative Seite. Sie besteht in dem Recht, einen Glauben i. S. d. Art. 4 Abs. 1 GG nicht bilden zu müssen. Damit sind auch bewusst antireligiöse bzw. areligiöse Einstellungen gegenüber Religion und Weltanschauung geschützt. Der Schutzbereich der negativen Glaubensfreiheit ist z. B. berührt durch die staatliche Anordnung zur Aufhängung von Kreuzen in öffentlichen Schulen (vgl. BVerfGE 93,1 ff.) oder anderen öffentlichen Einrichtungen. Auch das Kopftuch einer muslimischen Lehrerin an einer staatlichen Schule berührt thematisch die negative Glaubensfreiheit von Schülern (BVerfGE 108,282 [302]). Grundrechtsträger sind bei der Glaubensfreiheit nur natürliche Personen. Personenvereinigungen können keinen Glauben haben.

Die Bekenntnisfreiheit in Art. 4 Abs. 1 GG schützt das Verkünden einer religiösen bzw. weltanschaulichen Überzeugung. Dazu gehört das Reden über diese Überzeugung genauso wie das Werben für sie. Dies gilt auch für das Abwerben von einem anderen Glauben, jedenfalls solange dies im Wege geistiger Kommunikation erfolgt und nicht durch Anwendung von Gewalt, List oder Drohung. Zur Bekenntnisfreiheit ist z. B. der muslimische Gebetsruf des Muezzins oder das islamische Kopftuch zu zählen, wenn es getragen wird, um die religiöse Überzeugung nach außen zu dokumentieren. Ob dies der Fall ist, ist nach dem Selbstverständnis der betreffenden Frau zu beurteilen. Die Bekenntnisfreiheit ist lex specialis zur Meinungsfreiheit in Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG und sie unterscheidet sich von der Glaubensfreiheit nicht hinsichtlich des Gegenstandes der Garantie, sondern in der Verhaltensmodalität. Es kommt dabei entscheidend darauf an, dass das jeweilige Verhalten in diesem Sinne ein bekenntnishafter Akt ist, was nicht der Fall ist, wenn es sich nur um Brauchtum handelt. Gerade das Tragen von bestimmten Kleidungsstücken (Kopftuch, Turban, Burka etc.) kann sehr unterschiedliche Bedeutung haben. Diese Bedeutung muss im Rahmen der Sachaufklärung ermittelt werden. Die negative Bekenntnisfreiheit ist in Art. 140 GG i. V. m. Art. 136 Abs. 3 WRV eigenständig gewährleistet: „Niemand ist verpflichtet, seine religiöse Überzeugung zu offenbaren. Die Behörden haben nur soweit das Recht, nach der Zugehörigkeit zu einer Religionsgesellschaft zu fragen, als davon Rechte und Pflichten abhängen oder eine gesetzlich angeordnete statistische Erhebung dies erfordert“. Betroffen ist der Schutzbereich z. B. bei Fragen nach der Religionszugehörigkeit, der Eintragung der Religion auf der Lohnsteuerkarte oder beim obligatorischen Schulgebet. Art. 7 Abs. 3 S. 3 GG, wonach kein Lehrer verpflichtet werden darf, gegen seinen Willen Religionsunterricht zu erteilen, ist als spezielle Norm ebenfalls Ausdruck der negativen Bekenntnisfreiheit. Grundrechtsträger der Bekenntnisfreiheit sind natürliche Personen wie auch juristische Personen, wenn sie den Glauben ihrer Mitglieder verbreiten.

