Pragmatismus

Der P. ist eine philosophische Strömung, die um 1870 herum in den USA entstanden ist. Zum „klassischen“ P. zählen Charles Sanders Peirce, William James, George Herbert Mead und John Dewey. Mit dem Aufkommen der sprachanalytischen Philosophie (Analytische Philosophie) verlor der P. in den USA in den Jahren nach dem Tod J. Deweys deutlich an Einfluss. Seit den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts aber gibt es eine Renaissance und Fortführung des P., die ihn – nach langen Jahrzehnten vorurteilsbehafteter Missverständnisse – auch in der deutschsprachigen Philosophie an Wirkung gewinnen lässt. Zu den Neo-Pragmatisten zählen Richard Rorty, Hilary Putnam und Robert Brandom, Einflüsse des P. lassen sich bei Hans Joas, Jürgen Habermas, Karl-Otto Apel und Axel Honneth nachweisen.

Der v. a. von W. James geprägte Begriff P. geht zurück auf das Griechische to pragma, was u. a. „Handeln“, „Tun“ oder „Tätigkeit“ bedeutet. In seiner Vorlesung „Was heißt Pragmatismus?“ von 1907 fordert W. James von der pragmatischen Methode, dass sie „jedes Urteil in Hinblick auf seine jeweiligen praktischen Folgen“ untersuchen soll (James 2001: 61). Die Bedeutung von Urteilen und Begriffen wird also im P. unter Verweis auf die wahrnehmbaren Wirkungen betrachtet, die sich durch die Verwendung bestimmter Begriffe und Urteile ergeben. Entscheidend ist die Frage, welchen praktischen Unterschied es macht, einen Begriff so oder so zu verwenden oder zu verstehen. Bes. provokant ist die Anwendung dieser „Methode“ auf die Wahrheitsfrage, die auf eine Kritik der Korrespondenztheorie der Wahrheit hinausläuft. Die Wahrheit oder Falschheit einer Aussage erweist sich an ihren praktischen Konsequenzen, eine Aussage ist nicht wahr oder falsch, sie wird es, Aussagen sind Hypothesen, die verifiziert oder falsifiziert werden müssen. V. a. J. Dewey unterfüttert diese Kritik an überkommenen Erkenntnistheorien mit einer Handlungstheorie, nach der Intelligenz darin besteht, problematisch gewordene oder unterbrochene Gewohnheiten unter Berücksichtigung situativer Aspekte neu zu justieren. Ausgangspunkt dieser Überlegungen ist die große Bewunderung für die Methoden der neuzeitlichen Naturwissenschaft, deren Zweck v. a. darin besteht, mit Hilfe zunehmend verbesserter experimenteller Verfahren intersubjektiv überprüfbare Einsichten und Ergebnisse zu erzielen und damit natürliche Abläufe besser zu kontrollieren.

Nicht zuletzt aufgrund der Zentralität des Handelns wird dem P. oft vorgeworfen, sich bloß am Nützlichen oder gar praktisch Effizienten zu orientieren, ein Vorwurf, den schon J. Dewey verhandelt, wenn er fragt, ob der P. „das Denken und die Vernunfttätigkeit partikulären Zielen des Interesses und des Gewinns“ unterordnet (Dewey 2003: 18). In Erwiderung dieser Vorwürfe betont der P. seine Weigerung, Handeln oder gar nützliches Handeln als Zweck an sich zu begreifen. Handlungen sind Mittel, die eingesetzt werden, um die Realität in problematisch gewordenen Situationen zu modifizieren. Die normative Orientierung des P. zielt auf die experimentell gestützte Suche nach den Bedingungen eines aufgeklärten, rationalen Lebens in demokratischer Gemeinschaft. In diesem Sinne hat der P. Themen wie Politik, Ethik oder Religion einer genaueren Analyse unterzogen, sodass von einer spezifisch pragmatischen Version der Politik, Ethik oder Religion gesprochen werden kann.

