Internet

  1. I. Rechtlich
  2. II. Politikwissenschaftlich

I. Rechtlich

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1. Das Internet als regulierungsbedürftiger Raum der Freiheit

1.1 Freiheitserheblichkeit des Internet

Als weltumspannendes, für zahlreiche Dienste wie insb. das World Wide Web und E-Mail genutztes Computernetzwerk ist das I. aus dem privaten, wirtschaftlichen und auch politischen Leben nicht mehr hinwegzudenken. Es ist ein höchst bedeutsamer Raum der persönlichen und beruflichen Freiheitsentfaltung. Wie jede in der gesellschaftlichen Sphäre wurzelnde Freiheitsgrundlage ist das I. allerdings Gefahren ausgesetzt, die gerade auf seiner Freiheitlichkeit beruhen. So begünstigen die besonderen Eigenschaften des I.s – die territoriale und personale Entgrenzung der Kommunikation, die Automatisierung der Datenverarbeitung, der sich selbst verstärkende Erfolg einmal etablierter Formate und die Hierarchien begründende und verfestigende Wirkung von Suchmaschinen – das Entstehen unternehmerischer, auf der Verfügungsgewalt über riesige Datensammlungen beruhender Informationsmacht (Information), die sich im globalen Maßstab konzentriert. Die Freiheitserheblichkeit dieser Macht wächst dabei umso mehr, je umfangreicher das I. zur tatsächlichen Freiheitsvoraussetzung wird.

1.2 Formen der Selbstregulierung

Dem sich hieraus ergebenden Regulierungsbedarf tragen nur in sehr begrenztem Umfang die seit Anfang der 1990er Jahre entwickelten Formen der Selbstregulierung Rechnung. In nicht-staatlichen Gremien wie der „Internet Society“ (ISOC), dem „World Wide Web Consortium“ (W3C) und der ICANN, durchweg in den USA angesiedelt, werden v. a. technische Standards vereinbart, Übertragungswege ausgestaltet und der IP-Adressenraum verwaltet. Dagegen bleibt die inhaltliche hinter der technischen Selbstregulierung weit zurück. Unverbindliche Verhaltenskodizes von I. Service Providern oder auch die vielbeschworene „Netiquette“ sind allein kaum in der Lage, den zu beobachtenden Freiheitsgefährdungen wirksam zu begegnen. Die Ergebnisse der Selbstregulierung des I.s als in sich geschlossenes, in der Sache hinreichendes, gar hoheitlichen Regelungen entgegenstehendes Cyberlaw oder Internet Common Law zu bezeichnen, ist deshalb nicht gerechtfertigt.

2. Staatliche und überstaatliche Regulierung

2.1 Gegenstandsgerechte Auslegung grundrechtlicher Schutzgehalte

Die Staaten und die Staatengemeinschaft stehen deshalb in der Verantwortung, die Freiheitlichkeit des I.s auch für die Zukunft zu sichern. In Deutschland sind dabei an erster Stelle die Grundrechte maßgebend. Herausforderungen stellen sich zum einen bei der Abgrenzung der Schutzbereiche. Im Angesicht der durch das I. bewirkten Medienkonvergenz ist etwa streitig, ob und unter welchen Voraussetzungen die I.-Zeitung der Pressefreiheit und die I.-Livestream-Übertragung der Rundfunkfreiheit gemäß Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG zu unterstellen sind. Verbreitet wird darauf rekurriert, ob jeweils eine funktionale Äquivalenz besteht, die eine Anwendung der bereichsspezifischen Dogmatik gebietet. Alternativ wird ein übergreifendes Mediengrundrecht propagiert. Die Vertraulichkeit der Individualkommunikation über das I. wird – u. a. gegenüber staatlichen Regulierungen der privaten Nutzung von Verschlüsselungstechnologien – durch das Fernmeldegeheimnis gemäß Art. 10 Abs. 1 GG geschützt, solange der Kommunikationsvorgang andauert. Der laufenden Kommunikation vor- und nachgelagert greift der Schutz durch das informationelle Selbstbestimmungsrecht (Informationelle Selbstbestimmung) nach Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG, dem das BVerfG mit Blick auf die staatliche Online-Durchsuchung das Recht auf die Integrität und Vertraulichkeit informationstechnischer Systeme an die Seite gestellt hat (BVerfGE 120, 274). Eine Kommunikation als in diesem Sinne laufend oder aber abgeschlossen einzuordnen, bereitet in der Praxis teilweise Schwierigkeiten, so in Fällen des Cloud Computing.

