Akademien
I. Wissenschaftliche Akademien
Abschnitt drucken1. Begriff, Name
Wissenschaftliche A. sind Vereinigungen von herausragenden Gelehrten aus Geistes- und Naturwissenschaften mit dem Ziel, Wissenschaft und Forschung zu fördern. Sie sind Orte des disziplinübergreifenden Dialogs, beteiligen sich an öffentlichen Auseinandersetzungen über wissenschaftliche und kulturell bedeutsame Fragestellungen und erörtern Zukunftsfragen der Gesellschaft. A. sind zugl. durch ihre Mitglieder geprägte Forschungseinrichtungen, die Projekte generieren, durchführen, betreuen und fachlich begleiten. In der BRD sind die A. Körperschaften öffentlichen Rechts mit Sitz in einem Bundesland.
Die Mitglieder treffen sich in regelmäßigen Sitzungen, in denen sie die Ergebnisse ihrer Forschungen fächerübergreifend zur Diskussion stellen. Symposien, Kolloquien und Vortragsreihen geben den Rahmen, sich thematisch vertieft auch mit Forschungen außerhalb der A. auf nationaler und internationaler Ebene auszutauschen. In Abhandlungen und Monographien werden die Ergebnisse der in den wissenschaftlichen A., vorwiegend in den Geisteswissenschaften, betriebenen Grundlagenforschung publiziert. A. leisten durch die Pflege der Wissenschaften, speziell in ihrem Forschungsprogramm, „einen unverzichtbaren Beitrag zur Erschließung, Sicherung und Darstellung des kulturellen Erbes“ (Wissenschaftsrat 2005: 75 ff.).
Der Name „A.“ geht zurück auf Platons Gründung seiner philosophischen Schule, die er um 385 v. Chr. in Athen in einem nach dem athenischen Lokalheros Akademos benannten Hain ansiedelte. Sie erhielt den Namen Akadémeia (Academia). Die Schüler und Mitglieder dieser philosophischen Studien gewidmeten Vereinigung nannten sich in der Folgezeit Akademiakoí. Cicero (z. B. Tusc. 2,3,9) bezeichnet mit Academia (Academici) die Vertreter der platonischen Philosophie.
In der italienischen Renaissance taucht der Name zum ersten Mal auf zur Bezeichnung eines Kreises um den Florentiner Humanisten Alamanno Rinuccini. Gebildete Bürger lesen gemeinsam antike Texte (v. a. Platon); sie bezeichnen sich im Jahre 1454 als Achademia nova Fiorentina. Ab dem 17. Jh. wird der Name A. allg.er gebräuchlich für Vereinigungen (auch Sozietäten genannt) von Gelehrten, seit dem 18. Jh. bei wissenschafltichen A., Kunst-, Literatur-, und technischen A.
2. Zu Geschichte und Entstehung der Akademien
Die um 385 v. Chr. gegründete platonische A. war ein Schülerkreis um den Meister, der sich zu einer Lebensgemeinschaft ausbildete, und aus dem sich auch die eigenen Forschungen der Schüler herauskristallisierten. Obwohl noch bis Ende des 20. Jh. keine Frauen Mitglieder von A. waren, sind schon für die frühe Platonische A. zwei Namen bekannt: Axiothea von Phleius und Lastheneia von Mantineia. Historisch haben die Mitglieder der platonischen A. trotz mancher dogmatischer Veränderungen (jüngere, skeptische A., A. des Antiochos von Askalon, Mittelplatonismus, Neuplatonismus) sich generell immer in der Nachfolge Platons gesehen und sich auch bei dogmatischen Abweichungen und Differenzierungen stets unter die Tutel Platons gestellt. An der Spitze der platonischen A. stand ein von den Mitgliedern auf Lebenszeit gewähltes Schulhaupt (Scholarch). Der athenische A.-Hain wurde im Jahre 86 v. Chr. durch den römischen Feldherrn Sulla zerstört. Seit dieser Zeit war der Unterricht nicht mehr systematisch organisiert. Einzelne Platoniker lehrten privat. So Antiochos von Askalon (ca. 140–68 v. Chr.), zu dem römische Gebildete und Politiker (Varro, Cicero) strömten, um ihn in Athen zu hören. In vielfältigen dogmatischen Wandlungen und mit Unterbrechungen des Schulbetriebes bestand nach einer Konsolidierung in den ersten Jh. n. Chr. (Mittelplatonismus, Neuplatonismus) die platonische A. bis zur offiziellen Schließung durch Justinian im Jahre 529 n. Chr. Die Platoniker wanderten unter ihrem letzten athenischen Scholarchen Damaskios nach Persien zu König Chosroes aus.
Der A.-Gedanke verlor im Mittelalter seine Attraktivität nicht zuletzt durch die Nachwirkung der Auseinandersetzung Augustins mit der sog.en Skeptischen A. Er erwachte (abgesehen von einzelnen Hofschulen wie z. B. am Hofe Karls des Großen unter Alkuin und Einhard) erst wieder nach dem Mittelalter in der italienischen Renaissance des 15. Jh., als man sich bewusst auf die klassische antike Literatur und Philosophie besann. Die Bezeichnung „A.“ lernten die Renaissance-Humanisten bei Cicero kennen, der unter Academia die platonische Philosophie im Gegensatz zu anderen hellenistischen Philosophenschulen verstand. Unter diesem Namen wurde in der italienischen Renaissance (15./16. Jh.) eine unübersehbare Anzahl von Gesprächskreisen aus gebildeten Laien und wissenschaftlich orientierten Gelehrten begründet. Die meisten von ihnen waren nur kurzlebig. Sie dienten der gebildeten Unterhaltung und standen häufig unter der Protektion herrschender Fürsten. Erst langsam entwickelten sich diese Kreise zu institutionalisierten Einrichtungen wissenschaftlicher Gelehrtenkultur.
Seit dem 17. Jh. wurden die gelehrten Sozietäten der Renaissance zum Ausgangspunkt europäischer A.-Gründungen: in London 1660, in Paris 1663 Académie des Inscriptions et Belles Lettres sowie 1666 Académie des Sciences. Im 18. Jh. breitete sich die A.-Kultur in Deutschland und Europa aus: 1700 Berlin, 1751 Göttingen, 1753 Erfurt, 1759 München, 1763 Mannheim, 1785 Prag.
