Grundrechte

1. Begriff und Wirkungsraum

1.1 Essentialia des Verfassungsstaates

a) Verfassungsstaatlicher Resonanzboden. Die G. und der Verfassungsstaat stehen in einem wechselseitigen Bedingungsverhältnis: ohne G. kein Verfassungsstaat und umgekehrt. Einerseits bilden die G. notwendige Bestandteile des bürgerlichen Verfassungsstaates in einem substanziellen Verständnis, welches namentlich an die im ausgehenden 18. Jh. anhebende US-amerikanische und französische Verfassungstradition anknüpft. Andererseits setzen G. das Bestehen einer Rechtsordnung voraus, die mehrere Rechtsschichten kennt, deren höchste eine rechtlich positivierte (nicht notwendigerweise kodifizierte) Verfassung ist, die Vorrang vor allen sonstigen Rechtsakten der öffentlichen Gewalt, damit grundsätzlich auch vor allen Gesetzen, beansprucht. In den G.n koinzidieren, ideengeschichtlich betrachtet, drei Entwicklungsstränge, aus denen sich der Begriff der G. und deren zentrale Wirkungsbedingungen ableiten lassen: nämlich erstens die mit der Aufklärung einhergehende natur- bzw. vernunftrechtliche Vorstellung, dass es unverbrüchliche und unveräußerliche (unalienable, inaliénable) Rechte des Individuums kraft Menschseins gebe; zweitens die antiabsolutistische Idee der Verfassung als einer (positiv)rechtlichen Grundordnung des Gemeinwesens, die alle staatliche Gewalt konstituiert und legitimiert, determiniert und limitiert; und drittens schließlich das funktionellrechtliche Konzept einer Verfassungsgerichtsbarkeit, kraft deren G. justiziabel werden und die ihnen damit zur Durchsetzung in der Rechtsordnung im Übrigen verhilft. Wiewohl nicht im engeren Sinne Begriffsbestandteil, markiert die gerichtsförmige Anwendung und Durchsetzung der G. deren zentrale Wirksamkeitsbedingung; ohne G.s-Gerichtsbarkeit kommt den G.n kaum mehr als der Charakter von soft law zu (s. u. 3.1 und 3.6).

b) Begriff. Unter G.n versteht man – in einem ausgebauten Verfassungsstaat – die Freiheit und Gleichheit des Einzelnen (oder einer Gruppe von Individuen) sichernden, subjektiven Rechte im Verfassungsrang, die ein Staat (oder ein sonstiger, staatsähnlicher Träger öffentlicher Gewalt) typischerweise in knapp-eingängiger Sprachgestalt gewährleistet und die gegen unterverfassungsrangige Akte von Organen des grundrechtsverbürgenden Staates (oder eines sonstigen Trägers öffentlicher Gewalt) geltend gemacht werden können. G. sind also verfassungsrangige („Trumpf“-)Rechte des Einzelnen gegen Akte der öffentlichen (typischerweise: staatlichen) Gewalt, die vor dem Hintergrund von Freiheit und Gleichheit der gewaltunterworfenen Individuen die Rechtfertigungsbedürftigkeit und -fähigkeit öffentlicher Gewalt umschreiben und durch „Fundamentalität, Positivität und Konstitutionalität“ (Stern 2004: § 1, Rn. 51) gekennzeichnet sind. Leicht abweichend von dieser allgemeinen Begriffsbestimmung können kraft positivrechtlicher Bestimmung unter G.n jene Verbürgungen zugunsten des Einzelnen zu verstehen sein, die in einem bestimmten Abschnitt der Verfassung (bspw. Art. 1–19 GG im I. Abschnitt „Die G.“) gewährleistet oder durch ein besonderes G.s-Schutzverfahren wie die Verfassungsbeschwerde (bspw. Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG) gekennzeichnet sind.

Dass die G. als Freiheits- und Gleichheitsverbürgungen – einer verbreiteten naturrechtlichen Vorstellung folgend – dem Staat und seinem Regelungszugriff vorausliegen, d. h. vorstaatlich sind und als solche vom Staat bestenfalls anerkannt werden können, ist für G. im geltendrechtlichen Sinne weder notwendig noch zutreffend: G. sind – wenn auch verfassungs- und damit höchstrangiger – Teil jener Rechtsordnung, gegen deren Akte sie Schutz gewähren; als Verfassungsbestimmungen bieten sie aus sich heraus keinen Schutz gegen Verfassungsänderungen.

Wiewohl G. und Demokratie sich zu erheblichen Teilen aus identischen ideengeschichtlichen Quellen speisen und in einem freiheitlich-demokratischen Verfassungsstaat ihre wirkmächtig(st)e Verbindung unter dem Vorzeichen der Menschenwürde eingehen, sind sie doch als spannungsvoll aufeinander bezogen zu unterscheiden: Während bei den G.n die Selbstbestimmung des Individuums gegenüber dem (über)staatlich organisierten Kollektiv im Vordergrund steht, zielt Demokratie just auf die Selbstbestimmung dieses (über-)staatlichen Kollektivs, Volk genannt.

1.2 Menschenrechte – Grundfreiheiten – Staatszielbestimmungen

Von G.n können Menschenrechte, Grundfreiheiten und Staatszielbestimmungen unterschieden werden.

a) Menschenrechte. Gleichviel, ob man unter Menschenrechten – im naturrechtlichen, überpositiven Sinne – universelle, natürliche und unantastbare, auf gleiche Freiheit zielende Rechtspositionen des Einzelnen kraft seines Menschseins versteht, die aller öffentlichen Gewalt vorausliegen, oder aber – im völkerrechtlichen Sinne – völkervertragliche Sicherungen des Individuums (oder Gruppen von Individuen) gegen Freiheits- und Gleichheitsverletzungen seitens der Vertragsparteien (Staaten oder internationale Organisationen): in beiden Fällen ist die öffentliche Gewalt, deren Akte sich an den Menschenrechten messen lassen muss, einer „fremden“, da nicht autochthonen Bindung und Kontrolle unterworfen (im ersten Falle kraft Naturrechts, im zweiten kraft Selbstverpflichtung). Werden völkervertraglich gesicherte Menschenrechte mittels nationaler Rechtsetzung in den Rang nationaler Verfassungsbestimmungen erhoben, über deren Einhaltung nationale Gerichte wachen – wie das bei der EMRK durch österreichisches Bundesverfassungsrecht der Fall ist –, so mutieren sie innerstaatlich zu G.n. Weit größer als der Unterschied zwischen (internationalen) Menschenrechten und (supra)nationalen G.n wiegt indes im rechtstatsächlichen Effekt der Unterschied zwischen Menschen- und G.s-Verbürgungen mit einer entspr. wirksamen judikativen Kontrolle auf der einen Seite gegenüber Menschen- und G.s-Verbürgungen ohne eine solche Kontrollinstanz auf der anderen Seite.

b) Grundfreiheiten. Figurieren Grundfreiheiten lediglich als begriffliches Pendant zu Menschenrechten – etwa im Sinne der EMRK („Convention for the Protection of Human Rights and Fundamental Freedoms“, „Convention de sauvegarde des droits de l’homme et des libertés fondamentales“) –, gilt für sie das zu den Menschenrechten Gesagte. Anders verhält es sich bei Grundfreiheiten im Sinne des Europäischen Unionsrechts, für die auch der Begriff der Marktfreiheiten geläufig ist; darunter sind die zentralen grundrechtlichen Gewährleistungen des Europäischen Binnenmarktes zu verstehen (Warenverkehrsfreiheit, Arbeitnehmerfreizügigkeit, Niederlassungs- und Dienstleistungs-, Kapital- und Zahlungsverkehrsfreiheit). Sie sind, erkennt man in den EU-Gründungsverträgen das Unionsverfassungsrecht, als spezifisch binnenmarktbezogene G. der EU zu betrachten und stehen gleichrangig neben den sonstigen, sozusagen eigentlichen G.s-Verbürgungen des Unionsprimärrechts wie namentlich der EuGRC.

c) Staatszielbestimmungen. Durch Staatszielbestimmungen wird die öffentliche Gewalt verfassungsrechtlich dazu verpflichtet, ein bestimmtes Ziel (z. B. Umwelt- oder Tierschutz) durch unterverfassungsgesetzliche Rechtsakte (Gesetz, Rechtsverordnung usw.) zu erreichen. Von G.n unterscheiden sich Staatszielbestimmungen insb. dadurch, dass sie dem Individuum keinerlei subjektive Rechtsposition verleihen, ihm also nicht die Rechtsmacht zuweisen, das dem Träger der öffentlichen Gewalt gebotene Verhalten im Rechtswege einfordern zu können.

