Kunst

  1. I. Philosophie
  2. II. Theologie
  3. III. Soziologie

I. Philosophie

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1. Grundlegendes

K. wird hier verstanden als eine Form, Welt wahrzunehmen, zu reflektieren und zu gestalten. Dabei zielt „Wahrnehmen“ sowohl auf die Aufmerksamkeit des Künstlers als auch auf die des Rezipienten und impliziert von daher Qualitäten der aisthesis im Sinne sinnlicher Erkenntnis. „Reflektieren“ intendiert eine gedankliche Reflexion, für die insb. die Vermögen der Einbildungskraft und das logische Verfahren der Abduktion zum Tragen kommen. „Gestalten“ meint die konkrete künstlerische Arbeit im breiten Spektrum der Gattungen von Architektur über Fotografie und Film, Malerei und Plastik, Performance und Social Media bis hin zur Zeichnung. „Gestalten“ impliziert aber auch die Antworten des Rezipienten im Medium des mündlichen und schriftlichen Diskurses. Der Begriff der „Form“ verbindet gestalterische und erkenntnistheoretische Aspekte; der Ausdruck „Welt“ sucht das zu erfassen, was unterschiedliche Epochen und Kulturen als ihre Wirklichkeit begreifen. Die Bedeutung und Relevanz von K. lässt sich sowohl in anthropologischer als auch in gesellschaftlicher Hinsicht ausbuchstabieren, beides sowohl unter einer philosophischen, einer soziologischen als auch theologischen Perspektive.

2. Philosophische Perspektiven

Im Zentrum sollen hier jene Positionen stehen, die ethische und gesellschaftlich relevante Aspekte von K. thematisieren. Dabei gälte es, für die einzelnen Epochen und Kulturen jeweils philosophische, kunsttheoretische sowie künstlerische Zugänge zu erörtern – letztere werden aus Platzgründen ausgeklammert.

2.1 Antike

2.1.1 Philosophische Texte

Wertet man die Dichtung von Hesiod und Homer als eine Weise philosophischer Reflexion, so begegnen hier bereits drei Theoreme, die jedenfalls für den westlichen K.-Begriff traditionsbildend wurden: Hesiods „Theogonie“ beginnt mit einer Anrufung der neun Musen, hervorgegangen aus der Verbindung zwischen Zeus und Mnemosyne, Göttin der Erinnerung und des Eingedenkens. Sie lehrt den Dichter zu rühmen, „was sein wird und was vorher gewesen“ (Hes. theog. 30–34). Ein von der Zukunft her getragenes Erinnern artikuliert sich demnach als eine erste Grundbestimmung von K. Die zweite Begründung von K. ist eine kulturtheoretische, es ist der Feuerraub des Prometheus; die dritte ist, mit der Figur des Hephaistos, eine handwerkliche. Der Traditionsstrang der Musen wird in der Odyssee mit der Figur des Sängers fortgeführt, dessen Aufgabe primär darin besteht, die geschichtlichen Ereignisse zu besingen und damit für die Zukunft zu bewahren. Der Traditionsstrang des Handwerks mit der Figur des Hephaistos, der nicht nur als Schöpfer der Ausstattung von Palästen, sondern zusammen mit Athene als „Lehrer der Kunst“ (Hom. Od. VI, 232–234) gewürdigt wird.

Die grundsätzlich kunstskeptische Haltung Platons ist bekannt, wenn eine derartige Pauschalverurteilung auch kritisch zu kommentieren wäre. Zwei Ansatzpunkte gilt es hinsichtlich der Frage gesellschaftlicher Relevanz von K. herauszugreifen: In der „Politeia“ gelten ihm sowohl die alten Mythen als auch die Werke der bildenden Künstler als gefährlich, weil sie a) Unerhörtes und Unwürdiges über die Götter erzählen und b) die Sinne täuschen und damit weiter von der Wahrheitidéā – entfernt sind als jeder gewöhnliche Stuhl oder Tisch. So sind es pädagogische Argumente, die in letzter Konsequenz die Dichter und Künstler aus dem Idealstaat verbannen. Im „Timaios“ dagegen erscheint der Demiurg als Welten-Architekt, ein Motiv, das nicht zuletzt von der christlichen Buchmalerei häufig aufgegriffen wurde. Sehr viel ergiebiger, wenn auch erst ab dem 13. Jh. wieder rezipiert, ist die „Poetik“ des Aristoteles. Diese zunächst nur für die Tragödie ausformulierte und schließlich unvollendet gebliebene Schrift enthält jedenfalls vier auch für das Verständnis der Bildenden K. fruchtbare Aussagen: Zunächst eine rein formale Definition eines K.-Werks als „ein Ganzes“, d. h. als etwas „was Anfang, Mitte und Ende hat“ (Aristot. poet. 7, 1450b26), was sich im Sinne formaler Stringenz verstehen lässt; dann die Umorientierung des Mimesis-Begriffs auf die Nachahmung (nicht etwa einer metaphysischen Ideenwelt, sondern) von Handlungen, was die K. dezidiert auf gesellschaftliche Zusammenhänge hin ausrichtet; schließlich eine Betonung des utopischen Potentials der K., wenn er der Dichtung genau aus diesem Grund den Vorzug gegenüber bloßer Berichterstattung der Geschichtsschreibung einräumt: „Das Unmögliche, das wahrscheinlich ist, verdient den Vorzug vor dem Möglichen, das unwahrscheinlich ist“ (Aristot. poet. 9, 1451a36–4151b7; 24, 1460a27). Werke der K., so ließe sich resümieren, garantieren den Möglichkeitssinn inmitten gesellschaftlicher Gefüge. Die damit verbundene kathartische Wirkung von K. wäre der vierte Aspekt, der in der dezidierten Ausrichtung auf einen Rezipienten geradezu moderne Züge annimmt.

2.1.2 Kunsttheoretische Texte

Aus dem Corpus im engeren Sinn kunsttheoretisch relevanter Schriften sei neben dem XXXV. Buch der „Historia Naturalis“ von Plinius dem Älteren, das eine umfangreiche, unsystematisch kompilierte „antike K.-Geschichte“ bietet, sowie der Tradition der Rhetorik, die wertvolle Hinweise auf die Bedeutung der Wirkung einer Rede enthält und damit dem Rezipienten eine sinnkonstitutive Rolle zuspricht, insb. auf die ausgereifte Architketurtheorie Vitruvs hingewiesen. Dieser nennt mit firmitas (Festigkeit), utilitas (Zweckmäßigkeit) und venustas (Anmut) drei Prinzipien der Bau-K., die in der Renaissance wieder aufgegriffen wurden und letztlich bis heute Gültigkeit haben. Die Tatsache, dass nicht nur Themen der Statik und der Materialien, und auch nicht nur Fragen von Proportion und Dekor für wesentlich galten, sondern in Ansätzen auch eine Funktionsästhetik ausgearbeitet wurde, richtet das Bauen grundsätzlich auf die Menschen als ihre künftigen Benutzer aus und gibt mit der Ausdifferenzierung unterschiedlicher Bautypen dem öffentlichen Raum Kontur.