Diese A.-Gesprächskreise hatten im Wesentlichen drei thematische Ausrichtungen:
a) In historisch-philologischer Quellenforschung widmeten sich die Gesprächskreise dem Studium und der Interpretation antiker Texte. So entstand in Florenz (Careggi) die auf Anregung von Cosimo de’Medici durch Marsilio Ficino 1462 gegründete Academia in agro caregio. Sie machte, v. a. durch M. Ficino repräsentiert, die platonische Philosophie in der Form des Neuplatonismus (Plotin, Proklos) für das zeitgemäße Denken verfügbar. Ausdrücklich sollte dieser Gesprächskreis die alte platonische A. wieder erstehen lassen. Schon Poggio Bracciolini hatte, durch Cicero (Tusc. 3,3,6 f.) angeregt, 1427 geplant, auf seinem toscanischen Landgut eine Academia einzurichten. M. Ficinos Beispiel wirkte in Italien deutlich nach: So entstand in Neapel unter der Leitung von Giovanni Pontano (1471) die Accademia Pontaniana; in Rom gründete Pomponio Leto 1464 die Accademia Romana. Ziel war die Lektüre und Interpretation antiker Philosophentexte.
b) Sprachpflege wurde zu einem wichtigen Thema. Die Erfindung des Buchdruckes und die rapide wachsende Publikationstätigkeit erforderte eine Vereinheitlichung und Normierung der Sprachdialekte. In Florenz wurde 1582 die bis heute bestehende Accademia della Crusca (Kleie-A., die sprachlich die Spreu vom Weizen trennen sollte) gegründet. Sprachnormierend wirkte das von der Crusca 1612 herausgegebene Vocabulario, das dem florentinischen Italienisch den Weg zur Standardsprache eröffnete. 1635 wurde unter Kardinal Richelieu mit dem Ziel, die französische Sprache zu normieren, die Académie Française gegründet. In Weimar widmete sich die Fruchtbringende Gesellschaft (1617–1680) der Reinerhaltung der Sprache.
c) Ab dem 16. Jh. traten, durch die experimentell-induktive Methode angeregt, zunehmend naturwissenschaftliche Themen in den Vordergrund: 1652 wurde die nach Kaiser Leopold I. benannte Leopoldina, Academia Naturae Curiosorum (Halle, Erfurt), A. der Naturforscher Leopoldina gegründet. In London entstand 1660 die Royal Society for improving Natural Knowledge, in Paris 1663 die Académie des Inscriptions et Belles Lettres, 1666 die Académie des Sciences; in Florenz nur kurzlebig 1657–67 die Accademia del Cimento. In Rom entstand 1603 die Accademia dei Lincei (A. der Luchse = Scharfsinnigen), die nach manchen Wandlungen heute neben einer naturwissenschaftlichen (Classe di Scienze Fisiche, Matematiche e Naturali) eine geisteswissenschaftliche Klasse (Classe di Scienze Morali, Storiche e Filologiche) besitzt.
Unter dem Gesichtspunkt der Einheit der Wissenschaft führte Gottfried Wilhelm Leibniz Geistes- wie Naturwissenschaften 1700 in Berlin in der Kurfürstlich-Brandenburgischen Sozietät der Wissenschaften zusammen. Sie wurde 1711 offiziell als Königlich Preußische A. der Wissenschaften eröffnet und zum Vorbild für die weiteren Gründungen in Deutschland. Die heutige Berlin-Brandenburgische A. der Wissenschaften (BBAW) ist ihre Nachfolge-Institution. G. W. Leibniz Denkschriften hatten neben aller wissenschaftlich-theoretischen Ausrichtung auch die praktische Anwendung im Blick, um sowohl die Lebensumstände der Zeitgenossen zu verbessern, als auch die finanzielle Situation der A. zu sichern. So erhielt G. W. Leibniz vom Kurfürsten das Kalenderprivileg; Erkenntnisse in der Mechanik kamen dem Handwerk und den Mühlenwerken unmittelbar zugute; Forschungsergebnisse der Mineralwissenschaft erfuhren praktische Umsetzung in den Bergwerken; die Zoologie sollte sich unmittelbar in der Tierzucht niederschlagen.
Im 18. Jh. entstanden in Deutschland mit derartigen praktischen Zielsetzungen an verschiedenen Orten (s. u.) solche „fruchttragende Gesellschaften“ (societas fructifera), die der Sinnspruch des Siegels der Göttinger A. (1751) charakterisiert: fecundat et ornat. Das sich einseitig herausbildende Beharren auf unmittelbar zählbarem Nutzen hatte eine Erlahmung des eigentlichen wissenschaftlichen Lebens zur Folge. 1749/50 organisierte Friedrich der Große die Berliner A. neu. Ihre effiziente Reorganisation wurde von führenden Köpfen der A. selbst wie auch von politischer Seite (Karl Altenstein, Karl August von Hardenberg) betrieben. Die Brüder Wilhelm und Alexander von Humboldt unterzogen im frühen 19. Jh. die gesamte preußische Wissenslandschaft, inklusive der A., einer Reform, die auf alle deutschen A. ausstrahlte. Neben die Naturwissenschaften traten im urspr.en Sinne von G. W. Leibniz jetzt verstärkt die Geisteswissenschaften. Die A. wurden Forschungsstätten für Projekte, welche die Arbeitskraft eines einzelnen Forschers überschritten. Als Typus der im 19. Jh. begründeten geisteswissenschaftlichen Langzeitvorhaben wurde als erstes das Corpus Inscriptionum Graecarum 1815 von August Boeckh begründet; es wird noch heute an der BBAW bearbeitet. Als weitere charakteristische Beispiele seien genannt die Lateinischen Inschriften (CIL), Thesaurus Linguae Latinae, Regesta Imperii, Die Deutschen Inschriften. Organisation und Betreuung von umfassenden Projekten, die sich als Langzeitvorhaben (Laufzeit zwischen 12 bis 25 Jahren) herauskristallisierten, sind bis heute eine der wichtigsten Aufgaben.
Der A.-Gedanke verbreitete sich und führte im 19. Jh. international zu zahlreichen Gründungen, u. a.: Polen (Krakau 1816), Belgien 1830, Finnland 1842, Norwegen 1857, Rumänien 1866. Im deutschen Sprachraum wurden im 19. Jh. zusätzlich Leipzig 1846 und Wien 1847 gegründet. Die restlichen heute in der BRD angesiedelten A. entstanden erst im 20. Jh.
Aus der Preußischen A. der Wissenschaften ging 1946 die A. der Wissenschaften der DDR hervor, deren Institute nach der Wiedervereinigung zum 31.12.1991 aufgelöst und z. T. in Trägerschaft anderer bundesrepublikanischer wissenschaftlicher Einrichtungen übernommen wurden, ein Teil davon von der BBAW, die sich in der Nachfolge der von Leibniz gegründeten Preußischen A. der Wissenschaften sieht.
Im Bestreben, sich zu vernetzen und gemeinsame Forschungsinteressen besser wahrnehmen zu können, zielten die A. schon frühzeitig internationalen Zusammenschluss an. Die A. zu Wien, Leipzig, Göttingen und München bildeten 1893 ein „Kartell“, dem auch Berlin (1906) und Heidelberg (1911) beitraten. Die Royal Society in London und die Preußische A. der Wissenschaften regten eine Association internationale des Académies an, die 1901 in Paris ihre Gründungsversammlung abhielt. Als Dachverband der europäischen A. wurde 1994 Allea (All European Academies) gegründet. Darin sind heute 58 europäische A. aus 48 Ländern vereinigt. Allea fördert unter den Mitglieds-A. den Austausch und gibt im Rahmen der Politikberatung international basierte Stellungnahmen zu wissenschaftlichen, gesellschaftlichen und wissenschaftspolitischen Fragen ab.