2. Grundrechte in Deutschland

2.1 Vorgrundgesetzliche Grundrechte

Während im globalen Maßstab die „Virginia Declaration of Rights“ (zumeist als „Virginia Bill of Rights“ bezeichnet) aus dem Jahre 1776 und die „Déclaration des droits de l’homme et du citoyen“ aus dem Jahre 1789 als die Geburtsakte moderner G.s-Kodifikationen gelten, hebt das Zeitalter verfassungsgesetzlich gesicherter G. in Deutschland nach der Wegbereitung durch vormärzliche Landesverfassungen mit der – zwar beschlossenen, aber aufgrund des Scheiterns der 1848er-Revolution niemals umgesetzten – Paulskirchenverfassung („Verfassung des deutschen Reiches“) von 1849 an. Unter der Überschrift „Die Grundrechte des deutschen Volkes“ normierte die Paulskirchenverfassung in 50 Bestimmungen (§§ 130–189) einen weitreichenden, genossenschaftlich inspirierten, den konstitutionalistischen Dualismus einer „paritätischen Zweieinheitlichkeit von Fürst und Volk“ (Kühne 2004: § 3 Rn. 28) reflektierenden, auch das Wahlrecht und die Gewähr kommunaler Selbstverwaltung integrierenden G.s-Katalog, der mit Vorrang vor sonstigem (Reichs- und Landes-)Recht ausgestattet und mit der Verfassungsindividualklage zum Reichsgericht (§ 126 lit. g), einem Vorläufer der (Individual-)Verfassungsbeschwerde, gerichtlich bewehrt war.

Während in der Folgezeit bis zum Ende des Ersten Weltkriegs G. nach und nach in fast alle gliedstaatlichen Verfassungen Eingang fanden, enthielten sich die Verfassung des Norddeutschen Bundes von 1867 und die Bismarcksche Reichsverfassung („Verfassung des Deutschen Reichs“) von 1871 als reine Organisationsstatute der Gewährleistung von G.n, wenngleich nicht übersehen werden darf, dass manches G.s-Anliegen im Wege reichsgesetzlicher Normierung verwirklicht wurde.

Ähnlich umfangreich wie die Paulskirchenverfassung, aber doch abweichend in puncto Gewährleistungsinhalten und Regelungsanordnung, Wirkkraft und Rechtsschutz regelte die WRV („Die Verfassung des Deutschen Reichs“) von 1919 in ihrem Zweiten Hauptteil die „Grundrechte und Grundpflichten der Deutschen“ (Art. 109–165). Mit ihren fünf Abschnitten „Die Einzelperson“, „Das Gemeinschaftsleben“, „Religion und Religionsgesellschaften“, „Bildung und Schule“ sowie „Das Wirtschaftsleben“ beschritt die Weimarer Reichsverfassung einen über die „klassisch“-liberalen Verbürgungen deutlich hinausgreifenden sozialgestalterischen, soziale G. und Grundpflichten einbeziehenden Weg. Neben weitreichenden Gesetzesvorbehalten und dem Streit um ein richterliches Prüfungsrecht gegenüber Reichsgesetzen – also der Befugnis von Gerichten, Reichsgesetze auf ihre Übereinstimmung mit (Reichs-)G.n zu überprüfen – war es insb. das Fehlen einer spezifischen G.s-Gerichtsbarkeit, die einer stärkeren Wirksamkeitsentfaltung der Weimarer G. im Wege stand.

Die NS-Diktatur (1933–45), die die WRV zwar nicht formaliter aufhob, sie aber nicht mehr als rechtliche Grundlage des neuen Reiches betrachtete, wusste mit der antitotalitären Idee von gegen das staatliche Kollektiv gerichteten Individualrechten egalitär-liberaler Provenienz nichts anzufangen und setzte dem die Rechtsstellung als Volksgenossen auf der Grundlage völkisch-(-rassisch)er Artgleichheit entgegen. Das NS-Regime propagierte und verfolgte damit eine konsequente und umfassende Politik der „Grundrechtsvernichtung“ (Dreier 2004, § 4 Rn. 54).

2.2 Grundrechte des Grundgesetzes

In Reaktion auf den nationalsozialistischen G.s-Nihilismus mit seinen nach Zahl und Art schwerstwiegenden Verletzungen menschenrechtlicher Ideen fasste die Auftaktbestimmung des Herrenchiemseer Entwurfs aus dem August 1948 den antitotalitären Grundkonsens der Mütter und Väter des GG bündig zusammen: „Der Staat ist um des Menschen willen da, nicht der Mensch um des Staates willen.“ (Art. 1 Abs. 1) Um dieser „gegenbildlich identitätsprägende[n] Bedeutung“ des menschenverachtenden NS-Regimes für die verfassungsrechtliche Ordnung der BRD (BVerfGE 124, 300) nachhaltig Ausdruck zu verleihen, drehte das GG vom 23.5.1949 im Vergleich zur WRV die Reihenfolge von Organisationsteil und G.s-Teil um, positionierte letzteren als ersten Abschnitt (Art. 1–19) und stellte die Menschenwürdegarantie („Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.“ – Art. 1 Abs. 1) an die Spitze des operativen Teils des GG. Im Gegensatz zum Weimarer G.s-Katalog beschränkt sich das GG im Wesentlichen auf die sogenannten „klassischen“ G. und verzichtet namentlich auf soziale G.

Im Gegenzug wird unter dem GG (zunächst 1951 durch §§ 90–95 BVerfGG, sodann 1969 auch durch Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG) ein hocheffektives Verfahren zur Durchsetzung der G. eingeführt: die (Individual-)Verfassungsbeschwerde. Ebenfalls mit der Verfassungsbeschwerde durchsetzbar – und insoweit den G.n des Ersten Abschnitts gleichgestellt – sind grundrechtsgleiche Rechte wie die sogenannten Justiz-G. (namentlich Art. 101 Abs. 1 Satz 2, Art. 103 Abs. 1–3, Art. 104) und das Wahlrecht (Art. 38 Abs. 1). Wiewohl das GG mittlerweile 62 Änderungsgesetze mit mehr als 225 Einzeländerungen über sich hat ergehen lassen müssen, sind die meisten G. von Änderungen verschont geblieben, die wichtigsten G.s-Änderungen waren die – jeweils vor dem BVerfG angefochtene – Asyl- (1993; vgl. BVerfGE 94, 49) und Lauschangriffsnovelle (1998; vgl. BVerfGE 109, 279).

2.3 Grundrechte in den Landesverfassungen

Bis auf die Verfassung Hamburgs, die ein reines Organisationsstatut darstellt, enthalten heute sämtliche Landesverfassungen G., teils durch schlichte Inkorporierung der G. des GG. Die vorgrundgesetzlichen Landesverfassungen in den westlichen Besatzungszonen der Jahre 1946 und 1947 (Baden, Bayern, Bremen, Hessen, Rheinland-Pfalz, Württemberg-Baden und Württemberg-Hohenzollern) spielten für die Formulierung der G. des GG eine nicht zu unterschätzende Rolle, wenn auch just die in ihnen verbreitete sozialgestalterische Tendenz im Parlamentarischen Rat keinen Widerhall fand. Soweit Landes-G. Bundesrecht widersprechen, sind sie (bundes)verfassungswidrig (Art. 31 GG); Art. 142 GG bestimmt zusätzlich, dass Landes-G., die inhaltlich übereinstimmend mit den G.n des GG Verbürgungen aussprechen, in Kraft bleiben. Der verdrängenden Dominanz und dem unitarisierenden Sog der Bundes-G. können die Landes-G. im Wesentlichen nur dort entkommen, wo es sich wie im Schul- und Hochschulbereich um ausschließliche Landesgesetzgebungszuständigkeiten handelt, oder, soweit die Landesverfassungen über die Gewährleistungen des GG hinausgehende soziale G. verbürgen; freilich ist insoweit der Vorrang sämtlichen Bundesrechts vor Landes(verfassungs)recht gemäß Art. 31 GG zu beachten. Zwar besitzen mittlerweile alle 16 Bundesländer Verfassungsgerichte, doch nur 11 von ihnen (nicht: Bremen, Hamburg, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Schleswig-Holstein) kennen das Verfahren der Verfassungsbeschwerde, mit der der Einzelne Verletzungen eigener G. durch die Landesstaatsgewalt rügen kann.

2.4 Grundrechte in der DDR

In der SBZ (1945–49) und in der DDR (1949–1990) enthielten zwar sämtliche Landesverfassungen der Jahre 1946–47 (Mark Brandenburg, Land Mecklenburg, Provinz Sachsen-Anhalt, Land Sachsen, Land Thüringen) und auch die Verfassungen der DDR aus den Jahren 1949 sowie 1968/74 nominell G.s-Gewährleistungen. Diese waren indes nicht in einem freiheitlich-verfassungsstaatlichen Sinne effektiv: Einerseits ließ der Führungsanspruch der SED einen Selbstand des (Verfassungs-)Rechts nicht zu, andererseits wurde die G.-Freiheit nicht in einem negativen Sinne („Freiheit vom Staat“) verstanden, sondern in einem positiven, G. und Grundpflichten verschmelzenden Sinne („Freiheit zum Staat“). Der Verfassungsentwurf des Runden Tisches aus dem April 1990, der in seinem 1. Kapitel „Menschen- und Bürgerrechte“ (Art. 1–40) regelte, entfaltete infolge der Wiedervereinigung am 3.10.1990 keine nachhaltige Wirkung mehr.

