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Version vom 14. November 2022, 05:56 Uhr
1. Begriff
Beim Begriff der j.n P. handelt es sich um einen wissenschaftlichen Kunstbegriff, mit dem höchst unterschiedliche, rechtlich erzeugte und daher nicht-menschliche Rechtssubjekte zusammenfassend bezeichnet werden. Die j. P. ist eine rechtswissenschaftliche Konstruktionsleistung des 19. Jh., sie ist weder eine soziale Realität noch eine Schöpfung des Gesetzes. Die Rechtsordnung stellt jedoch verschiedene Vereins-, Gesellschafts- und Körperschaftsformen zur Verfügung, in denen sich Menschen organisieren und diverse Zwecke verfolgen können. Mit dem Begriff der j.n P. wird die Vielfalt solcher Organisationstypen verallgemeinert und die Zurechnung von Pflichten und Rechten durch eine gedachte Personalisierung an ein Subjekt ermöglicht, das jenseits derjenigen besteht, die diese Pflichten und Rechte ausüben. J. P. ist der „Einheitsausdruck für einen Normenkomplex, der das Verhalten einer Vielheit von Menschen regelt“, ohne dabei das Subjekt selbst zu bestimmen (Kelsen 1960: 52). Alle Akte der j.n P. sind Akte von Menschen, die dem fiktiven Subjekt nur zugerechnet werden. Der Begriff der j.n P. ist deutschen Ursprungs. In Frankreich spricht man von personnes morales. In Common Law-Ländern ist ein abstrahierter Allgemeinbegriff (legal entities) kaum entstanden. Vielmehr differenziert man dort stärker zwischen den unterschiedlichen Vergemeinschaftungsformen (corporation, association, cooperative, trust etc.).
2. Geschichte
Das römische Recht kannte Körperschaften, nicht aber die j. P. Als Rechtsträger erfasste es die Mitglieder einer Organisation (societas), während die Organisation kein selbständiger Träger von Rechten war. Im Mittelalter und in der Neuzeit kam es zur Herausbildung unterschiedlicher Herrschaftsverbände, denen eine eigene Rechtsnatur unabhängig von ihren Mitgliedern zugebilligt wurde („fiktive Person“ wie z. B. Kirchen, Gemeinden, Fiskus, Zünfte, Hospitäler als Stiftungen). Diese Personen-Verbindungen konnten Verträge schließen und Eigentum erwerben. Ihre rechtssubjektive Verselbständigung (unabhängig vom Mitgliederbestand, kein Haftungsdurchgriff auf die Mitglieder) beruht auf der Wahrnehmung bestimmter öffentlicher Aufgaben oder öffentlich erwünschter wirtschaftlicher Zwecke und ist Ausdruck einer Privilegierung, also hoheitlichen Ursprungs. Schon bis Ende des 18. Jh. wurde diese rechtssubjektive Verselbständigung auch auf private Gesellschaften erstreckt, mit denen wirtschaftliche Zwecke verfolgt wurden. Im Naturrecht sprach man von „moralischen Personen“, so das PrALR 1794 und das österreichische ABGB 1810, ebenso heute noch in Frankreich. Den Begriff j. P. verwendete erstmals Georg Arnold Heise 1807 („Grundriß eines Systems des gemeinen Civilrechts“). Mit der Trennung von Staat und Gesellschaft im 19. Jh. wurde die öffentlich-rechtliche Zwecksetzung als Voraussetzung einer Privilegierung kontinuierlich zurückgedrängt und die Korporationsbildung der privatrechtlichen Organisation unterworfen; zunächst blieb ein Konzessionssystem bestehen, das durch ein System der Normativbedingungen abgelöst wurde. Es entstanden die heute geläufigen Organisationstypen: Genossenschaften (preußisches GenG 1867); Aktiengesellschaften (ADHGB 1861, HGB 1897, AktG 1937), Gesellschaften mit beschränkter Haftung (GmbHG 1892). Das BGB von 1896 nennt Vereine und Stiftungen (§§ 21, 80 BGB).