3. Moderne Akademien der Wissenschaften in der Bundesrepublik Deutschland
Wissenschaftliche A. stellen heute selbständige unter staatlicher Fürsorge stehende Gelehrtengesellschaften dar. Abgesehen von den als e. V. in einzelnen Bundesländern angesiedelten A. der Wissenschaften gibt es zahlreiche Sozietäten und Gelehrte Gesellschaften, in denen Wissenschaft gepflegt und Forschung betrieben wird. A. der Künste existieren neben einer unüberschaubaren Zahl von Kunst-A. in der BRD u. a. in Berlin (A. der Künste) und München (A. der Bildenden Künste); Die A. für Deutsche Sprache und Dichtung in Darmstadt wurde am 28.8.1949, dem 200. Geburtstag Johann Wolfgang von Goethes, in der Frankfurter Paulskirche gegründet. Auf die Naturwissenschaften konzentrierte sich die 1652 gegründete Academia Naturae Curiosorum, heute die Deutsche A. der Naturforscher Leopoldina. Seit sie 2008 durch die Gemeinsame Wissenschaftskonferenz des Bundes und der Länder zur Nationalen A. der Wissenschaften ernannt wurde, repräsentiert sie neben den bis dahin ausschließlich in ihr vertretenen Naturwissenschaften auch einzelne geisteswissenschaftliche Disziplinen (Geisteswissenschaften). 2002 wurde unter dem Dach der Union der Deutschen A. der Wissenschaften der Konvent für Technikwissenschaften gegründet, der 2007 in die Deutsche A. der Technikwissenschaften (Acatech) umgewandelt wurde. Mit ihren ca. 400 Mitgliedern repräsentiert diese die gesamte Breite moderner Ingenieur- und Technikwissenschaften auf deutscher und internationaler Ebene.
In der Union der Deutschen A. der Wissenschaften (seit 1998 so benannt, zuvor – seit 1967 – Konferenz der A. der Bundesrepublik Deutschland) haben sich acht Mitglieder zusammengeschlossen: Berlin-Brandenburgische A. der Wissenschaften in Berlin, in der Nachfolge der 1700 von G. W. Leibniz gegründeten Königlich-Preußischen A. 1992 wiederbegründet; A. der Wissenschaften zu Göttingen (1751); Bayerische A. der Wissenschaften, München (1759); Sächsische A. der Wissenschaften zu Leipzig (1846); Heidelberger A. der Wissenschaften (1909); A. der Wissenschaften und der Literatur, Mainz (1949); Nordrhein-Westfälische A. der Wissenschaften und der Künste, Düsseldorf (1970; 2008), A. der Wissenschaften in Hamburg (2004).
Moderne A. besitzen das Selbstergänzungsrecht. Sie wählen exzellente Gelehrte als ihre Mitglieder auf Lebenszeit. Das Plenum gliedert sich in verschiedenen Klassen: Deren Hauptgebiete sind Natur- und Geisteswissenschaften, in einzelnen Fällen auch Literatur und Kunst (Musik). Die Wahl der ordentlichen Mitglieder, durchweg 50 pro Klasse, ist auf das Sitzland beschränkt, abgesehen von den A. Berlin, Mainz, Leopoldina Halle, Acatech, die ihre Mitglieder aus der ganzen Bundesrepublik wählen. Die Zahl der korrespondierenden (oder auswärtigen) Mitglieder umfasst meist die doppelte Anzahl der Ordentlichen Mitglieder. An der Spitze jeder A. steht ein aus den Reihen der ordentlichen Mitglieder auf Zeit gewählter Präsident/Präsidentin; die Klassen werden von Vizepräsidenten (Sekretären) geleitet.
Die Union der deutschen A. der Wissenschaften koordiniert das sog.e A.-Programm, das derzeit umfangreichste geisteswissenschaftliche Forschungsprogramm der BRD, fördert die nationale wie internationale Kommunikation zwischen den A. und organisiert Veranstaltungen zu aktuellen Themen in Wissenschaft und Gesellschaft. An der Spitze der Union steht ein Präsident/Präsidentin, unterstützt von einem Vizepräsident/Vizepräsidentin. Das Präsidium der A.-Union ist das zentrale Entscheidungsgremium. Ihm gehören die Präsidenten der Mitglieds-A. und der Präsident der A.-Union an. Beratungs- und Empfehlungsgremium in allen wissenschaftlichen Fragen des Programms ist die „Wissenschaftliche Kommission“. Sie wird gebildet von je einem Vertreter der Mitglieds-A. und einer gleichen Anzahl von der DFG benannter Vertreter. Je ein Vertreter des Bundes und der Länder sind beratende Mitglieder ohne Stimmrecht. Ein „Ausschuss für Musikwissenschaftliche Editionen“ betreut die bei der A.-Union angesiedelten Musikeditionen. Die „Patristische Kommission“ koordiniert die in den Arbeitsstellen der einzelnen A. durchgeführten Patristischen Vorhaben. Eine „Arbeitsgruppe Elektronisches Publizieren“ berät die einzelnen Arbeitsstellen und achtet auf gemeinsame Standards beim elektronischen Publizieren.
Schon vor der Gründung von Acatech hatten die A. in Berlin, Leipzig und Düsseldorf eigene technikwissenschaftliche Klassen, letztere hat daneben eine Klasse für Ingenieur- und Wirtschaftswissenschaften, sowie eine Klasse der Künste. Die A. Mainz weist neben den üblichen beiden Klassen eine Klasse der Literatur auf, in der auch die Musikwissenschaft aufgehoben ist.
Die Aufgaben moderner wissenschaftlicher A. sind die Betreuung langfristiger wissenschaftlicher Vorhaben, die Diskussion in Forschung und Gesellschaft aktueller Themen und die Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses.
a) Unter Koordination der Union der deutschen A. der Wissenschaften steht das sog.e A.-Programm, das die aus den A. generierten Langfristvorhaben umfasst. Seit 2006 ist es auch für externe Projekte von überregionaler gesamtstaatlicher Bedeutung geöffnet: vorwiegend geisteswissenschaftliche Grundlagenforschung (Wörterbücher, Editionen; Urkundensammlungen), die in den einzelnen Mitglieds-A. betreut werden. Wenige naturwissenschaftliche Vorhaben sind Langzeitbeobachtungen (Gletscherforschung, Biodiversität). 2015 umfasste das A.-Programm 153 Vorhaben mit 209 Arbeitsstellen, in denen ca. 900 Wissenschaftler arbeiten. Bund und Länder fördern das Programm mit 63 Mio. €. Über Haushalt, Aufnahme und Fortführung von Vorhaben entscheidet die „Gemeinsame Wissenschaftskonferenz“, in der Bund und Bundesländer vertreten sind.
