Meinungsfreiheit

1. Meinungsfreiheit in der Tradition der Menschenrechteerklärungen

Die Freiheit, seine Meinung zu äußern und gedruckt zu verbreiten, ist eine Forderung der europäischen Aufklärung gegen den Staat, die sich zunächst in England im Rahmen der Rechtsprechung zum Common Law durchsetzen konnte. Die M. taucht dann Ende des 18. Jh. in den ersten Grundrechtsproklamationen auf (Grundrechte). In Anknüpfung an den Rechtszustand in England heißt es in Sec. 12 der Virginia Bill of Rights (1776), „that the freedom of the press is one of the great bulwarks of liberty and can never be restrained but by despotic governments“. Die Verfassung der USA bindet in ihrem ersten Zusatzartikel (1791) entgegen englischer Tradition auch das Parlament: „Congress shall make no law abridging the freedom of speech, or of the press“. In Art. 11 der französischen Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte (1789) wird die M. im Sinne der Aufklärung als Menschenrecht proklamiert: „La libre communication des pensées et des opinions est un des droits le plus précieux de l’Homme; tout Citoyen peut donc parler, écrire, imprimer librement, sauf à répondre de l’abus de cette liberté dans les cas déterminés par la Loi“. Die deutschen Staaten garantierten im 19. Jh. in ihren Verfassungen die M. als Bürgerrecht im Rahmen der allgemeinen Strafgesetze mit dem ausdrücklichen Verbot, die Presse einer Zensur (im Sinne einer Vorzensur) zu unterwerfen. Der M.- und Pressefreiheit wird schon während der konstitutionellen Monarchie (Konstitutionalismus) in Deutschland über ihren individualrechtlichen Charakter hinaus eine wichtige Funktion für die politische Willensbildung zugesprochen. Die freie Presse ist wesentlicher Bestandteil einer jeden Repräsentativverfassung.

2. Die Bedeutung der Meinungsfreiheit in den demokratischen Verfassungsstaaten

Auch wenn in Verfassungen ein ausdrücklicher Schutz der M. und Informationsfreiheit fehlt, muss doch von einer Geltung dieser Grundrechte ausgegangen werden, was durch die Rechtsprechung in dem Sinne bestätigt ist, dass die verfassungsrechtlich gewährleistete Pressefreiheit die Meinungsäußerungs- und die Informationsfreiheit umfasst. Freie Information und freie Meinungsäußerung sind unmittelbar Ausdruck der menschlichen Persönlichkeit. Für eine freiheitlich-demokratische Staatsordnung hält das BVerfG das Grundrecht für „schlechthin konstituierend, denn es ermöglicht erst die ständige geistige Auseinandersetzung, den Kampf der Meinungen, der ihr Lebenselement ist“ (BVerfGE 7, 198 [208]). Diese Aussage ist später auf die Presse-, Rundfunk-, Fernseh- und Filmfreiheit (BVerfGE 20, 56 [97 f.]) sowie auf die Informationsfreiheit erstreckt worden (BVerfGE 27, 71 [81]).

Die primär menschenrechtlich begründete M. und Pressefreiheit, die ungeachtet der Gegenstände gilt, die erörtert oder kommentiert werden, bekommt den Demokratiebezug dadurch, dass faktisch auch (politische) Themen behandelt werden, die für den Informationsstand und die Meinungs- und Willensbildung der Bürger in einer Demokratie unentbehrlich sind. Daraus folgt jedoch keine rechtliche Pflicht des Bürgers und der Presse, an der politischen Meinungsbildung i. S. d. obigen demokratietheoretisch zutreffenden Feststellung mitzuwirken. Folglich fehlt auch eine verfassungsrechtliche Privilegierung politischer Äußerungen gegenüber Äußerungen anderen Inhalts. Der individualrechtliche Charakter der M. weist nicht nur demokratiestaatliche, sondern auch sozialstaatliche Funktionalisierungen des Grundrechts ab.

In engem Zusammenhang mit der M. in Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG ist die Informationsfreiheit gewährleistet, die in den meisten anderen Verfassungen fehlt. Das GG reagiert damit auf die Informationsbeschränkungen während des nationalsozialistischen Regimes. Informationsfreiheit ist Voraussetzung für die Meinungsbildung, die wiederum Voraussetzung der Meinungsäußerung und -verbreitung ist. Während die Meinungsäußerungsfreiheit, die Presse-, Rundfunk- und Filmfreiheit die Verbreitung von Nachrichten schützen, bietet die Informationsfreiheit dem Empfänger der Nachricht (Leser, Hörer, Zuschauer) grundrechtlichen Schutz.

