Privatrecht

1. Begriff

P. bezeichnet innerhalb eines wissenschaftlichen und damit theoretischen Systems den Teil der Rechtsordnung, der die Rechtsbeziehungen einzelner Personen untereinander bei Anerkennung grundsätzlicher Gleichberechtigung umfasst, seien es natürliche oder juristische Personen. Heute unterscheidet man im P. (oder dem weitgehend synonymen Zivilrecht) zwischen dem allgemeinen und Sonderprivatrecht (Sonder-P.). Gegenstand des allgemeinen P.s sind v. a. die Normen der Zivilrechtskodifikationen (Kodifikation) wie etwa in Deutschland das BGB von 1900, in Österreich das Allgemeine Bürgerliche Gesetzbuch von 1811 und in der Schweiz das Obligationenrecht von 1881 nebst dem Schweizerischen Zivilgesetzbuch von 1912. Inhaltlich geht es dort insb. um die Rechts- und Handlungsfähigkeit natürlicher und juristischer Personen, um den Vertragsschluss und die daraus resultierenden Ansprüche, um die Rechtsfolgen unerlaubter Handlungen und ungerechtfertigter Bereicherung, um die Eigentumsordnung und alle anderen sachenrechtlichen Fragen, um das Familienrecht mit Einschluss des Eherechts sowie schließlich um das Erbrecht. Gelten diese Normen gleichermaßen für alle P.s-Subjekte, d. h. natürliche und juristische Personen, so gibt es auch heute noch andere, sonderprivatrechtliche Regeln für bestimmte Personengruppen, z. B. das Handelsrecht als Recht der Kaufleute, das Gewerberecht, das Gesellschaftsrecht und auch das Kartell- und Wettbewerbsrecht, für die abhängig Beschäftigten das Arbeitsrechts. Ebenfalls dem Sonder-P. werden manche besonderen Schutzgüter, die Ergebnisse schöpferischer Tätigkeit darstellen, wie Urheber-, Patent-, Verlagsrecht usw., zugerechnet. Auch spezielle Materien wie das Wertpapierrecht, Wasser- und Bergrecht zählt man zum Sonder-P. Ein wichtiges Indiz für die Zuordnung ist die Regelung außerhalb der Zivilrechtskodifikation. Die Differenzierung von allgemeinem und Sonder-P. spielt zwar manchmal für die Entscheidung von Zuständigkeitsfragen in der Gerichtsbarkeit eine Rolle, weil es bspw. bes. Arbeitsgerichte gibt. Tatsächlich baut das Sonder-P. aber inhaltlich in weitem Umfang auf dem allgemeinen P. auf und ist daher ohne dieses unvollständig. Ein wichtiges Beispiel dafür ist die überall geltende Rechtsgeschäftslehre des BGB. Andererseits hat der deutsche Gesetzgeber bei der Schuldrechtsreform 2002 das Verbraucherrecht ins allgemeine P. integriert, so dass es auch hier Regeln für bes. Gruppen gibt. Dasselbe ließe sich für das seit jeher ins allgemeine P. gehörige Eherecht sagen. Insofern erweist sich die Differenzierung von allgemeinem und Sonder-P. als wenig leistungsfähig. Sie hat ihre Ursache in dem Bemühen, nach Entstehung der erwähnten Kodifikationen Materien aus der Darstellung auszuklammern, die in privatrechtlichen Nebengesetzen geordnet werden. Angesichts der wechselhaften Geschichte der Kodifikationen seit ihrem Erlass, in der manche Gesetzgebungsgegenstände aus ihnen ausgegliedert, später aber wieder integriert wurden, ist dieses Anliegen überholt, zumal ohnehin die europäische Gesetzgebung die nationalen P.s-Kodifikationen in den Mitgliedsstaaten der EU überlagert.

2. Herkunft des Begriffs

Der Begriff P. geht auf die Differenzierung des Rechts in ius privatum (P.) und ius publicum (öffentliches Recht) im antiken römischen Recht zurück. Der römische Geschichtsschreiber Titus Livius nannte das Zwölftafelgesetz von 451/450 v. Chr. fons omnis publici privatique iuris (ab urbe condita 3, 34). Offenbar war also die Unterscheidung von öffentlichem und privatem Recht schon um die Zeitenwende allgemein geläufig.

