Rationalität

R. ist eine den Menschen auszeichnende Fähigkeit, die erfolgsorientiert ausgeübt wird und daher zum Gelingen oder Scheitern beitragen kann. Klassischerweise werden in den R.s-Begriff Deliberations- und Unterscheidungs-, Begriffsbildungs- und Urteilsvermögen eingeschlossen, die den Menschen in Stand setzen, sich alltäglich und wissenschaftlich in der Welt zu orientieren, aber auch seinen Willen erfolgreich zu dirigieren. Thomas Reid gebraucht für diese Fähigkeit noch im 18. Jh. ein vielsagendes Bild: R. und rationale Prinzipien sind wie steuernde Hände und Instrumente für ein Schiff; ohne sie wäre kein Zielhafen zu erreichen, könnten Winde und Gezeiten nicht unterschieden werden. Vernünftigkeit ist also ein lebensdienliches, den Prozess und Kurs des Lebens auf intellektuelle und praktische Ziele hin orientierendes Vermögen. John Locke bspw. räumte auch Tieren die Möglichkeit zu einer rudimentären Vernunftfähigkeit ein, setzt diese jedoch in Gegensatz zu der (für ihn offensichtlich nur den Menschen) eigentümlichen Fähigkeit, Vorstellungen und Begriffe durch Abstraktion und Verallgemeinerung zu gewinnen, sie zu kombinieren und aus ihnen Schlüsse zu ziehen. Arationalität und Irrationalität unterschieden sich dadurch, dass im ersten Fall die Ausprägung und Beweglichkeit der intellektuellen Fähigkeiten fehle, während im anderen Fall die intellektuellen Fähigkeiten in falsche Abstraktionen und falsche Schlüsse mündeten.

1. Rationalität und Normativität

Wird Vernünftigkeit mit R. gleichgesetzt, so wird darunter primär ein Vermögen verstanden, das einem Träger zugesprochen wird, der als Akteur in (physisch materialisierten und in Zeichen und Kommunikation sich ausdrückenden) Handlungen (Handeln, Handlung) repräsentierbar ist. In einer zweiten Hinsicht sind Vernünftigkeit und R. auch Eigenschaften, die von Überzeugungen, Annahmen, Haltungen, Einstellungen oder sogar Propositionen ausgesagt werden können.

Intensiv diskutiert und tendenziell befürwortet wird die Auffassung, dass es sich bei R. um ein normatives Konzept handelt: Wenn es für eine Person a rational ist, φ zu glauben/zu tun etc., dann ist a auch gehalten/dann ist es für a auch geboten, φ zu glauben/zu tun etc. Aus dieser normativen Formulierung scheint zu folgen, dass zu R. auch gehört, dass a (i) die Absicht hat, φ zu glauben bzw. zu tun und dass a gehalten ist, (ii) jene Mittel anzuwenden, die nötig sind, um φ zu realisieren, bzw. (ii*) jene Unterüberzeugungen zu akzeptieren, die mit der Annahme von φ verbunden sind. Als ein grundlegendes R.s-Kriterium deutet sich hier bereits der Aspekt der Kritisierbarkeit an: a wäre dafür kritisierbar, φ nicht zu glauben/nicht zu tun, wenn es für a rational wäre, φ zu glauben bzw. zu tun. Diese kontrafaktisch-konditionale Formulierung schließt als Korollarium ein, dass es zureichende Gründe für φ gegeben hätte, auf deren Grundlage a kritisierbar gewesen wäre.

Debattiert wird in diesem Zusammenhang auch, ob der normative Aspekt unabdingbar zu R. gehört oder nicht (eher) durch einen deskriptiven Begriff, näherhin durch eine funktionale, z. B. in einem Präferenz- und Nutzen-Kalkül explizierbare Auffassung von R. ersetzt werden soll. Solch ein Ersatzprogramm wäre sichtlich erschwert, wenn sich zeigen ließe, dass der R.-Begriff ein evaluativer Begriff ist und dass evaluative Begriffe nicht ohne den Ansatz eines irreduzibel normativen Elements verstanden werden können. Nun scheint es Fälle zu geben, in denen eine Person a, obwohl es Gründe gibt, φ rationaler Weise nicht zu glauben/zu tun, verpflichtet ist, φ zu glauben/zu tun. Solche Fälle sprechen nur dann nicht gegen die konsistente Deutung von R. im Sinne eines normativen Konzepts, wenn wir beachten, (i) dass die für R. einschlägigen Gründe einer komplexen Begründungsarchitektur mit konkurrierenden Gründe-Konstellationen entspringen können, (ii) dass konkurrierende Gründe-Konstellationen auch daraus resultieren können, dass es in konkreten Situationen immer zustands-, kontext- und objektbezogene Gründe gibt, (iii) dass der in Rede stehende Verpflichtungsgrad grundsätzlich eng- oder weitmaschig, feinporig oder grobkörnig ausgelegt werden kann und (iv) dass es eine Diskrepanz zwischen einer subjektbezogenen und einer globalen Bewertung einschlägiger Gründe geben kann.