M. ist in den demokratischen Verfassungsstaaten westlicher Prägung reines Abwehrrecht, dem keine Pflichten entnommen werden können, die Freiheit in einem bestimmten Sinne zu gebrauchen. Dieser status negativus des Bürgers umfasst auch das Recht, seine Meinung nicht zu äußern, sich über bestimmte Dinge nicht zu informieren. Ein Verzicht auf Information stellt sich i. d. R. als eine Auswahlentscheidung zwischen der Unzahl von Informationsquellen und -möglichkeiten dar. Diese stets notwendige Auswahlentscheidung wird durch das Grundrecht der Informationsfreiheit geschützt. Dagegen hatte das Grundrecht der M. auf der Basis eines positiven Freiheitsbegriffs, wie er insb. in den sozialistischen bzw. kommunistischen Staaten vertreten wurde, den Charakter eines Instruments zur Festigung des Systems, das Kritik verbietet oder Kritik bestimmter Art fordert.

3. Die Schutzbereiche: Meinungsäußerung und vorangehende Meinungsbildung

Dem Begriff Meinung wohnt die Subjektivität der Wertung inne; gerade diese subjektive Wertung ist Gegenstand des Grundrechtsschutzes. Meinungen können rational begründet oder betont emotional behauptet sein oder auf einem vitalen Mitteilungsbedürfnis des Menschen beruhen. Meinungen können direkt oder indirekt (z. B. Witz, Ironie) formuliert sein. Eine Ethik der verantwortlich gebildeten Meinung fern von Opportunismus, Interesselosigkeit und Sensationslust auf Grund solider Kenntnis der Fakten und Zusammenhänge kann der Staat durch die Grundrechte nicht garantieren. Diese wichtigen ethischen Voraussetzungen des Grundrechts darf der Staat nicht zu rechtlichen Voraussetzungen für den Grundrechtsschutz machen.

Ob geschäftliche Werbung unter dem Schutz der M. steht, ist umstritten. Da die M. nicht gebietsmäßig beschränkt gewährleistet ist und da wirtschaftliche Gegenstände häufig nicht klar von anderen abgegrenzt werden können, wird man auch geschäftliche Werbung als Meinung qualifizieren müssen. Tatsachenmitteilungen stehen schon deshalb unter dem Schutz der M., weil sie i. d. R. im Zusammenhang mit Meinungen vorgebracht werden und diese stützen sollen; zumindest ist aber in der Auswahl der Tatsachen, Nachrichten usw. ein wertendes Element zu sehen.

Das Äußern der Meinung kann privat oder öffentlich, kostenlos oder gegen Entgelt geschehen. Das Äußern zielt auf geistige Wirkung, auch wenn bloße Erwägungen angestellt werden, die beim Zuhörer einen Meinungsbildungsprozess auslösen sollen. Da geistige Wirkung (Angst, Mutlosigkeit) auch mit brachialen Mitteln erreicht werden kann, muss bes. betont werden, dass unter den Begriff Meinungsäußerung nicht Gewaltakte fallen. Geschützt sind immer nur geistige Darlegungen: so ist ein geistiger Boykottaufruf von der M. geschützt, nicht aber ein Boykottaufruf, der mit wirtschaftlichem Druck verbunden ist.

Die Meinungsäußerungsfreiheit gibt keinen Anspruch auf Verschaffung von Zuhörern, von „Podien“ oder von anderen Mitteln zur Verbreitung von Meinungen wie Finanzen oder Zugangsrechte zur Massenkommunikation.

Die Meinungsbildungsfreiheit steht zwischen Informationsfreiheit und Meinungsäußerungsfreiheit. Die Meinungsbildung spielt sich im forum internum der Gedankenwelt ab, geschieht aber auch dadurch, dass gewonnene Informationen gesammelt, geordnet, archiviert, kombiniert und sonst verarbeitet werden. Meinungsbildung ist als Voraussetzung der Meinungsäußerung durch die Grundrechte der Informationsfreiheit und der M. mit geschützt. Hieraus folgen aber keine positiven Ansprüche des Bürgers auf Erleichterung der Meinungsbildung durch zusätzliche staatliche Information, durch kostenlose Bibliotheksbenutzung, durch kostenlosen Zeitungsbezug oder Rundfunkempfang usw.

Informationsquellen für die Meinungsbildung sind alle Informationsträger wie z. B. Schriftstücke jeder Art, das gesprochene Wort, Rundfunksendungen, Filme, Zeichen, Symbole, Schallplatten, Magnetofonbänder, Internet usw.; auch der eigentliche Informationsgegenstand kann selbst Informationsquelle sein, z. B. ein Ereignis, das unmittelbar wahrgenommen wird. Die individuelle Information an der Quelle des Informationsgegenstandes ist ein wichtiges Korrektiv zu der Wirkung der Massenmedien, zur Welt aus zweiter Hand. Der Begriff der Informationsquelle erfährt erst durch das Attribut „allgemein zugänglich“ seine nähere Bestimmung, die den Schutzbereich des Grundrechts ausmacht. Die Allgemeinzugänglichkeit bestimmt sich allein nach den tatsächlichen Gegebenheiten und unterliegt nicht staatlicher Verfügung. Eine andere Beurteilung gäbe dem Staat die souveräne Bestimmung über die Voraussetzungen der Meinungsbildung. Beschränkungen lassen sich also nicht durch einen staatlichen Eingriff in eine faktisch bestehende Allgemeinzugänglichkeit, sondern nur über die in der Verfassung formulierten Schranken des Grundrechts bewerkstelligen. Allgemein zugänglich sind z. B. alle Pressepublikationen des In- und Auslandes, Rundfunksendungen, ohne Rücksicht auf die Landesgrenzen. Alles, was die Behörden zu Recht oder zu Unrecht geheim oder vertraulich behandeln, ist nicht allgemein zugänglich. Die Meinungsbildungsfreiheit verleiht keinen Anspruch gegen den Staat, Auskünfte zu erteilen, Akteneinsicht zu gewähren usw.; Informationspflichten des Staates folgen aus den Vorschriften über die Öffentlichkeit bestimmter staatlicher Verfahren und aus Vorschriften über Veröffentlichung und Auskunft.

