Vereinte Nationen (UNO, United Nations Organization)

  1. I. Im internationalen Rechtsgefüge
  2. II. In der Praxis der internationalen Politik

I. Im internationalen Rechtsgefüge

Abschnitt drucken

1. Einführung

Die UNO ist ein Zusammenschluss von Staaten mit dem Ziel der Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit. Mit heute 193 Mitgliedstaaten ist sie die größte und wichtigste internationale Organisation auf universeller Ebene. Sie wurde am 26.6.1945 durch Unterzeichnung der UN-Charta von 50 der 51 Gründungsstaaten gegründet (Polen holte die Unterzeichnung am 15.10.1945 nach) und trat gemäß Art. 110 Abs. 3 am 24.10.1945 in Kraft. Neben dem Hauptsitz in New York gibt es weitere Büros in Genf, Nairobi und Wien. Das UN-Büro in Genf gilt als zweitwichtigster Standort und nutzt die Räumlichkeiten im Palais des Nations, der zwischen 1929 und 1938 für den Völkerbund als Vorgängerinstitution errichtet wurde. Schwerpunkte der Tätigkeit in Genf bilden die Menschenrechte und die Rüstungskontrolle. Weitere Büros wurden 1979 in Wien und 1996 in Nairobi errichtet.

Neben der im Mittelpunkt stehenden Sicherung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit dient die UNO als allgemeine Plattform für die politische, wirtschaftliche und soziale Zusammenarbeit zwischen den Staaten. In diesem Kontext besitzt sie auch eine Zuständigkeit für die Arbeit an der Kodifizierung (Kodifikation) und fortschreitenden Entwicklung des Völkerrechts (Art. 13 UN-Charta) einschließlich des Menschenrechtsschutzes (vgl. Art. 55 UN-Charta).

Die UNO besitzt Völkerrechtssubjektivität, kann also Träger von Rechten und Pflichten aus dem Völkerrecht sein. Mit der UNO sind eine Reihe weiterer universeller Organisationen vertraglich verbunden, die rechtlich selbstständig sind und über eine enger umgrenzte sachliche Zuständigkeit verfügen (wichtige Beispiele sind die Internationale Arbeitsorganisation [ILO ], die Welternährungsorganisation [FAO ] oder die Weltgesundheitsorganisation [WHO ]). Diese Organisationen werden als „Sonderorganisationen“ (specialized agencies) bezeichnet und bilden zusammen mit der UNO die sogenannte „UN-Familie“.

2. Historische Aspekte

Die UNO ist die Nachfolgeorganisation des Völkerbunds, der 1919 in der Folge des Ersten Weltkriegs gegründet worden war. Wie dieser lässt sich ihre Gründung ideengeschichtlich auf Immanuel Kants Schrift „Zum ewigen Frieden“ (1795) zurückverfolgen. Zugleich reagiert die institutionelle Ausgestaltung auf Erfahrungen aus der Zeit des Völkerbunds und versucht, der neu gegründeten Organisation insb. im Bereich der Friedenssicherung klare Handlungsbefugnisse gegenüber den Mitgliedstaaten zu verleihen. Außerdem enthält sie in Art. 2 Ziff. 4 UN-Charta erstmals ein allgemeines und umfassendes Gewaltverbot, das sie mit einer – von der Ausnahme der Selbstverteidigung abgesehen – Monopolisierung des Einsatzes militärischer Gewalt beim Sicherheitsrat zu kombinieren versucht.

Die Grundidee für eine neue Weltorganisation entstand bereits während des Zweiten Weltkriegs, so dass bald nach Kriegsende förmlich Verhandlungen aufgenommen wurden. Auf der Konferenz von Dumbarton Oaks wurde im Sommer 1944 ein erster Entwurf verabschiedet, der allerdings in Bezug auf die Abstimmung im Sicherheitsrat offen blieb. Diese wichtige Frage wurde unmittelbar auf der Konferenz von Jalta zwischen den vier Siegermächten i. S. eines Vetorechts der ständigen Mitglieder des Sicherheitsrats entschieden. Die eigentliche Gründungskonferenz fand dann in San Francisco vom 25.4.–26.6.1945 statt. Nachdem die Charta der UNO am 24.10.1945 in Kraft getreten war, löste sich der Völkerbund am 19.4.1946 förmlich auf. Seine Vermögenswerte wurden auf die UNO überführt.

