Kirchenbau

  1. I. Theologische Grundlegung
  2. II. Kunsthistorisch (im Westen)

I. Theologische Grundlegung

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Als K. kann jegliches Bauen im kirchlichen Zusammenhang, also im liturgischen, caritativen, kommunitären, repräsentativen, memorialen oder administrativen Kontext, bezeichnet werden. Im engeren und hier v. a. beschriebenen Sinn aber meint K. das dem dauerhaften liturgischen Vollzug gewidmete Bauen bzw. Gebäude. Hierfür hat sich im Germanischen/Deutschen das Wort Kirche (von griechisch kyriaké, wörtlich zunächst „die zum Herrn gehörende“, nämlich „Wohnstatt“ oder „Hausgemeinschaft“), im Lateinischen das Wort ecclesia (hier nun als Gläubigenversammlung) durchgesetzt. Zwar unterscheidet sich der K. rein bautechnologisch und materiell bis heute nicht wesentlich vom repräsentativen Profanbau, jedoch reichen seine Symbol- und Funktionsgestalt erheblich über diesen hinaus, weil sich nahezu alle ästhetischen Parameter des K.s bedeutungstragend vom christlichen Glauben und von dessen ritueller Feier ableiten.

1. Glaubens- und Kirchenverständnis

Dem alttestamentlichen Glauben gemäß kann Gott nicht an einer bestimmten Stelle thronen, sondern er ist überall dort präsent, wo sein Name geheiligt wird. Der trinitarisch geglaubte Gott des Christentums kennt ebenfalls keine feste Wohnstatt seiner physischen Präsenz, sondern ist dort gegenwärtig, „wo zwei oder drei in meinem [d. h. Jesu] Namen versammelt sind“ (Mt 18,20). Im Namen Jesu bedeutet: in der Verwirklichung des Liebesgebots Jesu (vgl. Joh 13,34), das den Kern der Menschwerdung Gottes ausmacht. Die Evangelien entfalten das Liebesgebot in dreifacher Weise: Gottes-, Nächsten- und Selbstliebe. Insofern kann der Apostel Paulus mahnen: „Wisst ihr nicht, dass ihr Gottes Tempel seid und der Geist Gottes in euch wohnt?“ (1 Kor 3,16). Folgerichtig kritisiert Paulus die pagane Vorstellung der Ortsgebundenheit Gottes (Apg 7,48). Da aber jede geistige Vorstellung des Menschen als leibgeistigem Wesen nach physischer Realisation drängt, bedürfen auch der christliche Gottesdienst und der sozialcaritative Nächstendienst umbauter Räume. Neu und eigens für das Christentum werden diese aber zunächst nicht errichtet, weil die ersten Christen ganz im paulinischen Sinn noch in Synagogen und Privathäusern beten und wirken.

Die frühest belegbaren, eigens für den christlichen Kult hergestellten Räumlichkeiten sind keine puren Gebets- und Kultfeier-Räume, sondern Grabbauten, die den Leib der im Auferstehungsglauben verstorbenen Christen bergen. Dem lag der Glaube zugrunde, dass es tatsächlich die physischen Überreste des Leichnams seien, die bei der Auferweckung in einen verklärten Leib verwandelt würden. Das macht die intensive kultische Dauerbindung an den bestatteten Leichnam plausibel, die das gläubige Totengedenken (Memoria) der Christen in bes. Weise am Bestattungsort (sepulcrum) verankert.

Als Christen im Zuge der Christenverfolgungen seit Mitte des 1. Jh. hingerichtet werden, werden sie von den hinterbliebenen Mitchristen als Märtyrer verehrt, und ihre Memoria erhält einen über das gewöhnliche Grab weit hinausragenden Stellenwert: Das Märtyrergrab wird zur sichtbaren Manifestation inkorrumpierbaren Christusglaubens. Wurde bis zu Beginn des 3. Jh. die Eucharistie vornehmlich in Privathäusern gefeiert, wird sie ab der Zeit der systematischen römischen Christenverfolgungen zusätzlich am Grab der Märtyrer begangen: Die Verbindung von Eucharistie und Heiligengedenken wird somit zum zentralen Motiv des K. s. Im Herrenmahl und im Jahresgedächtnis der Heiligen erlebt die Gemeinde vergegenwärtigende Erinnerung (griechisch anámnesis, lateinisch commemoratio) sowie Gemeinschaft des irdischen und himmlischen Gottesvolkes. Indem das Gottesvolk der vergangenen Rettungstaten des Herrn gedenkt, kann es in der Dynamik dieses Heilswirkens die Gegenwart gestalten, damit seine Mission in der Zukunft Erfüllung findet. Dieser dreigliedrige Gedanke ist fortan gewissermaßen der symbolgebende Matrix-Plan des K.s, wobei je nach Epoche und Ort eher der heilserinnernde oder eher der erlösungserwartende Aspekt im Vordergrund steht.