2.2 Grundrechtsgemäße Ausgestaltung der (Privat-)Rechtsordnung

Zum anderen ist der Befund zu berücksichtigen, dass die Freiheitsgefährdungen im I. überwiegend nicht vom unmittelbar grundrechtsgebundenen Staat, sondern von ihrerseits freiheitsberechtigten Privaten ausgehen, zumal in grenzüberschreitenden Konstellationen. Die Grundrechte begründen insoweit Schutzpflichten, denen der Staat dadurch nachkommt, dass er die Rechtsordnung freiheitssichernd ausgestaltet. So sucht der Staat seinem in Art. 5 Abs. 2 GG verankerten Auftrag zum Jugendschutz im Zusammenhang der Meinungs- und Medienfreiheiten u. a. durch die gesetzliche Verpflichtung der Diensteanbieter zu entsprechen, Jugendschutzbeauftragte zu bestellen (§ 7 JMStV), daneben durch die Einrichtung der „Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien“ (§§ 17 ff. JuSchG) und durch Anpassungen des Strafrechts (s. die Aufnahme der Telemedien in §§ 130 Abs. 2 und 131 StGB sowie entsprechende Änderungen in §§ 184–184c StGB). Den Ehrschutz soll das Gesetz zur Verbesserung der Rechtsdurchsetzung in sozialen Netzwerken (NetzDG) gewährleisten. Der Sicherung der informationellen Selbstbestimmung dienen die inzwischen vielfältigen, sich z. T. überlagernden Vorschriften zum Datenschutz im I. (DS-GVO, BDSG, §§ 91 ff. TKG, §§ 11 ff. TMG). Die Vertrags- und Wirtschaftsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 und Art. 12 Abs. 1 GG) wird durch Ergänzungen des BGB und anderer Gesetze um Regelungen, die den Formen und Eigenschaften des elektronischen Geschäftsverkehrs Rechnung tragen, gewährleistet (§§ 126 Abs. 3, 126a, 312b ff., 312i f. BGB; Art. 246a ff. EGBGB; SigG; Digitale Revolution). Hinzu treten Normierungen zum marken-, namens- und wettbewerbsrechtlichen Schutz von Domainbezeichnungen, zur Verantwortlichkeit und insofern auch privatrechtlichen Haftung der Diensteanbieter für I.-Inhalte (dazu §§ 7 ff. TMG) und zur Reichweite des urheberrechtlichen Schutzes des geistigen Eigentums (Immaterialgüterrecht) vor der – auf den Gedanken des Open Access gestützten – Verbreitung eines Werks im I. bzw. zur Reichweite des urheberrechtlichen Schutzes einer I.-Publikation selbst.

Darüber hinausgehend wird Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG, das Grundrecht auf Meinungsäußerungs- und Informationsfreiheit, mitunter als Schutznorm der Kommunikationsgerechtigkeit in einem weiten Sinne verstanden, aus der sich die Verpflichtung des Staates ableitet, gesellschaftliche Kommunikationsprozesse offenzuhalten, eine unmäßige Vermachtung der Kommunikationskanäle zu verhindern und ein Mindestmaß an Zugänglichkeit zu Kommunikationsinfrastrukturen und damit auch kommunikative Chancengleichheit (Chancengerechtigkeit, Chancengleichheit) zu sichern. In die gleiche Richtung weist eine gegenwartsgerechte Interpretation des aus dem Sozialstaatsprinzip (Sozialstaat) gemäß Art. 20 Abs. 1 i. V. m. der Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG) abgeleiteten Rechts auf die staatliche Gewährleistung des sächlichen Existenzminimums als eines Rechts auf Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben (vgl. BVerfGE 125, 175).

2.3 Unumgängliche Ergänzung durch private Verantwortung

Die staatliche Rechtsdurchsetzung ist im Bereich des I.s allerdings mit Schwierigkeiten verbunden, dies schon aufgrund der Unüberschaubarkeit und Wandelbarkeit der I.-Inhalte, ihrer massenhaften Verbreitung in kürzester Zeit und auch der Leichtigkeit, mit der sich Autorschaften vertuschen lassen. Effektiver Jugend-, Ehr- und Datenschutz im I. sind deshalb ergänzend auf Selbstverpflichtungen und Selbstkontrolle (vgl. den EU-Verhaltenskodex für die Bekämpfung von Hetze im Internet von 2016), auf private Eigenverantwortung und nicht zuletzt auf Medienmündigkeit angewiesen, die ihrerseits durch den Staat befördert werden kann und sollte, v. a. in der Schule.