3. Erscheinungsformen
Die Vielfalt der organisationsrechtlich anerkannten Zwecke führt dazu, dass unter dem Begriff der j.n P. höchst Unterschiedliches zusammengefasst wird: Man unterscheidet Vereinigungen (Körperschaften), die Mitglieder haben und einen rechtsfähigen Personenzusammenschluss bilden, von den Anstalten und Stiftungen, bei denen es sich um rechtlich verselbständigte Vermögensmassen handelt. Nach dem rechtsgeschäftlichen oder hoheitlichen Entstehungsakt unterscheidet man j. P.en des Privatrechts und solche des öffentlichen Rechts. Zu letzteren zählen der Bund und die Länder, die kommunalen Gebietskörperschaften (Gemeinde), sonstige Körperschaften des öffentlichen Rechts (z. B. Kammern der funktionalen Selbstverwaltung, Universitäten), Kirchen und anerkannte Religionsgemeinschaften, Anstalten (Rundfunk, Versorgungsanstalten) und Stiftungen des öffentlichen Rechts (z. B. Stiftung Preußischer Kulturbesitz, Stiftung Reichspräsident-Friedrich-Ebert-Gedenkstätte, Stiftung für ehemalige politische Häftlinge). Bei manchen j.n P.en des Privatrechts wird die Verbindung durch gemeinschaftlich-altruistische Gründe hergestellt (Genossenschaft), bei anderen durch ideelle (nicht-wirtschaftlicher Verein), bei dritten durch rein instrumentelle wie Kapitalbeschaffung oder Haftungsbegrenzung (wirtschaftlicher Verein, Kapitalgesellschaften). Im Privatrecht entsteht ein Abgrenzungsproblem zu den nicht- bzw. teilrechtsfähigen Personengesellschaften wie der BGBGes, OHG, KG, Erbengemeinschaft. Bei diesen handelt es sich nicht um j. P.en.
Diese Vielzahl von Organisationsformen lässt sich nicht auf einheitliche Zwecke zurückführen und daher lässt sich auch die j. P. nicht einheitlich begründen. Mal überwiegen kommerzielle, mal ideelle, mal individuell-personelle, mal pekuniäre Zwecke. Ob es daher sinnvoll ist, diese organisationsrechtliche Vielfalt durch einen Kunstbegriff zu abstrahieren, mag man bezweifeln. Mit dem Begriff der j.n P. werden die für die Wahl der Organisationsform entscheidenden Zwecke ausgeblendet und zugunsten eines Kriteriums nivelliert, nämlich jenem der extrahumanen Rechtspersönlichkeit. Der Begriff der j.n P. eignet sich daher nur exkludierend zur Konfrontation mit natürlichen P.en, nicht jedoch als inkludierender, intentionaler Begriff. Als Idealtyp taugt die j. P. nicht.
4. Einzelfragen
4.1 Entstehen und Rechtsfähigkeit
Der Beginn der Rechtsfähigkeit der j.n P. ist entweder von einer Konzession abhängig, so die ältere stärker durch öffentliche Zwecksetzungen motivierte Fiktionstheorie, oder erfolgt mittels freiem Gründungsakt nach den Normativbedingungen. Die freie Korporationsbildung hat sich rechtlich nicht durchgesetzt. Das Entstehen j.r P.en ist ein bis heute ungelöstes juristisches Theorieproblem, um das viele Ansätze konkurrieren: Theorie der Fiktion, des Zweckvermögens, der realen Verbandspersönlichkeit, der freien Körperschaftsbildung, System der Normativbedingungen (z. B. § 21 BGB), Konzessionssystem (z. B. § 22 BGB). Die Begründungsprobleme entstehen freilich erst durch die Verallgemeinerung höchst unterschiedlicher Organisationsformen, die kaum einheitlich gerechtfertigt oder erklärt werden können. Probleme entstehen insb., wenn aus der Eigenschaft einer Organisation als j.r P. im Wege der Deduktion aus einem verallgemeinerten Typus „der“ j.n P. zusätzliche Rechte und Pflichten oder bes. rechtliche Eigenschaften abgeleitet werden sollen. Auf dem gedanklich-konstruktiven Umweg über die j. P. können einzelne Organisationsformen durch vermeintliche Angleichung an (in dieser Form aber nicht vorhandene) Wesensgesetze j.r P.en fortentwickelt werden. Der Begriff der j.n P. besitzt daher sowohl rechtswissenschaftliches Konstruktionspotential, das sich in den für die deutsche Rechtswissenschaft typischen Verallgemeinerungstendenzen und Systemorientierungen auswirkt, als auch ideologisches Potential, wenn gerade die differenzierten Zwecke, mit denen die Rechtsordnung die Privilegierung der Organisationsformen gerechtfertigt hat, im Lichte übergreifender Systemgrundsätze oder hoch aggregierter Funktionszusammenhänge überspielt werden können.
