Politikberatung

1. Einleitung

Seit Ende des Zweiten Weltkriegs ist in den westlichen Industrienationen die wissenschaftliche P. formal etabliert worden und hat in der Folgezeit starke Expansion erfahren. Genaue Zahlen dazu gibt es nicht. Aber in Ländern wie den USA, Deutschland oder England sind es jeweils hunderte von Gremien, Beiräten, Kommissionen und Ausschüssen, in denen Wissenschaftler als Berater der Politiker tätig sind. In einigen Ländern wie z. B. den USA und England, gibt es gar einen besonderen Wissenschaftsberater des Präsidenten (USA) bzw. des Premierministers. Neben den formal institutionalisierten Beratungsgremien innerhalb der Regierungen gibt es darüber hinaus eine vielfältige Beratungslandschaft in Form von wissenschaftlichen Instituten, die im Auftrag der Exekutive oder der Legislative Gutachten zu bestimmten Fragen erstellen, oder von Think Tanks, die auch ohne Auftrag beratend tätig werden. Außerdem bedienen sich Regierungen auch nicht-wissenschaftlicher Beratung, z. B. durch Experten aus der Wirtschaft oder durch Unternehmensberatungsfirmen (Unternehmensberatung).

Die Hauptursache dieser Expansion der wissenschaftlichen P. liegt in der Ausweitung der Staatsfunktionen, mit weiterreichenden regulativen Eingriffen. Damit hat die Komplexität politischer Entscheidungen zugenommen, die der wissenschaftlichen Evidenzbasierung bedürfen. Zusätzlich zu der instrumentellen Funktion hat Wissenschaft auch eine legitimatorische Funktion für politische Entscheidungen. Diese Entwicklung lässt sich als Verwissenschaftlichung von Politik kennzeichnen. Sie hat allerdings auch dazu geführt, dass wissenschaftliche Forschungen – v. a. wenn sie in den Medien diskutiert werden – politische Entscheidungen in Frage stellen und dadurch de-legitimieren können. Sie werden dann zum Gegenstand der politischen Auseinandersetzung, d. h. die Wissenschaft wird politisiert (z. B. im Fall der These des anthropogenen Klimawandels). So beziehen politische Parteien oder auch NGOs wissenschaftliche Experten in die politische Auseinandersetzung ein, um ihre Positionen zu legitimieren. Wissenschaftliches Wissen birgt für die Politik also Nutzen und Risiken.

In der P. kristallisiert sich mithin der Konflikt zwischen Wissen und Macht, der von der systemtheoretischen Soziologie als der Unterschied zwischen den Funktionssystemen der Politik und der Wissenschaft und ihren Operationslogiken von Macht(-erhalt) bzw. Wahrheit präzisiert wird (Systemtheorie). Demnach steht die Suche nach Kompromissen zwischen Interessen und Werten in einem Spannungsverhältnis zur Rationalität von Entscheidungen, die auf gesichertem Wissen beruhen. Dieses Spannungsverhältnis wird durch den Umstand verschärft, dass politische Macht in modernen Demokratien auf einer doppelten Legitimation beruht: auf der Delegation der Macht durch Wahl und auf der Rationalität politischer Entscheidungen durch den Bezug auf gesichertes, in der Wissenschaft konsentiertes Wissen. Eine politische Entscheidung ist demokratisch legitimiert, wenn sie in dem wohlverstandenen und artikulierten Interesse der potenziell Betroffenen liegt. Gemäß dem demokratischen Legitimierungsgebot gilt es, politische Beteiligung zu gewährleisten. Damit die Entscheidungen demokratisch repräsentativer Institutionen politisch legitimiert sind, müssen sie aber außerdem auch noch rational i. S. d. besten verfügbaren wissenschaftlichen Wissens zum Wohl der Betroffenen getroffen sein.