2.5 Unionsgrundrechte und Gewährleistungen der EMRK

In Deutschland, genauer: in der Reichweite der deutschen Rechtsordnung, gelten neben den Bundes- und Landes-G.n G. und grundrechtsähnliche Gewährleistungen überstaatlicher Provenienz.

a) Unions-G.: Da sind zum einen die Unions-G., die als – supranationales – Unionsprimärrecht unmittelbar und vorrangig vor grundsätzlich allem nationalen Recht anzuwenden sind. Unions-G. fließen nach Art. 6 EUV aus zwei Quellen: Zum einen sind sie – die Rechtsfortbildung des EuGH in den Rang einer Gründungsvertragsnorm erhebend – gewährleistet als Allgemeine Rechtsgrundsätze des Unionsrechts, wie sie in der EMRK garantiert sind und sich aus den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten qua wertender Verfassungsvergleichung ergeben (Art. 6 Abs. 3). Und zum anderen sind sie in der seit dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon 2009 geltenden Charta der Grundrechte der EU (EuGRC) von 2000 niedergelegt (Art. 6 Abs. 1). Solange die EU der EMRK noch nicht beigetreten ist – was der EuGH derzeit für mit dem Wesen der Union unvereinbar hält (EuGH, Gutachten 2/13 vom 18.12.2014) –, gilt die EMRK noch nicht unmittelbar im Unionsrecht (vgl. Art. 6 Abs. 2). Die Unions-G. binden indes nur die Organe der Union selbst und „die Mitgliedstaaten ausschließlich bei der Durchführung des Rechts der Union“ (Art. 51 Abs. 1 Satz 1 EuGRC). Der Schutz des Einzelnen durch die Unions-G. gewährleistet einen dem GG „im wesentlichen vergleichbaren Grundrechtsschutz“ (Art. 23 Abs. 1 Satz 1 GG; vgl. BVerfGE 73, 339; 102, 147). Hinzutreten als binnenmarktspezifische Unions-G. die sogenannten Markt- oder Grundfreiheiten (Art. 34, 45, 49, 56 und 63 AEUV) (s. a. 1.2 b) und 4.).

b) EMRK: Neben supranationalen G.n binden – internationale – Menschenrechtskonventionen die deutsche Staatsgewalt, soweit und solange Deutschland Vertragsstaat der betreffenden Konvention ist. Dies betrifft bspw. die ESC von 1961, die UN-Pakte über bürgerliche und politische sowie über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte von 1966, die UN-Kinderrechtekonvention von 1989 oder die UN-Behindertenrechtskonvention von 2006. Derlei Menschenrechtsverbürgungen genießen in der deutschen Rechtsordnung indes nur den Rang des Transformations- oder Zustimmungsgesetzes (Art. 59 Abs. 2 GG), stehen also im Rang eines Bundesgesetzes, so dass sie den Bundesgesetzgeber nicht binden.

Dies gilt im Ausgangspunkt auch für die einen menschenrechtlichen Mindeststandard für die Staaten des Europarates sichernde EMRK von 1950 (mit ihren derzeit 14 Zusatzprotokollen). Diese steht allerdings aufgrund des ihr eigenen, in globalem Maßstab einmalig weitreichenden, dichten und effizienten Rechtschutzsystems (EGMR) der Bedeutung verfassungsgerichtlich effektuierter G. in einem Verfassungsstaat im Grundsatz nicht nach. Dies hat das BVerfG dazu veranlasst, unter Hinweis auf die „Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes“ und dessen Bekenntnis zu den Menschenrechten in Art. 1 Abs. 2 GG die EMRK-Verbürgungen im Rahmen des methodisch Zulässigen als auslegungsleitende Aspekte bei der Deutung der G. des GG zu betrachten (BVerfGE 128, 326); auf diesem Weg erwachsen ihre Gewährleistungsinhalte als G.s-Gehalte in (Bundes-)Verfassungsrang.

3. Grundrechtsdogmatik unter dem Grundgesetz

3.1 Grundrechtsdogmatik und BVerfG

Die nicht nur im europäischen, sondern auch im weltweiten Maßstab herausragende juristische Bedeutung und politische Strahlkraft der G. des GG ist Ausdruck und Folge eines Denkens von der Verfassung her, welches die BRD in besonderer Weise kennzeichnet. Diese Verfassungsorientierung von Recht, Politik und Wissenschaft markiert ihrerseits einen unverzichtbaren Katalysator einer Entwicklung, die als zunehmende Konstitutionalisierung der Rechtsordnung teils begrüßt, teils aber auch kritisch begleitet wird.

Das Medium, kraft dessen die Verfassungs-, näherhin: die G.-Orientierung des Rechtsdenkens in praxi bewerkstelligt und sichergestellt wird, sind nicht die G. als solche, sprich: in ihrer lapidaren Textgestalt, sondern sind die G., wie sie in der (G.-)Dogmatik systematisch entfaltet und damit gleichsam wissenschaftlich veredelt werden. Unter Rechtsdogmatik (Dogmatik) ist jene im deutschsprachigen Raum entwickelte juridische Kerndisziplin zu verstehen, die mit wissenschaftlichem, und d. h. insb. systematischem Konsistenzanspruch Antwort auf die Frage gibt, was das geltende Recht verlangt, verbietet oder ermöglicht; sie ist also eine die Rechtsanwenderperspektive einnehmende juridische Gebrauchs- oder auch Entscheidungs(hilfe)disziplin, die Rechtswissenschaft und Rechtspraxis verklammert.

Mit dem vom GG geschaffenen und mit einer beispiellosen Kompetenzfülle ausgestatteten BVerfG steht erstmals in der deutschen Verfassungsgeschichte ein – sich gegen alle anfänglichen Widerstände aus der Politik und der etablierten Gerichtsbarkeit durchsetzender – Hüter der Verfassung (und damit auch der G.) bereit, der in einer zupackenden Rechtsprechung die G. in einem immer weiter sich ausdifferenzierenden und ausgreifenden Gewährleistungssystem dogmatisch auffächert und die G.s-Orientierung der Rechtsordnung im Übrigen, Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtsprechung gleichermaßen umfassend, sichert und überwacht. Zusammen mit der auf eine größtmögliche Wirksamkeit der G. zielenden extensiven Auslegung der grundrechtlichen Gewährleistungsgehalte, die mit einer entsprechenden Ausdehnung der Eingriffsrechtfertigungen einhergeht, ist es insb. die Propagierung einer von allen grundrechtsgebundenen Gewalten zu vollziehenden verfassungs- bzw. grundrechtskonformen Auslegung allen unterverfassungsgesetzlichen Rechts, die, prozessual flankiert durch die Urteilsverfassungsbeschwerde sowie die abstrakte und konkrete Normenkontrolle, zur Konstitutionalisierung der Rechtsordnung beiträgt. Auslegung und Anwendung der G. folgen einer immer stärker die Rechtsordnung auch im Detail und im Einzelfall durchdringenden Logik einer auf Dauer gestellten G.s-Expansion. Die „Allbezüglichkeit“ (Hollerbach 1969: 37) der G. führt dazu, dass nahezu jede Rechtsfrage sich als G.s-Frage reformulieren lässt – und damit die Eignung besitzt, vor das BVerfG gebracht zu werden. Der imponierende Bedeutungsaufstieg der Verfassung im Allgemeinen und der G. im Besonderen – das Diktum von der „Grundrechtsrevolution“ (Möllers 2009: 73) geht um – ist daher untrennbar verbunden mit der Einrichtung und dem Wirken des BVerfG. Die Karlsruher Rechtsprechung, die mittlerweile über 220 000 erledigte Verfahren umfasst (1951–2016), davon mehr als 215 000 Verfassungsbeschwerden, ist denn auch der eigentliche Autor der grundgesetzlichen G.s-Dogmatik; wer von letzterer spricht, meint erstere.

3.2 Grundrechtstheorie und Grundrechtspraxis

Unter G.s-Theorie wird zweierlei verstanden: zum einen die den G.n gewidmete Teildisziplin der Verfassungstheorie und zum anderen jede Gesamtlesart von G.n, die, von einem Hauptzweck der G.s-Verbürgung ausgehend, Auslegung und Anwendung der einzelnen G. anleitet.

Als Teilmenge der Verfassungstheorie zielt die G.s-Theorie – die anwendungsorientierte G.s-Dogmatik ergänzend und anleitend – darauf, die G. nach ihrem das positive Recht (Rechtspositivismus) transzendierenden Grund und Sinn zu befragen, aus den positivrechtlichen Einzelverbürgungen eine Sinn(vermittlungs)einheit zu extrapolieren und die positivierten G. an metapositiven G.s-Idealen zu messen bzw. die G. unterschiedlicher Rechtsordnungen vergleichend zu untersuchen. Die G.s-Theorie figuriert darüber hinaus als Lehre von den Bedingungen grundrechtlicher Sinnerfüllung, wenn sie einerseits danach fragt, welche tatsächlichen, nicht normierten Voraussetzungen erfüllt sein müssen, damit von G.s-Verbürgungen effektiv Gebrauch gemacht werden kann (sogenannte G.s-Voraussetzungen), und andererseits danach, in welcher Weise von den G.n Gebrauch gemacht werden solle, damit diese sowohl ihre freiheits- oder gleichheitsverbürgende als auch ihre gemeinwesenstabilisierende Wirkkraft am stärksten entfalten (sogenannte G.s-Erwartungen).