Die ungestörte Religionsausübung wird nach Art. 4 Abs. 2 GG geschützt. Es wurde bereits gesagt, dass auch die ungestörte Ausübung einer Weltanschauung erfasst ist, obwohl dies im Wortlaut von Art. 4 Abs. 2 GG nicht eigens erwähnt ist. Die ungestörte Religionsausübung umfasst traditionell alle kultischen Handlungen, und zwar jedweder Art und Religion. In diesem Sinne wurde früher auch von der Kultusfreiheit gesprochen (vgl. z. B. BVerfGE 24,236 [246 f.]). Zu den kultischen Handlungen gehören insb. Gottesdienste, Gebete, das Feiern der Sakramente, aber auch kirchliche Kollekten, Prozessionen, das Zeigen von Kirchenfahnen oder das Glockengeläut (auch der Zeitschlag). Der Schutzbereich des Art. 4 Abs. 2 GG lässt sich aber nicht auf die Kultusfreiheit im klassischen Sinne beschränken und kann nicht nach objektiven Kriterien a priori abgegrenzt werden. Insb. ist der Begriff der Religionsausübung auch offen für neue Formen religiös-weltanschaulichen Verhaltens. Ob ein Verhalten aber in diesem Sinne tatsächlich religiös-weltanschaulich motiviert ist, kann nur über das Selbstverständnis des Betroffenen ermittelt werden, das auf Plausibilität hin zu überprüfen ist. Soweit die religiös-weltanschauliche Motivation für ein bestimmtes Verhalten plausibel dargelegt ist, besteht keine Möglichkeit, das Verhalten aus dem Schutzbereich des Art. 4 Abs. 2 GG auszuscheiden. So fällt z. B. auch die Verweigerung einer Bluttransfusion durch Zeugen Jehovas in den Schutzbereich des Art. 4 Abs. 2 GG (BVerfG, NJW 2002, 206 [207]). Weitere Beispiele sind der Bau von Moscheen, das Schächten von Tieren, die religiös motivierte Befreiung von Schulpflichten, das Tragen von religiösen Kleidungsstücken, der muslimische Gebetsruf und die besonderen Regelungen der islamischen Bestattung. Auch wirtschaftliche Betätigung kann in bestimmten Grenzen vom Schutzbereich des Art. 4 Abs. 2 GG erfasst sein, wenn sie karitativen Zwecken dient (BVerfGE 24,236 [249 f.]). Die negative Seite der in Art. 4 Abs. 2 GG aufgeführten Gewährleistung ist in Art. 140 GG i. V. m. Art. 136 Abs. 4 WRV speziell verbürgt: „Niemand darf zu einer kirchlichen Handlung oder Feierlichkeit oder zur Teilnahme an religiösen Übungen oder zur Benutzung einer religiösen Eidesformel gezwungen werden“. Damit ist die negative Religionsausübungsfreiheit tatbestandlich abgegrenzt und handhabbar. Ein weitergehendes Recht, R. im positiven Sinne nicht vornehmen zu müssen, besteht nicht. Es wäre auch verfassungsrechtlich nicht handhabbar, weil der Schutzbereich völlig unabgegrenzt wäre. Aus Art. 140 GG i. V. m. Art. 136 Abs. 4 WRV folgt zudem, dass nicht schon die bloße Konfrontation mit religiösen Symbolen oder Handlungen Dritter in die negative Religionsausübungsfreiheit eingreift. Das Recht zur Bildung von Religionsgemeinschaften wird durch Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 Abs. 2 WRV geschützt. Dies ergibt sich aus dem insoweit klaren Wortlaut der Vorschrift. Das BVerfG leitet dieses Recht bereits aus Art. 4 GG her, da es Art. 137 Abs. 2 WRV als Bestandteil des Art. 4 Abs. 1 und 2 GG betrachtet (BVerfGE 83,341 [354]; BVerfGE 53,366 [387]). Auch die Gründung religiöser Vereine, die im Gegensatz zum umfassenden Tätigkeitsfeld von Religionsgemeinschaften nur einen Ausschnitt des religiösen Lebens ihrer Mitglieder bilden (z. B. Caritas/ Diakonie, Mission, Jugendarbeit, Trägerschaft von Schulen und Krankenhäusern) sind nicht durch Art. 4 Abs. 1 und 2 GG geschützt, sondern durch die allgemeine Vereinigungsfreiheit des Art. 9 Abs. 1 GG. Erst für ihre Tätigkeit als solche können sich religiöse Organisationen auf Art. 4 GG berufen. Daraus folgt auch, dass sie nach Art. 9 Abs. 2 GG i. V. m. den §§ 1 ff. VereinsG verboten werden können. Für Religionsgemeinschaften, die auf der Grundlage von Art. 140 GG i. V. m. Art 137 Abs. 2 WRV gegründet wurden, dürfte Entsprechendes gelten.