b) Die Diskussion aktueller Themen in Wissenschaft und Gesellschaft geschieht schwerpunktmäßig in den regelmäßigen Klassen- und Plenarveranstaltungen der A. Zudem werden Symposien und Vorträge abgehalten. Die A. sind durch die Kompetenz der Mitglieder, ihrer Struktur und den Veranstaltungen nach bes. geeignet, eine Besinnung auf fachliche und gesellschaftliche Grundthemen abseits aller Hektik des Alltags interdisziplinär zu ermöglichen. Sie pflegen auf diese Weise den Dialog zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit und schaffen so eine Voraussetzung zur Sicherung der Zukunft der Wissenschaften. Die in der Union zusammengeschlossenen A. widmen sich ebenso wie die National-A. Leopoldina wichtigen Grundfragen und Themen der Gesellschaft und üben dadurch Politikberatung.
c) Als eine bes. und verantwortungsvolle Aufgabe sehen die A. die Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses. Durch Veranstaltungen und eine Vielzahl von Preisen und Stipendien werden hochbegabte junge Wissenschaftler an Forschungsgebiete und Arbeitsweise der A. herangebracht. Eigene Organisationsformen bieten Foren für wissenschaftliche Kooperation und Qualifikation, in denen Nachwuchswissenschaftler auf Zeit wirken: BBAW zusammen mit der Leopoldina wie auch die A. Mainz die Junge A.; Heidelberger A. das WIN-Kolleg; Nordrhein-Westfalen A. das Junge Kolleg.
Die wissenschaftlichen A. sind darauf bedacht, die Vielfalt der Fächer zu erhalten und zu fördern. Daher sind die an den Universitäten in ihrer Existenz vielfach bedrohten sog.en Kleinen Fächer und Forschungsrichtungen (z. B. Islamwissenschaft, Arabistik, Epigraphik, Papyrologie) in Forschung und personaler Repräsentanz deutlich vertreten.
Die A. sehen ihre vordringliche Aufgabe in folgenden Bereichen:
a) Interdisziplinärer Gedankenaustausch und Repräsentanz der ganzen Breite der heutigen Wissenschaftslandschaft;
b) Pflege und Bewahrung der kulturellen Wurzeln durch Erschließung der Quellen unserer Kultur;
c) Pflege des Dialogs zwischen den Wissenschaften auf internationaler Basis und Diskussion mit der Gesellschaft über wichtige Themen und Probleme der Gegenwart (z. B. Klimawandel, biomedizinische Ethik, Probleme der Globalisierung, Alterung, Energieversorgung).
Unter den Prämissen von Erkenntnisgewinn und Innovation arbeitend, leisten die A. so einen bedeutenden Beitrag zur Sicherung der Zukunft unserer Kultur.
Literatur
Union der Deutschen Akademien der Wissenschaften (Hg.): Die Wissenschaftsakademien-Wissensspeicher für die Zukunft, 2016 • C. Zintzen: Akademie-Reden, 2010 • Wissenschaftsrat: Stellungnahme zum Akademienprogramm, in: Empfehlungen und Stellungnahmen 2004, Bd. I, 2005, 49–85 • S. Rebenich: Akademie, in: DNP, Bd. 13, 1999, 40–56 • M. Stoermer: Zur Geschichte der Konferenz der Akademie der Wissenschaften in der Bundesrepublik Deutschland, in: Akademie-Journal 1/1997, 11–13 • J. Hankins: The Myth of Platonic Academy of Florenz, in: Renaissance Quaterly 3/44 (1991), 429–475 • L. Hammermayer: Geschichte der Bayerischen Akademie der Wissenschaften 1759–1807, 1983 • L. Hammermayer: Akademiebewegung und Wissenschaftsorganisation. Formen, Tendenzen und Wandel in Europa während der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, in: E. Amburger (Hg.): Wissenschaftspolitik in Mittel – und Osteuropa, 1976, 1–84 • A. Kraus: Vernunft und Geschichte. Die Bedeutung der deutschen Akademie der Wissenschaften für die Entwicklung der Geschichtswissenschaft im späten 18. Jahrhundert, 1963 • A. Della Torre: Storia dell’Accademia Platonica di Firenze, 1902 • A. Harnack: Geschichte der Königlich Preußischen Akademie der Wissenschaften, 1900.
Empfohlene Zitierweise
C. Zintzen: Akademien, I. Wissenschaftliche Akademien, Version 08.06.2022, 09:10 Uhr, in: Staatslexikon8 online, URL: https://www.staatslexikon-online.de/Lexikon/Akademien (abgerufen: 01.11.2024)
II. Lehranstalten
Abschnitt druckenV. a. seit dem 17. Jh. wurde der A.-Begriff umfassender gebraucht. Als „A.“ wurden Gesellschaften, Vereinigungen und Versammlungen unterschiedlicher Art bezeichnet. Eine Verbindung zu wissenschaftlichen Unternehmungen war nicht immer gegeben, so dass eine gewisse Trivialisierung des Begriffs einsetzte. So fanden sich unter den A. auch Spielclubs, wie man bisweilen auch Gesellschaftsspiele jeux academiques nannte. Selbst das Bordell firmierte als Académie d’amour.
Sehr viel näher dem urspr.en Begriffsverständnis entsprachen Einrichtungen, die der Lehre verpflichtet waren. So gaben sich Universitäten und Institute zur Vermittlung höherer Bildung diesen Titel. Hierzu zählen bspw. die Berg-A. Freiberg im Erzgebirge (seit 1766) und Clausthal im Harz (seit 1775) sowie eine Reihe von Forst.-A. und Militär-A. Sie dienten vornehmlich den wirtschaftlichen und politischen Interessen absolutistischer Staaten (Absolutismus), indem sie Funktionspersonal für den Staatsdienst ausbildeten. Mit der Verbindung von beruflicher Praxis und wissenschaftlichen Kenntnissen sowie der konzentrierten Ausrichtung von Studiengängen auf ein fest umrissenes, nichtakademisches Berufsfeld wurde ein Ausbildungsmodell geschaffen, das in unterschiedlichen Ausprägungen bis heute zu finden ist. Die Merkmale dieser A. lassen sich auch bei den Gründungen im 19. und 20. Jh. aufzeigen, wie etwa bei den pädagogischen A. zur Lehrerausbildung. Auch im Bereich landwirtschaftlicher und medizinischer Berufe wurde an A. ausgebildet. Dazu kamen A. u. a. für Städtebau (Stadtplanung) und Landesplanung (Raumordnung und Landesplanung), Publizistik, Gemeinwirtschaft und Sozialhygiene. 1921 wurde die A. für Arbeit als „erste deutsche Hochschule für das Volk der Arbeit“ in der Universität Frankfurt am Main errichtet, die „berufserfahrene Arbeitnehmer für Führungssaufgaben in Gewerkschaft, Staat, Wirtschaft und Sozialarbeit ausbildet“ (Letzelter 1985: 71). Diese A. wurde 2009 in Europäische Akademie der Arbeit in der Universität Frankfurt am Main umbenannt.