Bezeichnet G.s-Theorie hingegen nicht eine eigene (Teil-)Disziplin, sondern jede „systematisch orientierte Auffassung über den allgemeinen Charakter, die normative Zielrichtung und die inhaltliche Reichweite der Grundrechte“ (Böckenförde 1974: 1529), können zahlreiche G.s-Theorien unterschieden werden. Nach einer älteren Typologie ist zu differenzieren zwischen der liberalen oder auch bürgerlich-rechtstaatlichen, der institutionellen, der Wert-, der demokratisch-funktionalen sowie der sozialstaatlichen G.s-Theorie. Ein jüngerer Ansatz unterteilt die Strömungen der G.s-Deutung in die Prinzipientheorie, die in den G.n Prinzipien im Sinne von Optimierungsgeboten erkennt, den (vorherrschenden) funktionalen G.s-Pluralismus, der von der Konkurrenz mehrerer, nebeneinader stehender G.s-Funktionen ausgeht, und den abwehrrechtlichen Ansatz, der andere G.s-Dimensionen als das Abwehrrecht nur anerkennt, soweit sie verfassungstextlich ausdrücklich vorgesehen sind.

Für die G.s-Praxis, sprich: für Anwendung und Wirkkraft der G. im Rechtsalltag, spielt die G.s-Theorie in beiden Lesarten neben und in der G.s-Judikatur des BVerfG keine wirklich selbständige, gar entscheidungsleitende Rolle. Gegen (dogmatische Begründungen in) Entscheidungen des BVerfG wird ein grundrechtstheoretischer Einwand regelmäßig kein Gehör finden: Verfassungsorgane, Gerichte und Behörden sind an Entscheidungen des BVerfG gebunden (§ 31 Abs. 1 BVerfGG), und die Staatsrechtslehre verhält sich, schon um ihrer Praxisorientierung willen, alles in allem bundesverfassungsgerichtspositivistisch. Die Vorreiterrolle in Sachen G.s- und Verfassungstheorie, die der Weimarer Staatsrechtslehre zugeschrieben wird (ohne dass diese jedoch relevanten rechtspraktischen Einfluss gehabt hätte), hat die Verfassungsrechtswissenschaft weitgehend zugunsten des BVerfG eingebüßt. Das BVerfG selbst hat sich indes keiner bestimmten G.s-Theorie angeschlossen oder gar unterworfen; wenn überhaupt, pflegt es in puncto G.s-Theorie – nicht anders als in puncto G.s-Interpretationsmethode – einen richterlich-pragmatischen, okkasionalistisch-eklektizistischen Stil. Ort und Aufgabe von G.s-Theorie ist damit – neben der G.s-Politik – in erster Linie die um möglichste Rationalisierung des G.s-Umgangs bemühte grenzüberschreitende wissenschaftliche G.s-Reflexion und -kommunikation.

3.3 Gewährleistungsdimensionen

Herkömmlich werden, je nachdem, zu welcher Reaktion die G. den Staat verpflichten (oder auch nur ermächtigen) und welche Art Anspruch die G. dem G.s-Berechtigten dem Staat gegenüber verleihen, unterschiedliche (Gewährleistungs-)Dimensionen oder auch Funktionen der G. – als Freiheitsrechte – hervorgehoben. Als klassische und primäre G.s-Funktion gilt jene, die das G. als Abwehrrecht des Einzelnen gegen staatliche Eingriffe deutet. In ihr erkennt man das den Rechtsstaat kennzeichnende „Verteilungsprinzip – prinzipiell unbegrenzte Freiheit des Einzelnen, prinzipiell begrenzte Machtbefugnis des Staates –“ (Schmitt 1928: 126 f.). Mit der negatorischen Verpflichtung des Staates, nicht ohne Rechtfertigung die Selbstbestimmung seiner Bürger zu beschränken, lässt sich, so unverzichtbar die abwehrrechtliche Prägung auch ist, ein auf einen effektiven Freiheitsschutz bedachtes modernes G.s-Verständnis aber nicht hinreichend und vollständig erfassen.

In seinem für die gesamte weitere G.s-Entwicklung richtungweisenden „Lüth-Urteil“ aus dem Jahr 1958 hat das BVerfG schon früh betont, dass sich „in den Grundrechtsbestimmungen des Grundgesetzes […] auch eine objektive Wertordnung [verkörpert], die als verfassungsrechtliche Grundentscheidung für alle Bereiche des Rechts gilt“ (BVerfGE 7, 198). In dem Maße, in dem der moderne Staat sich der sozialen Sicherung und kulturellen Förderung der Bürger zuwende, forderten die G. neben der Freiheit vom Staat die Freiheit(sermöglichung und -sicherung) durch den Staat. Unter dem wenig glücklichen Label „objektiv-rechtlicher“ oder auch „objektiver“ G.s-Funktionen (die nämlich allesamt im Grundsatz subjektive Individualrechtspositionen umschreiben) hat das BVerfG unter weitgehender Zustimmung der Staatsrechtslehre G.n – derivative, nicht originäre – Teilhaberechte (vgl. BVerfGE 33, 303), Einrichtungs- (vgl. BVerfGE 24, 367) sowie Organisations- und Verfahrensgarantien (vgl. BVerfGE 53, 30; 69, 315) entnommen; der an den Gesetzgeber adressierte Ausgestaltungsauftrag (vgl. BVerfGE 57, 295) sowie die auch von Exekutive und namentlich Judikative zu aktualisierende Ausstrahlungswirkung der G.e auf Auslegung und Anwendung des sogenannten einfachen Rechts (vgl. BVerfGE 7, 198) können hier ebenfalls genannt werden. Am nachhaltigsten dürfte sich die Anerkennung der grundrechtlichen Schutzpflicht des Staates, sich schützend und fördernd vor die Freiheit des Einzelnen zu stellen (vgl. BVerfGE 39, 1; 88, 203), auf das G.s-Gefüge ausgewirkt haben; das BVerfG liest sie in Reaktion auf die Gefährdung der Freiheit des Einzelnen nicht unmittelbar durch den Staat, sondern durch den nicht G.s-gebundenen, vielmehr seinerseits G.s-berechtigten Nebenmenschen aus (einzelnen) G.n heraus. In jüngerer Zeit zeigen sich – derzeit in ihrer Wirkung auf das G.s-Gefüge noch schwer abzuschätzende – Tendenzen, auf der Basis eines ausgreifenden Antidiskriminierungsansatzes den G.s-Schutz von den Freiheitsrechten hin zu den Gleichheitsrechten zu verschieben oder doch den Unterschied zwischen beiden G.s-Arten zu verschleifen.

Wenngleich die vorgenannten Wirkweisen der G. teilweise auf Kritik aus der Verfassungsrechtswissenschaft gestoßen sind und stoßen und sie sich schwerlich in einem einheitlichen und überschneidungsfreien, stimmigen und vollständigen System von G.s-Funktionen einfangen lassen (was das BVerfG indes auch nicht behauptet), finden sie weiterhin in der G.s-bezogenen Rechtsprechung sowohl des BVerfG als auch der Fachgerichte Verwendung. Dies erscheint so lange als dogmatisch unbedenklich (und als heuristisch hilfreich), als die in concreto erfolgende Qualifizierung als Abwehrrecht, als Schutzpflicht oder als sonstiges Leistungsrecht zur Beschreibung und Einordnung, aber nicht zur eigentlichen Begründung des betreffenden Gewährleistungsgehalts dient.

3.4 Grundrechtsberechtigte und -verpflichtete

Das G.s-Verhältnis besteht zwischen demjenigen, dessen Freiheit oder Gleichheit geschützt wird, und demjenigen, vom dem ersterer diesen Schutz einfordern kann, kurz: zwischen G.s-Berechtigtem (G.s-Träger) und G.s-Verpflichtetem.

a) G.s-Berechtigte: Das GG kennt keine einheitliche Bestimmung der G.s-Berechtigung. Wenn gesagt wird, dass die G. des GG Freiheit und Gleichheit des Einzelnen gegen den Staat schützen, handelt es sich um eine zwar griffige und einprägsame, aber doch verkürzende und ungenaue Redeweise. Bei jedem G. ist gesondert zu bestimmen, wer sein Träger ist, was nicht ausschließt, dass sich Regelhaftigkeiten bei der Zuweisung der G.s-Berechtigung benennen lassen.