4. Grenzen der religiösen Freiheit

Das BVerfG versteht das Grundrecht aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG nicht nur als einheitliches Grundrecht, sondern auch als vorbehaltlos gewährleistet (BVerfGE 33,23 [30 f.]; BVerfGE 108,282 [297]). In der Tat sieht der Wortlaut des Art. 4 GG keinen Gesetzesvorbehalt vor. Schranken können sich für das BVerfG nur aus der Verfassung selbst ergeben, sogenannte verfassungsimmanente Schranken. Dies sind Grundrechte Dritter oder andere Gemeinschaftswerte mit Verfassungsrang (BVerfGE 108,282 [297]). Die Schranken des Art. 2 Abs. 1 GG und des Art. 5 Abs. 2 sind nach der Rechtsprechung des BVerfG nicht anwendbar (BVerfGE 32,98 [107]; BVerfGE 52,223 [246]). Einschränkungen bedürfen zudem einer „hinreichend bestimmten gesetzlichen Grundlage“ (BVerfGE 108,282 [297]). Kollisionen zwischen Art. 4 GG und anderen Verfassungsnormen sind i. S. d. praktischen Konkordanz mit dem Ziel des schonendsten Ausgleichs zu lösen (BVerfGE 41,29 [51]; BVerfGE 93,1 [22]). Ausdrücklich als Schranke abgelehnt hat das BVerfG die Anwendung des Art. 140 GG i. V. m. Art 136 Abs. 1 WRV (BVerfGE 33,23 [30f.]). Art. 136 Abs. 1 WRV bestimmt: „Die bürgerlichen und staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten werden durch die Ausübung der Religionsfreiheit weder bedingt noch beschränkt.“ Diese Ablehnung durch das BVerfG wird in der Lehre zu Recht kritisiert. Nicht zuletzt vor dem Hintergrund des ausgedehnten Schutzbereichs des Art. 4 Abs. 1 und 2 GG erscheint es in der Tat angezeigt, dem Art. 136 Abs. 1 WRV einen Gesetzesvorbehalt zu entnehmen. Zu den im Art. 136 Abs. 1 WRV benannten staatsbürgerlichen Pflichten gehört v. a. die allgemeine Gesetzesbefolgungspflicht. Die Begründung des BVerfG, wonach Art. 136 Abs. 1 WRV ausgehend von einem historischen Verständnis heute von Art. 4 Abs. 1 GG überlagert wird (vgl. BVerfGE 33,23 [30 f.]) überzeugt nicht. Maßgeblich muss heute der ausdrückliche Wortlaut der Norm sein, der eben einen Gesetzesvorbehalt enthält. Aber auch i. S. d. Art. 136 Abs. 1 WRV, die Gesetzesbefolgungspflicht nicht dem religiösen Belieben des Einzelnen nachzuordnen, spricht für die Annahme, dass Art. 140 GG i. V. m. Art. 136 Abs. 1 WRV als Gesetzesvorbehalt zu werten ist. Nicht zuletzt sei nochmals darauf hingewiesen, dass auch das BVerfG selbst die Weimarer Artikel als vollgültiges Verfassungsrecht und als organisches Ganzes zusammen mit Art. 4 GG betrachtet. Daher stehen die Gewährleistungen des Art. 4 Abs. 1 und 2 GG nach zutreffender Ansicht unter dem Vorbehalt der allgemeinen Gesetze. Dies gilt wohlgemerkt nicht für die Gewissensfreiheit, die nicht im Wortlaut des Art. 136 Abs. 1 WRV aufgeführt ist. Allgemeine Gesetze in diesem Sinne sind alle gesetzlichen Vorschriften, die sich nicht gegen die R. als solche richten, also kein Sonderrecht gegen Glauben, Bekenntnis oder Religionsausübung enthalten. So sind z. B. die Vorschriften des Straßenverkehrsrechts über die Benutzung öffentlicher Straßen, das Gewerberecht, das Schulrecht, das Tierschutzrecht, das Familienrecht, das Immissionsschutzrecht oder das Friedhofs- und Bestattungsrecht in Betracht zu ziehen. Die Annahme von Art. 140 GG i. V. m. Art. 136 Abs. 1 WRV als Gesetzesvorbehalt entbindet den Rechtsanwender von der häufig schwierigen Suche nach verfassungsimmanenten Schranken zur Einschränkung des Art. 4 Abs. 1 und 2 GG. Dadurch kann aber auch und gerade gegenüber religiösen Minderheiten, deren Vorstellungen nicht unbedingt mit dem deutschen Recht übereinstimmen, die Forderung nach Gesetzestreue erhoben werden.