Der Jurist Ulpian schrieb in seinen Institutionen (D. 1.1.1.2, vgl. auch Inst. 1.1.4): „Huius [sc. iuris] studii duae sunt positiones, publicum et privatum, publicum ius est quod statum rei Romanae spectat, privatum quod ad singulorum utilitatem: sunt enim quaedam publice utilia, quaedam privatim […] privatum ius tripertitum est: collectum enim est ex naturalibus praeceptis aut gentium aut civilibus.“ („Beim Studium des Rechts gibt es zwei Perspektiven, öffentliches und privates Recht. Öffentliches Recht ist das, was das Dasein des römischen Staates im Auge hat, privates Recht, was den Nutzen des Einzelnen anbelangt. Denn manche rechtlichen Vorschriften bestehen zu einem öffentlichen Nutzen, manche zu einem privaten. […] Das private Recht ist dreigeteilt: es ist nämlich aus den Normen des Naturrechts, des Völkergemeinrechts und des Zivilrechts entnommen“.)

Öffentlich ist danach dasjenige Recht, das dem Staat, privat dasjenige, das dem Einzelnen nützlich ist. Privatus leitet sich von lateinisch privare (= absondern, berauben, befreien) ab. Es enthält den Stamm priv-, auf den auch privus (= der Einzelne) zurückgeht. Ius privatum ist danach der vom öffentlichen gesonderte Bereich des Rechts, der (nur) dem Einzelnen überlassen ist, seinem Interesse dient. Damit war eine Dichotomie der Rechtsordnung angesprochen, ohne zugleich inhaltliche Unterscheidungsmerkmale jenseits des Bezugsobjekts anzugeben. Wenn Ulpian zwei Ausprägungen der utilitas (Nutzen) unterscheidet, so geschieht das nicht in dem Sinn, dass das P. nur dem Einzelnen dienen soll, dass öffentliche nur dem Gemeinwohl, sondern es ist ausgesagt im Sinne einer Schwerpunktsetzung, denn das private Wohl steht nicht – wenigstens nicht zwingend – dem Gemeinwohl entgegen. Auch im Bereich des P.s haben Gemeinwohlrücksichten ihren Platz – schon im römischen Recht.

Es geht am Anfang um positiones studii, also um eine Frage der Darstellung, nicht um eine inhaltlich-systematische Zweiteilung des Rechts. Die Gegenüberstellung von privatem und öffentlichem Recht lässt leicht übersehen, dass es sich bis heute in Wahrheit eben nur um die Unterteilung eines Gegenstands, nämlich des Rechts, handelt, nicht hingegen um zwei in sich abgeschlossene, jeweils unabhängige Gegenstände. Dies einleitend zu betonen, erscheint wichtig zum Verständnis einer gewissen Unvollständigkeit der Perspektive beider Teildisziplinen des Rechts. Von daher erstaunt es nicht, wenn eine isolierte Betrachtung je einer Seite des Rechts letztlich keine umfassende Erklärung rechtlicher Fragen bietet. Dennoch hat sich die Unterscheidung von öffentlichem und P. völlig durchgesetzt. Sie reicht bis hin zur Zuweisung eines besonderen Rechtswegs für öffentlichrechtliche Streitigkeiten (vgl. § 40 Abs. 1 VwGO). Privatrechtliche Streitigkeiten sind ausnahmslos der ordentlichen Gerichtsbarkeit zugeordnet (vgl. § 13 GVG). Diese Vorschriften sprechen von „bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten“ und meinen damit privatrechtliche. Das bürgerliche Recht erscheint seit dem 19. Jh. als eine gebräuchliche Übersetzung des lateinischen ius civile (Zivilrecht), auch wenn die Vorstellung von Bürgertum (Bürger, Bürgertum) in dieser Zeit eine spezifisch neue Bedeutung gewonnen hat, die sich im P. widerspiegelt.

Das Ulpian-Zitat spricht am Ende von drei Quellen privaten Rechts: dem Naturrecht, dem Recht, das allen Völkern gemeinsam ist und dem ius civile. Das römische ius civile ist dasjenige Recht, das nur für die römischen Bürger galt, unter Einschluss mancher Materien, die man damals und heute dem öffentlichen Recht zuordnen würde. Bis zur völligen Monopolisierung von Zwangsgewalt beim Staat seit der Wende zum 19. Jh. blieb P. sehr weit und umfasste auch verschiedene Herrschaftsrechte.