2.2 Mittelalter

2.2.1 Kunsttheoretische Texte und philosophische Modelle

Während in den kunsttheoretischen Texten die Bildenden Künste in den Artes-Debatten eher ein Schattendasein führten und mit Ausnahme der Architektur prinzipiell den artes mechanicae zugerechnet wurden, und die Künstlerschriften sich auf Werkstattregeln und Bauhüttenbücher beschränkten, konzentrierten sich die philosophischen Abhandlungen auf Theorien des Schönen. Innerhalb der unterschiedlichen Facetten neuplatonischen Denkens, worunter das Corpus Dionysiacum eine wesentliche Rolle spielte, konturierten sich drei für den Stellenwert von K. bzw. des Ästhetischen relevante Problemfelder: Der meist als Abstieg gedachte Ausgang des Vielen aus dem Einen implizierte zunächst eine Abwertung weltlicher Vielfalt, wobei Schönheit und Glanz kunstvoller Dinge als eine Läuterung und damit bereits als eine erste Überwindung des Zerstreuten hin auf das Eine betrachtet wurden. Weiter bildeten sich im 12. Jh. Modelle des Bild- und Zeichendenkens, die es erlaubten, die Welt als imago, sacramantum bzw. vestigium Dei zu begreifen und damit in ihrer sinnlichen Qualität zu würdigen. Schließlich galt innerhalb der Vermögen des menschlichen Geistes die „Schau“ als die höchste Stufe der Erkenntnis. Der Stellenwert des Schönen wurde mit der Transzendentalienlehre des 13. Jh. insofern nochmals anders gewichtet, als sich nun die Frage stellte, inwiefern dem ens neben dem unum, verum et bonum auch das pulchrum als ein Transzendentales, d. h. als eine grundlegende Seinsqualität zugesprochen werden konnte. Dies ist auch der Kontext, in dem Thomas von Aquin seine „Summa Theologica“ schreibt, innerhalb derer Fragen nach der Bedeutung des Schönen, nach der Rolle des Sehens und nach dem Stellenwert der Künste an zahllosen Stellen auftauchen und differenziert erörtert werden.

Kunsttheoretisch äußerst ergiebig sind ferner die theologischen Bilderverbote und kirchlichen Bilderlehren, nicht zuletzt hinsichtlich der Relevanz von Bildern im gesellschaftlichen Kräftefeld.

2.3 Renaissance und Neuzeit

2.3.1 Künstlerschriften und Kunstkritik

Es sind die Künstler des Quattrocento, die im Streben nach gesellschaftlicher Anerkennung die K. neu erfinden. Das Studium der Natur, und damit ein Beitrag zum Erkenntnisgewinn zum einen, phantasia, inventione und genio, d. h. künstlerische Erfindungsgabe zum anderen, sind die Ansatzpunkte, die das neuzeitliche Verständnis von K. auf den Weg bringen. Sie münden in den Begriff des disegno, der mit der Ausdifferenzierung von disegno interno und disegno esterno die künstlerische Idee bzw. die göttliche Inspiration mit dem Geschick der ausführenden Hand verschränkt. Giorgio Vasari verbindet in „Le vite de’ piu eccellenti architetti, pittori et scultori italiani“ (1568) ein ausgereiftes Disegno-Konzept mit der ersten umfassenden Darstellung von Künstlerviten und begründet damit das neuzeitliche und letztlich auch moderne Künstlerbild.

Parallel zur Gründung von K.-Akademien (Akademien) und der Ausdifferenzierung des Ausstellungswesens formiert sich im Paris des 17. Jh. mit den Salonberichten eine neue kunsttheoretische Gattung: die K.-Kritik. Gebildete Unterhaltung, Reportage, Künstlerlob und v. a. Diskussion sind die Facetten öffentlicher Auseinandersetzung, changierend zwischen Geschmacksfragen und dem Bemühen um ein (begründetes) Werturteil. Denis Diderots Schriften sind insofern für das Verständnis des neuzeitlichen K.-Begriffs so ergiebig, als er neben literarisch ausgefeilten „Salons“ ein umfassendes &Olig;uvre ästhetischer und philosophischer Abhandlungen verfasst hat. Im „Traité du Beau“ (1751) differenziert er zwischen einem Schönen außer mir und einem Schönen in Beziehung auf mich, und legt damit den Grundstein für eine Rezeptionsästhetik.

2.3.2 Dichtung und Philosophie

Es sind zunächst die Dichter, die im Zuge aufkeimenden Nationalbewusstseins der italienischen Fürstentümer die Künstler inszenieren. Dante Alighieri und Giovanni Boccaccio und in Folge sämtliche Dante- und Boccaccio-Kommentare feiern Giotto di Bondone als jenen Künstler, dem es gelang, im Blick auf die Natur den Byzantinismus und letztlich im dolce stil nuovo die dunkle Ära des Mittelalters zu überwinden. Im Zuge dessen ist auch eine neue Sensibilität gegenüber den Qualitäten der Sprache zu beobachten. In der „Divina Commedia“ (um 1320) weist Dante auf das Versagen der Sprache angesichts dargebotener Schönheiten, in „De vulgari eloquentia“ (um 1305) betont er die Lebendigkeit und damit den Vorrang des vulgari (der Volkssprache) gegenüber dem Lateinischen. In gewisser Weise weist er damit bereits auf den vier Jahrhunderte später schreibenden Giambattista Vico voraus, der in seiner „Szienzia Nuova“ (erstmals 1725) eine umfassende Kulturtheorie vorlegt.