2.4 Effektiver Grundrechtsschutz durch zwischen- und überstaatliche Kooperation

Die Problematik der staatlichen Rechtsdurchsetzung im I. potenziert sich in Anbetracht der territorialen Entgrenzung der regelungsbedürftigen Sachverhalte. So kann der einzelne Staat die informationelle Selbstbestimmung gegenüber dem Handeln auslandsansässiger Netzintermediäre kaum wirksam gewährleisten. Dies erscheint umso problematischer, je stärker die in großen Dimensionen datensammelnden Netzintermediäre in der Lage sind, umfassende und detailgenaue Personenprofile zu generieren und diese kommerziell oder in sonstiger Weise zu verwerten. Dass die Daten im Ausgangspunkt freiwillig zur Verfügung gestellt werden, greift dabei als Einwand wegen der Freiheitserheblichkeit der genutzten Dienste nur eingeschränkt durch. Das Recht auf eine kontrollierte, nicht allein der Evolution der Formate verdankten Löschung persönlicher Daten („Recht auf Vergessen“) wurde 2014 durch den EuGH gegenüber Google Inc. in Stellung gebracht und im Ergebnis auch durchgesetzt, gestützt auf das EU-Datenschutzrecht. Dieser Befund deutet darauf hin, dass wirksamer Grundrechtsschutz im I. auf die zwischen- und überstaatliche Zusammenarbeit angewiesen ist und angewiesen bleiben wird, namentlich in den Formen des Völkerrechts und des Europarechts.

Akteure auf völkerrechtlicher Ebene sind u. a. die – auf die Koordinierung der technischen Standards fokussierte – „International Telecommunication Union“ (ITU) und die den elektronischen Handel zu erleichtern suchende WTO, die insb. das GATS auf die Gegebenheiten des I.s ausgerichtet hat. In eine ähnliche Richtung zielt die Arbeit der UNCITRAL-Kommission der Vereinten Nationen. Bei der Regelung von I.-Inhalten und beim Grundrechtsschutz im I. sind die völkerrechtlichen Institutionen demgegenüber bislang zurückhaltend geblieben, wohl nicht zuletzt aufgrund der Spannung zwischen dem globalen Netz und lokalen oder regionalen Wertevorstellungen.

Die EU ist bei der Regulierung dagegen auch inhaltlich weiter vorangeschritten. Nach Maßgabe der „Digitalen Agenda für Europa“ von 2010, die im Rahmen der Strategie „Europa 2020“ steht, engagiert sich die EU nicht nur für die binnenmarktkonforme Ausgestaltung der Telekommunikationsmärkte und für die Vereinfachung des elektronischen Handels (E-Commerce) und Zahlungsverkehrs, sondern auch für den Schutz der Privatsphäre, so durch die Ausgestaltung eines EU-Rechtsrahmens für den Datenschutz (DSGVO), für die I.-Sicherheit, insb. durch die Einrichtung von Authentifizierungssystemen und die Bekämpfung der Cyberkriminalität und Online-Kinderpornographie, für eine verbesserte Interoperabilität von Geräten, Diensten und Netzen, dies durch Standardisierung, für die Verbreitung schneller I.-Zugänge und benutzerfreundlicher Technologien wie auch für die Förderung der Bildung im digitalen Zeitalter.

3. Staatliche Nutzung des Internets

Der Staat nutzt die Kommunikationsmöglichkeiten des I.s in seinem Binnenbereich, im Verwaltungsverkehr mit dem Bürger und zu Zwecken der Öffentlichkeitsarbeit auch selbst, dies nach dem Leitbild des „E-Government“. Im staatlichen Binnenbereich dient das I. der effizienten Datenverarbeitung und zwischenbehördlichen Kommunikation, gerade in datenintensiven Verwaltungsbereichen. Beispielhaft zu nennen sind der elektronische Informationsaustausch zur Gefahren- und Verbrechensbekämpfung (Interpol, Europol, Verbunddateien der Polizeien des Bundes und der Länder) und der zunehmend automatische Informationsaustausch zur Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen.