Unter interdisziplinärer Perspektive wird im Zusammenhang mit dem R.s-Begriff die Frage aufgeworfen, inwiefern und in Hinsicht auf welche Evaluationskriterien (Evaluation) R. auch nicht-personalen oder quasi-personalen Akteuren (sozialen Systemen, institutionellen Entitäten, ökonomischen Einheiten) zugesprochen werden kann, ja ob sogar der Gang der natürlichen Evolution des Lebens unter R.s-Gesichtspunkten (z. B. spieltheoretisch unter Heranziehung eines Gewinnkalküls) rekonstruiert werden darf. Wenn gilt, dass R. grundsätzlich voraussetzt, dass man sich verständlich machen kann, dann wäre R. in einem grundlegenden Sinne an das Gegebensein einer Ersten-Person-Perspektive (Ich-Perspektive oder Wir-Perspektive) gebunden; andere Instanzen könnten nur dann (womöglich in einer eher abgeleiteten Weise) rational genannt werden, wenn und insofern in ihren Vollzugsformen Elemente von Selbstreferenz vorausgesetzt werden können.

2. Rationalität zwischen Optimierungsmaxime und Reflexionsfähigkeit

Obwohl der R.s-Begriff dadurch veredelt und exponiert wurde, dass man die Philosophie in einem nachmetaphysischen und nachidealistischen Gewand einer „Theorie der Rationalität“ (Habermas 1981: 16) gleichsetzte, findet sich begriffsgeschichtlich auch der gegenteilige Eindruck, der im R.s-Begriff ein Zerfallsprodukt des in die Krise geratenen Vernunftbegriffes identifiziert. An die Stelle des klassischen Vernunftkonzepts (Vernunft – Verstand) sei der weniger aufgeladene, auf die Dezentrierung, Deabsolutierung und Pluralisierung von Vernunft reagierende, freilich zu Segmentierung in kontextbezogene und verfahrensorientierte Effizienzprozeduren neigende R.s-Begriff getreten, der sich an den Kriterien „Regelhaftigkeit, Wiederholbarkeit, Beherrschbarkeit der Handlungsabläufe […] und […] Zweckmäßigkeit“ orientiere (Schnädelbach 2007: 131). Terminologisch kommt dieser scheinbar unaufdringliche R.s-Begriff erstmals in Max Webers sozialökonomischer Theorie zum Vorschein und bezieht sich hier auf die Bewertung einer Mittel-Zweck-Beziehung. Die weitere philosophische Aneignung des R.s-Verständnisses unter exklusiver Berücksichtigung einer Mittel-Zweck-Relations-Evaluation muss sich freilich Max Horkheimers Vorwurf einer Instrumentalisierung von Vernunft bzw. eines nur noch instrumentellen Konzepts von R. gefallen lassen.