1. Politik

Die politische Philosophie des P. ist wesentlich von J. Dewey geprägt worden, der in zahllosen Schriften eine Form radikaler experimenteller Demokratie entworfen hat. Ähnlich wie wissenschaftliche Experimentiergemeinschaften sieht J. Dewey Demokratien als Kooperationsgemeinschaften, in denen die Folgen politisch relevanter Handlungen öffentlich diskutiert und unter Berücksichtigung aller beteiligten Perspektiven beraten werden; falsche Entwicklungen müssen auf dieser Basis jederzeit revidiert werden können, egalitär wird eine Demokratie dadurch, dass keine Perspektive von dieser Beratung ausgeschlossen werden darf. V. a. der frühe J. Dewey weigert sich darüber hinaus, Demokratie nur institutionell zu begreifen, sie ist eine Lebensform, die sich in Einstellungen, Charaktermerkmalen und typischen Tugenden offenbart. In seinem späteren Werk „Die Öffentlichkeit und ihre Probleme“ (1996) untersucht J. Dewey das Schicksal der Demokratie im Kontext moderner, hochdifferenzierter Gesellschaften. Er legt sich nun Rechenschaft über die komplexe Struktur moderner Gesellschaften ab, die eine politische Vertretung einzelner Interessen schon allein deswegen nötig macht, weil unter Bedingungen wachsender sozialer Interdependenz immer mehr Akteure nur noch indirekt von den Handlungen anderer betroffen werden und aufgrund der Undurchsichtigkeit der Handlungszusammenhänge nicht direkt ohne Schaden auf das Geschehen einwirken können. Öffentlichkeit ist in dem Augenblick hergestellt, in dem es einer hinreichend großen Anzahl von Individuen gelingt, die für sie spürbaren, von anderen ausgelösten Handlungsfolgen zum Gegenstand politisch-staatlicher Intervention zu machen. Dieser handlungstheoretische Öffentlichkeitsbegriff wird von bildungsphilosophischen Überlegungen flankiert – maßgeblich v. a. „Demokratie und Erziehung“ (Dewey 1993) –, in deren Rahmen der Schule die Aufgabe zufällt, die Schüler in erfahrbarer Weise in jene Formen der kooperativen Problemlösung einzuführen, die auch für die demokratische Gesellschaft im Ganzen relevant sind. Gefahren drohen dieser Demokratie nicht nur durch wirklichkeitsverzerrende theoretische Modelle eines atomistischen Liberalismus, sondern auch durch jene Prozesse kapitalistischer Konzernbildung (Kapitalismus), durch die all die assoziativen Kontexte ausgetrocknet werden, in denen die Individuen ihre intersubjektive Verwiesenheit auf handlungswirksame Weise verwirklicht sehen. Gefahrbringend für die Öffentlichkeit ist schließlich der Einfluss der Experten, die kollektive Handlungsprobleme zunehmend unter spezialisierte Begrifflichkeiten bringen und damit systematisch die Bildung einer „Großen Gemeinschaft“ (Dewey 1996: 125) verhindern, in deren Rahmen Freiheit als Entbindung und Erfüllung persönlicher Potenzen begriffen wird, welche sich nur in einer reichen und mannigfaltigen Assoziation mit anderen entfalten.

In der neueren Rezeption der politischen Überlegungen J. Deweys herrschen drei Strategien der Anknüpfung und modifizierenden Fortführung vor:

Bes. einflussreich sind die Versuche R. Rortys geworden, unter Berufung auf J. Dewey eine neopragmatische Form der Demokratietheorie zu entwerfen. Sie geht davon aus, dass mit der Korrespondenztheorie der Wahrheit auch alle Bemühungen hinfällig werden, philosophische, metaphysische oder auch nur universalistische Grundlagen der politischen Theorie ausfindig zu machen. Die damit empfohlene Vorrangstellung der Demokratie vor der Philosophie mündet in einen „Ethnozentrismus“, demgemäß nur das als „wahr“ oder „richtig“ gilt, was man vor den Bürgern rechtfertigen kann, mit denen überhaupt ein „fruchtbares Gespräch“ möglich ist. Transkulturelle oder universalistische Wahrheits- oder Richtigkeitsansprüche verlieren ihren Sinn oder werden in den Raum des Privaten verschoben. Die Berufung auf den P. dient dazu, die politische Theorie ihres vermeintlich philosophischen Ballasts zu entledigen, sieht sich aber zahlreichen Vorwürfen ausgesetzt, die u. a. bestreiten, dass R. Rorty sich zu Recht auf J. Dewey berufen kann.