Seit dem 16. Jh. existieren Kunst-A., die zunächst die bildenden Künste v. a. für kirchliche und staatliche Repräsentationszwecke förderten. Musik-A. und Konservatorien, die sich in A. umbenannten (wie in Wien und London), zeigen ebenfalls die Attraktivität dieser Bezeichnung.
Eine bes. Ausprägung erfährt der Gedanke der Verbindung von akademischer und beruflicher Bildung in den Berufs-A. Im sog.en Stuttgarter Modell von 1972 kooperierten in Baden-Württemberg namhafte Unternehmen (Bosch, Daimler, SEL) mit der Württembergischen Verwaltungs- und Wirtschafts-A. und der IHK Stuttgart, um eine berufsorientierte Alternative zum Studium an Universitäten und Fachhochschulen zu etablieren. Der Erfolg des Modells führte 1974 zur Gründung der ersten staatlichen Berufs-A. Berufs-A. bieten das duale Studium an, das Studium mit Ausbildung bzw. Beschäftigung in einem Betrieb kombiniert. Mittlerweile wird das duale Studium insb. auch von Fachhochschulen und einigen Universitäten angeboten. Staatliche Berufs-A. wurden in allen Bundesländern – bis auf Bayern – eingerichtet. In Bayern bieten hauptsächlich Fachhochschulen duales Studium an. Neben den staatlichen Berufs-A. existieren noch private Berufs-A. In Baden-Württemberg wurden 2009 die dortigen staatlichen Berufs-A. in die Duale Hochschule Baden-Württemberg (DHBW) eingegliedert und umgewandelt. Sie ist mit zwölf Standorten die größte Hochschule des Bundeslandes.
In sog.en ausbildungsorientierten Studiengängen erhalten die Studierenden zugl. ihre Berufsausbildung in einem anerkannten Lehrberuf. Sie müssen daher neben der Hochschul- bzw. Fachhochschulreife auch einen Ausbildungsvertrag mit einem geeigneten Unternehmen vorweisen. Eingerichtet wurden aber auch berufsbegleitende Studiengänge sowie praxisintegrierende Studiengänge. Letztere können auch von Praktikanten und Volontären belegt werden. Das duale Studium ist insb. in den Bereichen Wirtschaft, Technik und Sozialwesen angesiedelt. 2014 wurden in Deutschland von den Beruf-A. 188 und von der DHBW 204 duale Studiengänge angeboten. Insgesamt konnte man sich für 1 505 duale Studiengänge einschreiben. Die Anzahl der Studierenden wuchs von ca. 41 000 im Jahr 2004 auf ca. 98 000 im Jahr 2014. Dieser Trend scheint sich ungebrochen fortzusetzen. Ähnliche Angebote gibt es auch in der Schweiz und in Österreich.
Neben diesen Ausbildungsstätten bedient eine große Anzahl von A. den äußerst heterogenen und unübersichtlichen Markt der Fort- und Weiterbildung im schulischen, akademischen und nichtakademischen Bereich. In Fach-A. kann das Fachabitur bzw. die fachgebundene Hochschulreife erworben werden. Es entstanden A. für einzelne Ausbildungsberufe wie Friseure, Bäcker oder Schneider, aber auch für Ärzte oder Angestellte. Sie sind z. B. bei Berufskammern oder Einzelunternehmen angesiedelt. In der Bundesakademie für Sicherheitspolitik werden seit 1992 u. a. Bundes- und Landesbeamte des höheren Dienstes weitergebildet. Politische A. wie die Akademie für politische Bildung in Tutzing sollen Wissen über das politische System und die politische Kultur im Sinne der liberalen Demokratie fördern. A. können aber auch bloße Informationsveranstaltungen für interessiertes Publikum in zahlreichen Wissensgebieten anbieten. Schließlich verwenden Unternehmen für Ausbildungen im Rahmen ihrer wirtschaftlichen Interessen den rechtlich ungeschützten A.-Begriff. Da der Bedarf an unterschiedlichen Formen der Aus-, Weiter- und Fortbildung tendenziell weiter ansteigen wird, ist damit zu rechnen, dass die Anzahl der A. in ihren verschieden Ausprägungen auch zukünftig zunimmt.
Literatur
Bundesinstitut für Berufsbildung (Hg.): Duales Studium in Zahlen, 2015 • M. Fessner: Bergakademie, in: ENz, Bd. 2, 2005, 8–10 • M. Gierl: Akademie, in: ENz, Bd. 1, 2005, 150–156 • S. Hillmert/S. Kröhnert: Differenzierung und Erfolg tertiärer Ausbildungen: Die Berufsakademie im Vergleich, in: Zeitschrift für Personalforschung 17/2 (2003), 195–214 • N. Hammerstein: Akademie, in: W. Schneiders (Hg.): Lexikon der Aufklärung, 1995, 33 f. • J. Zabeck/M. Zimmermann (Hg.): Anspruch und Wirklichkeit der Berufsakademie Baden-Württemberg. Eine Evaluationsstudie, 1995 • L. Hammermayer/M. Störmer/F. Letzelter: Akademien, in: StL, Bd. 1, 71985, 66–72.
Empfohlene Zitierweise
B. Schreyer: Akademien, II. Lehranstalten, Version 08.06.2022, 09:10 Uhr, in: Staatslexikon8 online, URL: https://www.staatslexikon-online.de/Lexikon/Akademien (abgerufen: 01.11.2024)
III. Katholische Akademien
Abschnitt drucken„Die Akademien der evangelischen und katholischen Kirche gehören zu den bedeutsamsten Akademiegründungen in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg; sie stellen einen neuen Institutionentyp im kirchlichen Raum, aber auch eine neue Ausprägung der Akademie-Idee dar“ (Schütz 2004: 527).
1. Geschichte
Die Ideengeschichte katholischer A. reicht zurück bis zu den Umbruchsjahren um 1900: „Wir müssen aus dem Turm heraus!“, so der Zentrumspolitiker Julius Bachem (1906). Deshalb gehört z. B. die Gründung der Görres-Gesellschaft schon 1876, des Volksvereins für das katholische Deutschland 1890 und der Zeitschrift Hochland 1903 durch Carl Muth zu den Vorläufern der heutigen katholischen A. Nach Romano Guardini wäre eine katholische A. „der Ort, an welchem versucht wird, den Blick auf die Welt zu gewinnen und in einer gültigen Weise auszusprechen, der vom Glauben her möglich wird“ (Guardini 1985: 12).
Zunächst wurde nach 1945 die Verpflichtung deutlich, sich mit Positionen der katholischen Soziallehre in die Debatten der Gesellschaft einzuklinken und dafür die Laien (Laie) zu schulen. Anstelle der vor dem Krieg starken Verbandsarbeit traten nun diözesane Sozialinstitute oder Diözesanbildungsheime. „Die Sozialbildung wurde damit verkirchlicht, diözesanisiert und weitgehend der bischöflichen Aufsicht unterstellt“ (Schütz 2004: 614). Diese Einrichtungen wurden zu diözesanen A. umgestaltet. Direkte A.-Neugründungen kamen dazu.