2. Probleme der Politikberatung

Die beiden Legitimationsquellen der Politik müssen unabhängig voneinander gewahrt sein, andernfalls würde die Politik entweder zur Technokratie degenerieren oder rein dezisionistisch (und ggf. populistisch) operieren. Zur Wahrung ihrer Unabhängigkeit muss die Politik die Kontrolle über die Produktion und die Diffusion des von ihr nachgefragten Wissens erlangen, d. h. über die Fragestellungen, die Wissensbereiche (Disziplinen), die für die Beantwortung der Fragen angesprochen werden, die Auswahl der Experten und über die Art der Veröffentlichung des Wissens (bzw. des Rats). Zugleich muss die Unabhängigkeit des Rats gesichert sein, um dessen Qualität und Autorität zu gewährleisten. Die wissenschaftlichen Experten vertreten als Sachwalter des Wissens vorrangig die Richtigkeit ihres Wissens und suchen nach Aufmerksamkeit für dieses. Ihr Interesse ist es, die Interpretation des Wissens seitens der Politik zu kontrollieren und ihre Unabhängigkeit und Neutralität (und damit ihren Expertenstatus) zu wahren.

Wissenschaftliches Wissen kann sowohl eine für die Politik legitimierende als auch eine de-legitimierende Wirkung entfalten. Das Dilemma besteht für die Politik darin, die legitimierende Wirkung des Expertenwissens für sich gewinnen zu müssen, de-legitimierendes Wissen dagegen abzuwehren, ohne dabei die problemlösende Funktion des Wissens zu verlieren. Entweder löst der Rat die in Frage stehenden Probleme und bestätigt die eigene politische Position, d. h. er befindet sich in einer Übereinstimmung mit den Werten und Interessen der Wählerschaft, die zur Wiederwahl oder zum Machterhalt ausreicht. Oder es gilt das Gegenteil.

3. Organisationsformen der Politikberatung

Die Vielfalt der organisatorischen Arrangements, mittels derer wissenschaftliche P. in den politischen Prozess eingebunden ist, lässt sich als Versuch interpretieren, das bezeichnete Dilemma zu entschärfen.

Die Ministerien verfügen über permanente wissenschaftliche Beiräte ohne eigene Ressourcen – Prototyp der unabhängigen wissenschaftlichen Beratung auf Ressortebene. Ihre Unabhängigkeit manifestiert sich in der autonomen Besetzung (Kooptation), in der Dauer der Mitgliedschaft (Mehrfachberufung und z. T. lebenslängliche Mitgliedschaft) und ihrer Ehrenamtlichkeit, in der selbständigen Wahl der Themen sowie in der Veröffentlichungspflicht der Beratungsergebnisse durch das Ministerium.

Eine weitere Form eines wissenschaftlichen Beratungsgremiums ist das der kollegialen Sachverständigenkommissionen, die permanent bestellt, mit definiertem Beratungsauftrag versehen und eigener Geschäftsstelle ausgestattet sind. Die Sachverständigenkommissionen finden sich v. a. in stark naturwissenschaftlich-technisch geprägten Politikfeldern wie der Umweltpolitik und werden von den zuständigen Ressorts zur Risikobewertung und Risikoregulierung (z. B. Strahlenschutzkommission oder Kommission für biologische Sicherheit [ZKBS]) eingerichtet. In einigen Bereichen wie z. B. dem Atomrecht ist wissenschaftliche Beratung gesetzlich vorgeschrieben. Die Sachverständigenkommissionen können nur wissenschaftlich begründete Empfehlungen aussprechen und keine politischen, ökonomischen oder ethischen Erwägungen anstellen. Sie haben eine gesetzliche Grundlage (ZKBS) oder werden per Satzung eingerichtet und mit einem eng definierten Mandat versehen, das den Beratungsgegenstand, das Beratungsverfahren, die Publikationsform und z. T. auch die Verwendung der Ergebnisse durch den Auftraggeber regelt. Die Mitglieder werden durch das jeweilige Ressort benannt. Bei der Besetzung der Sachverständigenkommissionen wird häufig das Prinzip der fachbezogenen mit dem der interessenbezogenen Repräsentanz verbunden, da auch der Sachverstand aus den regulierten Bereichen vertreten sein soll (sogenanntes korporatistisches Modell).