Dass R. zunächst weniger umfassen kann als das klassische Verständnis des Vernünftigseins als eines Vermögens wird an zeitgenössischen formalen R.s-Theorien ansichtig: wie etwa der Entscheidungstheorie (Entscheidung) oder der Theorie der Revision von Annahme- bzw. Überzeugungssystemen. Entscheidungstheoretische Ansätze verstehen unter R. das auf Optimierung und Maximierung angelegte Verhalten eines Akteurs und evaluieren damit die, diesem Verhalten zugrundeliegenden, Präferenzen, Motive und Überzeugungen; die tendenziell individualistische und kompetitive Ausgangssituation dieses R.s-Begriffs wird u. a. durch die Fiktion einer Kontrakttheorie (Vertragstheorien) sozialtheoretisch kompatibel. In der formalen Erkenntnistheorie der Revision von Annahme- und Überzeugungssystemen wird R. insb. als Maßgabe der maximalen Stimmigkeit eines Überzeugungssystems verstanden, die über die logische Konsistenz hinaus eine probabilistisch unterlegte Kohärenz einschließt. Auch hier treffen wir auf eine Optimierungsmaxime, insofern als rationale Träger von Annahmen und Überzeugungen gehalten sind, ihre Überzeugungssysteme unter der Maßgabe von Wahrscheinlichkeitsbewertungen in Hinsicht auf einen je größeren Gewissheitsgrad zu evaluieren und angesichts veränderter Bewertungen zu revidieren.

Von philosophischem Belang ist die Frage, ob sich das hier ansichtige Verständnis von R. als Optimierungsgeschicklichkeit und Kohärenzsensitivität, die für Überzeugungsträger und Akteure ein gewisses Maß an Selbstkongruenz einschließt, in ein höherschwelliges R.s-Verständnis integrieren lässt. Ein umfassendes Konzept von R. als Vernünftigkeit beruht im Kern auf den selbstbewusstseinstheoretisch zu entfaltenden Fähigkeiten der Selbstreflexion, Selbstreferenz und Selbstdistanzierung. R. wird vor diesem Hintergrund als ein Vermögen bewussten Lebens ansichtig, dem es aufgrund der eigentümlichen Platzierung selbstbewusster Selbstdistanz und Selbstreferenz aufgetragen ist, sich im Verlauf der zeitlich erstreckten Existenz bestmöglich zu orientieren, d. h. ein Wissen (über sich selbst) zu erlangen und in der Welt zu agieren bzw. mit anderen bewusstseinsbegabten Wesen zu interagieren. Die bislang als formale R.s-Kriterien ansichtigen Maßgaben der Optimierung, der synchronen und diachronen Kohärenz (von Annahmen und Überzeugungen) und der Selbstkongruenz können in diesen grundlegenderen, anthropologisch-selbstbewusstseinstheoretischen Rahmen eingebettet werden.

3. Arten von Rationalität

Bei der Explikation und Auffächerung des R.s-Begriffes kann man grundlegend zwischen kognitivistischen, instrumentalistischen, epistemischen und praktisch-kommunikativen R.s-Konzepten unterscheiden:

a) Während das kognitivistische R.s-Konzept streng auf die Rolle der Begründung (von Überzeugungen oder Handlungen) konzentriert ist, geht es bei

b) instrumenteller R. um die Kenntnis jener funktionalen Zusammenhänge in zielorientierten Prozessen, die eine Erfolgsoptimierung in Aussicht stellen.

c) Epistemische R. hat mit der Evaluierbarkeit verschiedener epistemischer Einstellungen und der Bestimmung ihres Dignitätsgrades anhand entsprechender Gütekriterien zu tun.

d) Praktisch-kommunikative R. dagegen orientiert sich an der Fähigkeit, koordinierte Handlungszusammenhänge zu kreieren.

Für Fragen der wissenschaftlichen R. (Wissenschaft) sind der kognitivistische und der epistemische R.s-Begriff von Belang, wobei hier die übergeordnete Frage bedeutsam wird, ob sich R. nur und ausschließlich an Begründetheit oder an der Sicherstellung und Generierung von Wissen bemisst. Ein instrumentalistischer R.s-Begriff spielt eher bei technischen oder ökonomischen R.s-Fragen eine Rolle. Der praktisch-kommunikative R.s-Begriff kann schlussendlich als Version unserer Auffassung von Alltags-R. relevant werden oder aber thematisiert die grundlegenden Voraussetzungen von R. überhaupt – nämlich die Fähigkeit, Überzeugungen, Auffassungen, Einstellungen, Präferenzen, Zielvorstellungen etc. in einen Diskurs einzuspeisen.