Die vertikal-polare Verbindung von Tod (retrospektiv) und Auferstehung/Wiederkunft (prospektiv) Christi wird ab der konstantinischen Wende Programm des K.s. Als sich das Christentum schließlich öffentlich unbehelligt zeigen kann, visualisiert der K. das Oster-Bekenntnis als große Tageslicht-Inszenierung. Weil Jesus Christus sich selbst als Licht ausweist (Joh 8,12), weil er im östlichen Licht des Morgens auferstand und weil sein apokalyptisches Wiederkommen biblisch-messianisch als Anbruch des ewigen Tags angekündigt ist, ist die Licht-Motivik im Vergleich mit dem paganen Kultraum das typischste Merkmal des K.s, das von Epoche zu Epoche gesteigert und verfeinert wird.

Bereits das frühe Christentum sieht die Kirche als kosmisches Schöpfungswerk Gottes, weil Christus die „Offenbarung keines anderen Gottes als des Schöpfers“ (Tertullian) ist und die Kirche als Stiftung des Pantokrators Christus in dessen Namen die „Heilsverwaltung“ für die hierarchisch gegliederte irdische Gesamtschöpfung wahrnimmt. Diesem Glauben gemäß wird in jeder Eucharistie der kosmische Schöpfungsakt Gottes gegenwärtig gesetzt, der das Leben des Menschen sinnvoll ordnet und auf das Vollendungsziel der ewigen Seligkeit, des „Himmels“, hin ausrichtet. Dieses kosmologische Christus- und Kirchenverständnis greift v. a. der K. der Ostkirche ästhetisch auf (Kuppel/Kreis, Tetragon, Oktogon etc.). Als Glaubensanalogie für die am Ende der Zeiten universale Neuschöpfung übernimmt die Kirche das jüdisch-apokalyptische Sehnsuchtsmotiv des „himmlischen Jerusalems“, also des auf ewig bestehenden perfekten Gottesreiches (Reich Gottes). Das himmlische Jerusalem als Ziel der immerfort pilgernden Kirche bildet sich im K. des Mittelalters in zahlreichen architektonischen Anspielungen ab.

Je mehr der K. über die rein pragmatische Funktion hinaus zu einem Stein gewordenen Lehr- und Andachtsbild des christlichen Glaubens wurde, desto mehr kollidierte er mit dem frühchristlich rezipierten jüdischen Bilderverbot. Insofern aber Christus als „Bild des unsichtbaren Gottes“ (1 Kol 1,15) geglaubt wird, legitimiert dies auch jene bildhaft-katechetischen K.-Elemente, die – mit je unterschiedlicher Akzentuierung – Aspekte des Evangeliums Christi architektonisch zum Ausdruck bringen. Der K. erhält nun ein zunehmend ausdifferenziertes Bildprogramm in Malerei, Skulptur und Dekor. Die Definition der beiden Naturen in Christus durch die frühen Konzilien ist insofern mittelbar eine wichtige Grundlage für K. als „gebaute Theologie“.

Die radikalen Reformatoren des 15. und 16. Jh. (Huldrych Zwingli, Johannes Calvin) lehnten in strenger Lesart des alttestamentlichen Bilderverbots die Anfertigung christlicher Bildwerke grundsätzlich ab, denn sie befürchteten die Gleichsetzung des Abbildes mit dem Urbild und infolgedessen Idolatrie. Die Reformierten behalten dieses Konzept bis heute weitgehend bei, während die lutherischen Kirchen stets eine moderatere Einstellung zur figurativen Bildlichkeit im K. hatten und sich heute dem Konzept des Andachtsbildes öffnen.