Zwischen 1945 und 2020 liegt eine 75-jährige wechselvolle Entwicklungsgeschichte, für welche der Ost-West-Konflikt bis 1989, die Phase der Dekolonialisierung in den 1960er und 1970er Jahren und das heute wichtige Nord-Süd-Gefälle prägend waren. Außerdem hat das wechselvolle Verhältnis der ständigen Mitglieder des Sicherheitsrats untereinander Themen und Handlungsmöglichkeiten der Organisation nachhaltig beeinflusst.

Eine deutsche Mitgliedschaft in der UNO war unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg undenkbar, zumal die sogenannte „Feindstaatenklausel“ nach Art. 53 und Art. 107 UN-Charta militärische Zwangsmaßnahmen gegen jeden Staat erlaubt, der „während des Zweiten Weltkriegs Feind eines Unterzeichners dieser Charta war“ (Art. 53 Abs. 2 UN-Charta). Später war der Ost-West-Konflikt ein zentrales Hindernis. Die Aufnahme in die UNO wurde erst am 18.9.1973 möglich, nachdem zuvor mit dem Grundlagenvertrag die Möglichkeit des gleichzeitigen Beitritts der BRD und der DDR geschaffen worden war. Dessen ungeachtet findet sich die „Feindstaatenklausel“ immer noch im Text der Charta. Sie wird allerdings allgemein als obsolet angesehen und der Weltgipfel der Staats- und Regierungschefs des Jahres 2005 hat seine Entschlossenheit zum Ausdruck gebracht, die Regelung abzuschaffen.

Deutschland ist mehrfach als nicht-ständiges Mitglied in den Sicherheitsrat der UNO gewählt worden und dort wie auch in der Organisation insgesamt ein bes. aktiver Mitgliedstaat. Bemühungen um einen ständigen Sitz im Rahmen einer größeren UN-Reform waren aber nicht von Erfolg gekrönt, was nicht zuletzt an den hohen Hürden für eine Charta-Änderung liegt, die neben einer Zweidrittelmehrheit in der Generalversammlung auch die Zustimmung aller ständigen Mitglieder des Sicherheitsrats umfasst (vgl. Art. 108 und 109 Abs. 2 UN-Charta).

3. Aufgaben

3.1 Wahrung des Weltfriedens durch Errichtung eines Systems gegenseitiger kollektiver Sicherheit

Hauptaufgabe der UNO ist die Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit. Zu diesem Zweck errichtet die UN-Charta ein System gegenseitiger kollektiver Sicherheit, bei dem die einzelstaatliche militärische Gewaltausübung umfassend verboten wird und dem Sicherheitsrat weitreichende Kollektivbefugnisse zuerkannt werden, die bis zu militärischen Zwangsmaßnahmen reichen können (Kap. VII UN-Charta). An die Stelle der von der Charta ursprünglich vorgesehenen Durchführung solcher Zwangsmaßnahmen unmittelbar durch den Sicherheitsrat selbst (vgl. Art. 43–51 UN-Charta) ist in der Praxis eine Ermächtigung des Sicherheitsrats an einzelne Staaten oder Regionalorganisationen getreten. Maßgeblich für diese Entwicklung ist, dass die Staaten nicht bereit waren, die militärische Kommandogewalt über ihre Truppen an die UNO abzugeben. Bekannte Beispiele sind Resolution 687 (1990), in der der Sicherheitsrat militärische Zwangsmaßnahmen im Irak als Konsequenz der Invasion Kuwaits autorisierte, sowie Resolution 1973 (2011) betreffend Libyen, die gleichzeitig als erster Anwendungsfall der Schutzverantwortung (responsibility to protect) verstanden werden kann.