5. Supranationale und völkerrechtliche Regelungen

Auf supranationaler und völkerrechtlicher Ebene ist die R. vielfach in ähnlicher Form verbürgt. Auf universaler Ebene sind v. a. die AEMR sowie der IPbpR zu nennen. Nach Art. 18 AEMR gilt: „Jeder hat das Recht auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit; dieses Recht schließt die Freiheit ein, seine Religion oder seine Weltanschauung zu wechseln sowie die Freiheit, seine Religion oder seine Weltanschauung allein oder in Gemeinschaft mit anderen öffentlich oder privat durch Lehre, Ausübung, Gottesdienst und Kulthandlungen zu bekennen.“ Die AEMR der Generalversammlung der Vereinten Nationen hat als solche selbst keine rechtliche Verbindlichkeit. Dennoch hat sie Vorbildfunktion für andere internationale Verträge, so auch für Art. 18 IPbpR: „(1) Jedermann hat das Recht auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit. Dieses Recht umfasst die Freiheit, eine Religion oder eine Weltanschauung eigener Wahl zu haben oder anzunehmen, und die Freiheit, seine Religion oder Weltanschauung allein oder in Gemeinschaft mit anderen, öffentlich oder privat durch Gottesdienst, Beachtung religiöser Bräuche, Ausübung und Unterricht zu bekunden. (2) Niemand darf einem Zwang ausgesetzt werden, der seine Freiheit, eine Religion oder eine Weltanschauung seiner Wahl zu haben oder anzunehmen, beeinträchtigen würde. (3) Die Freiheit, seine Religion oder Weltanschauung zu bekunden, darf nur den gesetzlich vorgeschriebenen Einschränkungen unterworfen werden, die zum Schutz der öffentlichen Sicherheit, Ordnung, Gesundheit, Sittlichkeit oder der Grundrechte und -freiheiten anderer erforderlich sind. (4) Die Vertragsstaaten verpflichten sich, die Freiheit der Eltern und gegebenenfalls des Vormunds oder Pflegers zu achten, die religiöse und sittliche Erziehung ihrer Kinder in Übereinstimmung mit ihren eigenen Überzeugungen sicherzustellen.“ Im Gegensatz zur AEMR ist der IPbpR für die Vertragspartner verbindlich. Für die Auslegung von Art. 18 IPbpR ist der vom UN-Menschenrechtsausschuss (Human Rights Committee [Art. 28 IPbpR]) nach Art. 40 Abs. 4 S. 2 IPbpR angenommene General comment No. 22 vom 30. 7. 1993 (CCPR/C/21/REV.1/Add.4–27.9.1993) von Bedeutung. Ihm (Abs. 5) ist mit Blick auf Art. 18 Abs. 1 IPbpR z. B. zu entnehmen, dass das Recht, eine Religion zu haben oder anzunehmen, das Recht auf Glaubenswechsel notwendig beinhaltet. Im General comment findet sich zudem eine rechtlich zwar nicht verbindliche, aber dennoch instruktive nähere Umschreibung des Inhalts und der Reichweite der Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit. Der UN-Menschenrechtsausschuss spricht sich dort insb. für eine weite Auslegung aus (Abs. 2).