Das Zweite Vatikanische Konzil fand intensiven Widerhall, wie auch umgekehrt katholische A. dessen Impulse weiter vermittelten für interessierte, nicht zuletzt ökumenisch engagierte Christen; waren es doch Fragestellungen, die dort nicht selten bereits vor dem Konzil reflektiert worden waren. Schließlich brachte die deutsche Einigung 1990 einen dritten Impuls zur Gründung von katholischen A. in den neuen Bundesländern, bzw. in Berlin.
2. Selbstverständnis
Aufgrund der jeweiligen Gründungsintention und lokal gegebenen Unterschiede zeigt sich ein weites Spektrum in Selbstverständnis und konkreter Programmarbeit. Dazu kommt die radikal veränderte geistig-kulturelle Gesamtlage.
Die Wahrheit christlicher Glaubenslehre und -praxis dem öffentlichen Diskurs auszusetzen, sie im Meinungsstreit theologischer wie philosophischer Prämissen interdisziplinär weiterzuentwickeln gemäß der „notwendigen Korrelationalität von Vernunft und Glauben […], die zu gegenseitiger Reinigung und Heilung berufen sind und die sich gegenseitig brauchen und das gegenseitig anerkennen müssen“ (Ratzinger 2011: 57), bleibt Grundkompetenz und Kernaufgabe. Katholische A. eröffnen „Räume, in denen sich die Theologie ihrer Rückbindung an die Erfahrungen säkularer, religiöser und konkret kirchlicher Lebenswelten vergewissern kann … und verkörpern so – ebenso wie die universitäre Theologie – das intellektuelle Gewissen (Adolf von Harnack) der Kirche“ (Hake u. a. 2008: 185).
Als einer neben weiteren territorialen wie kategorialen Orten zeitgenössischer Präsenz der Kirche (katholische Kirche) müssen sich allerdings katholische A. der Individualisierung und häufig nur punktuellen Inanspruchnahme von Seiten der Interessierten stellen. In der Konsequenz „sollten alle Orte grundsätzlich das ganze Angebot der Kirche präsentieren. […] Katholische Akademien sollten daher mehr sein als Akademien“ (Bucher 2007: 200). Je nach örtlicher Situation geschieht das entweder durch spirituell-, liturgisch-, diakonisch-, auch eventgeprägte eigene Programmelemente oder durch Verweis auf entspr.e andere kirchliche Orte.
Was für „säkularisierte Metropolen“ gilt, wird zunehmend allg.e Aufgabe aller katholischen A.; denn in ihnen „kommt dem gemeinsamen ökumenischen Handeln im Kontext des interreligiösen Dialogs eine besondere Funktion zu. In diesen Metropolen befinden sich katholische und evangelische Christen auf je unterschiedliche Weise und aus je unterschiedlichen Gründen in der Minderheit“ (Hake u. a. 2008: 186).
Katholische A. erinnern an den Reichtum christlicher Tradition, verstehen sich als Dolmetscher und Interpreten des Glaubens gerade gegenüber Zeitgenossen, denen der christliche Glaube zunehmend fremd wird. Sie halten so den Horizont weit, damit die Rede von Gott nicht vergessen, sondern mit ihrem kritischen Potential gegenüber gesellschaftlichen Trends wahrgenommen wird. „Den eigenen Erfahrungen nicht trauen – an fremden, biblischen Erfahrungen Anteil gewinnen“ (Ruster 2000: 198), wird zu einer götter- und götzenkritischen Instanz und lässt den Gott der biblischen Tradition nicht im allg.en Götterhimmel pluraler Religionen (Religion) aufgehen.
Hinzu tritt ein binnenkirchlicher Dolmetscherdienst, nämlich Denken, Empfinden und Überzeugungen der religiös interessierten wie der nichtglaubenden Zeitgenossen bewusst werden zu lassen. Denn für eine solche „Ökumene der dritten Art“ gerade mit nichtglaubenden Zeitgenossen gilt, „dass keine der beteiligten Seiten mehr denken, sprechen oder agieren kann, ohne die andere dabei mitzudenken und einzubeziehen“ (Tiefensee 2002: 214).
In katholischen A. werden – öffentlich oder in Hintergrundkreisen – relevante Themen kontrovers und interdisziplinär diskutiert: zu sozialer Gerechtigkeit oder Friedenspolitik, technischem Fortschritt, Bioethik oder Globalisierung, Migration oder Klimawandel. Dabei sind katholische A. gefordert, „die geschichtlich gewachsene Lernerfahrung der Kirche einzubringen, sowie ihr über Identitäts- und Staatsgrenzen hinweg integrierendes und brückenbildendes Sozialkapital“ (Klasvogt 2015: 692). Ihr Dienst wird so zu intellektueller Diakonie bei zentralen Herausforderungen der Gesellschaft.
Katholische A. wirken nicht zuletzt auf dem Feld der Kultur. Gerade sie wird als Seismograph für zeitgenössische Tendenzen begriffen und stellt gleichzeitig Erinnerungsorte für kulturell-geistiges Erbe und dessen zeitgenössisches Verständnis dar. Letztlich gilt für alle diese „Schwellenphänomene“, dass „sie in der Begegnung und Überlagerung unterschiedlicher Kontexte – unterschiedlicher Personen, unterschiedlicher Lebensräume [entstehen]“ (Khuon 2016: 196 f.). Die Aufgaben katholischer A. liegen an den Grenzen, Schwellen, Rändern der Kirche wie der Gesellschaft und zugl. in der deutlich gepflegten Gastfreundschaft, mit der Menschen von dort eingeladen werden. Julius Kardinal Döpfner wünschte schon 1962. „dass die Akademien sich in der Kirche und durch die Förderung der Bischöfe in ihrer nicht leichten Aufgabe gleichsam am Rande der Kirche geborgen weiß“.
3. Strukturen
Wegen ihrer bes.n Gründungsgeschichte sind katholische A. v. a. im deutschsprachigen Raum vertreten. Viele deutsche Diözesen unterhalten eigene A. und/oder sind Träger überdiözesaner Einrichtungen. Katholische A. sind deshalb im Blick auf ihre Träger (und Geldgeber) auf unterschiedliche Weise in diözesane, bzw. überdiözesane Strukturen eingebunden, besitzen je nach Satzung eigene Leitungs- und Beratungsgremien und haben sich unter Wahrung ihrer jeweiligen Selbständigkeit im „Leiterkreis der Katholischen Akademien“ zusammengeschlossen. Dessen Internetauftritt dokumentiert alle katholischen A. und informiert über aktuelle Termine: www.akademien.katholisch.de.