In der Praxis der Friedenssicherung hat der klassische zwischenstaatliche militärische Konflikt in den vergangenen Jahren weiter an Bedeutung verloren. Im Vordergrund stehen Bürgerkriegssituationen (Bürgerkrieg) und – im Zuge der Bekämpfung des internationalen Terrorismus – der Umgang mit Bedrohungen des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit durch nichtstaatliche Akteure.

Das Instrument der Friedenstruppen (sogenannte „Blauhelm-Missionen“) ist in der UN-Charta nicht audrücklich vorgesehen, aus der Friedenssicherungspraxis aber nicht mehr wegzudenken. Friedenstruppen werden üblicherweise im Einverständnis mit den Konfliktparteien zur Sicherung eines – möglicherweise fragilen – Waffenstillstands eingesetzt. Ihre allgemeine völkerrechtliche Rechtfertigung beziehen sie aus der Zustimmung der Konfliktparteien. Die Kompetenz der UNO zur Entsendung solcher militärischen Missionen lässt sich mit einer implied powers-Argumentation als dem System gegenseitiger kollektiver Sicherheit immanent begründen. Sie wird auch angesichts der viel weitreichenderen militärischen Zwangsbefugnisse nirgends ernsthaft bestritten. 2020 sind 13 Blauhelm-Missionen mandatiert, darunter bspw. MINUSMA in Mali oder UNMISS im Südsudan.

Zum System gegenseitiger kollektiver Sicherheit gehört auch die Verpflichtung zur friedlichen Streitbeilegung (Art. 2 Ziff. 3 UN-Charta), der mit unterschiedlichen Instrumenten nachgekommen werden kann, die von Verhandlungen über Vermittlung bis hin zu schiedsgerichtlichen (Schiedsgerichtsbarkeit) und gerichtlichen Verfahren reichen (Art. 33 UN-Charta). Eine Verpflichtung auf ein konkretes Verfahren enthält die UN-Charta nicht.

3.2 Allgemeine Plattform der politischen Zusammenarbeit; Schutz der Menschenrechte

Neben der gerade beschriebenen Hauptaufgabe der Friedenssicherung – aber über das Ziel der Beseitigung von Ursachen militärischer Gewalt eng mit dieser Hauptaufgabe verknüpft – kommt der UNO die Rolle einer Plattform für die Organisation zwischenstaatlicher Zusammenarbeit auf universeller Ebene zu. Hierfür hat sie breit gefächerte Zuständigkeiten im wirtschaftlichen und sozialen Bereich (Kap. IX UN-Charta). Mit dem Wirtschafts- und Sozialrat (Kap. X UN-Charta) verfügt sie darüber hinaus über ein Spezialorgan für diesen Bereich. Allerdings darf nicht übersehen werden, dass die UNO hier – anders als im Bereich der Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit im Rahmen von Kap. VII UN-Charta – über keine Befugnis zu verbindlichen Maßnahmen verfügt.

Schon unmittelbar nach der Gründung im Oktober 1945 und seit der Verabschiedung der beiden Menschenrechtspakte aus dem Jahr 1966 mit wachsender Bedeutung hat sich die UNO auch dem Schutz und der Durchsetzung der Menschenrechte verschrieben. Für die Organisationsstruktur ist von entscheidender Bedeutung, dass im Jahr 2006 an die Stelle der in der Charta angesprochenen Menschenrechtskommission (vgl. Art. 68 UN-Charta) der Menschenrechtsrat getreten ist. Dieser ist als Unterorgan unmittelbar der Generalversammlung zugeordnet und führt regelmäßige menschenrechtliche Überprüfungsverfahren für alle Mitgliedstaaten der UNO durch (sogenannte Universal Periodic Review). Für den Schutz der Menschenrechte ist zudem von Bedeutung, dass der Sicherheitsrat im Rahmen des Konzepts der Schutzverantwortung (responsibility to protect) schwerste Menschenrechtsverletzungen als Friedensbedrohung ansieht und dementsprechend mit kollektiven Sanktionsmaßnahmen reagieren kann.