Auf europäischer Ebene sind Art. 9 EMRK sowie Art. 10 EuGRC von zentraler Bedeutung. Art. 9 EMRK bestimmt: „(1) Jede Person hat das Recht auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit; dieses Recht umfasst die Freiheit, seine Religion oder Weltanschauung zu wechseln, und die Freiheit, seine Religion oder Weltanschauung einzeln oder gemeinsam mit anderen öffentlich oder privat durch Gottesdienst, Unterricht oder Praktizieren von Bräuchen und Riten zu bekennen. (2) Die Freiheit, seine Religion oder Weltanschauung zu bekennen, darf nur Einschränkungen unterworfen werden, die gesetzlich vorgesehen und in einer demokratischen Gesellschaft notwendig sind für die öffentliche Sicherheit, zum Schutz der öffentlichen Ordnung, Gesundheit oder Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer.“ Art. 9 Abs. 1 EMRK bildete die unmittelbare Vorlage für die Formulierung des Art. 10 Abs. 1 EuGRC: „(1) Jede Person hat das Recht auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit. Dieses Recht umfasst die Freiheit, die Religion oder Weltanschauung zu wechseln und die Freiheit, seine Religion oder Weltanschauung einzeln oder gemeinschaftlich mit anderen öffentlich oder privat durch Gottesdienst, Unterricht, Bräuche und Riten zu bekennen.“ Nicht übernommen wurde die Schrankenregelung des Art. 9 Abs. 2 EMRK. Stattdessen enthält Art. 10 Abs. 2 EuGRC abweichend vom Wortlaut des Art. 9 EMRK das Recht auf Wehrdienstverweigerung nach Maßgabe der einzelstaatlichen Gesetze. Art. 10 EuGRC gilt allerdings nur in dem durch Art. 51 EuGRC festgelegten Anwendungsbereich. Für die Mitgliedsstaaten gilt Art. 10 EuGRC daher ausschließlich bei der Durchführung des Rechts der Union. Art. 52 Abs. 3 EuGRC zeigt die enge Verbindung zwischen EMRK und EuGRC auf: „Soweit diese Charta Rechte enthält, die den durch die Europäische Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten garantierten Rechten entsprechen, haben sie die gleiche Bedeutung und Tragweite, wie sie ihnen in der genannten Konvention verliehen wird. Diese Bestimmung steht dem nicht entgegen, dass das Recht der Union einen weitergehenden Schutz gewährt.“ Bezogen auf die R. ist die Entsprechung gegeben. In den Erläuterungen des Grundrechtekonvents (Erläuterungen des Präsidiums des Konvents [ABl. 2007 C 303/17 vom 14. 12. 2007]) zu Art. 10 EuGRC heißt es: „Das in Absatz 1 garantierte Recht entspricht dem Recht, das durch Artikel 9 EMRK garantiert ist, und hat nach Artikel 52 Absatz 3 der Charta die gleiche Bedeutung und gleiche Tragweite wie dieses. Bei Einschränkungen muss daher Artikel 9 Absatz 2 EMRK gewahrt werden“. Der EuGH hat sich bislang vergleichsweise selten mit der R. beschäftigen müssen und hat damit bis heute nur wenig zur Auslegung von Art. 10 Abs. 1 EuGRC beigetragen. In der Praxis wird daher schon mit Blick auf Art. 52 Abs. 3 EuGRC die Auslegung von Art. 10 Abs. 1 EuGRC derzeit immer noch durch die Rechtsprechung des EGMR maßgeblich bestimmt. Dieser und (bis 1998) die EKMR haben sich bis heute in einer Vielzahl von Entscheidungen mit der Auslegung der Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit befasst. Die Rechtsprechung von EGMR/ EKMR ist dabei von einer umfangreichen und nicht immer dogmatisch klaren Kasuistik geprägt, wobei der EGMR die in den verschiedenen Mitgliedsstaaten teilweise sehr unterschiedlichen Vorstellungen zu berücksichtigen hat. So sieht der EGMR es z. B. ausdrücklich nicht als seine Aufgabe an, abstrakt darüber zu befinden, ob bestimmte Überzeugungen oder Praktiken als Religion i. S. d. Art. 9 EMRK zu betrachten sind, wenn diesbezüglich ein Konsens in Europa nicht besteht. In solchen Fällen vertraut der EGMR der Einschätzung des jeweiligen Mitgliedsstaates (vgl. u. a. EGMR Nr. 76836/01 und 32782/03 – Kimlya u. a. v Russland vom 1. 10. 2009, Rdnr. 79). Insgesamt zeigt sich jedoch in der EGMR-Rechtsprechung im Ergebnis ein durchaus hoher Übereinstimmungsgrad mit den durch Art. 4 Abs. 1 und 2 GG gewährten Rechten.