3. Die Entwicklungsgeschichte

3.1 Corpus iuris civilis

Das P. hat seinen Wurzelgrund im römischen Recht, dessen Wirkungsgeschichte das antike Reich bis heute überdauert. Seit der Etablierung des modernen Verfassungsstaats ist es eingereiht in die Hierarchie rechtlicher Normen, aber hatte von Anfang an ein Eigenleben. Das war bereits in seiner Grundidee angelegt, jedem einzelnen Menschen die Entfaltung seiner Persönlichkeit zu ermöglichen, indem er die eigenen Rechtsverhältnisse möglichst nach seinem Willen gestaltet, also in der Idee der Privatautonomie. Schon das römische P. stellte deshalb die Freiheit der Person, die Vertragstreue und den Schutz des Eigentums in den Mittelpunkt des P.s. Dabei war das römische P. im Kern Ergebnis der beratenden Tätigkeit privater Rechtsgelehrter, nicht so sehr staatlicher Gesetzgebung und damit „strukturell herrschaftsfern“ (Jansen 2009: 495) und auf einen „angemessenen Interessenausgleich“ (Jansen 2009: 512) der Einzelnen mehr als auf Gemeinwohlerwägungen ausgerichtet, auch wenn letztere ihm nicht prinzipiell fremd sind. Es entzog sich bis zum Beginn des Mittelalters gesetzgeberischer Zusammenfassung. Erst als die Kultur dieses antiken Juristenrechts längst untergegangen schien, veranlasste der oströmische Kaiser Justinian in den Jahren 529–534 n. Chr. die Aufzeichnung des Rechts der klassischen römischen Antike, die er dann als Gesetz promulgierte. Seit der Gesamtausgabe durch den französischen Juristen Dionysius Gothofredus im Jahr 1583 heißt diese Sammlung Corpus iuris civilis. Sie enthält mit den Institutionen einen systematischen Überblick über die ganze Rechtsordnung, der auf ein Lehrwerk des römischen Juristen Gaius zurückgeht. Es folgen als zweiter und weitaus umfangreichster Teil die unter dem Titel Digesten oder Pandekten geläufig gewordenen Auszüge aus den Juristenschriften der klassischen Zeit. Im dritten Teil, dem Codex, stehen die Kaisergesetze Roms bis zur Zeit Justinians. Im oströmischen Reich blieb das große Gesetzeswerk weitgehend unbedeutend. Es war ein Gesetzbuch in einer der griechischen Bevölkerung fremden Sprache, zugleich in für die Praxis wenig tauglicher Ordnung.

3.2 Rezeption

Seine eigentliche Wirkung entfaltete das Corpus iuris civilis erst ungefähr ein halbes Jahrtausend später, als insb. die erst im 11. Jh. wiederentdeckten Digesten zunächst in Bologna, dann sehr bald auch in anderen Städten Oberitaliens und Südfrankreichs zum Gegenstand eines neuen, spezifischen Rechtsunterrichts gemacht wurden. Damit fand das Corpus iuris civilis zu den Adressaten, die es seiner inneren Konstruktion nach brauchte: Es war mehr Schul- als Gesetzbuch. Mit der zunächst in Philosophie und Theologie erprobten scholastischen Methode (Scholastik) setzte seit dem 11. Jh. eine intensive Auseinandersetzung mit den antiken Rechtstexten ein, wobei es v. a. um die zeitlos gültig erscheinenden Normen des P.s ging. Es entstand zunächst eine als Glossen bezeichnete Literaturform, bei der einzelne Worte oder kurze Phrasen des Gesetzes in Randbemerkungen erläutert wurden. In den zahllosen Einzelfällen des Corpus iuris civilis fand man, wie die glossa ordinaria des Accursius betonte, Antwort auf alle Rechtsfragen.

Als weitere Rechtsquelle betrachtete die mittelalterliche Rechtswissenschaft das Kirchenrecht. Dessen wichtige Sammlung war das um 1140 in Bologna entstandene Decretum Gratiani. In ihm sind v. a. Konzilskanones, päpstliche Dekretalen und Textfragmente aus der Kirchenväterliteratur zusammengestellt. Gratian war bestrebt, Widersprüche aufzuheben. Dazu erwies sich die scholastische Methode als hilfreich. Das Kirchenrecht schloss neben dem engeren Amts- und Sakramentenrecht fast das gesamte P. ein. Spätere päpstliche Rechtsakte wurden im „Liber extra“ (1234), im „Liber sextus“ (1298), den „Clementinen“ (1317) und (nicht amtlich) den „Extravagantes Joannis XXII.“ (1325) und „communes“ (1484) veröffentlicht. Seit der Ausgabe durch Gregor XIII. von 1582 heißt die Sammlung Corpus iuris canonici. Zu diesen Texten hatte sich parallel zur römischrechtlichen Legistik eine Wissenschaft vom Kirchenrecht entwickelt, die Kanonistik.