4. Organe

Die UNO verfügt über sechs in Art. 7 Abs. 1 UN-Charta bezeichnete Hauptorgane.

4.1 Generalversammlung

In der Generalversammlung als dem Plenarorgan der UNO sind alle Mitgliedstaaten nach dem Prinzip des one state, one vote gleichberechtigt vertreten. Ihr kommen grundlegende organisationsinterne Aufgaben, wie die Beschlussfassung über das Budget, zu. Außerdem kann sie nach Art. 10 UN-Charta alle Fragen und Angelegenheiten erörtern, die im Zuständigkeitsbereich der Organisation liegen. Eine wichtige Einschränkung betrifft den Bereich der Friedenssicherung, in dem die Generalversammlung nur eine gegenüber dem Sicherheitsrat subsidiäre Zuständigkeit besitzt (vgl. Art. 12 UN-Charta). Außerdem haben Beschlüsse der Generalversammlung in aller Regel nur empfehlenden Charakter (Ausnahmen bestehen für den organisationsinternen Bereich, wie das Budget oder die Entscheidung über Stimmrechts- und Mitgliedschaftsfragen), während der Sicherheitsrat im Rahmen seiner friedenssichernden Befugnisse nach Kap. VII UN-Charta Entscheidungen trifft, die für alle Mitgliedstaaten verbindlich sind (Art. 25 UN-Charta).

4.2 Sicherheitsrat

Hauptorgan im Bereich der Friedenssicherung ist der Sicherheitsrat (vgl. Art. 24 UN-Charta), der allein befugt ist, verbindliche Zwangsmaßnahmen zu beschließen. Zentral hierfür sind die Regelungen in Kap. VII UN-Charta, die eine Friedensbedrohung, einen Bruch des Friedens oder eine Angriffshandlung voraussetzen. Zwischen den drei Begriffen besteht eine Stufung, der aber nur politische Bedeutung zukommt. In rechtlicher Hinsicht reicht bereits die Feststellung einer Friedensbedrohung aus. Der Sicherheitsrat hat diesen Begriff in seiner Praxis von seiner ursprünglich rein zwischenstaatlichen Ausrichtung auf interne Konflikte und schließlich auch auf massive Menschenrechtsverletzungen ausgedehnt. Auch abstrakte Gefahren, wie der internationale Terrorismus oder die Bedrohung durch Massenvernichtungswaffen (ABC-Waffen), sollen den – nicht unumstrittenen – Begriff der Friedensbedrohung erfüllen können. Das Instrumentarium des Sicherheitsrats reicht von Empfehlungen über Sanktionsanordnungen bis zu militärischen Zwangsmaßnahmen. Bei den Sanktionen hat sich in den vergangenen Jahren neben den klassischen zwischenstaatlichen wirtschaftlichen oder politischen Zwangsmaßnahmen eine Praxis sogenannter targeted sanctions herausgebildet, mit denen gezielt Individuen und Organisationen belegt werden, denen Beiträge zur Friedensbedrohung vorgeworfen werden. Entsprechende Maßnahmen umfassen etwa Reisebeschränkungen oder das Einfrieren von Vermögen.

Der Sicherheitsrat besteht aus 15 Mitgliedern, darunter die sogenannten ständigen Mitglieder (China [seit 1971 die VR China statt der bis heute noch im Text der UN-Charta genannten Republik China, d. h. Taiwan], Frankreich, Russland [im Wege der Nachfolge für die bis heute im Text der UN-Charta genannte Sowjetunion], das Vereinigte Königreich und die USA). Für das Abstimmungsverfahren gilt das sogenannte Vetorecht der fünf ständigen Mitglieder. Nach Art. 27 Abs. 3 UN-Charta bedarf es für einen Sicherheitsratsbeschluss der Zustimmung von neun Mitgliedern, einschließlich der fünf ständigen Mitglieder. Nach der (vom IGH gebilligten) Praxis ist eine Enthaltung aber ungeachtet des Wortlauts „Zustimmung“ unschädlich.