Die G.e richten sich zunächst an natürliche Personen. Eine wichtige Grundunterscheidung ist jene zwischen Jedermann- und Deutschen-G.n: Während Jedermann-G. – wie bspw. die Allgemeine Handlungsfreiheit, das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit oder die Meinungsäußerungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1, Art. 2 Abs. 2 Satz 1, Art. 5 Abs. 1 Satz 1: „Jeder hat das Recht …“) oder die Kunst- und Wissenschaftsfreiheit (Art. 5 Abs. 3 Satz 1: „Kunst und Wissenschaft … sind frei.“) oder die Eigentums- und Erbfreiheit (Art. 14 Abs. 1 Satz 1: „Das Eigentum und das Erbrecht werden gewährleistet.“) oder das Petitionsrecht (Art. 17: „Jedermann hat das Recht …“) oder der allgemeine Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1: „Alle Menschen …“) – jeder natürlichen Person ohne weiteres zustehen, knüpfen die Deutschen-G. – wie namentlich die Versammlungs-, die Vereinigungs- oder die Berufsfreiheit (Art. 8 Abs. 1, Art. 9 Abs. 1, Art. 12 Abs. 1 Satz 1: „Alle Deutschen haben das Recht …“) oder die Freizügigkeit (Art. 11 Abs. 1: „Alle Deutschen genießen …“) – die G.s-Berechtigung an die Deutscheneigenschaft i. S. d. Art. 116 Abs. 1 GG. Ausländer können sich zwar nicht auf Deutschen-G. berufen; ihnen steht aber der – freilich schwächere – Schutz des Auffang-G.s der Allgemeinen Handlungsfreiheit gem. Art. 2 Abs. 1 GG zur Verfügung. Abweichendes ergibt sich für nichtdeutsche Unionsbürger, die vom unionsrechtlichen Verbot der Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit (Art. 18 AEUV) profitieren: Das Unionsrecht zwingt indes nicht dazu, die expliziten Deutschen-G. zu Unionsbürger-G.n umzuinterpretieren; ihm kann vielmehr auch, ohne dem GG interpretatorische Gewalt anzutun, dadurch Rechnung getragen werden, dass die unionsrechtlichen Vorgaben im Rahmen der Eingriffsrechtfertigung in Bezug auf Art. 2 Abs. 1 GG in der Weise Rechnung getragen wird, dass die Allgemeine Handlungsfreiheit im Effekt keinen geringeren Schutz verbürgt als das andernfalls einschlägige Deutschen-G.; eine Unionalisierung der staatsbürgerlichen Mitwirkungsrechte lässt sich auf diesem Wege jenseits des unionsrechtlich statuierten (vgl. Art. 20 Abs. 2 Satz 2 lit. b AEUV) Kommunalwahlrechts (vgl. Art. 28 Abs. 1 Satz 3 GG) nicht erreichen. – Wie das Elternrecht aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 („Eltern“), das Asylrecht gem. Art. 16a („Politisch Verfolgte“) oder das Misshandlungsverbot des Art. 104 Abs. 1 Satz 2 („festgehaltene Personen“) belegen, kann die G.s-Berechtigung aber auch von anderen Merkmalen und Eigenschaften abhängig gemacht sein. Dass jemand in einem besonderen Näheverhältnis zum Staat („Sonderstatusverhältnis“) steht, etwa als Schüler, Beamter oder Strafgefangener, tangiert seine G.s-Berechtigung dagegen nicht; die Funktionsnotwendigkeiten der jeweiligen Institution (bspw. Schule, öffentlicher Dienst, Strafvollzug) können aber ein höheres Maß an Einschränkungen rechtfertigen. Zwar schließen sich die Ausübung von Staatsgewalt und die Wahrnehmung von G.n aus; das schließt aber, wie das Beispiel der ein islamisches Kopftuch tragenden Lehrkraft zeigt, nicht aus, dass bei Gelegenheit der Ausübung von Staatsgewalt auch G. ausgeübt werden können (vgl. BVerfGE 138, 296).

Das GG kennt keine Abstufungen der G.s-Berechtigung; es gilt ein Alles-oder-Nichts. Minderjährigkeit mindert die G.s-Berechtigung nicht; daher sind auch Kinder selbstverständlich und ungeschmälert Träger von G.n. Davon zu unterscheiden ist die Frage, ob Kinder ihre G. selbst, d. h. ohne fremde (typischerweise: elterliche) Hilfe auszuüben vermögen. Das hängt davon ab, ob sie bereits über die tatsächliche G.s-Wahrnehmungsfähigkeit verfügen: solange ein Mindestmaß an Reflexionsfähigkeit und Verantwortungsbewusstsein fehlt, können Selbstbestimmungsbefugnisse von Rechts wegen nicht kraft eigenen Willens wahrgenommen werden.

Die G.s-Berechtigung natürlicher Personen fängt grundsätzlich mit der Geburt an und endet mit dem Tod. Umstritten und für Fragen der Pränatal- wie der Präimplantationsmedizin von nicht zu unterschätzender Bedeutung ist, ob und inwieweit pränatalem menschlichem Leben G.s-Trägerschaft zukommt. Unstreitig steht jedes menschliche Leben, auch das vorgeburtliche (mit der Verschmelzung von Ei- und Samenzelle), unter dem Schutz der Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1). Das BVerfG bejaht eine staatliche Schutzpflicht für das ungeborene Leben (aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1), lässt dabei aber offen, ob es sich um eine den Staat lediglich objektiv treffende Pflicht handelt oder ob der nasciturus selbst G.s-Träger dieser Schutzpflicht ist (vgl. BVerfGE 39, 1; 88, 203). Das BVerfG nimmt, ebenfalls gestützt auf die Menschenwürde, einen – freilich mit zunehmender Zeit abnehmenden – postmortalen Persönlichkeitsschutz an (vgl. BVerfGE 30, 173); dies wird kritisiert unter Hinweis darauf, dass hier – anders als beim pränatalen Leben – kein menschliches Leben mehr gegeben sei, an das der Schutz der Menschenwürde anknüpfen könne.

Art. 19 Abs. 3 erstreckt die G.s-Berechtigung auf „inländische juristische Personen, soweit [die G.] ihrem Wesen nach auf diese anwendbar sind“. Das GG verwendet hier nicht den sonst üblichen Begriff der juristischen Person, der („Voll-“)Rechtsfähigkeit inklusive Prozessfähigkeit fordert; vorausgesetzt wird lediglich eine rechtlich gegenüber ihrem personellen Substrat verselbständigte Organisation, so dass sogar nicht rechtsfähige Vereine als „juristische Personen“ i. S. v. Art. 19 Abs. 3 gelten können. Die G.s-Berechtigung juristischer Personen hängt, anders als häufig insinuiert, nicht an der privatrechtlichen oder öffentlichrechtlichen Organisationsform – mit der Konsequenz, dass privatrechtliche juristische Personen am G.s-Schutz teilhätten, öffentlichrechtliche hingegen nicht –, sondern daran, ob in ihnen G.s-Substanz organisiert ist oder aber ob sie Trabanten der G.s-gebundenen Staatsgewalt darstellen. So fehlt juristischen Personen des Privatrechts, die im Alleineigentum des Staates stehen (wie etwa die Deutsche Bahn AG) oder aber von der öffentlichen Hand beherrscht werden (wie etwa die Fraport AG), rundweg die G.s-Berechtigung (vgl. BVerfGE 128, 226), indes sie den Universitäten ([nur] für die Wissenschaftsfreiheit, Art. 5 Abs. 3 Satz 1), den Rundfunkanstalten ([nur] für die Rundfunkfreiheit, Art. 5 Abs. 1 Satz 2 2. Alt.) und den mit Körperschaftsstatus ausgestatteten Religionsgesellschaften jeweils ungeachtet ihres Status als Körperschaften des öffentlichen Rechts zusteht. Eine Ausnahme von dem Grundsatz, dass der Staat sich „wesensmäßig“ nicht auf G. berufen kann, wird für die Verfahrens-G., insb. das Recht auf den gesetzlichen Richter (Art. 101 Abs. 1 Satz 2) und auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1), angenommen – dies freilich mit der kuriosen Konsequenz, dass die organisierte Staatsgewalt insoweit auch eine Verfassungsbeschwerde erheben könnte.

Ausländische juristische Personen sind von der G.s-Erstreckung des Art. 19 Abs. 3 nicht erfasst. Dies soll infolge des Anwendungsvorrangs der Grundfreiheiten im Europäischen Binnenmarkt und des allgemeinen Diskriminierungsverbots wegen der Staatsangehörigkeit (Art. 26 Abs. 2, Art. 18 AEUV) für juristische Personen, die ihren (Haupt-)Sitz in einem anderen EU-Mitgliedstaat haben, anders sein (vgl. BVerfGE 129, 78); sogar einer erwerbswirtschaftlich tätigen inländischen juristischen Person des Privatrechts, die vollständig von einem anderen EU-Mitgliedstaat getragen wird, gesteht das BVerfG mit Rücksicht auf die „Europarechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes“ in Ausnahmefällen eine Berufung auf die Eigentumsfreiheit zu (BVerfGE 143, 246 [„Vattenfall“]).

b) G.s-Verpflichtete: Anders als die G.s-Berechtigung bestimmt das GG die G.s-Verpflichtung einheitlich: Gemäß Art. 1 Abs. 3 ist alle staatliche Gewalt, gleichviel ob in gesetzgebender, vollziehender oder rechtsprechender Gestalt, ob als Bundes-, Landes- oder Kommunalgewalt, ob in Organisations- und Handlungsformen des öffentlichen (Öffentliches Recht) oder des Privatrechts an die G. gebunden. Jedes rechtserhebliche Tun oder Unterlassen, welches dem durch das GG konstituierten Staat zurechenbar ist, unterliegt der G.s-Bindung; damit entspr. die Reichweite der G.s-Bindung im Wesentlichen jener des Gebotes demokratischer Legitimation aller Staatsgewalt (Art. 20 Abs. 2). Privatrechtssubjekte sind danach G.s-Verpflichtete, wenn sie entweder organisationsrechtliche Ausgliederungen staatlicher Gebietskörperschaften (Bund, Land, Kommune) sind – sei es als Träger mittelbarer Staatsverwaltung (z. B. Sozialversicherungsträger), sei es als öffentliche Wirtschaftsunternehmen in Privatrechtsform (z. B. Fraport AG, vgl. BVerfGE 128, 226) – oder aber, wenn und soweit ihnen – wie bei Beliehenen – die Ausübung hoheitlicher Gewalt übertragen worden ist (z. B. TÜV). Nicht der Bindung an die G. des GG unterliegt demgegenüber die Ausübung von Hoheitsgewalt durch fremde Staaten, durch internationale Organisationen (UNO, NATO) und durch die Organe der EU; die G.s-bezogenen Anforderungen an deren Tätigkeit in Deutschland werden vielmehr durch Art. 23 und 24 bestimmt (im Wesentlichen vergleichbarer G.s-Standard). Bei der Umsetzung oder Ausführung von Unionsrecht (z. B. Richtlinien) wie bei der Mitwirkung an der Schaffung von Unionsrecht (z. B. im Ministerrat) sind Träger deutscher Staatsgewalt selbstverständich nach dem GG grundrechtsgebunden. Bei Auslandssachverhalten ist deutsche Staatsgewalt – in Übereinstimmung mit der Personalhoheit – an die G. des GG gebunden, wenn und soweit die fraglichen Ausländer Adressaten (und nicht bloß faktisch Betroffene) deutscher Staatsgewalt sind.

