Berufskammern

1. Begriff und historische Entwicklung

Unter B. sind rechtsfähige Personalkörperschaften des öffentlichen Rechts mit gesetzlicher Pflichtmitgliedschaft und Selbstverwaltungsrecht ausgestattete Organisationen zu verstehen, bei denen die Mitgliedschaft an die Ausübung eines reglementierten, i. d. R. freien Berufs anknüpft (Freie Berufe). Sie sind abzugrenzen von den sogenannten Wirtschaftskammern (Industrie- und Handelskammern, Handwerkskammern, Landwirtschaftskammern) einerseits und den privatrechtlich verfassten Berufsverbänden andererseits.

B. wurden in Deutschland für die folgenden Berufe errichtet: Auf der Grundlage bundesgesetzlicher Regelungen für Seelotsen, Notare, Patentanwälte, Rechtsanwälte, Steuerberater und Wirtschaftsprüfer. Auf der Grundlage landesgesetzlicher Regelungen für Apotheker, Architekten, Ärzte, Ingenieure, Pflegekräfte (nur Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein), Psychotherapeuten und Zahnärzte.

Die historische Entwicklung der B. in ihrer heutigen rechtlichen Gestalt findet ihren Ausgangspunkt in den Gründungen der Ärzte- und Rechtsanwaltskammern in der zweiten Hälfte des 19. Jh. in Preußen. Die weiteren B. wurden anknüpfend an die Herausbildung der entsprechenden eigenständigen Berufsrechte später gegründet, die meisten nach 1949, zuletzt die Psychotherapeutenkammern (ab 1998) und die Pflegekammern (2015).

2. Organisation der Berufskammern

Die B. sind mit Ausnahme der Patentanwaltskammer und der Wirtschaftsprüferkammer, deren Zuständigkeitsbereich sich auf das gesamte Bundesgebiet erstreckt, als Regionalorganisationen verfasst. Dabei wird i. d. R. an das Territorium der Bundesländer angeknüpft, bei den Rechtsanwaltskammern jedoch an die Oberlandesgerichtsbezirke. Im Falle der Notar-, Rechtsanwalts- und Steuerberaterkammern sieht das jeweils einschlägige Bundesgesetz neben den Regionalkammern eine Bundeskammer als Verbandskörperschaft des öffentlichen Rechts vor, deren Mitglieder die Landes- bzw. Regionalkammern sind. In den übrigen Fällen haben die regionalen B. in Ausübung ihrer Organisationshoheit privatrechtliche Arbeitsgemeinschaften als Spitzen- bzw. Dachorganisationen gegründet.

Die Verfassungsmäßigkeit der gesetzlichen Pflichtmitgliedschaft, insb. ihre Vereinbarkeit mit der allgemeinen Handlungsfreiheit aus Art. 2 Abs. 1 GG, da die Vereinigungsfreiheit aus Art. 9 Abs. 1 GG auf Fälle der Gründung öffentlich-rechtlicher Körperschaften nicht anwendbar ist (Körperschaft), wurde durch das BVerfG zwar nicht für alle B. geprüft bzw. bestätigt. Sie ergibt sich wegen der Strukturgleichheit der B. mit anderen Trägern funktionaler Selbstverwaltung aus den Leitentscheidungen des BVerfG zu den Wasser- und Bodenverbänden (BVerfGE 10, 89) und den Industrie- und Handelskammern (BVerfGE 15, 235) und wird in zahlreichen verwaltungsgerichtlichen Entscheidungen unterstellt (z. B. BVerwGE 59, 231 zu Ärztekammern).

Da das Leitungspersonal der B. alleine durch die Mitglieder bestimmt wird und nicht in einer ununterbrochenen Legitimationskette auf das Staatsvolk zurückgeführt werden kann, ist auch die Vereinbarkeit der Organisationsform der funktionalen Selbstverwaltung der B. mit dem Demokratieprinzip umstritten. Auch insoweit hat das BVerfG durch eine Grundsatzentscheidung aus dem Jahr 2001, die sich auf einen Wasserverband bezog, klargestellt, dass die funktionale Selbstverwaltung das demokratische Prinzip ergänzt und verstärkt. Der Gesetzgeber dürfe ein wirksames Mitspracherecht der Betroffenen schaffen und verwaltungsexternen Sachverstand aktivieren, einen sachgerechten Interessenausgleich erleichtern und so dazu beitragen, dass die von ihm beschlossenen Zwecke und Ziele effektiver erreicht werden (BVerfGE 107, 59). Die Argumentation dieser Entscheidung ist auch auf die B. anwendbar mit der Folge, dass auch bei ihnen von einer hinreichenden demokratischen Legitimation auszugehen ist.

Die B. handeln durch ihre Organe. Die interne Willensbildung, die Entscheidung über grundsätzliche Fragen einschließlich des Kammerhaushalts, der Erlass von Satzungen (Satzung) (Ordnungen) sowie die Wahl des Leitungspersonales obliegt in den meisten Fällen einer von den Mitgliedern gewählten Vertreterversammlung, wobei die Wahlperiode i. d. R. fünf Jahre beträgt. Im Falle der Rechtsanwaltskammern werden diese Aufgaben von der Mitgliederversammlung wahrgenommen, zu der alle Mitglieder einzuladen sind. Die laufenden Geschäfte werden durch ein Präsidium bzw. einen Vorstand wahrgenommen, der durch die Mitglieder- bzw. Vertreterversammlung gewählt wird und ebenfalls als Kollegialorgan verfasst ist. Der Vorstand leitet auch die mit hauptamtlichen Mitarbeitern besetzte Geschäftsstelle, die je nach Größe der Kammer über einen oder mehrere Geschäftsführer verfügen kann.