4.3 Wirtschafts- und Sozialrat

Der Wirtschafts- und Sozialrat besitzt weitgehende Zuständigkeiten im Bereich der Wirtschaft, des Sozialwesens sowie von Kultur, Erziehung, Gesundheit und verwandten Gebieten (Art. 62 Abs. 1 UN-Charta). Er hat ausschließlich beratende Funktion und teilt sich seine Zuständigkeit mit der Generalversammlung und zahlreichen Sonderorganisationen und UN-Programmen, die Spezialbefugnisse in diesem Bereich besitzen. Er hat über lange Zeit zudem die menschenrechtlichen Aktivitäten der UNO koordiniert, diese Aufgabe aber 2006 mit der Ersetzung der Menschenrechtskommission durch den Menschenrechtsrat weitgehend verloren.

4.4 Treuhandrat

Der Treuhandrat war der Fortführung des bereits unter dem Völkerbund bestehenden Mandatssystem geschuldet. Er hat im Zuge der Dekolonialisierung seine Bedeutung verloren und 2005 seine Arbeit eingestellt, auch wenn die UN-Charta förmlich nicht geändert worden ist.

4.5 Internationaler Gerichtshof

Mit der Integration des IGH als Hauptorgan der UNO (vgl. Art. 7 UN-Charta) und der automatischen Bindung aller Mitgliedstaaten an das IGH-Statut (Art. 93 Abs. 1 UN-Charta) stärkt die Charta die internationale Gerichtsbarkeit. Der Gerichtshof besitzt allerdings keine allgemeine Zuständigkeit, sondern es bedarf einer gesonderten Zustimmung der Staaten für den konkreten Streitfall (vgl. Art. 36 IGH-Statut). Diese kann vorab als Auslegungszuständigkeit beim Abschluss völkerrechtlicher Verträge oder in Form einer Unterwerfungserklärung nach Art. 36 Abs. 2 IGH-Statut abgegeben werden. Alternativ können die Streitparteien die Zuständigkeit des IGH ad hoc für die Beilegung einer konkreten Streitigkeit anerkennen.

Dem IGH kommt über seine Gutachtenzuständigkeit (Art. 96 UN-Charta) eine wichtige Aufgabe zu. Auf diese Weise wurden wichtige organisationsinterne Rechtsfragen wie Organzuständigkeiten, Streitigkeiten über Mitgliedschaftsrechte oder auch die Völkerrechtssubjektivität der UNO geklärt.

4.6 Sekretariat

Die UN-Charta bezeichnet das Sekretariat als Hauptorgan mit zentralen Verwaltungsaufgaben. Praktisch steht aber der Generalsekretär ganz im Vordergrund. Neben seiner Funktion als Leiter der Verwaltung (Art. 101 Abs. 1 UN-Charta) kommt ihm auch eine herausgehobene politische Rolle zu, die von den verschiedenen Generalsekretären unterschiedlich intensiv ausgefüllt worden ist. Neben politisch bes. sichtbaren Amtsträgern wie Dag Hammerskjöld, Boutros Boutros-Ghali oder Kofi Atta Annan, die wichtige Impulse für die Entwicklung der UNO gesetzt haben, hat es auch immer wieder Generalsekretäre gegeben, bei denen eher die Verwaltungstätigkeit im Mittelpunkt ihrer Tätigkeit stand. Der Generalsekretär hat wichtige Kompetenzen im Bereich der Friedenssicherung. So kann er den Sicherheitsrat auf Situationen aufmerksam machen, die seiner Auffassung nach geeignet sind, die Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit zu gefährden (Art. 99 UN-Charta).