Literatur
U. Khuon: Eine Bühne bieten. Das Deutsche Theater und die Katholische Akademie in Berlin, in: StZ 141/3 (2016), 191–200 • H. Maier: Neubeginn nach dem Kulturkampf. Die deutschen Katholiken um 1900; in: zur debatte 46/4 (2016), 29–32 • J. Hake u. a. (Hg.): Versammeln. Berliner Erfahrungen, 2015 • P. Klasvogt: Katholische Kirche im Reform-Modus, in: StZ 140/10 (2015), 683–693 • J. Ratzinger: Dialektik der Säkularisierung, 82011 • J. Hake u. a.: Auf unübersichtlichem Terrain. Die Aufgaben katholischer Akademien in säkularen Metropolen, in: HerKorr 62/4 (2008), 182–187 • P. Reifenberg: Kirchliche Akademiearbeit vor den Herausforderungen der Zukunft, in: S. Ernst (Hg.): Kultur als Arbeitsfeld und Arbeitsmarkt für Geisteswissenschaftler, 2008, 90–105 • R. Bucher: Weg in die Risikozonen. Katholische Akademien in der pastoralen Situation der Gegenwart, in: HerKorr 61/4 (2007), 196–200 • O. Schütz: Begegnung von Kirche und Welt. Die Gründung Katholischer Akademien in der Bundesrepublik Deutschland 1945–1975, 2004 • E. Garhammer/W. Weiß (Hg.): Brückenschläge. Akademische Theologie und Theologie der Akademien, 2002 • E. Tiefensee: Homo areligiosos, Überlegungen zur Entkonfessionalisierung in der ehemaligen DDR, in: T. A. Seidel (Hg.): Gottlose Jahre? Rückblicke auf die Kirche im Sozialismus der DDR, 2002, 197–215 • T. Ruster: Der verwechselbare Gott, 2000 • R. Guardini, in: Zur Gründung der Katholischen Akademie in Bayern. Redaktioneller Beitrag (Interview des Bayerischen Rundfunks), in: zur debatte 15/2/3 (1985), 12 • J. Bachem: Wir müssen aus dem Turm heraus!, 1906.
Empfohlene Zitierweise
F. Schuller: Akademien, III. Katholische Akademien, Version 08.06.2022, 09:10 Uhr, in: Staatslexikon8 online, URL: https://www.staatslexikon-online.de/Lexikon/Akademien (abgerufen: 01.11.2024)
IV. Evangelische Akademien
Abschnitt drucken1. Definition
Evangelische A. sind Bildungseinrichtungen der evangelischen Kirche (EKD) im Kontext der Erwachsenenbildung. Ihre Angebote zielen auf Orientierung und wollen Meinungsbildung ermöglichen. Sie gelten als Stätten des Dialogs, als Brücken, Marktplätze, „dritte Orte“ zwischen Kirche und Welt. Ihre Arbeit ist auf wissenschaftlichem Niveau interdisziplinär und interkulturell ausgerichtet. Sie fördern durch Diskurs die Suche nach Lösungen in der Zivilgesellschaft, wirken an der Gestaltung einer verantwortlichen, gerechten und partizipativen Gesellschaft mit und verstehen sich als Orte der Begegnung mit dem christlichen Glauben.
2. Geschichte
Alle evangelischen A. wurden nach dem Zweiten Weltkrieg gegründet. Mit diesen Einrichtungen reagierte die evangelische Kirche auf die Erfahrung des Dritten Reiches, dass eine Gesellschaft gleichgeschaltet werden und sich eine Zivil- bzw. Bürgergesellschaft nicht entwickeln konnte. Entstehungsgeschichtlich spielten kirchliche, theologische, aber auch staatliche Interessen an der Entwicklung eines demokratischen Gemeinwesens zusammen. Eine bes. Bedeutung kommt Eberhard Müller zu, Direktor der ersten neu gegründeten A. im September 1945 in Bad Boll. Ideengeschichtlich knüpft die A.-Idee an historische Vorbilder an: die 1921 vom Centralausschuss für die Innere Mission der deutschen evangelischen Kirche gegründete Apologetische Centrale in Berlin, die „Deutschen Evangelischen Wochen“ (1935–1937), die Aktivitäten der Deutschen Christlichen Studentenvereinigung sowie die Tagungsarbeit der Bekennenden Kirche. Wichtige Anstöße kamen von den Theologen Dietrich Bonhoeffer, Paul Tillich, v. a. von Helmut Thielicke. Dieser legte 1942 dem Oberkirchenrat in Stuttgart ein Memorandum vor, nach dem Ende des Nationalsozialismus Gespräche evangelischer Akademiker zur geistigen Neuorientierung Deutschlands auszurichten. Der Erwachsenenbildner und spätere württembergische Kultusminister Theodor Bäuerle initiierte den Hohenrodter Bund, der sich der Volkshochschularbeit widmete. Die amerikanische Besatzungsmacht leistete logistische und inhaltliche Unterstützung, da sie diese Einrichtungen als Stätten zur Demokratieerziehung sah. Die Bezeichnung „Evangelische A.“ wurde erstmals im Kontext von Initiativen des den Deutschen Christen nahestehenden Pfarrers Heinrich Forsthoff verwendet, der volksmissionarische Vorhaben mit politischer Indoktrination im Nationalsozialismus verknüpfte.
3. Struktur
Derzeit gibt es nach reduzierenden Strukturveränderungen in Deutschland 17 evangelische A. Sie sind zusammengeschlossen im Verein Evangelische A. in Deutschland e. V. (EAD) mit Sitz in Berlin.
A. sind i. d. R. unselbständige Einrichtungen in der Trägerschaft der jeweiligen Landeskirche bzw. als Vereine (Verein) organisiert. Sie werden zu einem nicht unerheblichen Teil aus Kirchensteuern bezuschusst. Unterstützt wird die Tagungsarbeit auch durch Zuwendungen Dritter. I. d. R. haben A. einen Freundes- oder Förderkreis. Die Evangelische A. Tutzing weist als einzige die Besonderheit aus, dass ihr Freundeskreis an 21 Orten in Bayern die regionale Bildungslandschaft mit eigenen Angeboten bereichert. In der differenzierten Bildungslandschaft der Kirche sind die A. die einzigen Einrichtungen, deren Auftrag einer gesamten Landeskirche gilt. Ca. 140 interdisziplinär ausgebildete Studienleiter organisieren etwa 2 000 Veranstaltungen jährlich, die mehr als 100 000 Teilnehmer erreichen. Landeskirche bzw. Verein definieren je für sich Art und Umfang ihrer A.-Arbeit. Als Vollversorger mit einem umfassenden Themenangebot können die A. in Bad Boll, Berlin, Loccum, Villigst und Tutzing gelten. Darüber hinaus gibt es über Netzwerkprojekte, Kooperation zu Themenschwerpunkten. Der EAD ist die Evangelische Trägergruppe für gesellschaftspolitische Jugendbildung angegliedert. Sie verwaltet Mittel aus dem „Kinder- und Jugendplan des Bundes“. Als außerordentliche Mitglieder mit Gaststatus gehören zur EAD: die Evangelische Medien-A. (Düsseldorf), vormalige Christliche Presse-A.; die Forschungsstätte der Evangelischen Studiengemeinschaft (FEST), 1952 als Studiengemeinschaft der Evangelischen A. gegründet und zusammen mit der Evangelischen Forschungs-A. Christophorusstift 1985 zur FEST vereinigt; der Deutsche Evangelische Kirchentag. Seit 1958 besteht ein internationaler Zusammenschluss evangelischer, römisch-katholischer und griechisch-orthodoxer Häuser, der seit 2016 unter Oikosnet Europe mit Sitz in Sigtuna/Schweden firmiert.