In der Kommunikation mit dem Bürger erleichtern es die Darstellungs- und Verweismöglichkeiten des I.s der Verwaltung, Informationen bürgernah aufzubereiten und zu präsentieren. Über Onlineportale und Portalverbünde kann sich der Bürger lebenssachverhaltsbezogen kundig machen und auch darüber hinaus seine Informationsrechte ausüben. Noch weiter geht das in verschiedenen Verwaltungsbereichen bereits recht umfangreich umgesetzte Modell der „virtuellen Behörde“, nach dem, auch rechtserhebliche Verwaltungsvorgänge elektronisch abgewickelt werden können. Beispielhaft stehen hierfür die elektronische Steuererklärung oder auch das elektronisch interaktive Bürgeramt. Seit 2016 bietet § 35a VwVfG die allgemeine Grundlage für den vollständig automatisierten Erlass eines Verwaltungsakts. Auch die Justiz ermöglicht inzwischen die elektronische Kommunikation, so etwa die Klageerhebung per E-Mail („E-Justiz“).

Die Öffentlichkeitsarbeit der Regierungen des Bundes und der Länder ist heute von den Möglichkeiten der I.-Kommunikation geprägt. Regierungsprogramme, einzelne Maßnahmen und entsprechende Tätigkeitsberichte, werden umfang- und detailreich auf den Homepages der Regierungen und ihrer Ressorts dargestellt. E-Mail-Listserver, Chat-Rooms und Video-Blogs dienen ebenfalls der Information und dem Austausch mit dem Bürger. Auch die anderen Staatsgewalten sind online präsent. So veröffentlichen die Parlamente Redeprotokolle, Gesetzentwürfe und Ausschussanhörungen im I. Die Gerichte machen anhängige Verfahren und ihre Entscheidungen online zugänglich.

Unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten sind diese Entwicklungen mit den Anforderungen der demokratischen Legitimation und der Rechtsstaatlichkeit (Rechtsstaat) abzustimmen. So dürfen sich die Kommunikationswege, die das I. eröffnet, nicht über die kompetenzrechtlich vorgegebene Verwaltungs- und Verantwortungsorganisation hinwegsetzen. Dies gilt gerade mit Blick auf horizontale Informationsverbünde, die quer zu vertikal angelegten Verantwortungssträngen liegen können. Auch aus rechtsstaatlichen Gründen können angemessene informationelle Abschottungen geboten sein (s. BVerfGE 133, 277 zur polizeilichen Verbunddatei).

Ganz eigenständige Fragen wirft die Abwicklung politischer Wahlen mithilfe des I.s auf. Zwar könnte die Möglichkeit, online zu wählen, das Interesse und die Wahlbeteiligung gerade in den jüngeren Bevölkerungsschichten erhöhen. Doch sind die verfassungsrechtlichen Maßstäbe, die gerade an die Parlamentswahl zu stellen sind, zu wahren. Erhebliche Probleme kann dabei die Sicherstellung des Wahlgeheimnisses bereiten. Darüber hinaus und noch grundsätzlicher ist zu bedenken, dass das Angebot der politischen Wahl im I. zu einem oberflächlichen, nicht hinreichend bedachten Umgang mit dem vornehmsten demokratischen Bürgerrecht führen könnte. Das Erfordernis physischer Präsenz im Wahlbüro und die dort einzuhaltenden Verfahrensschritte befördern eine Vergegenwärtigung der Aufgabe und eine Ernsthaftigkeit, die vor dem heimischen Computer nicht unbedingt gewährleistet sind – ganz abgesehen von der auch symbolischen Bedeutung, die der Gang ins Wahlbüro hat und durch den der Bürger sichtbar Teil der politischen Gemeinschaft wird, die das Gemeinwesen konstituiert.