Private sind als solche demgegenüber nicht grundrechtsverpflichtet. Die einzige verfassungsausdrückliche Ausnahme wird für Art. 9 Abs. 3 Satz 2 (Abreden, die gegen die Koalitionsfreiheit verstoßen) angenommen. Dies gilt ungeachtet der sozialen Mächtigkeit, die Private gegebenenfalls im Verhältnis zu anderen Privaten zu entfalten vermögen. Das BVerfG hat bereits 1958 im „Lüth-Urteil“ der G.s-Bindung Privater (unter dem Label der „unmittelbaren Drittwirkung der Grundrechte im Privatrecht“ [repräsentativ: Nipperdey 1961]) eine klare Absage erteilt (BVerfGE 7, 198). Die stattdessen favorisierte These von der „mittelbaren Drittwirkung“ der G. (repräsentativ: Dürig 1956) hat indessen zu einer Reihe von Fehlvorstellungen und Missverständnissen Anlass gegeben. Demgegenüber gilt es festzuhalten: G. können Privaten (nota bene: soweit sie keine Staatsgewalt ausüben) niemals entgegengehalten werden; diese sind vielmehr ihrerseits G.s-Berechtigte; im Bürger-Bürger-Verhältnis gelten die G. nicht; exklusiver Verpflichteter der G. ist die Staatsgewalt. Am Beispiel des sogenannten Elternrechts (Art. 6 Abs. 2 Satz 1) lässt sich die Wirkung von G.n im Privatrecht verdeutlichen: Zwar verbürgt das GG den Eltern in Bezug auf ihr Kind den Vorrang vor allen – auch privaten – Miterziehern und Mitpflegern; dies können die Eltern aber nur dem staatlichen Miterzieher entgegenhalten, weil die privaten Miterzieher nicht aus Art. 6 Abs. 2 selbst verpflichtet werden; verpflichtet zur Umsetzung der G.s-Gewährleistung ist „lediglich“ der Staat; von ihm können die Eltern verlangen, eine Regelung der elterlichen Sorge (im BGB, Elterliches Sorgerecht) vorzusehen, die es ihnen ermöglicht, sich – im Rahmen des Kindeswohls – auch gegen Miterzieher ihrer Kinder durchzusetzen. Die in Art. 6 Abs. 2 enthaltene sachliche Verbürgung ist hier zwar mediatisiert durch das BGB; von einer „mittelbaren Drittwirkung“ des G.s zu sprechen, verdunkelt aber eher den Sachverhalt und lädt zu vermeidbaren Missdeutungen ein.

3.5 Grundrechte und Gesetzesrecht

G. sind, wie die Bindung aller staatlichen Gewalt (Art. 1 Abs. 3) zum Ausdruck bringt, zuvörderst Maßstabsrecht: Maßstab für sonstiges staatliches Recht. In der vom GG konstituierten parlamentarischen Demokratie steht insoweit das Verhältnis der G. zum Parlamentsgesetz im Mittelpunkt des Interesses. Das Verhältnis beider lässt sich mit dem Vorrang der G. – sprich: deren größerer Rechtsdurchsetzungsmacht gegenüber dem Gesetz – allein nicht zureichend und vollständig beschreiben, sondern ist deutlich vielfältiger. Denn G. sind nicht nur höchstrangige, sondern zugleich zu erheblichen Teilen der Konkretisierung durch Gesetze bedürftige Rechte.

a) Vorrang nach Geltung und nach Genese: Eine bes. geartete Gesetzesabhängigkeit der G. besteht darin, dass das GG vielfach Rechtsinstitute und Rechtsbegriffe nicht völlig neu erfunden, sondern vielmehr insoweit an das tradierte Verständnis im Gesetzesrecht angeknüpft hat. Das gilt in jeweils gesondert zu bestimmendem Umfang und, um nur wenige Beispiele zu nennen, für Ehe und Familie ebenso wie für Eigentum und Erbrecht. Dass den G.n gegenüber dem Gesetz die höhere Rechtsverdrängungsmacht zukommt, sich also das Gesetz an den G.n auszurichten hat, verträgt sich daher sehr wohl mit dem Umstand, dass der Verfassung(sgesetz)geber sich bei der Schaffung von G.n an gesetzesrechtlichen Regelungsvorstellungen ausgerichtet hat.

b) Ausgestaltung und Begrenzung von G.n: G. setzen dem Gesetzesrecht Grenzen. Aber auch das Gesetz schränkt – nota bene: in dem von der Verfassung im Ganzen oder dem G. im Besonderen selbst eingeräumten Umfange – das G.s-Versprechen ein. Dafür hat sich das Dreischritt-Schema von Schutzbereich–Eingriff–Rechtfertigung eingebürgert: Eine G.s-Beschränkung stellt danach keine G.s-Verletzung dar, wenn das grundrechtlich geschützte Verhalten (Schutzbereich) zwar durch die Staatsgewalt beeinträchigt wird (Eingriff), diese Beeinträchtigung aber auf der Grundlage der vom GG selbst zugelassenen Einschränkungsmöglichkeiten gerechtfertigt werden kann (Rechtfertigung).

Das Gesetzesrecht dient freilich nicht nur der Beschränkung von G.n: es bedarf seiner in vielfältiger Hinsicht, um den G.n allererst zu Wirkung und Entfaltung zu verhelfen. Als Funktion des Gesetzesrechts im Blick auf die G. tritt damit neben die Begrenzung die Ausgestaltung. Wiewohl beide, bezogen auf die Effektuierung der G.s-Gewährleistung, im Verhältnis wechselseitiger Ausschließung stehen, ist ihre Alternativität doch keine (substanziell-)absolute, sondern eine relative (oder auch relationale), sprich: kann das identische Gesetz in unterschiedlichen Konstellationen das eine Mal begrenzende und das andere Mal ausgestaltende Wirkung zeitigen. So kann ein Gesetz, welches die Rechte des Eigentümers definiert, für denjenigen, der bereits vor dessen Erlass Eigentümer war, eine Beschränkung bisheriger Befugnisse darstellen, indes es für denjenigen, der erst nach dem Inkrafttreten des Gesetzes Eigentum erwirbt, den verfassungsrechtlichen Eigentumsschutz erst eröffnet; im ersten Falle handelt es sich um eine Schranken-, im zweiten um eine Inhaltsbestimmung i. S. v. Art. 14 Abs. 1 Satz 2.

Das Ausgestaltungs- und das Begrenzungsregime unterscheiden sich in Bezug auf Notwendigkeit, Art und Maß der Rechtfertigung; so gelten etwa das Verbot des Einzelfallgesetzes, das Zitiergebot und die Wesensgehaltsgarantie (Art. 19 Abs. 1 und 2) für grundrechtsausgestaltende Gesetze nicht. Unzutreffend wäre es freilich, den grundrechtsausgestaltenden Gesetzgeber als frei von grundrechtlichen Vorgaben zu betrachten; auch die G.s-Ausgestaltung muss sich an verfassungsrechtlichen Anforderungen messen lassen, mögen diese auch regelmäßig mehr oder weniger deutlich hinter denen bei G.s-Beschränkungen zurückbleiben. So dürfte wegen des (Wesentlichkeits-)Vorbehalt des Gesetzes nahezu jede G.s-Ausgestaltung ein Gesetz erfordern. Bei manchen Ausgestaltungsmaßnahmen – wie bspw. bei der Inhaltsbestimmung von Eigentum und Erbrecht – ist der Gesetzgeber materiell lediglich an die (für den Einzelnen nur im Extremfalle Schutz entfaltende) Institutsgarantie gebunden. Bei anderen – wie bspw. bei der Wissenschafts- oder der Rundfunkfreiheit oder dem Elternrecht – ist der Gesetzgeber verpflichtet, eine einfachgesetzliche Ausgestaltung zu wählen, die, am Maßstab des Untermaßverbots, eine effektive G.s-Ausübung gewährleistet.