Im Umfeld des englischen Empirismus wird der Geschmack, englisch taste, zu einer eigenständigen ästhetischen Kategorie entwickelt. David Humes „On the Standard of Taste“ (1757) setzt wohl auf das individuelle Schönheitsempfinden, fordert aber dessen kontinuierliche Bildung und situiert taste damit weitab von einem oberflächlichen Gefallen. Nahezu zeitgleich begründet Alexander G. Baumgarten in seiner „Aesthetica“ (1750/58) mit der Unterscheidung der Erkenntnisvermögen in eine cognitio clara et distincta (begrifflich) und eine cognitio clara et confusa (sensitiv), wobei sich letztere durch Reichtum und Vielfalt (ubertas) sowie ein Leuchten (claritas, perspicuitas) auszeichnet, Ästhetik als eine eigene philosophische Disziplin. Während Edmund Burke in „A Philosophical Inquiry into the Origins of Our Ideas on the Sublime and Beautiful“ (1757) den Begriff des Erhabenen in Abhebung vom Schönen wesentlich sensualistisch entwickelt, sucht Immanuel Kant mit der „Kritik der Urteilskraft“ (1790) eine Brücke zwischen theoretischer und praktischer Vernunft (Vernunft – Verstand) zu schaffen. Das Erhabene markiere eine Grenzerfahrung, welche die Verstandesvermögen außer Kraft setzt und damit die „praktische Vernunft“ herausfordert.

Etwa zeitgleich erörtert Friedrich Schiller in seiner Briefsammlung „Über die Ästhetische Erziehung des Menschen“ (1795) das Verhältnis von Ästhetik und Moralität. Er entwickelt den Begriff des Spieltriebs (Spiel) als eine Vermittlung von sinnlichem Trieb und Formtrieb. Für die Frage einer gesellschaftlichen Relevanz der idealistischen Ästhetik sei die „Ästhetik des Hässlichen“ von Karl F. Rosenkranz (1853) herausgegriffen. Als Schüler Georg Wilhelm Friedrich Hegels begreift er das Hässliche nicht als eigenständige Größe, sondern als „Negativschönes“ und damit als stets eingebunden in das metaphysische Ganze. Eine Konsequenz dieses Denkens ist eine mitunter explizit formulierte Annäherung des (ästhetisch) Hässlichen und des (moralisch) Bösen. Des ungeachtet bietet er brillante Analysen des weiten Spektrums schöner und nichtschöner Phänomene und legt er mit der Kategorie des Hässlichen und ihm verwandter Phänomene wie dem Komischen eine Grundlage für die Reflexion der „nicht mehr schönen Künste“ (Jauß 1968) – ein Gedanke, der auch für die Frage gesellschaftlicher Verortung von K. neue Ansatzpunkte bietet.

2.4 Moderne und Gegenwart

2.4.1 Künstlermanifeste, Proklamationen und Debatten

Ob Futurismus, Dadaismus oder Surrealismus, die Künstler und Literaten der europäischen Avantgarden proklamierten eine Überwindung der Trennung von K. und Leben in Form von Manifesten, die nahezu gleichwertig neben ihre künstlerischen Arbeiten traten. Sie waren in ihren Aussagen teilweise widersprüchlich, blieben in der raschen Abfolge der -ismen in einer gewissen Unverbindlichkeit, bargen aber enormes schöpferisches Potential. Diese visionären Bewegungen waren international ausgerichtet, wichtige K.-Zentren lagen neben Italien, Frankreich und Deutschland in Osteuropa und Russland. Mit der russischen Oktoberrevolution von 1917 wurden die politischen Machthaber, allen voran Wladimir Iljitsch Lenin zu einer tonangebenden Stimme im Kampf um die gesellschaftliche Rolle der K. Leo Trotzkis „Literatur und Revolution“ (1925) oder Michail Lifschitz „Der Leninismus und die Kunstkritik“ (1936) sind nur zwei der von der Staatsverfassung selbst propagierten Proklamationen.

Es ist ein ungarisch-britischer K.-Historiker und Philosoph, Arnold Hauser, der als erster eine „Social History of Art and Literature“ (1951) publiziert. Das großangelegte und in rund 20 Sprachen übersetzte Werk fragt nach der gesellschaftlichen Stellung der K. und des Künstlers und betont das Zeitspezifische künstlerischer Sprachformen. Er reflektiert die Rezeption und Wirkung von Werken und differenziert zwischen gesellschaftsstabilisierenden und gesellschaftskritischen Kräften der K.

In den USA der Nachkriegsära bildete die K.-Kritik einen wichtigen Begleiter und Motor der Entwicklungen des Abstrakten Expressionismus, der Pop Art und der Minimal Art. Texte wie Clement Greenbergs „Towards a Newer Laocoon“ (1940) oder Rosalind Krauss „Notes on the Index“ (1977) wurden zu Klassikern moderner und postmoderner K.-Theorie. Letztere, die „Postmoderne“, spielte eine große Rolle innerhalb der Architekturdebatten seit den späten 1960er, v. a. aber in den 1980er Jahren. Auf das puristische Diktum der Moderne „form follows function“ (Sullivan 1988: 112) folgte ein klares Bekenntnis zu Geschichtlichkeit und Popularität, zu Komplexität und Pluralität sowie zum Sprachcharakter von Architektur. Der Umgang mit ökologischen Ressourcen wurde ebenso bedeutsam wie die Inszenierung von Öffentlichkeit. Während Robert Venturis „Learning from Las Vegas“ (1972) als Gründungsdokument postmoderner Architekturtheorie gilt, wurde Charles Jencks „The Language of Postmodern Architecture“ (1977) zum wohl einflussreichsten Beitrag.

Seit den – durchaus umstrittenen – Ausstellungen „Primitivism in 20th Century Art“ (Museum of Modern Art, New York 1984–85, kuratiert von William Rubin) und „Magiciens de la Terre“ (Centre Pompidou, Paris, 1989, kuratiert von Jean-Hubert Martin) ist die Frage der Rolle sogenannter primitiver K. für die Errungenschaften der Moderne und die damit verbundenen Sammlungs- und Ausstellungspraxen eine anhaltende Herausforderung an Ausstellungsdesigns, K.-Geschichtsschreibung und Theoriebildung.