4. Perspektiven

Das I. hat Freiheitsräume der privaten, der politischen und der wirtschaftlichen Entfaltung eröffnet, die noch vor wenigen Jahrzehnten ungeahnt waren. Mit den neuen Freiheitsdimensionen gehen neue Gefährdungslagen einher, aus denen sich Anfragen an das Recht ergeben. Soweit der Staat die Freiheit im I. beschränkt, so zur Gefahrenabwehr und Kriminalitätsbekämpfung, bedarf es einer gegenstandsgerechten Auslegung der grundrechtlichen Schutzgehalte, zudem einer sorgfältigen Verhältnismäßigkeitsprüfung (Verhältnismäßigkeit), die eine Ausdifferenzierung des jeweils einsetzbaren Instrumentariums, auch freiheitssichernde Flankierungen gebieten kann (Anhörungen, Löschungspflichten, Rechtsschutz etc.). Große, noch weitgehend unbeantwortete Fragen wirft demgegenüber das Problem der Freiheitssicherung im Verhältnis zu den mächtigen privaten Netzintermediären auf, von deren Infrastrukturen die Freiheit im Netz abhängt (Gatekeeper-Funktion), die aber – zumal als gewinnorientierte Wirtschaftsunternehmen – diese Freiheit zugleich in Bedrängnis bringen. Die Selbstregulierung des I.s führt hier nach den inzwischen vorliegenden Erfahrungen nur begrenzt weit. Gleiches gilt für die Kooperation der Staaten auf völkerrechtlicher Ebene. Erfolgversprechender erscheint ein abgestimmtes Vorgehen der Mitgliedstaaten der EU, die es gemeinsam bewirken können, europäische Vorstellungen über Freiheiten und Werte im globalen Raum des I.s durchzusetzen. In der Sache lässt sich an gesetzliche Verpflichtungen der Netzintermediäre denken, ihre Unternehmen und Serverstrukturen so zu konfigurieren, dass sie für staatliche und europäische Regelungen zugänglich sind. Darüber hinaus sollten Konsequenzen aus der Einsicht gezogen werden, dass kraftvolle, innovative europäische I.-Unternehmen es den Mitgliedstaaten erleichtern können, europäische Standards im I. zu etablieren, während eine passive, protektionistische Haltung immer in die Defensive und damit in eine Situation der Angreifbarkeit und Schwäche führt. Zudem hängt die gelungene Freiheitsentfaltung im I. auch und insb. davon ab, dass der Einzelne verantwortlich mit dieser Freiheit umgeht. Für den Staat ergibt sich daraus der Handlungsauftrag, die digitale Bildung aller Bürger zu fördern. Soweit sich der Staat schließlich selbst des I.s bedient, um Verwaltungsaufgaben zu erledigen, eröffnen sich Perspektiven eines effizienten und gleichheitsgerechten Gesetzesvollzugs, der aber nicht zu einer Immunisierung der Technik gegenüber der menschlichen Gesetzesauslegung führen darf.

II. Politikwissenschaftlich

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1. Innovation und Wandel politischer Kommunikation

I. und soziale Medien haben nicht nur die Kanäle politischer Kommunikation vervielfacht, sondern zugleich die Art der Kommunikation und damit auch die Interaktionsmöglichkeiten zwischen politischen Akteuren, gesellschaftlichen Gruppen und Bürgern erheblich verändert. Bereits mit den Anfängen in den 1990er Jahren haben sich die Möglichkeiten der Informationsverbreitung wie die der Informationsgewinnung (Information) deutlich erweitert. Websites stellten neue Orte der Selbstdarstellung von Akteuren dar und gaben deren Zielsetzungen einen neuen Rahmen. E-Mails vereinfachten den internen Informationsaustausch auch in Parteien, Organisationen und sonstigen Gruppen. Sie machten Vernetzung billiger und schneller, erhöhten auch die Reichweite von Kommunikation. Das Aufkommen neuer Anwendungen im „Web 2.0“ hat die Vernetzung noch weiter getrieben. Die Dynamik der technischen Entwicklung (drahtlose Netzwerke, I. über mobile Endgeräte, social software, Social Media) hat die Formen der Online-Kommunikation und -Interaktion nochmals erweitert, zumal dank der weitgehenden und grenzüberschreitenden Vernetzung auf sozialen Plattformen. Über rein kommunikativen Austausch hinaus ermöglichen soziale Medien zugleich Interaktionen zwischen ihren Nutzern (etwa von Microblogs wie Twitter, von content communities wie Tumblr, oder von sozialen Netzwerken wie Facebook).