So anschlussfähig und inspirierend die biblisch-theologischen Grundlagen stets für den K. waren, so mangelt es doch umgekehrt während der gesamten Theologiegeschichte an einer systematisch-theologischen Reflexion des K.s. Lediglich an den Rändern praktischer theologischer Dispute scheint hier und da der K. aspekthaft auf. Erst nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil heben in der westeuropäischen Liturgiewissenschaft und Pastoraltheologie konzeptionelle theologische Überlegungen bzgl. des K.s an, die freilich vielfach noch disparat sind, in weiten Teilen der Weltkirche noch nicht diskutiert werden und einer übergreifenden Bündelung harren.

2. Liturgische Ausdrucksgestalt

I. S. d. dreifachen Liebesgebots Jesu Christi vollziehen sich im christlichen Kult Realpräsenz Gottes, Communio und Heiligung. Diese drei Dimensionen: absteigend (katabatisch), vergemeinschaftend (horizontal) und aufsteigend (anabatisch) manifestieren sich bereits ab dem 2. Jh. in zunehmend aufgefächerten Riten – v. a. der Feier der Eucharistie –, die von der Kirche geordnet werden. Hierfür hat sich nach der Spätantike der Begriff Liturgie (griechisch leiturgia = Dienst) etabliert. Die drei Dimensionen der Liturgie bilden sich von Anfang an im K. ab: Neben Sakramentsfeiern finden auch diakonische Akte wie Armenspeisung und Krankenpflege über Jahrhunderte ihren Ort im K., oft sogar in ein- und demselben Raum. Erst nach dem Tridentinischen Konzil findet eine zunehmende räumliche Trennung statt. Je nach Kirchen- und Theologieepoche werden die Liebesdimensionen liturgisch unterschiedlich akzentuiert oder geraten z. T. ganz in den Hintergrund. Dies spiegelt sich architektonisch und bildkulturell auch in der sich stetig wandelnden ästhetischen Gestalt des K.s deutlich wider.

Taufe und Eucharistie bilden unmittelbar seit Beginn des Christentums die Hauptvollzüge der Liturgie und erhalten für ihren rituellen Akt jeweils eigene bauliche Orte innerhalb des K.s. Taufe und Eucharistie werden zunächst in getrennten, eigenen K.ten gefeiert, seit dem Hochmittelalter überwiegend in ein- und demselben K. Die Liturgie des Bußsakraments in Gestalt der Einzelbeichte findet wohl erst im Hochmittelalter Eingang in den K.

Seit dem 3. Jh. wird der K. im Rahmen der ersten dort gefeierten Messe vom Ortsbischof oder einem von diesem eingesetzten Vertreter geweiht. Ausgehend von der räumlichen Verknüpfung mit einer Memoria erhält der liturgische K. bei seiner Weihe das Patrozinium eines Heiligen, welches fortan namengebend ist. Anders als beim paganen Tempel bedeutet die Kirchweihe keine dinghaft sakrale Aufladung der Materialien des K.s, sondern die Kirchweihe-Gebete meinen, dass dieser Ort fortan für Gebet und Liturgie bestimmt ist (dedicatio). Die Sakralität des K.s ist somit weder eine architektonisch-materielle noch eine gestalterische Kategorie, sondern stets liturgisch handlungsbezogen. Als Sakramentale wirkt die Kirchweihe „auf ewig“ (Weihegebet des Bischofs). Die Profanierung einer Kirche ist theologisch und kirchenrechtlich zwar möglich, bringt aber dennoch Schwierigkeiten mit sich, die geistlicher wie liturgietheologischer Natur sind und sich letztlich nicht vollends befriedigend auflösen lassen. Kann in einem K. aber gar nicht mehr die Liturgie gefeiert werden und scheint es deshalb pragmatisch plausibel, diesen zu profanieren, muss für diesen formellen Akt die Patroziniumsreliquie aus dem Altar entfernt werden. Einige Teilkirchen praktizieren einen eigenen Profanierungsritus.