2.4.2 Philosophie und Theorie

Drei für Fragen nach einer gesellschaftlichen Relevanz von K. bes. anschlussfähige philosophische Konzepte seien herausgegriffen: die Symboltheorie Ernst Cassirers, die Kritische Theorie der Frankfurter Schule und die ästhetisch-ethischen Theoreme von Eva Schürmann, Monika Leisch-Kiesl sowie Mark Ashraf Halawa. In der Tradition des Neukantianismus stehend, sucht E. Cassirer mit dem Begriff der „symbolischen Formen“ (3 Bde., 1923–29) sämtliche Tätigkeiten des Geistes, wie sie sich in Mythos, Religion, K., Sprache und Wissenschaft manifestieren, als Weisen des Weltverhaltens bzw. der Welterzeugung zu begreifen, und begründet damit eine umfassende Kulturtheorie. „Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit“ Walter Benjamins (1936) gehört zu den kultur-, medien- und kunsttheoretischen Grundlagentexten des 20. Jh. Beobachtungen zu den Entwicklungen moderner Gesellschaften bilden auch den Ausgangspunkt von Theodor W. Adornos „Ästhetischer Theorie“ (posthum 1970), er sieht die K. jedoch in einer dialektischen Spannung von Fait social und Autonomie. K. – in Abhebung von Kitsch und bloßer Unterhaltung – zeichne sich durch die Kraft der „Form“ aus und bilde als solche eine Antithese zur Gesellschaft. Mit „Sehen als Praxis“ (2008) gelingt E. Schürmann der Aufweis ethischer Dimensionen der Wahrnehmung. Die Philosophin unterscheidet grundlegend zwischen Sehen als Kenntnisnahme und Sehen als performativer, kulturell kontextualisierter Praxis. Letztere impliziere in vielfacher Hinsicht ein Neu- und Anderssehen und bilde damit auch eine Dimension des Handelns. Ausgehend von der Beschreibung konkreter K.-Werke verknüpft M. Leisch-Kiesl im Begriff der „ZeichenSetzung“ (2016) semiotische und phänomenologische (Phänomenologie) Theoreme, um die gesellschaftliche Situiertheit von K.-Produktion und -rezeption ebenso zu sichern wie das Genuine der Erfahrung von Bildern der K. Ein vergleichbares Anliegen, doch stärker bildwissenschaftlich akzentuiert, leitet M. A. Halawa; jüngst spricht er von einer Bildethik.

Strukturell anders ist die Form, wie die Theoretiker des französischen Poststrukturalismus Funktionen des Autors, Strukturen des Denkens und Diskurse der Macht problematisieren. Es wäre verkürzend, jeweils nur nach expliziten Schriften zur K. Ausschau zu halten. Vielmehr gilt es zu fragen, inwiefern etwa Michel Foucaults Diskursanalysen auch auf Phänomene und Theoreme des Ornaments angewendet werden können, oder wie sich Jaques Derridas Différance hinsichtlich des Verständnisses von Produktions- und Rezeptionsprozessen von K. fruchtbar machen lässt.

Im Zusammenhang postkolonialer Theorie (Postkolonialismus) seien drei, inzwischen vielfältig rezipierte Klassiker hervorgehoben: Edward Said konfrontierte in „Orientalism“ (1978) die Scientific Community mit der – inzwischen weithin akzeptierten – Kritik, dass „der Orient“ ein aus Sehnsuchtsphantasien, künstlerischen und literarischen Werken, fotografischen Dispositiven und (pseudo-)wissenschaftlichen Theorien gewobenes Konstrukt des Westens sei. Gayatri Chakravorty Spivak sensibilisiert mit ihrem Aufsatz „Can the Subaltern Speak?“ (1988) für Machtverhältnisse im Raum der Sprache sowie Kontexte der Fremdrepräsentation. Mit Homi K. Bhaba verbindet man insb. das Konzept kultureller Hybridität, Prozesse der Übersetzung/des Re-Writing/der Mimikri sowie den Begriff des Third Space. Mit dieser Neuvermessung der Weltkarte zwischen West und Ost, Nord und Süd ist ein geistes- und kulturgeschichtlicher Paradigmenwechsel im Gange, innerhalb dessen die K. und ihre Systeme eine nicht unerhebliche Rolle spielen. Mnemosyne muss neue Lieder singen.

Literatur

II. Theologie

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Weil das Christentum bei der Gestaltung des Kults, der sakralen Räume, der Bilder und der eigenen Symbolsprache vielfältige Beziehungen zur K. entwickelt und diese auch selbst hervorbringt, fehlt dem Ausdruck „Christliche K.“ die definitorische Schärfe. Im allgemeinen Sprachgebrauch wird er vornehmlich für Bildende K. mit christlichen Motiven verwendet, aber ebenfalls für Darstellende K., Ton-K. und christliche Dicht-K. Im Folgenden wird die theologische Sicht der Bildenden K. aus primär historischer Perspektive beschrieben und gefragt, wie die Theologie die K. unter den Bedingungen der verschiedenen geschichtlichen Epochen bestimmt hat.

1. Alte Kirche

Zwei Faktoren prägen den Umgang der Alten Kirche mit K. Erstens bleibt aufgrund des alttestamentlichen Bilderverbots der restringierte Bildgebrauch Israels auch in der Alten Kirche die Regel. Das Bilderverbot zielt letztlich auf „Wahrung der Unverfügbarkeit des sich offenbarenden Gottes“ (Dohmen 1994: 442), welche eine Gottesdarstellung mittels eines materiellen Gebildes auch für die Christen ausschließt und ggf. zum Gegenstand heftiger Polemik wird.

Der zweite Impuls, der die christliche Skepsis gegenüber der K. verstärkt, ergibt sich aus der Ablehnung der antiken Götter- und Kaiserbildnisse. Nach antikem Verständnis sind die dargestellten Gottheiten in den Bildwerken präsent. Erst mit der Zeit entwickelt sich aus der Vorstellung von Christus als dem „Ebenbild des unsichtbaren Gottes“ (Kol 1,15) die Möglichkeit einer Darstellung des Göttlichen, weil die Transzendenz Gottes durch das Christusbild nicht infrage gestellt wird.

In diesem Spannungsfeld entstehen um das Jahr 200 die ersten Zeugnisse christlicher K. in den Katakomben, deren Wände mit Symbolen und Motiven der alttestamentlichen Erzählungen, mit Märtyrerbildern und Oranten geschmückt werden. Mit dem Rückgang der Erwartung einer nahen Parusie setzt sich unter den Christen eine stärkere Zuwendung zum irdischen Leben durch, und diese verändert auch die Einstellung zur K. und zum Bild. Heidnische Motive wie der Schafträger werden zum „Guten Hirten“ umgedeutet und in der Sarkophagplastik eingesetzt. Für die Gestaltung der christlichen Gottesdiensträume sind Impulse der Synagogenarchitektur und des Privathauses nachweisbar, z. B. in Dura Europos (um 250). Diese Anfänge leiten eine christliche Umdeutung vorgefundener Motive und Bildformeln ein, die im eigenen Sinne angeeignet und ausgestaltet werden.