4.2 Kontrast zu natürlichen Personen
Mit j.n P.en erwachsen dem Menschen als dem Träger von Rechten und Pflichten Konkurrenten in der Rechtssubjektivität. Da sowohl Menschen als auch j. P.en Privatrechtssubjekte sind, lässt sich das Privatrecht kaum als ein Rechtsraum von Gleichen begreifen. Das stellt hohe Anforderungen an die Ausgestaltung einer gerechten, chancengleichen aber auch ökonomisch und korporativ sinnvollen Rechtsordnung. Mit j.n P.en ermöglicht die Rechtsordnung Einzelnen die Verfolgung von Zwecken, die sie nicht dauernd oder nur arbeitsteilig erbringen können. Die Bildung j.r P.en ist daher Ausdruck der Persönlichkeitsentfaltung und grundrechtlich geschützter Freiheiten. Andererseits können sich j. P.en zu Machtfaktoren entwickeln, die die tatsächlichen Handlungsmöglichkeiten des Einzelnen beschränken. Gegenüber großen Kapitalgesellschaften sieht sich der Einzelne im Privatrechtsverkehr oft machtlos. Auch ermöglicht die „seelenlose“ Verselbständigung von Organisation und Zwecken ein funktionsrationales Gebaren, das Individualität beseitigt (zweckrationales Handeln im Kapitalismus).
J. P.en werden als Rechtssubjekte gegenüber Menschen vielfältig privilegiert: Sie dienen der Haftungsreduzierung (Haftung auf die Einlage beschränkt), der Vervielfachung der Handlungsmöglichkeiten (durch Organe und institutionalisierte Vertretung). J. P.en kennen im Unterschied zum Menschen weder das allg.e Lebensrisiko (Krankheit) noch das Lebensende durch Tod. Ihre gesonderte steuerrechtliche Behandlung (z. B. Körperschaftsteuer) ermöglicht über gesellschaftsrechtliche Gestaltungen zusätzliche Steuervorteile. Auch bei der Wahrnehmung von Rechtsschutz sind j. P.en gegenüber Menschen begünstigt, weil es ihnen zeitlich, finanziell und gefühllos möglich ist, einen Rechtsstreit durch alle Instanzen zu treiben. J. P.en sind daher ungleich mächtigere Rechtssubjekte als natürliche P.en.