Beide Rechtsquellen verstand man im Mittelalter als einen einheitlichen, widerspruchsfrei zu interpretierenden Ausdruck der Rechtsordnung. Schon der mittelalterliche Rechtsbegriff, der das Recht mehr als vorgegebene Ordnung, denn als Menschenwerk auffasste, legte es nahe, dass beide Wissenschaftszweige dasselbe Objekt betrafen. Man sprach vom ius commune (gemeinen Recht). Auch für das kanonische Recht entstand im 13. Jh. eine glossa ordinaria (verfasst von Johannes Teutonicus).

Sehr bald wurde im 13. Jh. die Schule der Glossatoren von den sogenannten Kommentatoren abgelöst, die die beiden wichtigen Corpora in der Form umfangreicher und zusammenhängender Erläuterungen stärker systematisierend erschlossen. Überragende Bedeutung erlangten die Kommentare der italienischen Juristen Bartolus a Saxoferrato und Baldus de Ubaldis.

Orientiert an der Ordnung beider Gesetzescorpora studierte man an den nun entstandenen Universitäten diese Texte, nicht jedoch die selbstverständlich überall vorhandenen einheimischen Rechtsregeln, deren Verschriftlichung meist erst in Reaktion auf das Vordringen des gemeinen Rechts einsetzte. Das ius commune breitete sich im Laufe des Spätmittelalters nach und nach in ganz Europa mit Ausnahme Englands als praktisch verbindliche Rechtsordnung aus. In Deutschland war diese sogenannte Rezeption des römisch-kanonischen Rechts zur Zeit der Reichsreform Kaiser Maximilians im Jahr 1495 abgeschlossen. In der Schweiz wies man freilich seit dem 16. Jh. das römische Recht als Kaiserrecht zurück.

Der in seiner Bedeutung kaum zu überschätzende Bildungsprozess der Rezeption führte zu einer normativen Konkurrenz mit dem einheimischen Recht. Sie wurde noch dadurch verschärft, dass die Juristen unter den Renaissancehumanisten am Übergang zur Neuzeit einen neuen Blick auf das Corpus iuris civilis eröffneten, da sie meinten, nur durch eine Rekonstruktion der antiken Rechtstexte, die hinter der Kompilation Justinians standen, werde man zum richtigen Recht gelangen können. Nicht das justinianische Gesetz, sondern nur die unveränderten Texte der Römer könnten eine ratio scripta für sich in Anspruch nehmen. Die textkritische Philologie prägte die Arbeit dieser Juristen, deren Einfluss sich bis in die elegante Jurisprudenz der Niederlande im 18. Jh. erstreckte.

3.3 Usus modernus pandectarum

Stärker praktisch orientiert wendeten sich namentlich in Deutschland seit dem 16. Jh. die Juristen des Usus modernus pandectarum intensiv der Rechtsquellenlehre zu. Nach der Reichskammergerichtsordnung von 1495 sollten die Richter „nach des Reiches gemeinen Rechten, auch nach redlichen, ehrbaren und leidlichen Ordnungen, Statuten und Gewohnheiten der Fürstentümer, Herrschaften und Gerichte, welche vor sie gebracht werden […] richten“. Daraus schloss man meistens auf einen Vorrang der partikularen Rechte gegenüber dem gemeinen Recht. Allerdings musste deren Inhalt vor Gericht vorgetragen und gegebenenfalls bewiesen werden. Sonst galt das ius commune, das alle Juristen in den Universitäten gelernt hatten. Zwar entstand schon im 17. Jh. die Idee, es könne neben dem römisch-kanonischen auch ein deutsches P. geben, aber es gelang nirgends, dieses zu erweisen. Vielmehr blieben die Partikularrechte bis zur Zeit der Entstehung privatrechtlicher Kodifikationen Stückwerk. Privatrechtliche Gesetzgebung blieb im alten Europa die Ausnahme. Immerhin enthielten die Polizeiordnungen (Polizei) des 16. Jh. auch privatrechtliche Regeln, insb. Vorschriften zum Vormundschaftsrecht. Die wissenschaftliche Literatur des Usus modernus beschäftigte sich ganz überwiegend mit gemeinrechtlichen Fragen. Es entstand ein „rationales, die individuelle Freiheit und den Austausch förderndes Privatrecht“ (Luig 1998: 635).