3. Aufgaben und Befugnisse der Berufskammern

Als zentrale Aufgabe der berufsbezogenen Selbstverwaltung erlassen die B. bzw. die dazu gesetzlich bestimmten Organe (im Falle der Rechtsanwälte die Satzungsversammlung bei der BRAK) Berufsordnungen, durch die das gesetzlich grundgelegte Berufsausübungsrecht näher ausgestaltet wird. Die Regelung der Berufszulassung selbst ist dem parlamentarischen Gesetzgeber bzw. Rechtsverordnungen vorbehalten (BVerfGE 33, 125 – Facharztentscheidung). Die Berufsordnung stellen eine delegierte staatliche Rechtsetzung und kein originäres Standesrecht dar. Deshalb sind insb. die grundrechtsrelevanten Regelungen in den Berufsordnungen auf ausreichend bestimmte gesetzliche Ermächtigungen angewiesen und die zuständigen Kammerorgane müssen hinreichend demokratisch legitimiert sein (BVerfGE 76, 171).

Die Zuständigkeiten der B. für die Ausübung der Berufsaufsicht über ihre Mitglieder und im Kammerbezirk vorübergehend tätige Unionsbürger gehört ebenfalls zu den Kernaufgaben und wurde in einigen Bereichen durch die Zuständigkeit für die Berufszulassung sowie den Entzug der Berufszulassung ergänzt, die ursprünglich den Aufsichtsbehörden zugewiesen war. Werden berufsrechtliche Sanktionen verhängt, so können dies in einem berufsgerichtlichen Verfahren überprüft werden. Für bes. weitreichende Sanktionen sind nur die Berufsgerichte zuständig. Strafrechtliche Sanktionen für das berufsrechtswidrige Verhalten sind im berufsgerichtlichen Verfahren zu berücksichtigen.

Weitere wichtige Aufgabenfelder der B. stellen die Qualitätssicherung, die Bereitstellung von berufsbezogenen Beratungs- und Bildungsdienstleistungen, die berufspolitische Interessenvertretung und die Konfliktschlichtung zwischen Berufsträgern sowie zwischen Berufsträgern und Dritten („Verbrauchern“) dar. Teilweise durch die Kammern selbst, teilweise durch rechtlich selbständige Organisationen werden bei den meisten B. Versorgungswerke unterhalten, so dass die Mitglieder von der Mitgliedschaft in der gesetzlichen Rentenversicherung befreit sind.

4. Finanzierung

Für die Finanzierung der Aufgaben der B. gilt in erster Linie der Grundsatz der Finanzierung durch Mitgliedsbeiträge, die nach der Rechtsprechung des BVerwG Beiträge im Rechtssinne und keine Abgabensonderform etwa in Gestalt einer Verbandslast darstellen. Die Beiträge werden nach unterschiedlichen Bemessungskriterien als Kopfbeiträge oder nach Maßgabe der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit erhoben. Sie decken den größten Teil der Kosten. Hinzu kommen Einnahmen aus Gebühren und Entgelten etwa für Dienstleistungen, die von den Mitgliedern in Anspruch genommen werden. Bei der Vergütung von ehrenamtlichen Funktionsträgern (Freiwilligenarbeit) ist zu beachten, dass die Zahlungen keinen Einkommensersatz darstellen dürfen.

5. Aufsicht und Rechnungshofkontrolle

In der Beschränkung der staatlichen Aufsicht über die B. auf eine Rechtsaufsicht findet das Selbstverwaltungsrecht der B. zusammen mit der Befugnis zur eigenständigen Bestimmung des Leitungspersonals seinen formalrechtlichen Ausdruck (Selbstverwaltung). Die staatliche Aufsicht über die B. muss durch personell demokratisch legitimierte Amtswalter der unmittelbaren Staatsverwaltung ausgeübt werden (BVerfGE 107, 59).

Da das Selbstverwaltungsrecht der B. nicht verfassungsrechtlich begründet bzw. geschützt ist, kann der Gesetzgeber in Bezug auf einzelne den Kammern zugewiesene Aufgaben grundsätzlich auch eine Fachaufsicht regeln. Er muss sich dabei aber der damit verbundenen Schwächung des Organisationsprinzips der betroffenen Selbstverwaltung bewusst sein.

Die B. unterliegen vorbehaltlich abweichender gesetzlicher Regelungen wie die Wirtschaftskammern auch der Rechnungshofkontrolle (grundsätzlich BVerwGE 98, 163). Bei der Ausübung dieser Kontrolle ist das Selbstverwaltungsrecht der Kammern zu beachten, dass sich auch auf den Grundsatz der Wirtschaftlichkeit bezieht. Rechtsverstöße können aus negativen Prüfungsvermerken der Rechnungshöfe deshalb grundsätzlich nur bei evidenten Verstößen gegen den Grundsatz der Wirtschaftlichkeit abgeleitet und von der Rechtsaufsicht geltend gemacht werden. Ein solcher Verstoß liegt auch vor, wenn die Kammern keine verfahrensrechtlichen Vorkehrungen zur Umsetzung des Grundsatzes der Wirtschaftlichkeit getroffen haben.