Entlang dieser Differenzierung kommen verschiedene R.s-Kriterien in den Blick:

a) Für einen kognitivistischen R.s-Begriff fällt die R. einer Überzeugung mit ihrer Begründetheit und dem Begründetheitsstatus zusammen; rational ist demnach nur, was begründet ist (auf guten Gründen aufruht) oder (zumindest) aussichtreich begründet werden kann.

b) Für einen epistemischen R.s-Begriff zählt der Dignitätsgrad einer Überzeugung oder einer handlungsleitenden Intention oder Zielvorstellung; dabei kann noch einmal differenziert werden, ob sich der Dignitätsgrad daraus ergibt, dass sich eine Überzeugung an Wissen und damit an Wahrheit orientiert (platonisch-cartesianische Variante) oder daran, ob und inwiefern eine Überzeugung kritisierbar und falsifizierbar ist (fallibilistische Variante) oder schlussendlich daran, ob und inwiefern sie mit einem Gefüge von Überzeugungen synchron und diachron in einem Zusammenhang steht (kohärentistische Variante).

c) Im Kontext eines instrumentalistischen R.s-Begriffes spielen Optimierung und Maximierung die entscheidende kriterielle Rolle – und zwar dergestalt, dass sich die R. einer Handlung oder eines Prozesses daran messen lässt, ob und wie ein gestecktes Ziel am besten erreicht werden kann.

d) Im Gefüge praktisch-kommunikativer R. bemisst sich die R. einer Überzeugung oder einer handlungsleitenden Intention, Einstellung etc. daran, ob sie artikuliert, geltungstheoretisch befragt oder (stärker) anerkannt bzw. von einer anderen Person in einer vergleichbaren Situation anverwandelt bzw. übernommen werden kann.

Eine fundamentale Synthese der dargelegten Verzweigungen des R.s-Begriffes findet sich bei Jürgen Habermas, der den kognitivistischen, epistemischen und praktisch-kommunikativen Aspekt von R. zusammenzieht. Kritisierbarkeit und Begründbarkeit stehen damit an oberster Stelle der Liste von R.s-Kriterien, die sich auf Sprachhandlungen (wie eben die Äußerungen von Überzeugungen) oder Handlungen und die darin erhobenen Geltungsansprüche (Geltung) beziehen. Auch die instrumentelle R. kann auf dieser Grundlage in einen Gesamtbegriff von R. integriert werden, weil die Frage nach der Zweckmäßigkeit einer Handlung einen Geltungsanspruch anzeigt und einen der „Zwecktätigkeit“ (Habermas 1981: 31) fähigen Akteur unterstellt, dessen zwecksetzendes Tun nach Gründen befragt werden muss, um als rational anerkannt zu werden.

Die praktisch-kommunikative R. kann in dieser Sicht als eigentlicher Wurzelgrund von R. gelten, wenn wir nicht (mit dem Realismus) die Orientierung unserer Suche nach Wissen nach vermeintlich festgefügten Fakten in der Welt einfachhin voraussetzen dürfen, sondern in Rechnung zu stellen haben, dass sprachhandlungs- und kommunikationsfähige Subjekte erst ein Einverständnis darüber zu erzielen haben, was als gemeinsame Welt, als bezugsfähiges Gefüge von Sachverhalten überhaupt gelten soll. Der epistemische und kognitivistische R.s-Begriff erweist sich vor diesem Hintergrund als sozial-kommunikativ, wenn grundlegend zu fragen ist, wie die Welt zu „erstellen“ ist, in die handelnd eingegriffen werden soll. Dieser sozial-kommunikative Aspekt von R. zeigt sich bes. dann, wenn wir den Bereich der sachverhaltsbezogenen Äußerungshandlungen verlassen und normenregulierte (Sprach-)Handlungen und expressive Selbstdarstellungs-Handlungen in den Blick nehmen. In beiden Fällen kann, so J. Habermas, nicht der Bezug auf eine objektive Welt (Normen sind keine Fakten; Selbstexpressionen beziehen sich auf etwas subjektiv Innerliches) für die R. der in Rede stehenden (Sprach-)Handlungen aufkommen, vielmehr spielt die Errichtung einer gemeinsam „bewohnbaren“ sozialen und die Erschließbarkeit einer geistigen Welt die entscheidende Rolle. Bes. in diesen Fällen wird als Herzstück von R. ansichtig, dass es um „die Erzielung, Erhaltung und Erneuerung von Konsens“ (Habermas 1981: 37) geht, „der auf der intersubjektiven Anerkennung kritisierbarer Geltungsansprüche beruht“ (Habermas 1981: 37). R.s-Kriterien ergeben sich somit in Hinblick auf Überzeugungen und Handlungen aus ihrer (diskursiv-argumentativen) Kritisierbarkeit, Begründbarkeit und aus ihrem Eingebettetsein in eine (zur Selbstkritik fähigen) Selbstreflexion.