3.4 Natur- und Vernunftrecht

Schon die Römer hielten das Naturrecht für eine Rechtsquelle. Sie spielte aber seit der Entstehung der modernen Rechtswissenschaft in Bologna im 12. Jh. zunächst kaum eine eigenständige Rolle. Naturrechtliche Fragen beschäftigten hingegen die praktische Theologie und Philosophie des Mittelalters. Rechtskritisches Potenzial entfalteten diese naturrechtlichen Lehren nur im Dialog mit der Fachjurisprudenz. Das änderte sich zunächst in der Schule von Salamanca im 16./17. Jh., beginnend mit Francisco de Vitoria. Wichtige weitere Namen sind insb. Domingo de Soto, Luis de Molina, Francisco Suárez und Leonhard Lessius. Obgleich dort noch mehrheitlich Theologen am Werk waren, leistete diese Schule doch eigenständige dogmatische Beiträge zur P.s-Wissenschaft. Zentrale Begriffe wie Eigentum, Vertrag, subjektives Recht sind hier maßgeblich umgeformt worden. Konzepte individueller Verantwortung nach dem Verschuldensprinzip fanden dauerhaften Eingang ins privatrechtliche Denken.

In der Zeit konfessioneller Spaltung (Konfessionalisierung) und aufstrebender moderner Staatlichkeit verlor die strikt theonome Letztbegründung des Naturrechts der Schule von Salamanca jedoch den Rückhalt. Sie wurde abgelöst durch mehr oder weniger stark säkularisierte Naturrechtslehren, die eine Abstraktion von der Religion versuchten. Am Anfang stand der Niederländer Hugo Grotius mit seinem Hauptwerk „De jure belli ac pacis libri tres“ (1625), in dem er ein auf die Vernunft gegründetes P.s-System entwarf. Es folgten wichtige Autoren wie Samuel Pufendorf, Gottfried Wilhelm Leibniz, Christian Thomasius und Christian Wolff. Große Bedeutung auch jenseits der Staatstheorie hatten Thomas Hobbes, John Locke oder David Hume. Der Versuch, das Recht allein aus der Vernunftnatur des Menschen abzuleiten, führte begreiflicherweise zu durchaus unterschiedlichen Entwürfen, die in den Details aber oft den gemeinrechtlichen Lösungen glichen. Sehr klar trat in den Naturrechtssystemen der Grundkonflikt zwischen der Freiheit der Person und Gemeinschaftsrücksichten hervor. Manche Autoren entwickelten ihre Lehren sogar stärker aus dem Gedanken der Pflicht als dem individueller Rechte. Zu den privatrechtlich wichtigsten Wirkungen des Vernunftrechts zählt die Verknüpfung der Freiheit der Person mit der Idee der Gleichheit vor dem Gesetz, woraus die positivrechtliche Anerkennung der allgemeinen Rechtsfähigkeit der Person entstand, die sich überall in Europa im 19. Jh. durchgesetzt hat.

3.5 Die Kodifikationen

Vernunftrechtlich beeinflusst war der neuzeitliche Kodifikationsgedanke. Die fortschreitende gesellschaftliche und ökonomische Entwicklung, eine überbordende Rechtsliteratur, Schwierigkeiten in der Organisation effizienter Gerichtsverfahren und die Betonung staatlicher Souveränität unter Einschluss der Gesetzgebungskompetenz beförderten die Vorstellung, das Recht der Staatsbürger müsse, wie es v. a. Charles de Montesquieu gelehrt hatte, in der Nationalsprache abgefasst und auf die Bedürfnisse des Volkes zugeschnitten sein. Dazu brauche es Gesetze, die das Recht umfassend nach den Grundsätzen der Vernunft ordnen. 1756 machte in Deutschland der „Codex Maximilianeus Bavaricus civilis“ den Anfang. Er enthielt eine vollständige P.s-Ordnung, betrachtete es allerdings als ein Gebot der Vernunft, dass das ius commune subsidiär weitergelte. Wenig erfolgreich war das PrALR (1794), das in eine Zeit des Umbruchs vom Ständestaat zur Bürgergesellschaft fiel, aber noch die alten Gesellschaftsstrukturen abbildete. Entgegengesetzt verhielt es sich mit dem französischen „Code civil“ (1804), der als Kind der Revolution bereits ins bürgerliche Zeitalter passte und weltweit Nachahmung gefunden hat. Auch das österreichische ABGB (1811) entsprach den neuen Idealen. Das zerfallende Alte Reich fand jedoch keine Kraft mehr für eine solche Gesetzgebung.