Die politikfeldbezogenen Sachverständigenräte – der prominenteste unter ihnen ist der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, der sogenannte Rat der Wirtschaftsweisen (aber auch der Sachverständigenrat zur Entwicklung im Gesundheitswesen) – stehen für unabhängige Analyse-, Beratungs- und Kontrollgremien. Exemplarisch für die Funktion der Sachverständigenräte ist das Mandat des Rats der Wirtschaftsweisen: Regierung und Parlament sind verpflichtet, zu seinen Berichten Stellung zu nehmen. Dem Sachverständigenrat ist es jedoch untersagt, Empfehlungen auszusprechen. Dadurch soll direkter Einfluss auf politische Entscheidungen verhindert, zugleich die öffentliche Diskussion versachlicht und gefördert werden.

Die Ad-hoc- bzw. Experten-Kommissionen werden kurzfristig zur Entscheidungsvorbereitung und -legitimierung eingesetzt. Ihr Mandat bezieht sich auf einen spezifischen Anlass. Damit ähneln sie den amerikanischen Presidential Comissions und den britischen Royal Comissions. Die Politik übt hier einen stärkeren Einfluss auf die Wahl der Experten aus, sie wählt auch Experten von außerhalb der Wissenschaft (z. B. die Hartz-Kommission [Kommission für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt] oder die Ethikkommission für eine sichere Energieversorgung).

Der Bundestag wird zum einen durch die Wissenschaftlichen Dienste beraten, eine feste Einrichtung, an die sich die Abgeordneten wenden können. Zum anderen nutzt er das Instrument der Enquête-Kommissionen, die temporär eingesetzt und gemischt aus externen Experten und Abgeordneten zusammengesetzt sind und der Informierung und der Deliberation des Bundestags zu einer spezifischen Thematik dienen (z. B. Vorsorge zum Schutz der Erdatmosphäre, 1987–95).

4. Typen des Wissens und Qualität der Beratung

Die Qualität der Beratung bemisst sich sowohl nach ihrer wissenschaftlichen Evidenzbasierung (epistemische Robustheit) als auch nach ihrer politischen Umsetzbarkeit (politische Robustheit). Ein guter Fachwissenschaftler ist nicht unbedingt ein guter Politikberater. Der Widerspruch zwischen den Bezügen – einerseits auf die Wahrheitskriterien der Wissenschaft, andererseits auf die Pragmatik politischer Machbarkeit und Akzeptanz – kann nicht aufgehoben, sondern nur vermittelt werden. Je unabhängiger von der Politik die Beratung, desto eher ist sie epistemisch robust, je abhängiger, desto eher ist sie politisch robust.

Je nach Fragestellung und Funktion der Beratung unterscheiden sich die Typen des erforderlichen Wissens, von gesichertem Prognosewissen bis zu unsicheren Wahrscheinlichkeitsaussagen und modellbasierten Szenarien. Je präziser die Fragestellung, desto präziser kann der Rat ausfallen, ggf. aber auch dahingehend, dass der Stand der Forschung keine eindeutige Antwort zulässt. Die Kommunikation der Unsicherheit des Wissens ist deshalb wichtiger Bestandteil der P.

Vor dem Hintergrund der Diversität der P., des Risikos des ungeregelten Umgangs mit Expertenwissen, der oft diffusen Grenze zwischen neutralem Wissen und Lobbying (Lobby) und der Gefahr des illegitimen Einflusses der Berater sind vielerorts Leitlinien guter wissenschaftlicher P. entwickelt worden. Sie fordern übereinstimmend u. a. Unabhängigkeit des Rats, Transparenz des Mandats und der Auswahl der Berater, Offenlegung der Unsicherheit des Wissens und impliziter Wertannahmen sowie fairen und transparenten Umgang mit den Beratungsergebnissen. Damit sind die Grundsätze guter P. international etabliert.