Ähnlich wie bei vorhergehenden Innovationen stellt sich hinsichtlich des Aufkommens des I.s und sozialer Medien die Frage, inwieweit sich dadurch die Rahmenbedingungen von Politikvermittlung verändert haben, und welchen Einfluss die Funktionslogik dieser neuen Möglichkeiten auf die politische Kommunikation und – darüber hinaus – auf politische Prozesse im Allgemeinen hat. Auch bei den digitalen Medien verhält es sich dabei wie bei den früheren Kontroversen um damalige Innovationen: Es ist strittig, inwieweit die jeweiligen Innovationsschübe und die mit ihnen verbundenen Nutzungspotenziale eines „neuen“ Mediums positive oder negative Wirkungen entfalten. Der Einzug des I.s löste Anfang der 1990er-Jahre eine erhebliche Netzeuphorie aus, die mit der Verbreitung sozialer Medien neu auflebte. Man setzte alsbald auf Verbesserungen in der politischen Teilhabe, auf die Ergänzung – oder gar Ersetzung – repräsentativer Verfahren durch solche einer direktdemokratischen bürgerlichen Selbstregierung. Insgesamt kam in Wissenschaft und Politik die Vision eines neuen Modells von Demokratie auf: die einer virtuellen agorā bzw. einer virtuellen ekklesía, mit der das athenische Ideal einer „Selbstregierung der Bürger“ verwirklicht werden könne. Diese optimistischen, auch utopischen Hoffnungen richten sich also auf ein demokratiebelebendes Potenzial durch erweiterte Möglichkeiten von Partizipation, Deliberation, Transparenz und Responsivität.

Dem stehen skeptische Stimmen gegenüber, die entweder nur eine Spiegelung der bereits vorhandenen Muster von Partizipation und Deliberation vermuten oder gar einen Qualitätsverlust demokratischer Prozesse befürchten. Als zentraler Aspekt dieser Debatte kristallisiert sich die Kritik an deliberativen Demokratievorstellungen heraus. Den Argumenten der Netzoptimisten, die eine Herstellung von Öffentlichkeit durch elektronische Deliberation erwarten, wird entgegengehalten, dass das I. eher zu einer Fragmentierung der öffentlichen Sphäre führe, sogar zu einer „Erosion des öffentlich orientierten Staatsbürgertums“ (Buchstein 1996: 603). Während die klassischen Massenmedien Öffentlichkeit strukturieren und diesbezüglich gewisse Integrationsleistungen erbringen, führe die Pluralisierung durch zigtausende von Websites, chat rooms, Blogs etc. v. a. zur Dispersion von Öffentlichkeit. In diesem Zusammenhang wird befürchtet, dass sich die Bürger in eine Myriade von selbstreferentiellen Teilöffentlichkeiten parzellieren, die eine nach innen gerichtete Fixierung aufweisen sowie den Blick für andere Teilgruppen oder für das „große Ganze“ verlieren, was die Möglichkeit einer gemeinsamen öffentlichen Sphäre womöglich unterminiert. Diese Befürchtung wird auch mit Schlagworten wie „Echokammer“ oder „Filterblase“ ausgedrückt.

2. Aufgabenstellungen für die Politikwissenschaft

I. bzw. soziale Medien stellen der Politikwissenschaft somit vielfältige Aufgaben, da inzwischen eine Mehrheit der politischen Institutionen und Akteure auf digitale Medien zurückgreift, und zwar auf allen Ebenen – von der lokalen über die nationale und transnationale (europäische) bis hin zur globalen. Dabei hat sich eine Trias der Beschäftigung mit diesem Gegenstand herausgebildet. Erstens: die Befassung mit I.-Governance (auch „Online-Polity“ [Fraas u. a. 2012: 113]), wobei technische Aspekte im Vordergrund stehen, etwa der Aufbau und die Unterhaltung der technischen Infrastruktur, die Standardisierung z. B. von Software, sowie Aspekte der Regulierung. Zweitens ist für Regierungen, aber auch für die EU oder internationale Organisationen, in der Gestalt der „Netzpolitik“ unter dem Namen Online-Policy ein neues Politikfeld entstanden. Dazu gehören Aspekte der Netzregulierung sowie rechtliche Regelungen, etwa im Hinblick auf Urheberrecht, Datenschutz, Jugendschutz, Netzzugang, Netzneutralität oder auch Bekämpfung von Cyberkriminalität. Drittens umfasst die Online-Kommunikation politischer Akteure – sowohl top-down als auch bottom-up – jenen Bereich, in dem es um netzbasierte politische Prozesse geht bzw. um die Auswirkungen digitaler Medien auf politische Strukturen und Prozesse (Online-Politics). Hier stellen sich etwa folgende Fragen: Wie verändern sich politische Prozesse auf Grund der Nutzung digitaler Medien durch politische Akteure? Sind diese Veränderungen als bereichernd oder als dysfunktional zu beurteilen?

