Deutscher Evangelischer Kirchentag (DEKT)

Bisher hat es drei Institutionen mit dem Namen D. E. K. gegeben. Von 1848–1872 gab es einen D. E. K., der als Reaktion auf die Revolution von 1848 entstand und sich um die Einheit des deutschen Protestantismus angesichts staatlicher Zersplitterung, sozialer Probleme und wachsender Entkirchlichung bemühte und mit der Entstehung des Deutschen Reiches zum Erliegen kam. Aufgrund der Trennung von Thron und Altar entstand nach dem Ersten Weltkrieg eine neue Gestalt des D. E. K.s als Kirchenparlament des 1922 neu gegründeten Deutschen Evangelischen Kirchenbundes, der mit zunehmend nationalistischen Kundgebungen öffentlichkeitswirksam wurde und durch den Nationalsozialismus zum Erliegen kam. In seiner gegenwärtigen Gestalt wurde der D. E. K. von Reinold von Thadden-Trieglaff gegründet und von Gustav Walter Heinemann auf der Deutschen Evangelischen Woche in Hannover 1949 proklamiert. R. von Thadden-Trieglaff griff dabei zurück auf die Deutschen Evangelischen Wochen der Bekennenden Kirche, in der er als Präses der Evangelischen Bekenntnissynode in Pommern maßgeblich mitwirkte. Der Gutsbesitzer R. von Thadden-Trieglaff, der 1919 über Völkerrecht und Völkerbund promovierte, war schon in den 1920er Jahren daran interessiert, das Amt des Laien in der Kirche ins Recht zu setzen. Mit dem Kirchentag schaffte er im demokratischen Nachkriegsdeutschland eine Institution, die sich bis in die Gegenwart als Laienbewegung versteht, auch wenn der Laienbegriff im Protestantismus aufgrund des Priestertums aller Glaubenden unscharf ist. Der in der Ökumenischen Bewegung stark engagierte R. von Thadden-Trieglaff verstand die Laien als Kontaktflächen zwischen Kirche und Welt einerseits und als Brückenbauer zwischen den verschiedenen Kirchen innerhalb und außerhalb des Protestantismus andererseits. Vor diesem Hintergrund befördert der Kirchentag seit 1961 den jüdisch-christlichen und später auch den christlich-islamischen Dialog. Mit dem Laienbegriff einher geht die Weltoffenheit des Kirchentags, der sich den aktuellen Weltproblemen zu stellen versucht, ein Begegnungsforum für den Protestantismus darstellt, die weltweite Ökumene erfahrbar macht und sich als ein Instrument von Kirchenreform versteht.

Von 1949 bis 1961 beschäftigte den Kirchentag v. a. die deutsch-deutsche Frage, was bes. bei den Berliner Kirchentagen 1951 („Wir sind doch Brüder“) und 1961 („Ich bin bei euch“) zutage trat. Mit 650 000 Menschen auf der Schlussversammlung in Leipzig verzeichnete er 1954 seine größte Veranstaltung.

Signifikant für die neue Phase war die Dortmunder Losung von 1963 „Mit Konflikten leben“. Die pluralistische Gesellschaft (Pluralismus) wurde zum Thema. Der Veranstaltungsstil wandelte sich vom Vortrag zur Diskussion. Der Kirchentag steht der Welt nicht gegenüber, sondern hat Teil an ihren Problemen.

Die unausgegorenen kirchlichen Spannungen der Kirchentage 1965, 1967 und 1969 sowie das Ökumenische Pfingsttreffen 1971 in Augsburg mit seiner Delegiertenstruktur führten 1973 zum Tiefpunkt der Kirchentagsbewegung in Düsseldorf, wo es nur noch 7 500 Dauerteilnehmende gab. Der Kirchentag änderte seine Arbeitsstrukturen durch vielfältige neue Partizipationsmöglichkeiten, einen „Markt der Möglichkeiten“ und kommunikative Veranstaltungen. Ausschreibungen für verschiedenste Formen der Mitwirkung in den Bereichen Musik, Kultur und Gottesdienst führten dazu, dass die Kirchentage seit 1981 mindestens 100 000 Dauerteilnehmende haben. Der Kirchentag wird zur zivilgesellschaftlichen Messe (Zivilgesellschaft) für engagierte Bürgerinnen und Bürger. Gleichzeitig wird er als Wallfahrt beschrieben.

Parallel dazu entwickelte sich in der DDR eine Kirchentagsbewegung, die regional verankert war und stärker Kongresscharakter hatte. Ihren Höhepunkt fand sie mit den sieben Kirchentagen anlässlich des 500. Geburtstags Martin Luthers 1983.

Mit den Ökumenischen Kirchentagen Berlin 2003 und München 2010 haben sich neue Formen des ökumenischen Zusammenlebens etabliert, die über die beiden Großkirchen hinausweisen.

Der Kirchentag des 21. Jh. wird zunehmend von popkulturellen Elementen geprägt (Populärkultur). Als mobile Kirche und Kirche auf Zeit wird er zur „eventuellen Kirche“, die vom Event lebt und zugleich eine Beteiligungsform ermöglicht, die Eventualität wertschätzt und darauf setzt, dass sich aus dem Erleben heraus Einsichten und Formen ergeben für gemeinsames und entschiedenes Handeln im Alltag der Menschen. In dieser Hinsicht ist er ein herausragendes Bildungsangebot für die gesamte Gesellschaft, weshalb die Teilnahme an Kirchentagen auch als Bildungsurlaub angerechnet werden kann.