4.3 Kontrollnotwendigkeit
Mit graduell zunehmender sozialer Macht bedürfen j. P.en daher intensiverer rechtlicher Kontrolle, weil ansonsten im Privatrechtsverkehr Rechtssubjekte mit nichtkommensurablen Fähigkeiten und Möglichkeiten aufeinander treffen, die Privatautonomie dadurch gestört wird und, bes. bei anonymen Kapitalgesellschaften, die soziale Verantwortung für das Handeln schwindet. Die Kontrollnotwendigkeit des Rechts ist die Kehrseite der vielfältigen rechtlichen Privilegierungen der Gesellschaftsformen und das Pendant zu den natürlich begrenzten Handlungsfähigkeiten von Menschen. In der Rechtsordnung sind, wenn man sich die Ausgangslage im 19. Jh. vor Augen führt (Konzessionssystem), die Kontrollmechanismen im Laufe der Zeit jedoch abgebaut worden. Verantwortlich dafür ist zum einen die Einsicht, dass die Verfolgung bestimmter wirtschaftlicher Zwecke nur durch Organisationen möglich ist und daher im gesamtgesellschaftlichen Interesse liegt. Zum anderen sorgt ein internationaler Rechtswettbewerb um die vorteilhaftesten Gesellschaftsformen (Ltd., SE, Trusts etc.) für das tendenzielle Abschmelzen von hoheitlichen Auflagen. Das Konzessionssystem bei der Bildung von Gesellschaften ist in Deutschland daher abgeschafft worden, zuletzt auch im Stiftungsrecht, bei dessen Reform 2002 die landesrechtlichen materiellen Anerkennungsverfahren weitgehend entfielen. Das bewirkte eine Verdoppelung von Stiftungen bis 2015, weil sie nicht mehr auf gemeinwohlorientierte Zwecke gerichtet sein müssen. Stiftungen ermöglichen privaten Kapitalgebern die Verfolgung ihrer Zwecke bei perpetuiertem Willen über ihren Tod hinaus („Herrschaft der toten Hand“ – ein Revolutionsanlass in Frankreich 1789).
Es muss rechtspolitisch jeweils auf die konkrete j. P. bezogen entschieden werden, wie sie rechtlich ausgestaltet werden soll, in welchem Umfang ihr Rechtsfähigkeit zukommt und welche Kontroll- und Schutzrechte (im Innen- wie im Außenverhältnis) bestehen. J. P.en werden daher typischerweise in speziellen Gesetzen geregelt (GmbHG, AktG, GenG etc.). Dabei bedarf es einer Grundsatzentscheidung, welche Zwecke gefördert werden sollen sowie einer Abwägung zwischen
a) den Interessen der Mitglieder untereinander,
b) den Interessen der Mitglieder gegenüber der Organisation,
c) der Rechte und Pflichten der Organisation im Außenverhältnis und schließlich
d) mit den umfänglichen öffentlichen Belangen.
Angesichts der vielfältigen Zweckverfolgungen und der damit verbundenen ökonomischen (Insolvenz) und sozialen Gefahrenlagen (Macht) empfehlen sich generalisierende, einheitliche Lösungen nicht. Vielmehr bedarf es einer sorgfältigen Differenzierung je nach den unterschiedlichen Typen. Im Privatrechtsdiskurs werden die gesetzlich an sich klar getrennten Rechtsgebilde jedoch zunehmend angeglichen; die Unterschiede verschwimmen, auch zu den nicht oder nur teilrechtsfähigen Personengesellschaften (Kombination von Gesellschaftstypen, z. B. GmbH & Co. KG, drohende Typenvermischung). Bes. Probleme (Durchgriffsfragen, Haftung) werfen überdies solche j. P.en auf, deren Mitglieder weitere j. P.en sind (Konzernrecht). Hier löst sich das Rechtskonstrukt der j.n P. zunehmend von jeder menschlichen Zurechnung der Rechtssubjektivität ab. Der Begriff der j.n P. befördert solche Nivellierungsprozesse, weil die hoch aggregierte Kategorie der j.n P. dazu verleitet, Gemeinsamkeiten auf Kosten der Differenzierungsnotwendigkeiten zu betonen.
4.4 Strafbarkeit
Während Menschen für ihre Handlungen auch strafrechtlich einstehen müssen, unterliegt die j. P. in Deutschland nur dem Ordnungswidrigkeitenrecht (Ordnungswidrigkeit). Eine erodierende Wirtschaftsethik sowie die Notwendigkeit intensiverer Sanktionierung europarechtlicher Verhaltenspflichten und von Menschenrechtsverstößen hat die Diskussion um ein Unternehmensstrafrecht wieder angefacht. Viele Rechtsordnungen kennen bereits Verbandsstrafen (z. B. Geldstrafe, Bekanntmachung einer Verurteilung, Ausschluss von der Vergabe von Aufträgen, Verbandsauflösung). Europaweit liegt das Unternehmensstrafrecht im Trend. Das Schuldprinzip steht einer Einführung in Deutschland nicht entgegen, weil sich dieses nur auf Menschen beziehen kann und überdies nur einfachrechtlich gilt. Wenn j. P.en ein Zurechnungsendpunkt im Zivil- und im öffentlichen Recht sein können, will nicht einleuchten, warum dies im Strafrecht anders sein soll.