Unter Kaiser Konstantin I. findet die Kirche den Freiraum für eine Weiterentwicklung ihrer Ikonographie und deren öffentlichen Gebrauch, z. B. die Bildzyklen biblischer Szenen in den Langhäusern der Kirchenräume. Dieser Assimilations- und Inkulturationsprozess (Inkulturation) wirkt auf das Christentum und sein Erscheinungsbild zurück, wenn etwa Elemente des kaiserlichen Hofzeremoniells in der Ikonographie des Christusbildes als Herrschergestalt rezipiert werden. Zwar verstummt die Kritik an der neuen Bilderfreundlichkeit nie ganz, aber das Bild setzt sich immer deutlicher in den Kirchen und in der Liturgie durch. Bei dieser Wende von einer weltabgewandten Haltung hin zu einer Gestaltung der irdischen Existenz aus dem Glauben heraus werden die überkommenen Stile und Formen mit dem Ziel einer „christlichen Vergeistigung und Jenseits-Ausrichtung“ (Halder/Welsch 1981: 49) in die eigenen Formen umgewandelt.

2. Mittelalter

Die Theologie wird im Mittelalter vom Bilderstreit in der Ostkirche zu einer tiefgreifenden Reflexion über den theologisch legitimen Gebrauch des Bildes herausgefordert. Die Bilderverehrer sehen in der Christologie der Zwei Naturen die Voraussetzung dafür gegeben, die Nichtdarstellbarkeit Gottes zu wahren und in Christus doch ein Bild von ihm zu gewinnen. Die Vorbehalte gegenüber der Verehrung der Bilder der Jungfrau Maria und der Heiligen werden mit dem Argument des Johannes von Damaskus zerstreut, dass die dem Bild erwiesene Verehrung auf das Urbild übergehe. Dennoch eskalieren in Byzanz die Auseinandersetzungen: Die Synode von Hiereia (754) verbietet die Verehrung der Bilder und ordnet ihre Vernichtung an, das Zweite Konzil von Nikaia (787) dagegen legitimiert dieselbe mittels der theologischen Unterscheidung von Anbetung (proskynesis, adoratio), die allein Gott zukommt, und der Verehrung (latreia, veneratio), die den Bildern erwiesen wird, denn „wer das Bild verehrt, verehrt in ihm die Person des darin Abgebildeten“ (Denzinger/Hünermann 1991: 277). Die Feindschaft zwischen Bilderverehrern (Ikonodulen) und Bilderzerstörern (Ikonoklasten) wird um 843 beigelegt. Die neue Wertschätzung des Bildes wirkt sich auf den Kirchenbau und die Ausschmückung der Kirchenräume aus (Pantokrator in der Apsis oder auf dem Triumphbogen, Ausmalung der Wandflächen), ebenso in Liturgie, Buchmalerei und Ikonenmalerei, die in der Ostkirche später eine eigene Theologie des Bildes entwickelt.

Der Westen reagiert auf den Bilderstreit in Byzanz und die Entscheidung von Nikaia mit den Libri Carolini (791), einer von Karl dem Großen veranlassten theologischen Stellungnahme, dass bildliche Darstellungen Gottes, Christi und der Heiligen weder angebetet noch verehrt werden sollen; dies wird auf der Synode von Frankfurt (794) bestätigt, später aber aufgegeben.

Die Entscheidung dieser Kontroversen für den Glauben an die „Präsenz des Heiligen in den Werken der Kunst“ (Lentes 2001: 1869) setzt neue Kräfte für Bilder und K.-Werke in der Kirche frei, etwa bei der Reliquienverehrung; sogenannte sprechende Reliquiare bringen eine Beziehung zwischen Reliquien und den sie verkörpernden Bildwerken zur Anschauung, die sich später zu vollplastischen Gestalten entwickeln. Dieser Zunahme der Bildfrömmigkeit korrespondiert eine verstärkte Bildproduktion mit neuen Bildträgern und -inhalten. Den Reliquiaren wird eine heiligende Wirkkraft zugesprochen. Die Heiligen und die Märtyrer leben bei Gott, aber ihre virtus, „die Segensmacht, ihre heilende und heiligende Wirkung“ (Angenendt 1994: 157) lebt in den Bildern fort.

Der Kirchenbau entwickelt die formgebenden Impulse der antiken Basilika weiter. Nach regional geprägten Stilen in der karolingischen und ottonischen Epoche stattet die sich über ganz Europa ausdehnende Romanik das Kirchengebäude mit Krypten und Lettnern aus, bemalt die Wandflächen und schmückt den Raum mit kunstvollen Kapitellen und Skulpturen. Theologisch markiert der umgrenzte Raum von Kirche und Kloster eine deutliche Absetzung, bedeutet aber keine Absage an die Welt. Der Kirchenraum gilt vielmehr als der Ort des Glaubens in der Welt, und kostbares Altargerät soll das Heilige zur Anschauung bringen. Insofern entfaltet sich in der Romanik eine K., die „aus genuin christlichem Geist das Welthafte in seiner faktischen Heiligkeit entdeckt“ (Halder/Welsch 1981: 51).

Die Gotik vertieft die Ausrichtung auf Transzendenz in der irdischen Wirklichkeit durch eine Betonung des Visuellen. Ihr Baustil lässt Licht durch die wandauflösenden, großflächigen Fenster in die Kirchenräume eindringen und erzeugt durch farbiges Glas eine mystische Atmosphäre. Die hochaufstrebenden Kathedralen mit nach außen geweiteten Portalen weisen im Innern eine Raumgliederung mit hervorgehobenem Chorraum und reicher Ausstattung an Flügel- und Wandelaltären auf. Die Schaufrömmigkeit wird zusätzlich befriedigt durch Bilder, Skulpturen und Plastiken, die einen Menschen zeigen, der von Emotionen und Empfindungen innerlich stark bewegt wird. Die Kruzifixe, Vesperbilder, Madonnen und Heiligenfiguren strahlen Freude oder extremen Schmerz aus; in ihnen visualisiert sich ein Glaube, der die Hoffnung auf ein Leben in Gott unter den irdischen Bedingungen der Endlichkeit lebt.

3. Neuzeit

Die betonte Zuwendung zum Menschen in der Gotik tendiert dahin, die K. aus den inneren Bindungen an Glaube und Kirche zu lösen. Der Horizont der aufkommenden Neuzeit und die durch die Reformation heraufbeschworenen kirchlichen und gesellschaftlichen Umwälzungen führen zu einem Bewusstsein, in dem die K. immer weniger als unmittelbarer Ausdruck eines religiösen Weltverhältnisses auftritt. K.-Werke werden nun auch als deutungsoffene Leistungen des einzelnen Künstlers verstanden.