Die Reformatoren verabschiedeten sich vom Glauben an eine eigenständige Heilswirkung der Eucharistie. Demzufolge verloren in den Kirchen der Reformation Andachtsbild und eucharistische Vollzugs- und Aufbewahrungsorte (Altar, Tabernakel etc.) an Bedeutung, bis hin zur völligen Entfernung. Einzig das Wort der Bibel (sola scriptura) sollte fortan Leitmotiv des Gottesdienstes sein, um das herum sich alle anderen liturgischen Vollzüge konzentrisch lagern. Dies hatte erhebliche Auswirkungen auf die Funktions- und Ausdrucksgestalt des protestantischen K.s.

Die umfassende Liturgiereform im Nachgang des Zweiten Vatikanischen Konzils hat beim K. zu unterschiedlichen Raumkonzepten geführt wie etwa dem Versuch, in ein- und demselben Mehrzweckraum sowohl liturgische als auch profane Gemeinde-Aktivitäten durchzuführen, oder der Idee, die Polarität der „beiden Tische“ des Wortes und des eucharistischen Mahls architektonisch abzubilden. Während Ersteres sich nicht durchsetzen konnte, wird Letzteres im K. vereinzelt und modifiziert bis heute praktiziert.

Da sich in der Liturgie nicht nur horizontale, sondern auch kata- und anabatische Kommunikation vollziehen, gelten im K. andere Verhaltensregeln als im Profanbau, wie z. B. das Absetzen der Kopfbedeckung, die Tauferinnerung durch das Wasser, die Kniebeuge oder Verneigung und das Kreuzzeichen. Das alles dient dazu, die erweiterte Wirklichkeitsebene der Kommunikation zwischen Gott und den Menschen im Raum körperlich erfahrbar zu machen. Liturgie-Räume zu bauen, die dieses erweiterte Wirklichkeitsverständnis mittragen, ist die Hauptaufgabe des K.s, ganz gleich, ob eine neue Kirche errichtet oder eine vorhandene umgewandelt wird. Dabei ist den funktionalen Anforderungen der unterschiedlichen liturgischen Feierformen wie Eucharistie, Taufe, Tagzeitenliturgie, Andachten, Wort-Gottes-Feiern und Meditationsgottesdiensten zu entsprechen.

II. Kunsthistorisch (im Westen)

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a) Bis ca. 1000: Seit dem 3./4. Jh. differenzieren sich öffentliche christliche Kultlokale in verschiedene Funktionsbereiche für Gemeinde, Kleriker, Katechumenen, Taufe (Dura Europos, Aquileia). Mit der Erhebung des Christentums zur Staatsreligion entstehen seit Anfang des 4. Jh. monumentale mehrschiffige, ungewölbte Basiliken (Rom, San Giovanni in Laterano, ab ca. 312/13; Alt-St. Peter, ab 320; Jerusalem, Grabeskirche, ab 326; Rom, Santa Maria Maggiore, 5. Jh.). Daneben sind oströmische monumentale Kuppelbauten mit Annexräumen nach dem Vorbild der Hagia Sophia in Konstantinopel (Ravenna, San Vitale, 537) einflussreich. Nach regional diversen Entwicklungen orientiert sich der K. mit der Politik der Karolinger programmatisch an Rom bzw. Byzanz: Saint-Denis bei Paris (ca. 750) bezieht sich als Longitudinalbau mit Ringstollenkrypta und Querhaus auf Alt-St. Peter, der achteckige Zentralbau der Aachener Pfalzkapelle (um 800) auf S. Vitale in Ravenna.