5. Grundrechtsfähigkeit
Nach Art. 19 Abs. 3 GG gelten die Grundrechte auch für inländische j. P.en des Privatrechts, soweit sie „ihrem Wesen nach“ auf diese anwendbar sind. Das GG weist j.n P.en daher nur Grundrechtsschutz als Ergebnis einer wertenden Betrachtung zu; keineswegs genießen j. P.en einen blanketthaft auf sie erstreckten Grundrechtsschutz. Das BVerfG knüpft für den Grundrechtsschutz prinzipiell an die hinter der j.n P. stehenden Menschen an („Durchgriffstheorie“), was den individualrechtlichen Grundcharakter der Freiheitsrechte und ihre Verankerung in der Menschenwürde betont und überdies Differenzierungen bei den Schutzbereichen zulässt. Nach anderer, ökonomisch motivierter Ansicht, genügt eine „grundrechtstypische Gefährdungslage“ um die Grundrechtsberechtigung auf j. P.en zu erstrecken; nicht der subjektive Freiheitsschutz des Menschen, sondern der objektive Funktionsschutz von Wirtschaftsbeziehungen steht hier im Vordergrund. Beim Grundrechtsschutz j.r P.en muss aber immer ein Abstand zu den Freiheitsrechten des Individuums gewährleistet bleiben, um den humanen Charakter der Rechtsordnung und ihre demokratische Legitimation objektiv zu wahren und die individuellen Freiheitssphären gegenüber mächtigen Unternehmen subjektiv zu schützen. Ein Beispiel aus den USA illustriert, wie ein übertriebener Grundrechtsschutz j.r P.en nicht nur das Sozial-, sondern auch das Verfassungsgefüge der Demokratie beschädigen kann: Der United States Supreme Court billigte Firmen das Recht auf Meinungsfreiheit zu mit der Folge unlimitierter Wahlkampfspenden (Citizens United v FEC, 2010). Dadurch können Unternehmen erheblichen politischen Einfluss ausüben. Grundrechtliche Gewährleistungen, die die Freiheit des Demos schützen, dürfen aber nicht auf j. P.en erstreckt werden, weil j. P.en nicht zum Legitimationssubjekt der Staatsgewalt zählen und kein demokratischer Akteur sind.
Beim Grundrechtsschutz j.r P.en muss daher kontextuell differenziert werden und die Präeminenz einer im Menschen wurzelnden und den Menschen zum Ziel habenden Rechtsordnung gewahrt werden. Ein einheitlicher Grundrechtsschutz j.r P.en ist nicht anzustreben; vielmehr bedarf es sachverhaltsspezifischer Lösungen, in denen nach Eingriffslagen und Freiheitssphären differenziert wird. So verdient eine Ein-Mann-GmbH einen anderen Grundrechtsschutz als eine verschachtelte Kapitalgesellschaft, deren Anteilseigner weitere Kapitalgesellschaften sind. Über die Gewichtung der Eingriffsschwere oder die Verhältnismäßigkeitsprüfung kann die deutsche Grundrechtstheorie zu graduell abgestuften, differenzierten Lösungen gelangen. In der Rechtsprechung des BVerfG finden sich Ansätze, j. P.en des Privatrechts je nach ihrer Funktion auch einer partiellen Grundrechtsbindung zu unterziehen (Fraport-Urteil, 2011; Stadionverbot-Beschluss, 2018). Hierin kann ein Reflex auf die Machtausübung einer j.n P. des Privatrechts gesehen werden.