4. Aufgaben
Die EKD nimmt mit ihren A. öffentliche Verantwortung wahr, indem sie diese als Orte geistigen Austausches für den Dialog mit gesellschaftlichen Akteuren und Entscheidungsträgern nutzt. Die A. sind daraufhin angelegt, „die auf Weltgestaltung zielende Freiheitszusage des Evangeliums in säkularen bis hin in andere religiöse Kontexte auszubuchstabieren“ (Anhelm 2009: 11). Sie haben „die Aufgabe, gesellschaftliche Entwicklungen in ihren unterschiedlichen Dimensionen zu reflektieren, protestantische Perspektiven zu eröffnen und zur Demokratisierung unserer Gesellschaft beizutragen“ (EAD 2012: 3). Evangelische A. werden „als Institutionen wahrgenommen, die ein faires Forum auch für kontroverse gesellschaftliche Debatten darstellen“ (EAD 2012: 17). Ihr Ziel ist es, möglichst viele Menschen zu erreichen, wissenschaftliche Expertise zugänglich zu machen und den Dialog zwischen Bürgern und Politikern zu fördern. Die A. sind Forum und Faktor zugl. Forum, indem sie unterschiedlichen Positionen Raum geben. Faktor, weil sie Diskursforen gestalten und so dem Auftrag der Kirche dienen, Räume der Meinungsvielfalt zu gewährleisten. Dieser Doppelauftrag ist – in Anlehnung an Helmut Schelsky – von der Überzeugung geprägt, dass es Räume der Reflexion braucht, wenn die Selbstverständlichkeit unmittelbarer Gewissheiten fraglich geworden oder abhandengekommen ist. Dem Bedürfnis nach Selbstverständigung und Vergewisserung versuchen evangelische A. durch Kommunikationsangebote abzuhelfen: eine Institutionalisierung der Dauerreflexion. Freiheit, Frieden, Gerechtigkeit, Versöhnung, Bewahrung der Schöpfung (Schöpfungsverantwortung) – in diesen Kategorien sind A.-Impulse aus dem vorpolitischen wirkungsvoll in den politischen Raum gewandert. Der wohl prominenteste Impuls verbindet sich mit dem Politischen Club der Evangelischen A. Tutzing. Hier erfand Egon Bahr 1963 das Motto der Ostpolitik Willy Brandts: „Wandel durch Annäherung“.
5. Themen und Arbeitsformen
Die Bibel geht von einer „verbesserlichen Welt“ (Lange 1968: 68) aus. Vor dem Hintergrund des sich daraus ableitenden Auftrags, Welt und Gesellschaft zu gestalten, gibt es im Grunde kein Thema, das nicht für eine A.-Tagung geeignet wäre. Christliche Grundwerte wie Toleranz und Weltverantwortung durchdringen die Themen. Die Palette ist groß: u. a. Theologie, Philosophie, Politik, Geschichte, Kunst, Kultur, Bildung, Medien/Digitalisierung, Psychologie, Soziales, Recht, Wirtschaft/Arbeitswelt, Ökologie, Medizin- und Bioethik, Geschlechter- und Gleichstellungsfragen. Zu den Arbeitsformen gehört nach wie vor die klassische mehrtägige, dazu Diskussionsformate, Studientage, Foren, Workshops, Lesungen, Konzerte, Studienreisen, aber auch nichtöffentliche Fach- und Klausurtagungen. Gottesdienstliche Angebote sind fester Bestandteil.
6. Herausforderungen
Die meisten evangelischen A. haben sich mit ihren Bildungsangeboten als „Marken“ etabliert. Sie erschließen ihren Trägern „nicht nur Kompetenzen in neuen Themen- und Handlungsfeldern“ (Mittmann 2011: 225), sondern vermitteln auch das Bild einer öffentlichkeitsorientierten Kirche – insb. an der Peripherie. Die A. tragen maßgeblich zur „Sicherung der anhaltenden öffentlichen Bedeutung der Kirchen“ (Mittmann 2011: 225) bei. Mit der Komplexität der gesellschaftlichen und politischen Herausforderungen wächst auch der Bedarf an reflexiven Räumen. Neben den A. haben sich u. a. finanzstarke Stiftungen von Wirtschaftsunternehmen und Parteien etabliert und sind zu Mitbewerbern geworden. Der Dienst der A. geschieht im überparochialen Bereich und ergänzt den Dienst in der Gemeinde. In Zeiten knapper werdender Finanzmittel muss die Kirche jedoch darauf bedacht sein, einen kontinuierlichen Zugang zu den Funktions- und Verantwortungseliten außerhalb des kirchlichen Milieus zu behalten. Die Zukunft unseres demokratischen Gemeinwesens wird davon abhängen, ob die Akteure der Zivilgesellschaft – auch die Kirche – es schaffen, eine eigenständige Rolle zwischen Staat und Markt zu spielen: als intermediäre Institutionen, in denen A. eine zentrale Bedeutung haben.
Literatur
EAD (Hg.): Diskurskultur, 2012 • T. Mittmann: Kirchliche Akademien in der Bundesrepublik, 2011 • F. E. Anhelm: Weltverantwortung als Gottesdienst. Anmerkungen zum Auftrag Evangelischer Akademiearbeit. Diskurse in den Evangelischen Akademien in Deutschland 11 (2009) • J. Treidel: Evangelische Akademien im Nachkriegsdeutschland, 2001 • L. Siegele-Wenschkewitz: „Hofprediger der der Demokratie“ – Evangelische Akademien und politische Bildung in den Anfangsjahren der Bundesrepublik Deutschland, in: ZKG 108 (1997), 236–251 • H. Thielicke: Communio Sanctorum. Denkschrift von Oktober 1942 zur Planung einer Evangelischen Akademie, in: H. Boventer (Hg.): Evangelische und katholoische Akademien, 1983, 32–34 • E. Lange: Die verbesserliche Welt, 1968 • H. Schelsky: Ist Dauerreflexion institutionalisierbar?, in: ZEE 1/6 (1957), 153–174.
Empfohlene Zitierweise
U. Hahn: Akademien, IV. Evangelische Akademien, Version 08.06.2022, 09:10 Uhr, in: Staatslexikon8 online, URL: https://www.staatslexikon-online.de/Lexikon/Akademien (abgerufen: 01.11.2024)