b) Romanik: Seit dem späten 10. Jh. werden in ganz Europa monumentale, räumlich differenzierte (Krypta, Querhäuser, Seitenkapellen, Emporen, Chorumgänge etc.) und durchgehend gewölbte Kirchenbauten errichtet (Gernrode, nach 970; Hildesheim, St. Michael, 1010; Limburg an der Hardt, 1025; Speyer, Dom, erster Bau 1025–61, ab 1080 ersetzt durch gewölbten Umbau mit tiefem Mauerrelief; Toulouse, Saint-Sernin, ca. 1077; Santiago de Compostela, 1075; Mainz, 1100). Der Neubau (ab 1088) der Abteikirche Cluny realisiert den größten, anspruchsvollsten K. des Mittelalters, fünfschiffig, vollständig gewölbt, mit doppeltem Querhaus mit Kapellen und Chorumgang mit Kapellenkranz. San Ambrogio in Mailand und der Modeneser Dom beeinflussen die meist auf kommunale Bauträgerschaft zurückgehenden Sakralbauten Oberitaliens (Piacenza, Cremona, Verona, Parma). Der in der Mitte des 11. Jh. begonnene Neubau von San Marco in Venedig übernimmt als Kreuzkuppelkirche byzantinische Vorbilder. In England folgt auf die normannische Eroberung 1066 eine Welle von monumentalen Neubauten (Worcester, 1084; Canterbury, St. Augustin’s, Ende 11. Jh.; Winchester und Ely, nach 1100).

c) Gotik: In der Île-de-France gibt es ab ca. 1130 technische Innovationen im K. V. a. der Umgangschor der Abteikirche Saint-Denis (bis 1144) zeigt eine Synthese von schlanken Stützen, Spitzbogen und Kreuzrippengewölben, mit denen auch komplexe Räume eingewölbt werden können und große Fensteröffnungen mit Glasmalereien ermöglicht werden. Eine entscheidende Neuerung bildet das um 1210 zuerst in der Kathedrale von Reims eingebrachte Maßwerk (große Fensterrosen). Um 1200 zeichnet sich mit den Kathedralen von Bourges, Chartres, Reims und Amiens eine Straffung der Innenaufrisse mit hohen Obergaden ab, die einhergeht mit einer Steigerung der Mittelschiffshöhen auf bis zu 47 Meter (Beauvais). Hauptbeispiel einer gleichsam vollständig aus Glas errichteten Architektur ist die Pariser Sainte-Chapelle (1240–44). Der gotische K. im deutschen Reichsgebiet setzt in der Trierer Liebfrauen- und der Marburger Elisabethkirche (ca. 1235) mit der Rezeption Reimser Bauformen ein. Der Kölner Domneubau realisiert eine perfekte Synthese hochgotischer Bausystematik. In diesen durch umfassende Innovationsschübe entstandenen Entwicklungen lassen sich regionale Tendenzen unterscheiden, insb. die Backsteingotik in Osteuropa. Das klassische Kathedralenschema (Doppelturmwestfassade, Langhaus, Querhaus, Umgangschor) bleibt lange aktuell, wie z. B. für den Prager Dom (ab 1342), allerdings mit verkomplizierten Maßwerkdekorationen und Gewölbemustern. Dies prägt die Spätgotik bis in das frühe 16. Jh. Parallel dazu zeigt der sogenannte decorated bzw. der nachfolgende perpendicular style in England äußerst raffinierte Maßwerkdekorationen, die sich bis in die Gewölbe erstrecken, z. B. Kathedralen Salisbury, York (Querhaus), Worcester (Chor), Gloucester (Ostteile); Westminster Abbey, 1245; Lincoln (Angel Choir, 1330); Cambridge, King’s College, 1446. Auf der iberischen Halbinsel werden vielfach französische Vorbilder übernommen (Burgos, Toledo, ab 1220; León, ca. 1245).

d) Renaissance: Die Kirchenbauten Filippo Brunelleschis (Florenz, San Lorenzo, 1420) nehmen in ihren Architekturdetails antike Formen auf. In Abwendung von der Gotik beziehen sich die K.ten von Leon Battista Alberti auf den antiken römischen Massenbau und dessen Säulengliederungen (San Francesco in Rimini, 1450; San Andrea in Mantua, 1472). Ein komplexer Zentralbau auf dem Grundriss eines griechischen Kreuzes mit riesiger Kuppel wird von Donato Bramante für Neu-St. Peter in Rom ab 1505 entworfen, ab 1606 von Carlo Maderno durch Langhaus und Fassade ergänzt.