4. Die Schranken der Meinungs- und Meinungsbildungsfreiheit

Die Grundrechte sind nicht schrankenlos. Insb. die M. wird in den meisten Verfassungen nur „innerhalb der gesetzlichen Schranken“ gewährleistet. Bei Fehlen solcher Einschränkungsmöglichkeiten gleichermaßen wie zur Auslegung allgemeiner Gesetzesvorbehalte werden Standards entwickelt, die Beschränkungen zulassen, ohne dass Ideen oder Gegenstände und Inhalte von Meinungen unterdrückt werden. Nach Art. 5 Abs. 2 GG findet die M. „ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre“.

Die Schranke der allgemeinen Gesetze verbietet gezielte Eingriffe in die M. und die anderen in Art. 5 Abs. 1 GG geschützten Kommunikationsfreiheiten. Was allgemein verboten ist, z. B. im Baurecht, im Polizeirecht, im Straßenrecht, im Strafrecht einschließlich Staatsschutzrecht, ist auch im Hinblick auf Meinungsäußerungen und die anderen Aktualisierungen der Grundrechte aus Art. 5 Abs. 1 GG verboten. Es kommt also nicht auf Inhalt und Wert der Meinung oder Nachricht an, die aus sachlich allgemeinen Gründen unterdrückt wird. Wenn z. B. die Polizei auf Grund der allgemeinen polizeilichen Handlungsermächtigung eine Unglücksstelle absperrt, um Rettungsarbeiten vor Behinderung durch Schaulustige zu sichern, so trifft dieses Verbot zwar die Meinungsbildungsfreiheit, ist aber sachlich allg., da es genauso den Spaziergänger wie denjenigen betrifft, der die Unglückstelle betrachten, den gesperrten Weg benutzen möchte, um zu seinem Arbeitsplatz, zu einem Warenhaus oder zu seiner Wohnung zu gelangen. Für Regelungen, die sich nur auf die Kommunikationsfreiheit im Allgemeinen oder auf einzelne Kommunikationsmittel beziehen, besagt das Erfordernis der sachlichen Allgemeinheit, dass die Regelung nicht die Äußerung bestimmter Meinungen als solcher oder bestimmter Nachrichten als solcher in ihrem geistigen Informationsgehalt, sondern nur Äußerungsmodalitäten treffen darf.

Jugendschutz ist ein inhaltlich umschriebenes Rechtsgut. Diese Schranke der M. zielt primär nicht auf die Unterdrückung entsprechender Meinungsgehalte, Schriften, Bilder usw., sondern bloß auf den Schutz der Jugendlichen vor jugendgefährdenden Einflüssen. Die Indizierung jugendgefährdender Schriften ist aus zwei Gründen keine Zensur: Die Werke werden erst nach ihrer Veröffentlichung überprüft; die Indizierung bedeutet kein Verbot der Verbreitung, sondern nur eine Beschränkung der Verbreitung unter dem Gesichtspunkt des Jugendschutzes.

Der Ehrenschutz (Ehre) als zweite inhaltlich bestimmte Schranke der M. knüpft an die Ehrenschutzvorschriften des Zivil- und Strafrechts an, die sich als Grundrechtsschranken auswirken. Die bes. Schranke des Ehrenschutzes erlaubt und fordert (Schutzpflicht!) eine gezielte Unterdrückung von Meinungsäußerungen zum Schutze der persönlichen Ehre auch derjenigen von Prominenten und Politikern. Das BVerfG verlangt dagegen von der Rechtsprechung der ordentlichen Gerichte, dass die Schranke des Ehrenschutzes im Licht der Bedeutung des Grundrechts der M. gesehen und so in ihrer das Grundrecht beschränkenden Wirkung selbst wieder eingeschränkt wird.

Über die in Art. 5 Abs. 2 GG genannten Schranken hinaus ergeben sich Schranken der M. in den Sonderstatusverhältnissen des Beamten-, Soldaten-, Schul-, Strafvollzugs- und Untersuchungshaftrechts. Über die Schranken der allgemeinen Gesetze hinausgehende bes. Beschränkungen der M. sind nur zulässig, soweit der verfassungsrechtlich festgelegte Zweck des jeweiligen Sonderstatusverhältnisses dies erfordert.