Die Renaissance greift auf die Antike und ihre Mythologie zurück und schwächt implizit christliche Bindungen. Auch in Reaktion auf Veräußerlichungen und die Funktionalisierung der K. zur Inszenierung (kirchlicher) Herrschaft schränkt die Reformation den K.-Gebrauch energisch ein. Martin Luther toleriert Bilder als Adiaphora und schätzt sie als katechetische Hilfsmittel, Ulrich Zwingli und Johannes Calvin bekämpfen sie als Götzendienst, Andreas Rudolf Karlstadt initiiert einen Bildersturm. Die Kirchenräume der Reformation folgen dem Idealbild einer Predigtkirche oder eines Predigtsaals, in denen das sola scriptura gleichsam in Architektur übersetzt wird. In ihren Folgen entfernt sich die Epoche vom „Kultbild“, die K. ist fortan „kein eigentlich religiöses Phänomen mehr“ (Belting 1991: 511).

Die K. des Barock sucht in der religiösen Plastik und Malerei den Glauben durch Übersteigerung und Theatralik zur Anschauung zu bringen und fromme Emotionen zu erregen. Das Konzil von Trient (1545–63) bestätigt die Bilderverehrung als legitime Frömmigkeitspraxis und ergänzt dies durch das Ziel religiöser Unterweisung. Im Stil des Barocks werden in ganz Europa Kirchen, Klöster und Paläste erbaut; die populären illusionistischen Deckenfresken (z. B. Jesuitenkirche Il Gesù, Rom) öffnen zwar den Raum für den Blick in die überirdische Welt, aber dennoch vollendet sich mit dem Barock die Trennung von Kirche und K., die nun Autonomie beansprucht.

Parallel zum Aufschwung der Naturwissenschaft und zur fortschreitenden Industrialisierung favorisiert der Klassizismus eine nüchterne K. mit klaren Formen, wohlproportionierten Ordnungen und sparsamem Dekor; die Frage der Transzendenz bleibt weitgehend ausgespart. Diese wird in der Romantik von Malern wie Philipp Otto Runge und Caspar David Friedrich neu gestellt: Sie sehen Natur und Landschaft als Symbol des Göttlichen, das durch Gefühl und Gemüt erfasst werden soll. Die Kirchen rezipieren die K. der Nazarener um Johann Friedrich Overbeck, die gegen die akademisch normierte K. aufbegehren und in Rom die K. auf der Grundlage des Glaubens erneuern wollen. Ihre an das Mittelalter anschließenden Darstellungen biblischer Szenen werden als Drucke populär und finden als Andachtsbilder weite Verbreitung, begegnen aber auch dem Vorwurf der Trivialisierung.

4. Moderne und Gegenwart

Im 19. Jh. verweigert sich die Kirche vielen gesellschaftlichen und künstlerischen Entwicklungen; im Kirchenbau rekurriert sie auf vergangene Epochen (Neuromanik, Neugotik). Einige Künstler greifen sporadisch biblische Themen auf (z. B. Vincent van Gogh, Paul Gauguin), werden in der Kirche aber nicht rezipiert. Anfang des 20. Jh. setzen u. a. Otto Bartning, Dominikus Böhm und Rudolf Schwarz im Gespräch mit Romano Guardini im Kirchenbau neue Akzente, in der Malerei widmen sich einige Maler des Expressionismus biblischen Themen, u. a. Emil Nolde, Franz Marc oder Wassily Kandinsky, allerdings ohne die Kluft zu überwinden.

Das Zweite Vatikanische Konzil (1962–65) leitet mit der programmatischen Öffnung der Kirche zur Welt ein neues Verhältnis zur K. ein. Die Liturgiekonstitution SC sieht die K. ausgerichtet auf „die unendliche Schönheit Gottes, die in menschlichen Werken irgendwie zum Ausdruck kommen soll“; ihr Ziel sei es, „den Sinn der Menschen in heiliger Verehrung auf Gott zu wenden“ (SC 122). Damit wird die theologische Kernfrage der Tradition nach der Sichtbarkeit des unsichtbaren Gottes und dem Bezug der Bilderverehrung wieder aufgenommen. Das Konzil beansprucht zwar das Entscheidungsrecht über K. in Kirchenräumen, aber es anerkennt die Freiheit der K., sofern diese den Ansprüchen liturgischer Orte genügt. Es legt die Kirche nicht auf einen bestimmten Stil fest und bezieht Gegenwarts-K. und die K. anderer Kulturen ausdrücklich ein: „Auch die Kunst unserer Zeit und aller Völker und Länder soll in der Kirche Freiheit der Ausübung haben“ (SC 123).

Diese Offenheit eröffnet einen Freiraum, in dem sich ein neues Verhältnis zur K. in verschiedenen Bereichen aufbauen kann: Die Liturgiereform führt zur Umgestaltung und zum Neubau vieler Kirchen; hochkarätige Ausstellungen anlässlich von Katholikentagen oder in kirchlichen Museen steigern die gegenseitige Wahrnehmung, neue Medien wie Film und Video finden ebenfalls Eingang in diesen Bereich. Einen neuen Typus theologischer Reflexion kreiert der Theologe Alex Stock, der in seiner „Poetischen Dogmatik“ (Stock 1995–2016) der K. den Rang eines Erkenntnisorts der Theologie (locus theologicus) zuweist. Das seinen Auffassungen nahestehende „Hdb. der Bildtheologie“ (Hoeps 2007, 2014) rückt die Kernthemen einer dezidiert theologischen Sicht der K. ebenfalls neu in den Blick.

III. Soziologie

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Die Soziologie befragt im Rahmen der wissenschaftlichen Arbeitsteilung verschiedenste Bereiche des Lebens hinsichtlich ihrer sozialen Bedingtheit, so auch die K. Der K. kommt bei den soziologischen Klassikern der Moderne – Karl Marx, Max Weber und Georg Simmel – der Ort des Gegenüber einer umfassenden Rationalisierung der Gesellschaft zu. Von M. Weber wird sie – wie auch die Liebe oder Religion – als Sphäre des Strebens nach neuen Formen der Innerlichkeit inmitten einer von Rationalisierung und Versachlichung geprägten Welt gedacht. Als Sphäre des Subjektiven gegenüber dem Gesellschaftlichen stellt sie für ihn lange Zeit einen für die soziologische Betrachtung eher marginalen Gesellschaftsbereich dar. Auch in den Schriften von K. Marx und Friedrich Engels sind Bezugnahmen auf die K. nur in Randbemerkungen zu finden. Bis heute wirkmächtig in der Soziologie erweist sich v. a. die Diagnose vom Warencharakter der K. und die im Rahmen der Entfremdungskritik geäußerte Diagnose von der Entästhetisierung bzw. Entsinnlichung der Gesellschaft. Hier schließt auch G. Simmel an, der die Entwicklung zur Moderne durch eine Spannung von subjektiver und objektiver Kultur geprägt sieht, von Aneignung und Entfremdung im marxschen Sinne. Der moderne Mensch kann sich im Zustand kapitalistischer Entfremdung in der Heterogenität der modernen Kultur nicht wiederfinden, kann sich diese nicht aneignen, sondern fühlt sich von der Unzahl der Kulturelemente erdrückt. G. Simmel erarbeitet hier eher eine Ästhetik denn eine soziologische Betrachtung der K.