Weniger explizit als implizit ist der Einfluss, den J. Dewey auf J. Habermas und die Theorien der deliberativen Demokratie ausgeübt hat. Nicht anders als J. Dewey bekämpft J. Habermas Zuschauermodelle der Erkenntnis; dem Paradigma der Bewusstseinsphilosophie möchte er ein Modell kommunikativer Vernunft entgegensetzen; ähnlich wie J. Dewey verwirft auch J. Habermas die Reduktion von Vernunft (Vernunft – Verstand) auf eine instrumentelle Funktion; das Modell der kommunikativen Vernunft bringt es mit sich, dass auch über Ziele und Zwecke vernünftig verhandelt werden kann. Schließlich entwirft J. Habermas ein Modell radikaler Demokratie, das sich ebenfalls weigert, Demokratie nur institutionell zu verstehen. Die die wesentlichen gesellschaftlichen Institutionen leitenden Normen und Prinzipien müssen die ungezwungene Zustimmung all derer finden können, die von ihnen betroffen sind. Diese Zustimmung entspringt im besten Fall einem öffentlichen Diskurs, in dessen Rahmen Gründe und Argumente zwanglos ausgetauscht werden, um in einem allgemein akzeptablen Konsens zu münden.

Ein stärker anerkennungstheoretischer Ansatz der Dewey-Rezeption interessiert sich für die motivationalen und sozialen Voraussetzungen der Teilnahme an diskursiven Öffentlichkeiten und vermutet im Modell einer vorpolitisch sich entfaltenden gesellschaftlichen Kooperation eine Antwort auf die Frage nach den Bedingungen politischer Partizipation (A. Honneth). J. Deweys politische Philosophie wird damit zwischen liberalen, republikanischen und prozeduralen Demokratietheorien angesiedelt. Von liberalen Ansätzen trennt sie die Kritik am atomistischen Begriff des Individuums und der expansive Demokratiebegriff; von republikanischen Modellen (Republikanismus) distanziert sich J. Dewey in dem Maße, in dem er die politische Sphäre nicht als wesentlichen Raum einer private Interessen transzendierenden Vergemeinschaftung konzipiert, sondern eine vorpolitische, arbeitsteilig strukturierte Kooperationssphäre als Quelle der Selbstverwirklichung und als motivationale Basis politischer Partizipation zulässt. Vom Prozeduralismus schließlich trennt J. Dewey nicht nur das Interesse an den sozialen und motivationalen Quellen politischer Partizipation, sondern auch die Bereitschaft, ein ethisches Modell der Selbstverwirklichung bis in den Raum des Politischen hineinreichen zu lassen und somit eine Formalisierung argumentativer Praktiken zu verweigern. Da J. Dewey stets darauf insistiert hat, dass sich die besonderen Eigenschaften eines Individuums nur in der kooperativ orientierten, freien Teilnahme an einem gemeinsamen Leben verwirklichen lassen, hat man mit Blick auf seine Variante der politischen Philosophie von einem „zivilen“ oder „kommunitaristischen“ Liberalismus gesprochen.