3.6 Historische Rechtsschule und Pandektenwissenschaft

In Deutschland blieb im 19. Jh. das gemeine Recht die maßgebliche Quelle des P.s. Die Historische Rechtsschule, deren Leitfigur Friedrich Carl von Savigny war, verlangte eine Rückbesinnung auf die Entwicklungsgeschichte des römischen Rechts. In seiner klassischen Gestalt sah man in idealer Weise die Grundprinzipien des P.s verwirklicht. Erst die geschichtliche Erforschung des P.s könne, so hieß es, seinen gültigen Inhalt offenbar machen. Folgerichtig wendete man sich einem intensiven Studium insb. der Digesten zu (sogenannte Pandektenwissenschaft). Trotz ihrer explizit auf Geschichte gerichteten Fokussierung ging es nicht um eine Restauration römischen, gar antiken Rechts. Vielmehr wurden die römischen Quellen durchaus im Licht der Zeit gedeutet. Viele dogmatische Entwicklungen wurden aus dem Naturrecht übernommen. Auffällig war die systembildende Kraft, die mit einer zunehmend verfeinerten Begriffsbildung einherging. Auf dieser Grundlage entstand das BGB von 1900, welches das im 19. Jh. entwickelte Pandektensystem mit der Einteilung in die fünf Bücher Allgemeiner Teil, Schuldrecht, Sachenrecht, Familienrecht und Erbrecht übernahm. Es wandte sich von dem bis dahin weithin herrschenden Institutionensystem ab, das nach dem Vorbild des Gaius den Stoff in Personen (personae), Sachen (res) und Klagerechte (actiones) aufgeteilt hatte.

Festzuhalten ist, dass die modernen Zivilrechtskodifikationen aus der gemeinrechtlichen Tradition erwachsen sind. Die Grammatik des römischen Rechts lebt trotz aller Wandlungen der Inhalte der einzelnen Rechtsinstitute im Laufe der Jahrhunderte in diesen Gesetzbüchern fort.

3.7 Im 20. Jahrhundert

Die Entwicklung des P.s im 20. Jh. ist in Deutschland wie in seinen Nachbarländern durch die jeweiligen P.s-Kodifikationen geprägt. Die Rechtsprechung hielt auch nach Inkrafttreten des BGB an ihrem selbstbewussten Umgang mit den Normtexten fest. Das bewahrte nicht vor der Vereinnahmung durch den Nationalsozialismus, der wie jede totalitäre Diktatur mit dem P.s-Gedanken unvereinbar war. In der DDR spielte das P. nur eine untergeordnete Rolle, die ihren Zerfall nicht überdauerte.

Seit der Gründung der BRD ist die Entwicklung v. a. durch zwei Momente geprägt: War im 19. Jh. die geschichtliche Rechtswissenschaft der Historischen Rechtsschule an die Stelle einer Rechtskritik auf der Basis des Naturrechts getreten, so kehrte letzteres auf dem Umweg über das Verfassungsrecht wieder in diese Funktion zurück, dabei aber mit allen Problemen positiven Rechts beladen. Als bes. prägend für die Gestaltung des P.s erwies sich sodann spätestens seit den 1980er-Jahren das europäische Gemeinschaftsrecht, das nicht nur über Rechtsakte, sondern gerade durch die Rechtsprechung des EuGH auf die nationalen P.s-Ordnungen einwirkt. Weite Gebiete wie z. B. der Verbraucherschutz sind ganz von dieser Quelle beeinflusst. Trotz seiner Orientierung am Ideal des Binnenmarktes ist das Unionsrecht nicht nur privatrechtsfreundlich, wie sich etwa an der bevormundenden Tendenz des Antidiskriminierungsrechts zeigt. Dass aber in Europa überhaupt gemeinsames P. möglich ist, liegt v. a. an der gemeinsamen Wurzel der nationalen P.s-Ordnungen im römischen Recht.