J. P.en des öffentlichen Rechts genießen keinen Grundrechtsschutz (mit grundrechtsbezogenen Ausnahmen: Universitäten und Wissenschaftsfreiheit, Kirchen und Religionsfreiheit, Rundfunkanstalten und Rundfunkfreiheit). Hingegen gelten die justiziellen Garantien (rechtliches Gehör) für alle j.n P.en.
Auch im europäischen Recht (Europarecht) werden bestimmte Freiheitsrechte j.n P.en gewährt (Grundfreiheitenrechtsprechung des EuGH; sachverhaltsabhängiger, partieller Menschenrechtsschutz in der Rechtsprechung des EGMR). Hingegen nennt die EuGRC j. P.en nicht. Dort werden die Grundrechtsträger in der englischen Fassung mit dem Wort „everyone“, im Französischen als „toute personne“ bezeichnen, was explizit jeweils nur Menschen meint. Gleichwohl geht die deutsche Literatur bereits wie selbstverständlich davon aus, dass auch j. P.en zu den Grundrechtsträgern zählen. Insoweit wird die ältere Rechtsprechung des EuGH und des EGMR zu anderen Textgrundlagen vorschnell auf die anders formulierte neue Charta der Grundrechte erstreckt.
Literatur
JöR 66 (2017): Schwerpunktthema: Der Umgang des öffentlichen Rechts mit der juristischen Person des Privatrechts, 1–244 • H. Dreier: Die juristische Person als Grundrechtsträger, in: R. Gröschner u. a. (Hg.): Person und Rechtsperson, 2015, 323–344 • T. Raiser: Reichweite und Grenzen der Rechtsfähigkeit juristischer Personen, insbesondere wirtschaftlicher Unternehmen, in: B. Erle u. a. (Hg.): FS für Peter Hommelhoff, 2012, 891–906 • S. Hofer: Person (Recht), in: ENz, Bd. 9, 2009, 990–996 • S. Lepsius: Company Law. Medieval and Post-Medieval Roman Law, in: S. N. Katz (Hg.): The Oxford International Encyclopedia of Legal History, Bd. 2, 2009, 92–97 • K. F. Röhl/H. C. Röhl: Juristische Person, in: dies.: Allgemeine Rechtslehre, 32008, § 58 • H. Dreier: Person (Juristische), in: EvStl, 2006, 1765–1769 • A. Paynot-Rouvillois: Personne morale, in: D. Alland/S. Rials (Hg.): Dictionnaire de la culture juridique, 2003, 1153–1157 • M. Schmoeckel/J. Rückert/R. Zimmermann (Hg.): Historisch-kritischer Kommentar zum BGB, Bd. 1, 2003 • F. Bär: Vereine, Juristische Person II., in: ebd., §§ 21–79 • M. Pennitz: Juristische Person II: Stiftungen und juristische Personen des öffentlichen Rechts, in: ebd., §§ 80–89 • H. Hofmann: Person, in: StL, Bd. 4, 71995, 336–339 • F. Rittner: Juristische Person, in: StL, Bd. 3, 71995, 267–272 • W. Flume: Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, Bd. 1, 1983 • M. Lipp: „Persona moralis“, „Juristische Person“ und „Personenrecht“. Eine Studie zur Dogmengeschichte der „juristischen Person“ im Naturrecht und frühen 19. Jh., in: Quaderni fiorentini 11/12 (1982/83), 217–262 • W. Rupp-von Brünneck: Zur Grundrechtsfähigkeit juristischer Personen, in: H. Ehmke u. a. (Hg.): FS für Adolf Arndt, 1969, 349–383 • H. Kelsen: Reine Rechtslehre, 21960 • M. Virally: La pensée juridique, 1960 • J. Dabin: Le droit subjectif, 1952.
Empfohlene Zitierweise
O. Lepsius: Juristische Person, Version 08.06.2022, 09:10 Uhr, in: Staatslexikon8 online, URL: https://www.staatslexikon-online.de/Lexikon/Juristische_Person (abgerufen: 01.11.2024)