Wichtige Merkmale der digitalen Medien lassen sich in Attributen wie Ortlosigkeit und Entgrenzung, Schnelligkeit und Synchronizität sowie Interaktivität zusammenfassen. Netzwerke können gedacht werden als dezentrale, horizontale und hierarchiefreie Organisationsformen. Die Konnektivität ermöglicht ein potenziell unbegrenztes Wachstum der Anzahl von Netznutzern und verbindet sich mit niedrigen Zugangs- und Ausgangsschwellen (entry/exit option). Auf solchen Grundlagen können sich Gemeinschaften immer wieder neu formieren. Dabei müssen die „technische Ermöglichung von Netzwerkbildung“ sowie die „tatsächliche kommunikative Wertigkeit der Netzwerkverbindung“ (Kneuer/Richter 2015: 113) durchaus nicht deckungsgleich sein.

Technische Merkmale wie Entgrenzung, Schnelligkeit, Interaktivität und Vernetzung fordern, mitsamt dem Zuwachs an neuen Kommunikationsformen, alle am politischen Prozess beteiligten Akteure heraus: die Funktionsträger aller Ebenen, die sich des I.s bedienen können oder müssen, um ihre Politikprogramme zu vermitteln; die Entscheidungsträger in Parlament und Regierung, die entsprechende Rahmenbedingungen setzen müssen (zum Netzzugang, zur Netzsicherheit, oder gar, um das I. für bestimmte Prozesse – etwa Verwaltungsaufgaben [ Verwaltung) – nutzbar zu machen); die intermediären Institutionen (v. a. Parteien und Interessengruppen), die nun neue Möglichkeiten der Einflussnahme auf den Willensbildungs- und Entscheidungsprozess haben sowie neue Wege finden, um an Bürger heranzutreten; und auch die Medien, insofern das I. einerseits die Notwendigkeit einer Nutzung bisheriger Massenmedien umgeht und andererseits für Zeitungen, Radio und Fernsehen auch die neue Möglichkeit eröffnet, ihre Informationen über das Netz anzubieten. Obendrein können sich zivilgesellschaftliche Gruppierungen (Zivilgesellschaft) oder auch Einzelne verstärkt wahrnehmbar machen und die politische Agenda mitbeeinflussen oder gar Druck auf politische Akteure ausüben.

3. Wirkung auf Partizipationschancen

Hinsichtlich der Wechselwirkung von Digitalisierung und Demokratie ergeben sich zwei Forschungsbereiche. Zum einen wird die Wirkung digitaler Medien und Kommunikation auf die bereits existierenden demokratischen Strukturen, Prozesse sowie Verhaltens- und Einstellungsmuster untersucht. Hier geht es v. a. um die empirische Analyse jener Folgen, welche die technischen Veränderungen für die politische Sphäre zeitigen, insb. für die Interaktion zwischen Regierenden und Regierten. Der andere Forschungsstrang geht von einer Neukonzeption von Demokratie aus: Es wird eine – wie auch immer konkret gestaltete – Verknüpfung digitaler Techniken und Funktionslogiken mit demokratischen Strukturen und Prozessen vorgenommen, woran anschließend sich E-Democracy als Modell ganz eigener Art von bisherigen Demokratiemodellen unterscheidet. E-Democracy ist hierbei als ein normativ geleitetes Konzept zu verstehen, das unterschiedlichen demokratietheoretischen Annahmen folgt und somit auf keine konsensuelle Definition zurückgreifen kann. E-Democracy lässt sich im Weiteren aufgliedern in Unterbereiche wie E-Voting, E-Participation, E-Activism (oder Cyberactivism) und E-Deliberation etc. Zu allen wird intensive Forschung betrieben. Nur zwei Schwerpunkte seien genannt: Zum einen Wahlkampagnen, die seit dem innovativen Wahlkampf (microtargeting, crowdfunding) von Barack Obama 2008 Aufmerksamkeit erlangt haben und durch den Twitter-Wahlkampf von Donald John Trump sowie durch den Einsatz von social bots eine weitere Dimension erlangten. Zum anderen die E-Partizipation, von der man sich demokratische Qualitätsgewinne verspricht. Hier geht es um Perspektiven sowohl top-down als auch bottom-up, und zwar