2. Ethik und Religion

Während unumstritten ist, dass es eine eigenständige pragmatische politische Philosophie gibt, ist weniger klar, ob es auch eine eigenständige Ethik des P. gibt. Die Werke J. Deweys, die den Namen „Ethik“ (2008) tragen, thematisieren v. a. konkurrierende Theorien wie die Tugendethik, die deontologische Ethik und den Utilitarismus, entwickeln aber kaum je ausführlich eine eigenständige Position. Freilich zeigt sich bei genauerem Hinschauen, dass sich doch systematische Schlussfolgerungen ziehen lassen, die zwar kaum eine substanzielle Ethik ergeben, sehr wohl aber Hinweise auf eine angemessene Methodik ethischer Reflexion. Getreu der pragmatischen Orientierung am Handeln wird nämlich ethische Reflexion erst dann relevant, wenn eingespielte Handlungsmuster gestört werden und verschiedene, bereits als legitim anerkannte Forderungen miteinander konfligieren. Die Diskussion verschiedener ethischer Ansätze dient insofern nicht dazu, die eine richtige Ethik zu formulieren, sondern soll helfen, die stets situativ zu klärende Frage zu beantworten, aus welcher Handlung sich jeweils die besten Konsequenzen ergeben. In diesem Sinne lässt sich die Grundausrichtung der pragmatischen Ethik als konsequentialistisch beschreiben, ohne dass allerdings sehr genau angegeben wird, welche Konsequenzen als gut oder moralisch vorzugswürdig zu kennzeichnen sind. Es fehlt schlicht eine gehaltvolle Theorie axiologischer Werte, deren Verwirklichung als normativ wünschenswert ausgezeichnet wird. Verlässt die pragmatische Ethik allerdings doch einmal ihre prozeduralistische Ergebnisoffenheit, kommen mindestens zwei stärker substanzielle Momente ins Spiel. Zum einen gibt es den Versuch, das moralisch Richtige nicht mit dem individuell Guten konfligieren zu lassen. Das individuelle Gut der Selbstverwirklichung soll, mit anderen Worten, mit einer Orientierung am Gemeinwohl bzw. mit der „Dezentrierung des Handelnden auf einen anderen hin“ (Joas 1997: 185) gekoppelt sein. Zum anderen zeigt sich, dass die Wahrnehmung moralischer Konflikte, die überhaupt Auslöser der ethischen Reflexion ist, selbst schon der Fähigkeit entspringt, plurale Werthorizonte als gleichgewichtig anzuerkennen. Es gehört zur Tugendhaftigkeit des moralischen Akteurs, ein Sensorium für die Vielfalt berechtigter moralischer Ansprüche zu haben und somit über eine Krisenwahrnehmung zu verfügen, die keine Lösung entlang einsinnig dogmatischer Positionen zulässt, sondern eher nach einer kreativen Neugewichtung vorhandener moralischer Bewertungsoptionen verlangt. Gerade J. Dewey ist sich darüber im Klaren, dass eine derart für moralische Pluralität offene Persönlichkeit keine Selbstverständlichkeit ist und sucht in seinen erziehungstheoretischen Schriften die Faktoren zu beschreiben, die zur Bildung eines pluralitätssensiblen Charakters führen. Die demokratische Schule fördert die freie „Wechselwirkung zwischen verschiedenen sozialen Gruppen“ (Dewey 1993: 115) und entbindet so auf der Ebene des Individuums eine größere „Mannigfaltigkeit persönlicher Fähigkeiten“ (Dewey 1993: 121). Ein moralischer Charakter stellt sich nicht von selbst ein, die Sensibilität für plurale moralische Perspektiven bedarf sozialer Räume, in denen sich Individuen unterschiedlicher sozialer Herkunft begegnen können. Man kann J. Deweys Ethik als eine Ethik der Pluralität verstehen und damit auch als eine Ethik der Demokratie, die damit als Lebensform einen moralischen Charakter gewinnt.

In den Augen mancher Interpreten freilich führt diese moralische Aufwertung der Demokratie zu ihrer „Sakralisierung“ (Joas 1997: 188). Die Bindung an höhere Ideale, die samt der dazu passenden Transzendenzerfahrung sonst eher in religiösen Kontexten vollzogen wird, wandert gleichsam in demokratische Kommunikationen ein, die im besten Fall das punktuelle reale Vorscheinen einer stets nur imaginären, ganzheitlich orientierten Selbstverwirklichung bereit halten und daraus einen Teil ihrer Motivationskraft beziehen. Nicht anders als in W. James’ psychologisch orientierter Beschreibung der „Vielfalt religiöser Erfahrung“ (James 1997) wird Religion damit entinstitutionalisiert und entweder zum potenziellen Bestandteil einer jeden Erfahrung (J. Dewey) oder aber zur normalen Emotion (etwa Furcht), die nur dann einen religiösen Charakter annimmt, wenn sie sich auf religiöse Objekte richtet (W. James). In diesem stark erfahrungsorientierten oder bloß psychologischen Zugang zur Religion zeigt sich allerdings ein gewisses Desinteresse an der Rolle, die Institutionen für die Ausbildung eines moralischen Charakters, eines demokratischen Selbstverständnisses oder eines religiösen Glaubens besitzen. Mit Blick auf das demokratische Selbstverständnis zeigt sich, dass dieser Vorwurf die gewichtige Rolle der Schule (man könnte hinzufügen: und der modernen Wissenschaft) für J. Dewey übersieht. Dennoch kann festgehalten werden, dass die pragmatische praktische Philosophie vermutlich deshalb im Konzert der unterschiedlichen politik-, religions- und moralphilosophischen Ansätze der Gegenwart weniger Gehör findet, weil sie in ihren konkreten institutionellen Implikationen oft unspezifisch bleibt. Erst langsam gibt es Versuche, eine spezifisch pragmatische Perspektive auf typische Themen der neueren Ethik zu entwerfen.