4. Rationalität als Tugend

Die oben skizzierte Klassifikation legt den Eindruck nahe, R. sei aufs engste mit Begründung und Begründetheit verwoben und dem sprachlich-kommunikativen, pragmatischen Ausdrücken und Aushandeln von Geltungsansprüchen komme die entscheidende kriterielle Rolle bei der Beurteilung rationalen Tuns oder Annehmens zu. Diese exklusive Betonung des Begründens ist allerdings nicht unwidersprochen geblieben: Zum einen besteht zwischen Begründung und R. ein Implikations-, aber kein Äquivalenzverhältnis; denn nur gute Gründe sind solche, die rational sind. Zum anderen dürfen wir unter Gründen nicht nur (im Raum eines Geltungsdiskurses) vorgebrachte Propositionen verstehen, aus denen etwas gefolgert werden kann, sondern in einem erweiterten Sinne all jene kognitiven Kapazitäten, Hintergrundüberzeugungen und Inklinationen, in denen unsere Überzeugungen oder handlungsleitenden Intentionen verankert sind: So ist die Verankerung von Überzeugungen oder Intentionen in Erfahrungen oder die Bezugnahme auf Erinnerungen, aber auch die Verankerung in Gefühlen durchaus rational, obwohl die hier angeführten Instanzen nicht die Rolle von inferentiellen Gründen, sondern eher die Funktion von erzeugenden Faktoren spielen.

Eine integrative Rolle kann das Verständnis von R. als Tugend im Kontext einer tugendethischen Epistemologie spielen: R. manifestiert sich in so einer Sicht entweder in einem Geflecht intellektueller Tugenden (wie Wahrheitsliebe und Neugier, Beständigkeit, Courage, Bescheidenheit, autonomer Urteilsfähigkeit, Großzügigkeit und lebenspraktischer Weisheit) oder stellt noch einmal eine eigene Tugend dar. Grundsätzlich hat der tugendepistemologische Ansatz einige Vorteile:

a) Es lässt sich der habituelle Aspekt von R. begreiflich machen, der insb. dann sichtbar wird, wenn wir in unserer Weltorientierung in der Lage sind, unser Annehmen und Verhalten in den richtigen Instanzen zu verankern. Dieses (teilweise prä- oder post-reflexive) Wissen um die richtigen Verankerungs-Instanzen (d. h. die richtigen Erfahrungen, Erinnerungen, Gefühle etc.) setzt die Bildung eines Akteurs-Charakters voraus, dem der Zugriff auf die richtigen Instanzen zur zweiten Natur geworden ist.

b) Dem in letzter Konsequenz immer nur internalistisch, d. h. im Rückgriff auf im Selbstbewusstsein aufgehellte Elemente, zu explizierenden Selbstreflexionsaspekt von R. korrespondiert die unaufgebbar internalistische Seite von Tugenden und dem Erlernen von Tugenden, da eine entsprechende Charakterformung nur da greifen kann, wo ich mir eines entsprechenden Anspruchs inne werde.

Versteht man R. als eine Tugend unter anderen Tugenden und setzt man sie mit dem gleich, was in der Antike Weisheit oder (lebenspraktische) Klugheit genannt wurde, dann werden so auch Grade von R. erklärbar. Die Entdeckung, dass der R.s-Grad ansteigt, wenn eine Person a in ihrem Verhältnis zur Überzeugung φ nicht nur Gründe, sondern überlegte und dann nicht nur überlegte, sondern auch wohlfundierte Gründe bzw. im Verhältnis zu einer Handlung φ* nicht nur Interessen, sondern wohlerwogene Interessen und dann, in einem weiteren Schritt, nicht nur wohlerwogene Interessen, sondern aufgeklärte oder gar sittlich gerechtfertigte Interessen geltend macht, kann tugendepistemologisch erhellt werden: Der R.s-Grad steigt, je intensiver die intellektuelle Tugend der R. mit anderen (intellektuellen und ethischen) Tugenden verwoben und verschränkt ist.