c) Gesetzesvorbehalt und verfassungsimmanente Schranken: Die Ermächtigung zur Beschränkung („Schranken“) von G.n variiert von G. zu G. Das GG hat ein differenziertes Schrankenregime vorgesehen. An ausdrücklichen Schranken kennt es neben allgemeinen grundrechtlichen Gesetzesvorbehalten (z. B. Art. 8 Abs. 2: „… kann dieses Recht durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes beschränkt werden“) auch bes. („qualifizierte“), die Beschränkungsvoraussetzungen spezifizierende Gesetzesvorbehalte (z. B. Art. 5 Abs. 2: „Diese Rechte finden ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre.“). Bei vorbehaltlos gewährleisteten G.n – wie bspw. der Religionsfreiheit –, geht das BVerfG dennoch nicht von deren Schrankenlosigkeit aus, auch wenn es die Übertragung von Gesetzesvorbehalten anderer G. ablehnt. Vielmehr unterliegen vorbehaltlos gewährleistete G. sogenannten verfassungsimmanenten G.s-Schranken: Mit Rücksicht auf die „Einheit der Verfassung“ finden (auch) vorbehaltlos gewährleistete G. ihre Grenze an anderen im Verfassungsrang verbürgten Rechtspositionen, zu denen neben G.n auch sonstige Verfassungsgewährleistungen zählen. Es ist eine Frage der – durch Gesetz zu strukturierenden (Vorbehalt des Gesetzes) und am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit orientierten – „Herstellung praktischer Konkordanz“ (Hesse 1995: Rn. 72), welcher der konkurrierenden Verfassungsverbürgungen auf der Ebene des Gesetzes und/oder der Gesetzesanwendung der Vorrang gebührt (s. a. d).

d) Übermaßverbot und Untermaßverbot: Die regelmäßig wichtigste Kautele bei der Einschränkung von G.n – Juristen sprechen hier von „Schranken-Schranke“ – ist der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (des Mittels zur Zweckerreichung), der sich in vier Prüfungsstufen aufgliedern lässt: Erstens muss der Mitteleinsatz einen erlaubten Zweck verfolgen; bei allgemeinen Gesetzesvorbehalten ist der Kreis erlaubter Zwecke lediglich negativ, bei qualifizierten Gesetzesvorbehalten und verfassungsimmanenten G.s-Schranken hingegen positiv (taxativ) bestimmt. Zweitens darf das Mittel zur Zweckerreichung nicht ungeeignet sein (Geeignetheit). Drittens darf es unter den – wenigstens – gleicheffektiven Mitteln zur Zweckerreichung kein milderes, d. h. das betroffene G.s-Gut schonenderes als das gewählte geben (Erforderlichkeit). Auf der vierten und letzten Stufe ist zu prüfen, ob das Eingriffsmittel zum angestrebten Eingriffszweck nicht außer Verhältnis steht; das ist dann der Fall, wenn die durch den Mitteleinsatz verursachten Einbußen an anderen Rechtsgütern, insb. an dem durch das betreffende G. geschützten Rechtsgut, nach Maßgabe ihrer Dringlichkeit und Schwere höher zu bewerten sind als der Zuwachs an Schutz für jenes Rechtsgut, um dessentwillen das betreffende G. eingeschränkt wird (Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne oder auch Übermaßverbot). Ob ein Eingriff verhältnismäßig, d. h. geeignet, erforderlich und nicht übermäßig ist, lässt sich, da und soweit die Frage auf prognostische und/oder bewertende Elemente zielt, nicht selten auf unterschiedliche Weise beantworten; in diesen Konstellationen billigt das BVerfG dem Gesetzgeber einen nur beschränkt verfassungsgerichtlich überprüfbaren Einschätzungs-, Bewertungs- und Gestaltungsspielraum zu.

Soweit nicht eine Begrenzung des G.s in Rede steht, sondern der Gesetzgeber in Wahrnehmung seiner Ausgestaltungs- oder insb. seiner Schutzpflicht tätig wird, entspr. dem Übermaßverbot, welches sich gegen ein Zuviel an gesetzgeberischer Aktivität richtet, das sogenannte Untermaßverbot, welches einem Zuwenig an gesetzgeberischer Aktivität wehren soll. Mit Rücksicht darauf, dass das Abwehrrecht in Zielsetzung und Inhalt ein bestimmtes staatliches Verhalten verbietet, während die Schutzpflicht lediglich ein effektives, im Übrigen aber grundsätzlich unbestimmtes Verhalten fordert, ist hier der verfassungsgerichtlich nur beschränkt überprüfbare Prognose-, Einschätzungs- und Gestaltungsspielraum des in concreto Handelnden regelmäßig größer als bei der Eingriffsrechtfertigung. „Das Bundesverfassungsgericht kann die Verletzung einer solchen Schutzpflicht nur feststellen, wenn Schutzvorkehrungen entweder überhaupt nicht getroffen sind, wenn die getroffenen Regelungen und Maßnahmen offensichtlich ungeeignet oder völlig unzulänglich sind, das gebotene Schutzziel zu erreichen, oder wenn sie erheblich hinter dem Schutzziel zurückbleiben“ (BVerfGE 92, 26).

e) G. und Privatrecht: Ein Sonderregime wird verbreitet für das Verhältnis von G.n und Privatrecht angenommen. Deren bekanntestes Konzept ist jenes von der „mittelbaren Drittwirkung der Grundrechte im Privatrecht“. Nicht selten mischen sich hier auch Vorstellungen unter, die die Privatautonomie als vorstaatliche und damit den G.n gegenübertretende Rechtsmacht betrachten. Dem kann unter dem GG mit dessen G.s-Verständnis nicht gefolgt werden. Aus G.s-Sicht sind zwei regelmäßig vermengte Fragen – eine aufs Sachlich-Gegenständliche und eine aufs Personelle zielende – strikt auseinanderzuhalten, nämlich: Steht das Privatrecht unter dem Einfluss der G.? Und: Sind Private in ihrem Rechtsgebaren an die G. gebunden? Während sich die zweite Frage rundheraus verneinen lässt, muss die Antwort auf die erste Frage differenziert und alternativ ausfallen: Privatrecht ist – vollumfänglich – an die G. gebunden, soweit es sich um staatlicherseits gesetztes, also legislatives, exekutives oder judikatives (vgl. Art. 1 Abs. 3) Privatrecht handelt. Plakativ: Das BGB und die Rechtsprechung des BGH haben die G. – wie alle sonstige Staatsgewalt auch – zu beachten. Keinerlei G.s-Bindung unterliegt demgegenüber von Privaten – in Wahrnehmung der vom staatlichen Gesetz bereitgestellten, überwiegend rechtsgeschäftlichen Optionen – gesetztes Privatrecht; d. h.: ein Rechtsgeschäft unter Privaten, bspw. ein Kauf- oder ein Mietvertrag, kann als solcher nicht an den G.n gemessen werden; diese können als Maßstäbe nur („mittelbare“) Relevanz erhalten, wenn und soweit sie in das Gesetzesrecht – kraft legislativer Entscheidung oder bei dessen Anwendung kraft judikativer Entscheidung – Eingang gefunden haben. Der bisweilen vom BVerfG bemühte Verweis auf die gestörte Vertragsparität (vgl. BVerfGE 81, 242) ist nicht geeignet, daran etwas zu ändern.

f) G.s-konforme Gesetzesauslegung: Ein Schlüsselkonzept bei der G.s-Orientierung (Konstitutionalisierung) der Rechtsordnung im Übrigen ist das an alle Staatsgewalt, insb. an jedes Gericht adressierte Gebot sogenannter verfassungskonformer – hier: grundrechtskonformer – Gesetzesauslegung. Von mehreren möglichen Gesetzesdeutungen, die teils zu einem verfassungswidrigen, teils zu einem verfassungsmäßigen Ergebnis führten, sei diejenige vorzuziehen, die mit dem GG im Einklang stehe (st. Rspr. seit BVerfGE 2, 266). Voraussetzung dafür sei, dass sich die Gesetzesauslegung im Rahmen des methodisch Zulässigen halte und die prinzipielle Zielsetzung des Gesetzgebers nicht konterkariere. Die grundrechtskonforme Gesetzesauslegung ermöglicht damit eine grundrechtsinduzierte „sanfte“ Korrektur des Gesetzesinhalts, ohne dafür den Gesetzgeber bemühen zu müssen. Der daran geäußerte Zweifel, dass es hier in der Sache um eine Spielart der Norm(inhalts)verwerfung (ohne Normtextverwerfung) geht, die ausweislich Art. 100 Abs. 1 dem BVerfG vorbehalten ist, spielt in der Rechtspraxis keine Rolle.