Diese eher marginalisierte Stellung der K. in den Gesellschaftstheorien der soziologischen Klassiker weicht in den 1950er Jahren einer Sichtweise, die v. a. die Ausbildung einer massenwirksamen Unterhaltungsindustrie kontrovers diskutiert. Hier traten Alphons Silbermann und Theodor W. Adorno Mitte des letzten Jh. als Protagonisten einer öffentlich höchst sichtbaren Auseinandersetzung um die gesellschaftliche Stellung der K. in Erscheinung. Während A. Silbermann in seinen soziologischen Arbeiten für eine Wahrnehmung von K. als einem sozialen Prozess im Sinne einer Kulturwirkekreiseforschung plädierte, eine empirische quantitative Untersuchung des ästhetisch-emotionalen Erlebens eines aktiven Rezipienten ins Zentrum seiner Forschung stellte und alle Einteilungen in Unterhaltungskultur und ernste Kultur strikt ablehnte, vertrat T. W. Adorno demgegenüber die Auffassung, dass die Analyse des K.-Werks als ein in sich objektiv Strukturiertes und Sinnvolles im Fokus der Betrachtungen zu stehen habe. In diesem Sinne untersucht T. W. Adorno im Rahmen ästhetischer Studien K.-Werke hinsichtlich ihrer Fähigkeiten, eine unverkürzte Erfahrung zu ermöglichen. Während A. Silbermann also leidenschaftlich für die Souveränität der K.-Konsumenten votierte, quantitative Kulturnutzungsstudien als die zutiefst humanistische und demokratische Aufgabe der Soziologie ansah und in diesem Sinne eine grundsätzliche Abneigung gegen K.-Autoritäten pflegte, lehnte T. W. Adorno eine quantitative unter behavioristischen (Behaviorismus, Behavioralismus) und sozialpsychologischen Vorzeichen stehende Forschungspraxis als affirmativ ab und plädierte stattdessen für eine strikt sozialphilosophisch-kulturkritische Untersuchung einzelner Werke. Im bekannten Aufsatz „Kulturindustrie“ (Horkheimer/Adorno 2015) von Max Horkheimer und T. W. Adorno wird hier eine bis in die Gegenwart höchst wirkungsmächtige These zur Ökonomisierung der Kultur artikuliert, die an die Kritik der Warenform nach K. Marx anschließt. Gemäß dieser These tritt im Spätkapitalismus der monetäre Wert der K. in den Vordergrund, der Gebrauchswert der K. wird durch deren Tauschwert ersetzt und die Freiheit der K. so letztlich aufgegeben. Die Erfahrung des Möglichen wird demnach durch die Reproduktion des Bestehenden ersetzt, die Möglichkeit zur Emanzipation des Subjektes über die K.-Erfahrung eliminiert. Vor dem Eindruck der sich seit den 1920er Jahren unübersehbar etablierenden Unterhaltungsindustrien stehen sich hier letztlich ein vom anglo-amerikanischen Pragmatismus geprägtes strikt antidualistisches, antiintellektualistisches Denken und eine vom Deutschen Idealismus, Marxismus und der Psychoanalyse geprägte weltanschauliche Position unversöhnlich gegenüber.

Seit den 1970er Jahren erlebte die empirisch orientierte Position einen deutlichen Aufschwung. Das kulturelle Verhalten der Bevölkerung wurde nun vermehrt Gegenstand quantitativer Studien. Diese Entwicklung muss in Zusammenhang mit den reformpolitischen Bewegungen der 1960er und 1970er Jahre gesehen werden, welche K. nun einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich machen wollten. Im Rahmen der Neuen Kulturpolitik der 1970er Jahre wurde der Kulturbegriff durch die Integration der Soziokultur erweitert, Voraussetzungen für eine Kultur für alle sollten geschaffen werden. Es kam zu einer enormen Expansion kultureller Einrichtungen. Dennoch konnte das zentrale Anliegen der Neuen Kulturpolitik, erweiterte soziale Gruppen am kulturellen Leben der Gesellschaft zu beteiligen, kaum realisiert werden. In den 1980er Jahren rückten vor diesem Hintergrund Fragen der Effizienz und Legitimität der öffentlichen Kulturausgaben verstärkt in den Fokus. Ein verstärktes Mitspracherecht des Publikums wurde gefordert und vermehrt Publikumsstudien in Auftrag gegeben. Besuchs- und Auslastungsstudien wurden so mit dem Aufbrechen des klassischen Bildungskanons und dem Bedeutungsverlust kulturkritischer Analysezugänge zum Mittel der Legitimation kulturpolitischer Entscheidungen (Kulturpolitik) und der Zuweisung öffentlicher Gelder.