4. Die Idee des Privatrechts

Schon im geschichtlichen Ausgangspunkt des P.s wird deutlich, dass das P. zur Verwirklichung der utilitas singulorum, der Interessen des Einzelnen dient. Die dazu erforderliche Freiheit geht mit dem rechtlichen Schutz selbst zu verantwortender Handlungen einher. Dahinter steht die Grundidee, dass jeder Mensch als Person zur Entwicklung seiner Persönlichkeit berufen ist. F. C. von Savigny formulierte klassisch: „Das Recht dient der Sittlichkeit, aber nicht indem es ihr Gebot vollzieht, sondern indem es die freie Entfaltung ihrer, jedem einzelnen Willen innewohnenden Kraft sichert“ (1840: 332). Das P. bietet dazu mit seinen zentralen, von der Idee gleicher Freiheit getragenen Rechtsinstituten von Vertrag, Eigentum und Familie sehr wesentliche Instrumente an, da die Personalität des Menschen nur dann ernst genommen wird, wenn Freiheit und Verantwortung des Einzelnen auch rechtlich relevant sind. Ein solchermaßen an Prinzipien orientiertes positives P. entstand auf der Basis naturrechtlicher Ideen, als das Ancien Régime verschwand. Doch auch zuvor waren diese Ideen nicht unbekannt. Sie hatten freilich in den Zeiten eines in eine ständisch gegliederte Gesellschaft „gebundenen“ (Rückert 2003: Rdnr. 71) P.s geringere Reichweite und bezogen sich allenfalls auf die standesgleichen Personen. Gleichzeitig umfasste der Begriff P. bis ans Ende des 18. Jh. auch Materien wie das Straf- und Prozessrecht, die heute dem öffentlichen Recht zugeordnet werden. Insofern ist P. also trotz seiner römisch-rechtlichen Prägung ein dynamisches Phänomen.

Leitender Grundsatz des P.s wurde im bürgerlichen Zeitalter die Freiheit gleichberechtigter Rechtssubjekte. Das darin liegende Versprechen, mit der Freiheit die Gleichheit zu befördern, geriet durch die soziale Frage des 19. Jh. in Misskredit, ist dadurch aber nicht widerlegt, sondern vielfach politisch durch sogenanntes soziales P. angefochten worden. Den argumentativen Schlüssel dazu bieten die immanenten Schranken aller subjektiven Rechte. Auch das 19. Jh. dachte nicht an schrankenlose Freiheit. Das Austarieren von gegenläufigen Einzelinteressen (Interesse) und Gemeinwohlrücksichten bleibt eine dauerhafte Aufgabe der Rechtsordnung. Sie ist im Zusammenwirken mit dem öffentlichen Recht zu leisten. Es ist wichtig zu sehen, dass die Ideen von Freiheit und Gleichheit nur in wechselseitiger Anerkennung durch die Rechtssubjekte bestehen können. Neben die rechtliche Gleichheit, die in den Stand setzt, subjektive Rechte inne zu haben, tritt die gegenseitige Gleichheit der Verpflichtung zur Achtung der Berechtigung anderer. Das ist nichts anderes als eine Anwendung der goldenen Regel (Tob 4,15; Mt 7,12; Lk 6,31), aber erklärt die immanenten Schranken aller subjektiver Rechte. Das Ergebnis ist dann eine „Privatrechtsgesellschaft“ (Böhm 1966), in der idealiter gemeinsame Freiheit herrscht.

Die dogmatischen Ausprägungen der P.s-Idee erweisen sich als durchaus veränderlich. Eigentum im antiken Rom bedeutete etwas anderes als das durch die Moraltheologie beeinflusste dominium der Schule von Salamanca, als die property-Lehren von J. Locke oder die Auslegung des Begriffs durch das BVerfG. Dennoch ist es überall ein Zentralbegriff des P.s und Prototyp subjektiver Rechte. In solchen Änderungen manifestieren sich vielfach theologische, philosophische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Einflüsse, die zwar nicht das römische P., das seit dem Spätmittelalter die Rechtswirklichkeit prägte, verdrängen, aber doch performieren.