5. Bewertung

Der UNO wird immer wieder Ineffektivität vorgeworfen, gerade auch in Bezug auf massive militärische Auseinandersetzungen mit schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen. In der Tat kann der Blick auf die weltweiten Konfliktherde zu jedem beliebigen Zeitpunkt ihres Bestehens nur Zweifel an der Effektivität der Friedenssicherung durch die UNO hervorrufen. Es ist aber nicht zu übersehen, dass die Schaffung einer solchen weltweiten Organisation nur ein Instrument darstellt, mit dem die Staatengemeinschaft diese Konflikte bewältigen will. Die Möglichkeiten der Organisation reichen deshalb immer nur so weit, wie der politische Wille ihrer Mitgliedstaaten. Dass dabei die Interessen bes. mächtiger Akteure ein entscheidender Faktor sind, gehört zu den Realitäten der internationalen Politik. Diese Realitäten haben in einem Zeitfenster unmittelbar nach dem Ende des Kalten Krieges zunächst eine ganze Reihe von Veränderungen ermöglicht, die der Organisation neue Handlungsspielräume eröffnet haben. Es lässt sich aber nicht übersehen, dass die Bereitschaft zur multilateralen Zusammenarbeit bei den zentralen staatlichen Akteuren (China, Russland, USA) dann stark abgenommen hat und einem neuen Unilateralismus Platz machen musste. Die politischen Rahmenbedingungen für die Tätigkeit der UNO wurden wieder schwieriger. Auch schreibt die Zusammensetzung des Sicherheitsrats mit dem Vetorecht der fünf ständigen Mitglieder die Kräfteverhältnisse einer 75 Jahre alten Nachkriegskonstellation fest, die inzwischen in vielen Teilen überholt ist. Hier täte eine grundsätzliche Reform Not, die freilich bislang ebenfalls an den politischen Realitäten scheitert.

An der grundsätzlichen Notwendigkeit einer universellen Organisation mit Eingriffsbefugnissen zum Zweck der Friedenssicherung ändern diese politisch schwierigen Rahmenbedingungen aber nichts. Ohne die UNO wären die Handlungs- und Einflussmöglichkeiten gerade schwächerer Staaten noch geringer als sie es derzeit sind. Die genannten institutionellen Unzulänglichkeiten und politischen Abhängigkeiten der UNO geben daher keinen Anlass für grundsätzliche Zweifel an einem multilateralen Ansatz der Friedenssicherung. Sie sollten vielmehr zur Arbeit an der Verbesserung und Fortentwicklung der vorhandenen Strukturen animieren.

II. In der Praxis der internationalen Politik

Abschnitt drucken

Seit ihrer Gründung 1945 ist die UNO, die in erster Linie den Krieg als Mittel der Politik ächten sollte, zu einem globalen Forum geworden, in dem alle grundlegenden Weltprobleme wie Klimaschutz, nachhaltige Entwicklung (Nachhaltigkeit), humanitäre Krisen, Menschenrechtsverletzungen, Staatszerfall (Failed State) etc. thematisiert und mit dem Ziel einer Lösung teilweise auch aktiv angegangen werden. In der internationalen Politik besteht gleichwohl weitgehender Konsens über den Bedarf einer Reform, weil überkommene Strukturen und Verfahren nicht mehr durchgängig den weltpolitischen Realitäten des 21. Jh. entsprechen. Gleichzeitig wird von den UN zunehmend verlangt, eine ordnungspolitische Lücke in der globalisierten Welt zu füllen. Dieser Widerspruch zwischen den realen Möglichkeiten und den hochgesteckten Erwartungen erzeugt ein Klima gefühlter und auch tatsächlicher Überforderung und bewirkt oft unangemessene Bewertungen ihrer Arbeit.