Neben diesen klassischen auf Besuchszahlen und Auslastungsfragen fokussierten Studien etablierte sich seit den 1980er Jahren die sogenannte Lebensstilforschung vermehrt im Feld der empirisch-soziologischen Publikumsforschung. Diese Forschungsrichtung erfuhr durch Pierre Bourdieus Studie „Die feinen Unterschiede“ (Bourdieu 1987) einen weitreichenden Entwicklungsschub. P. Bourdieu benennt hier kollektive Erfahrungs- und Wahrnehmungsschemata sowohl „als Voraussetzung wie Effekt einer sozialen Klassenlage“ (Eder 1989: 15) und gibt damit der klassischen soziologischen Sozialstrukturanalyse eine kulturtheoretische Wendung. Entscheidend ist der Gedanke, dass Geschmack als Ressource eingesetzt wird, um gesellschaftliche Positionen zu erreichen und abzusichern. Es geriet in den Blick wie Verhaltensweisen, Attitüden, Meinungen und Handlungsweisen als Faktoren für die Reproduktion objektiver Klassenlagen wirksam werden. Während P. Bourdieu soziale Ungleichheit entlang der Linien von Hoch- und Populärkultur konstruierte, diagnostiziert die Allesfresser-Hypothese seit Mitte der 1990er Jahre, dass soziale Stellung zunehmend über die Heterogenität bzw. Homogenität des kulturellen Geschmacks reproduziert werde, also die Geschmacksklassen sich nun eher zwischen Omnivores und Univores statt zwischen Hoch- und Populärkultur bildeten. Die Omnivores-Forschung ist nicht zuletzt aufgrund der methodisch problematischen Anlage vieler Studien umstritten. Dennoch verweisen ihre Ergebnisse darauf, dass sich soziale Statusgruppen nicht allein darüber reproduzieren, was die sozialen Akteure konsumieren, sondern v. a. wie sie dies tun. In der Lebensstilforschung werden so ebenso wie in der Omnivores-Forschung empirische Sozialforschung und Sozial- bzw. Kulturkritik verbunden. Diese Forschung könnte daher auch als eine Fortsetzung der Kritischen Theorie T. W. Adornos mit soziologischen Mitteln gesehen werden. Im Unterschied zu T. W. Adorno ist P. Bourdieu jedoch überzeugt, dass die Vernunft (Vernunft – Verstand) das wesentliche Werkzeug der Kritik darstellt, um die „existierender Machtungleichheiten aufzubrechen, die sich im Rahmen der doppelten Naturalisierung in die Dinge und die Körper eingeschrieben haben und so symbolische Gewalt ausüben“ (Bourdieu 2001: 232 f.; Herv. i. O.). Ähnlich wie T. W. Adorno sieht P. Bourdieu die Gesellschaft von einem kontinuierlichen Machtzuwachs der Ökonomie geprägt und die „Unabhängigkeit der Produktion und der Verbreitung von Kultur durch das Eindringen der Marktlogik auf allen Ebenen […] in ihren Grundlagen“ bedroht (Bourdieu 2001: 83). P. Bourdieu geht es hier v. a. darum, die Weltdeutungen der Intellektuellen und der Künstler gegen eine fortschreitende Dominanz ökonomischen Denkens zu verteidigen. Seine These einer Ökonomisierung der K. ist bis heute im kunstsoziologischen Diskurs präsent. So wird vielerorts ein Bedeutungsverlust staatlicher Museen im Rahmen der gesellschaftlichen Zuschreibung von K., eine zunehmende Orientierung der künstlerischen Produktion an der Marktnachfrage und eine Substitution kunstinteressierter Sammler durch investitionsorientierte Käufer diagnostiziert. Man sieht das Kanonisierungs- und Wertbildungsvorrecht der K.-Geschichte unter den Einfluss ökonomischer Kräfte geraten und den Marktpreis zum zentralen Kriterium für künstlerischen Wert werden. K. wird dann der Verlust ihrer gesellschaftlichen Bedeutung als kritische Instanz diagnostiziert. Was hier v. a. beklagt wird, ist der Bedeutungsverlust eines bildungsbürgerlichen K.-Verständnisses im Rahmen der Expansion des künstlerischen Feldes und der damit einhergehenden Inklusion neuer Käufergruppen. Gegen derartige Diagnosen einer vollständigen Ökonomisierung des künstlerischen Feldes zeigt Nina Tessa Zahner in ihrer methodisch an P. Bourdieu anschließenden feldanalytischen Studie „Die neuen Regeln der Kunst“ (2006), dass seit den 1960er-Jahren ein Ausdifferenzierung des K.-Feldes stattgefunden hat, in deren Rahmen sich ein Feld der erweiterten Produktion ausgebildet hat. Dies ist durch ein multiples Ineinandergreifen von Mechanismen der Ökonomie und der reinen K. geprägt und zeichnet sich durch eine veränderte Bedeutung von Marktpreisen, Massenmedien und Mittelklassepublikum bei der Legitimsetzung von K. aus. Demnach lässt sich vielmehr eine Ausdifferenzierung und Pluralisierung bzw. multiple Segmentierung des K.-Feldes beobachten, in deren Rahmen unterschiedliche Modi der Produktion von Wert zur Anwendung kommen, als dessen vollständige Ökonomisierung. Zu ähnlichen Diagnosen gelangen auch die Soziologin Natalie Heinich, der Anthropologe Néstor Garcia Canclini, die K.-Wissenschaftlerin Isabelle Graw und der französische Philosoph Jacques Rancière. Man sieht ein Aufbrechen des Deutungsmonopols der bürgerlich-intellektuellen Fraktion, das in einer multiplen Ausdifferenzierung oder Grenzauflösung des künstlerischen Feldes resultiert, das aber nicht mit einer vollständigen Ökonomisierung des künstlerischen Feldes gleichzusetzen ist. Vielmehr offenbaren diese Prozesse ein massives empirisches Forschungsdefizit hinsichtlich der Praxis der Wahrnehmung von K. durch verschiedene Akteure. Bis heute existieren kaum empirische Studien darüber, welche Kategorien Laien zur Wahrnehmung von K. und zu deren Bewertung heranziehen, auf welche ästhetischen oder historischen Konzepte sie Bezug nehmen, wie sich ästhetische und außerästhetische Referenzen in der Praxis der K.-Wahrnehmung miteinander verbinden etc. Es fehlen empirische Arbeiten, die ohne eine normative Aufladung die Bezugsrahmen des Publikums empirisch zu rekonstruieren suchen. Gegenwärtig werden daher vermehrt Forderungen nach einer Soziologie der sinnlichen Wahrnehmung laut (Smudits u. a. 2014). Dies auch vor dem Hintergrund, dass man die K. von einem marginalen Gegenstandsbereich der soziologischen Forschung zunehmend in deren Zentrum rücken sieht. Gegenwartsgesellschaften sind demnach v. a. über ein tiefgreifendes Verständnis der Entwicklungen der K. zu begreifen, reflektiert dieses doch fortwährend die Existenz von Uneindeutigkeiten und Kontingenzen. K. kommt nach Niklas Luhmann heute die grundsätzliche Aufgabe zu, „die Welt des auch Möglichen in der Welt erscheinen zu lassen und das durch die herrschenden Formen Benachteiligte zur Geltung zu bringen“ (Luhmann 1995: 93). K. zeigt so letztlich die Polykontextualität und Hyperkomplexität moderner Gesellschaften auf und erweist sich damit als das zentrale Paradigma der modernen Gesellschaft. Sie macht Pluralismus, Relativismus, Historismus als Strukturmerkmal der Moderne sichtbar und bringt, wie Armin Nassehi in der „Gesellschaft der Gegenwarten“ (2011) herausstellt, Bedeutung ständig performativ hervor.