e) Barock: Ursprungsbau der barocken Disposition von Longitudinalbau mit Vierungskuppel und reich instrumentierter Schirmfassade bildet die Jesuitenkirche Il Gesù in Rom (seit 1568, Giacomo Barozzi da Vignola/Giacomo della Porta). Allerdings gibt es in den Grundrissen und Fassadenlösungen zahlreiche Variationen (z. B. Rom, San Ivo, 1642, San Carlo alle Quattro Fontane, 1638–62, Francesco Borromini; San Andrea al Quirinale, 1658, Gian Lorenzo Bernini; Turin, San Lorenzo, 1667, Guarino Guarini). Mit der Sorbonnekirche von Jacques Lemercier (1635) sowie mit Val-de-Grâce von François Mansart u. a. (1645) werden römische Barockfassaden auch in Paris realisiert. Die Hauptkirche der anglikanischen Kirche, Saint Paul’s Cathedral in London (1675, Christopher Wren), folgt in der langgestreckten Gesamtanlage mittelalterlicher Tradition. Die Trennung nach Konfessionen zeigt sich im K. verstärkt seit dem 17. Jh. (protestantische Quersäle und Zentralbauten). Wichtigster Bau ist neben der Hamburger Michaelskirche der Zentralbau der Frauenkirche in Dresden (1726–34, George Bähr). Die Gegenreformation bringt, seit der Erbauung der Münchener Jesuitenkirche St. Michael (ab 1590), prächtige K.ten mit aufwendiger Ausstattung (Stuck, Wandmalerei, Skulptur) v. a. im monastischen Bereich hervor (Wien, Karlskirche, ab 1715, Johann Bernhard Fischer von Erlach; Weltenburg, 1716, Gebrüder Cosmas Damian und Egid Quirin Asam; Vierzehnheiligen, 1743, Balthasar Neumann).

f) Klassizismus, Historismus, Moderne: Allenthalben werden barocke Lösungen seit Mitte des 18. Jh. durch klassizistische Idiome abgelöst, charakterisiert durch klare, lichte Räume und freistehende Säulen (Paris, Sainte-Geneviève/Panthéon, 1756, Jacques-Germain Soufflot; St. Blasien, 1774, Pierre d’Ixnard). Den Hintergrund des ab 1800 einsetzenden Historismus bilden u. a. ein neues Vergangenheitsbewusstsein und eine sich erneuernde Religiosität. V. a. mittelalterliche Stile (Neuromanik, Neugotik) dominieren den K. bis in das frühe 20. Jh. (Hamburger Nikolaikirche, 1846, George Gilbert Scott; Wien, Votivkirche, 1856, Heinrich Freiherr von Ferstel; Linz, Dom, 1862, Vincenz Statz; Paris, Sacré Coeur, 1875, Paul Abadie). Eine Synthese barocker Formen realisiert der Berliner Dom (ab 1894, Julius Carl Raschdorff). Mit der liturgischen Bewegung seit ca. 1900 formiert sich eine Abwendung von historistischen Auffassungen, die eine intensive Teilhabe der Gläubigen am Gottesdienst und/oder eine expressive Architektur fordert. In den 1920er Jahren gibt es Entwürfe mit stark bewegten Formen und spektakulären Lichteffekten (Sternkirchenprojekt 1922 und Essen, Auferstehungskirche, 1929, Otto Bartning; Messopferkirchenentwurf „Circumstantes“, 1922, Dominikus Böhm/Martin Weber; Köln, St. Engelbert, 1930, D. Böhm). Als konsequent entmaterialisierter Kubus bietet sich St. Fronleichnam in Aachen von Rudolf Schwarz (1928) dar. Eine epochemachende Betonkirche ist Notre-Dame in Le Raincy (1922, Auguste Perret). Nach dem Zweiten Weltkrieg entstehen um 1950 zahlreiche K.ten in einer betont abstrahierenden bzw. skulpturalen Formensprache (Ronchamp, 1951–55, Le Corbusier; Berlin, Gedächtniskirche, 1959, Egon Eiermann). Nach einer Epoche schlichter, multifunktionaler, nur zeitweise als Kirche zu nutzender Gemeindezentren in den 1970er Jahren hat die Forderung nach einem sakral konnotierten Ambiente im jüngeren K. neue Aktualität erhalten (Sogn Benedetg, 1988, Peter Zumthor; München, Herz Jesu, 1997, Büro Allmann Sattler Wappner).