3.6 Grundrechtsschutz durch Verfassungsgerichtsbarkeit

a) Spezialisierte G.s-Gerichtsbarkeit. Die wohl folgenreichste Innovation in Sachen G. nach dem Zweiten Weltkrieg ist es, deren Schutz einer spezialisierten G.s-Gerichtsbarkeit anzuvertrauen, die alle Akte der öffentlichen Gewalt – Parlamentsgesetze und fachrichterliche Entscheidungen eingeschlossen – auf deren G.s-Verträglichkeit hin überprüfen kann. Prototyp eines solchen G.s-Gerichts ist das 1951 eingerichtete BVerfG, dem es rasch gelungen ist, die Verfassung als rechtliche Grundordnung des Gemeinwesens, deren eigentliches Gravitationszentrum die G. markieren, mit justiziell bewehrtem Vorrang vor allem sonstigen (innerstaatlichen) Recht zu etablieren. Die „Ausstrahlungswirkung“ der G. (BVerfGE 7, 198) erfasst die Rechtsordnung bis in ihren hintersten Winkel. Ermöglicht wird diese Vergrundrechtlichung des Rechtsdenkens nicht zuletzt durch die drei G.s-Sicherungsverfahren, die es dem BVerfG erlauben, allen staatlichen Gewalten gegenüber die G. in ihrem Gewährleistungsinhalt und ihrer Wirkkraft im und für den Rechtsalltag auszubuchstabieren:

Da ist zunächst die abstrakte Normenkontrolle gem. Art. 93 Abs. 1 Nr. 2, in deren Rahmen die Bundesregierung, eine Landesregierung oder ein Viertel der Mitglieder des Bundestages jedes (Bundes- und Landes-)Gesetz u. a. auf seine Vereinbarkeit mit den G.n überprüfen lassen kann, und das, ohne an Fristen gebunden zu sein. Im Rahmen der konkreten Normenkontrolle nach Art. 100 Abs. 1 muss jedes Gericht, das ein Gesetz, auf dessen Gültigkeit es bei der eigenen Entscheidung ankommt, für verfassungswidrig hält, das Verfahren aussetzen und die Entscheidung des BVerfG über die Gültigkeit des betreffenden Gesetzes einholen. Erst nach der Entscheidung des BVerfG und auf deren Grundlage wird das Ausgangsverfahren vom vorlegenden Gericht entschieden. Während sämtliche Gerichte infolge ihrer G.s-Bindung die Pflicht haben, die anzuwendenden Gesetze auf ihre Verfassungs-, insb. G.s-Konformität hin zu prüfen (und sie, wenn möglich, auch grundrechtskonform auszulegen, s. dazu 3.5 f), kommt ausschließlich dem BVerfG (und im Rahmen ihrer Kompetenzen den Landesverfassungsgerichten) die Rechtsmacht zu, Gesetze für verfassungswidrig und nichtig zu erklären (Normverwerfungsmonopol). Das dritte und – nicht nur unter quantitativen Auspizien (rund 98 % aller Verfahren beim BVerfG, in den letzten Jahren ca. 6 000 p. a., rechnen hierher) – wichtigste ist jenes der Verfassungsbeschwerde. Diese kann jeder G.s-Berechtigte mit der Behauptung erheben, durch die öffentliche Gewalt (Legislative, Exekutive, Judikative) in einem seiner G. oder in Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG aufgezählten grundrechtsgleichen Rechte (Art. 20 Abs. 4, Art. 33, 38, 101, 103 und 104) verletzt worden zu sein. Richtet sich die Verfassungsbeschwerde gegen einen exekutiven oder judikativen Akt, so bedarf es der vorherigen Erschöpfung des Rechtsweges (vor den regulären Gerichten); es handelt sich dann um eine Urteilsverfassungsbeschwerde. Ist dagegen Gegenstand der Verfassungsbeschwerde ein Gesetz (oder eine Rechtsverordnung), gegen das der (reguläre) Rechtsweg nicht offensteht, so ist die (Rechtssatz-)Verfassungsbeschwerde nur in den seltenen Fällen zulässig, in denen der Beschwerdeführer geltend machen kann, selbst, gegenwärtig und unmittelbar durch den angegriffenen Rechtssatz verletzt zu sein. Wegen der großen Zahl an Verfassungsbeschwerden ist ein Annahmeverfahren vor den bei beiden Senaten gebildeten, jeweils aus drei Richter(innen) bestehenden Kammern eingerichtet worden (vgl. §§ 93a–93d BVerfGG). Rund 99,5 % aller Verfassungsbeschwerden werden endgültig von den Kammern auf der Grundlage der bisherigen Senatsrechtsprechung entschieden. Ungeachtet der insgesamt niedrigen Stattgabequote von 2,3 % (1951–2016) bzw. von 1,99 % (2016) bildet das grundsätzlich jedermann offenstehende Verfassungsbeschwerdeverfahren den Hauptgrund dafür, dass das BVerfG unter den gesellschaftlich relevanten Institutionen seit Jahrzehnten über Spitzen-Beliebtheitswerte verfügt.

b) Verfassungsgerichtsbarkeit und Fachgerichtsbarkeit. Von nicht zu unterschätzender Bedeutung für Gewährleistungsinhalte, Wirkdimensionen und Durchsetzungsstärke der G. ist das Verfahren der Urteilsverfassungsbeschwerde, tritt hier doch das BVerfG in unmittelbaren richterlichen Dialog mit den sogenannten Fachgerichten, allen voran den obersten Bundesgerichten (BGH, BVerwG, BAG, BSG, BFH). Die Urteilsverfassungsbeschwerde erlaubt es dem BVerfG, nicht nur das Gesetz, sondern auch dessen Anwendung durch die ihrerseits grundrechtsgebundenen Gerichte, sprich: die Gesetzesauslegung, die Sachverhaltsermittlung und die Subsumtion des Sachverhalts unter die Gesetzesvorgaben, an den Vorgaben der G. zu messen. Um aber nicht die ihm nicht gebührende Rolle eines „Superrevisionsgerichts“ zu arrogieren, überprüft das BVerfG fachrichterliche Entscheidungen nur auf die „Verletzung von spezifischem Verfassungsrecht“ (BVerfGE 18, 85): Die Gestaltung des Verfahrens, die Feststellung und Würdigung des Sachverhalts, die Auslegung des Gesetzesrechts und dessen Anwendung auf den einzelnen Fall seien grundsätzlich Sache der Fachgerichte; das BVerfG prüfe lediglich, ob Auslegung und Anwendung des einfachen Rechts Fehler enthielten, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von der Bedeutung der betroffenen G. beruhten, und ob sie willkürlich seien. Damit verfügt das BVerfG über einen Maßstab, der so variabel und flexibel ist, dass damit jedem Bedürfnis, eine Sachentscheidung des BVerfG zur Durchsetzung der G. herbeizuführen, Rechnung getragen werden kann.

4. Europäischer Grundrechtsverbund

Der Menschen- und G.s-Schutz hat in den letzten 50 Jahren einen zuvor ungekannten Bedeutungsaufschwung erlebt. Dieser erfährt seinen kräftigsten Schub aus Europa, wo er sich aus drei sachlich parallel, wenn auch leicht zeitversetzt verlaufenden, sich wechselseitig verstärkenden Entwicklungssträngen speist: Seit den späten 1950er Jahren entfaltet das BVerfG seine G.s-Judikatur. Seit Mitte der 1960er Jahre folgt der EuGH mit der justiziellen Effektuierung der Marktfreiheiten, der ab den frühen 1970er Jahren erste behutsame Ansätze eines richterrechtlich entwickelten G.s-Schutzes folgt, der erst mit dem Inkrafttreten der EuGRC im Jahre 2009 zu den nationalstaatlichen G.s-Kodifikationen aufschließen kann. Der EGMR schließlich, der seit den späten 1950er Jahren Bahnbrechendes, wenn auch zunächst eher für einen Spezialistenkreis Wahrnehmbares für den Menschenrechtsschutz leistet, wächst mit dem Inkrafttreten des 11. EMRK-Zusatzprotokolls im Jahre 1998, welches in einem auf 47 Mitgliedstaaten angewachsenen Europarat das Rechtsschutzssystem umstellt, zu jenem weltweit einmaligen Hüter der Menschenrechte heran, bei dem jährlich mehr als 50 000 Verfahren auflaufen. In Europa herrscht damit die weltweit höchste Menschenrechts- und G.s-Dichte.

In Anlehnung an das Konzept des „Europäischen Verfassungsgerichtsverbundes“ (Voßkuhle 2010: 1) lässt sich, terminologisch leicht ungenau, vom Europäischen G.s-Verbund sprechen, der gleichermaßen durch materielle Konvergenz und institutionelle Konkurrenz von internationalem Menschenrechtsschutz (EMRK und EGMR), supranationalem (EuGRC und EuGH) und nationalem G.s-Schutz (für Deutschland: GG und BVerfG) gekennzeichnet ist. Strukturen und Inhalte, Argumente und Ergebnisse des G.s- und Menschenrechtsschutzes auf diesen drei Ebenen gleichen sich, aufs Ganze gesehen, nach und nach spürbar an. Dabei spielen intrinsische Motive, sprich: die rechtsvergleichende Inspiration durch das leistungsfähigere Konzept, eine ebenso große Rolle wie extrinsische Beweggründe, unter denen die Vermeidung von Friktionen und Blockaden zwischen den drei Menschen- und G.s-Schutzregimes die wohl bedeutendste Rolle einnimmt.

Bei aller inhaltlichen Konvergenz und aller institutionellen Rücksichtnahme, die in der Verbund-Semantik zum Ausdruck gelangt, darf jedoch nicht übersehen werden, dass die EMRK, die Unions-G. und die nationalen G. (hier: jene des GG) im Rechtssinne nicht Teil eines übergreifenden, einheitlichen Menschenrechts- und G.s-Regimes sind, sondern dreischichtiges Maßstabsrecht darstellen, das einen je eigenen Geltungsgrund, einen je eigenen rechtlichen Anwendungs- und Resonanzraum, ein je eigenes Rechtsschutz- und Durchsetzungsregime mit einem je eigenen, sprich: unabhängigen richterlichen Garanten besitzt.