a) um institutionalisierte Beteiligungsformate, die von staatlichen Stellen angeboten werden wie E-Government, E-Voting, E-Referenda, Bürgerhaushalte, Konsultationen oder E-Decision-Making;

b) um moderierte Formate wie abgeordnetenwatch; und

c) um individuelle bottom-up Formate, die meist unter den Begriff der „unkonventionellen Partizipation“ gefasst werden, etwa Online-Unterschriftenaktionen, Blogs usw.

4. Autokratische Nutzung

Ein deutlich jüngeres, aber nicht minder wichtiges Forschungsfeld ist die Wechselwirkung von I. und autokratischer Herrschaft. Beim „Arabischen Frühling“ spielten 2011 das I. und die sozialen Medien eine herausgehobene Rolle. Doch schnell wurde klar, dass diese nicht nur Möglichkeiten zur der Befreiung von Autokratien (Regierungssysteme) bereithalten, sondern auch subtile Formen sozialer Kontrolle sein können, ja sogar innovative Legitimationsmechanismen für autokratische Machthaber. Die Netznutzung in Autokratien wie China, Kuba, den VAE oder Singapur unterstreicht tatsächlich, dass die dortigen Machthaber demokratisch gesinnten Netzprofis hinsichtlich des technischen Erfindungsreichtums in nichts nachstehen und das Netz für ihre eigenen Zwecke zu instrumentalisieren vermögen, nämlich zur Kontrolle und Repression der Bürger (s. das Sozialkreditsystem in China) und Dissidenten und zur Legitimation des eigenen Regimes.

Denn erstens ermöglichen die Strukturen eines „vernetzten Autoritarismus“ sehr extensive und effiziente Formen sozialer Kontrolle. Autokratische Systeme sind dank der neuen technologischen Möglichkeiten in der Lage, subtile Filter- und Zensursysteme einzusetzen, können sich selbst an der Netzkommunikation beteiligen und auf diese Weise digitale Netzwerke zum Kontrollinstrument oder gar zur Fahndung nach Netzdissidenten umfunktionieren. Neben den kruden Methoden des Blockierens von I.-Zugängen, der Zensur oder gar des (zeitweisen) Abschaltens des Netzes gibt es längst auch soft control, wobei die Machthaber nicht direkt das Individuum kontrollieren, sondern dessen Umfeld, etwa private I.-Gesellschaften. Zweitens nutzen autokratische Regime das I. in vielfältiger Weise zur Herstellung von Legitimität. Mit E-Government-Programmen bieten sie Dienstleistungen für Bürger an und pflegen so ihr Image als effektiv und bürgernah. Zudem gehen Autokratien zunehmend dazu über, Responsivität zu simulieren, indem sie Bürgern neue Beteiligungsmöglichkeiten wie elektronische Petitionen anbieten oder Regierungsblogs unterhalten, in denen sich Bürger äußern oder Anfragen an die Regierungen richten können.

5. Ambivalenz

Zweifellos sind digitale Medien, v. a. soziale Netzwerke, ein Instrument, dessen Wirkkraft alle bisherigen medialen Informations-, Mobilisierungs- und Vernetzungsmöglichkeiten überschreitet. Auf diese Wirkkraft können demokratische Gruppen zur Überwindung autokratischer Systeme ebenso zurückgreifen wie Autokratien, wenn sie Opposition und Protest kontrollieren, infiltrieren oder unterminieren wollen. Das I. ist ein Medium, das an sich weder für Demokratien förderlich oder Autokratien abträglich ist. Vielmehr hängt seine Wirkung von den jeweiligen Akteuren und ihren Nutzungsmotiven ab, desgleichen von deren verbreiteten Botschaften. Soziale Medien operieren nicht im sozialen Vakuum. Von Anfang an war deshalb die Vorstellung naiv, allein schon die Existenz neuer technischer Wege wäre in der Lage, Defizite oder Fehlentwicklungen repräsentativer Demokratie zu beheben – oder gar Autokratien zu schwächen und zu stürzen.