1. Strukturen und Entscheidungsprozesse

Die multidimensionale Arbeit der UN lässt sich – abgesehen von Zuständigkeiten in weiteren Materien samt angrenzender Politikfelder – in insgesamt drei Hauptfelder einteilen:

a) Aufgaben im Bereich der Sicherung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit,

b) Aufgaben im Bereich des Menschenrechtsschutzes und der Fortentwicklung des Völkerrechts und

c) Aufgaben in den Bereichen Wirtschaft, Entwicklung und Umwelt.

Nach den Erfahrungen mit dem Völkerbund, vor dem Hintergrund zweier Weltkriege, massiver Verletzungen der Menschenrechte sowie der fatalen Folgen der Weltwirtschaftskrise wurde mit den UN ein neuer Versuch zur Regulierung des internationalen Systems und zur Schaffung dauerhafter Sicherheit unternommen. „Fest entschlossen, künftige Geschlechter von der Geißel des Krieges zu befreien“, sollten Bedingungen geschaffen werden, unter denen „Gerechtigkeit und die Achtung vor den Verpflichtungen aus Verträgen […] gewahrt werden können, den sozialen Fortschritt und einen besseren Lebensstandard in größerer Freiheit zu fördern“ (Präambel der UN-Charta). In Art. 1 UN-Charta, die insgesamt 111 Artikel in 19 Kapiteln umfasst, setzt sich die Weltorganisation vier programmatische Hauptziele:

a) den Weltfrieden und die internationale Sicherheit zu wahren und zu diesem Zweck wirksame Kollektivmaßnahmen zu treffen, um Bedrohungen des Friedens zu verhüten und zu beseitigen, Angriffshandlungen und andere Friedensbrüche zu unterdrücken und internationale Streitigkeiten oder Situationen, die zu einem Friedensbruch führen könnten, durch friedliche Mittel nach den Grundsätzen der Gerechtigkeit und des Völkerrechts zu bereinigen oder beizulegen;

b) freundschaftliche, auf der Achtung vor dem Grundsatz der Gleichberechtigung und Selbstbestimmung der Völker (Selbstbestimmungsrecht) beruhende Beziehungen zwischen den Nationen zu entwickeln und andere geeignete Maßnahmen zur Festigung des Weltfriedens zu treffen;

c) eine internationale Zusammenarbeit herbeizuführen, um internationale Probleme wirtschaftlicher, sozialer, kultureller und humanitärer Art zu lösen und die Achtung vor den Menschenrechten und Grundfreiheiten für alle ohne Unterschiede der Rasse, des Geschlechts, der Sprache oder der Religion zu fördern und zu festigen;

d) ein Mittelpunkt zu sein, in dem Bemühungen der Nationen zur Verwirklichung dieser gemeinsamen Ziele aufeinander abgestimmt werden.

Neben diesen allgemeinen Zielen schreibt die Charta eine Reihe von Grundsätzen vor, die eng mit den Zielen verschränkt sind. So beruhen die UN auf dem Grundsatz der souveränen Gleichheit aller ihrer Mitglieder, dem Prinzip der friedlichen Beilegung von Streitigkeiten und dem Gewaltverbot (von dem lediglich die vom Sicherheitsrat autorisierten Zwangsmaßnahmen und die individuelle bzw. kollektive Selbstverteidigung ausgenommen sind), der grundsätzlichen Beistandspflicht gegenüber der Weltorganisation und dem – inzwischen umstrittenen – Verbot der Einmischung in „die Angelegenheiten, die ihrem Wesen nach zur inneren Zuständigkeit eines Staates gehören“ (Art. 2 Abs. 7 UN-Charta). Die Einordnung der Ziele und Grundsätze ist allerdings in mehrfacher Hinsicht unklar. Erstens ist der Grad an Verbindlichkeit bzw. sind die Folgen bei Verstößen nicht präzise beschrieben, zweitens ist eine Prioritätensetzung hinsichtlich der Ziele aus der Charta nicht direkt ableitbar und drittens ist die Kompetenzzuweisung an einzelne Organe und damit die Zuständigkeitsregelung interpretationsfähig.

Das System der UN besteht aus verschiedenen z. T. selbstständigen, dezentralen Organisationen und Programmen mit jeweils eigenen Satzungen, Mitgliedschaften, Strukturen und Haushalten (17 Sonderorganisationen sowie dutzenden Programmen und Fonds). Die meisten Darstellungen über die UN enthalten ein Organigramm mit einer Art zentraler Blüte in der Mitte, deren Ausgangspunkt die Generalversammlung ist und deren Blütenblätter die fünf weiteren Hauptorgane darstellen. Von der Blüte gehen strahlenförmige Linien ab, die die Abhängigkeit einer Vielzahl kleiner Einheiten von diesem Ausgangspunkt anzeigen sollen. Eine solche Darstellung erweckt den falschen Eindruck, die UN lenkten eine Vielzahl kleinerer, untergeordneter Organisationen. Wenn in der Fachliteratur vom „UN-System“ oder gar von der „UN-Familie“ gesprochen wird, so ist dies richtig hinsichtlich der Beschreibung des umfangreichen Netzes von Institutionen, das die UN im Laufe ihrer Geschichte ausgebildet haben, es verschleiert jedoch die mangelnde Abstimmung innerhalb und zwischen diesen Einheiten sowie die realen Machtstrukturen, bei denen die Mitgliedstaaten die entscheidende Rolle spielen.

Gemäß der Charta hat sich die Kernorganisation im System der UN, die eigentliche internationale Organisation „UN“, fünf Hauptorgane gegeben (ein weiteres Hauptorgan, der Treuhandrat, hat seine Arbeit inzwischen eingestellt), die für die Entscheidungsprozesse maßgeblich sind:

a) Die Generalversammlung ist das einzige Hauptorgan, das aus Regierungsvertretern der inzwischen 193 Mitgliedstaaten der Organisation besteht, die je eine Stimme haben (Prinzip des one state, one vote). Sie nimmt eine organisatorisch-institutionelle Zentralstellung im System der UN ein und entscheidet über die Zusammensetzung der anderen Hauptorgane, übt Kontrolle über Haushalt (2020 rund 3,0 Mrd. US-Dollar ohne Ausgaben für Sonderorganisationen und Friedenstruppen) und Administration der UN aus und kann nach Art. 10 der Charta alle Fragen und Angelegenheiten erörtern, die – sofern sie nicht im Sicherheitsrat anhängig sind – in den Rahmen der Charta fallen oder die Befugnisse und Aufgaben der Sonderorganisationen betreffen. Sie kann entsprechende Empfehlungen an die Mitglieder der UN oder an den Sicherheitsrat oder an beide richten. Von besonderer Bedeutung sind die zahlreichen Nebenorgane der Generalversammlung, die von ihr zur Wahrnehmung spezieller Tätigkeiten eingesetzt werden. Größtenteils handelt es sich um Spezialorgane zur Finanzierung (die über freiwillige Beitragsleistungen erfolgt) und Durchführung von entwicklungspolitischen Hilfsprogrammen, von humanitären und umweltpolitischen Programmen sowie von Ausbildungs- und Forschungsaktivitäten.

b) Der Sicherheitsrat – bestehend aus 15 Mitgliedern, davon fünf ständige (China, Frankreich, Großbritannien, Russland, USA) und zehn nichtständige, von denen jeweils fünf alljährlich nach einem regionalen Schlüssel für zwei Jahre von der Generalversammlung mit Zweidrittelmehrheit gewählt werden – hat die Hauptverantwortung für die Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit (Art. 24 Abs. 1 Charta). Die politische Bedeutung der fünf ständigen Mitglieder ist verstärkt durch das Vetorecht. Mit Ausnahme von Verfahrensfragen bedürfen Beschlüsse des Sicherheitsrats der Zustimmung von neun Mitgliedern einschließlich sämtlicher ständiger Mitglieder. Der Sicherheitsrat ist das einzige Organ, das Entscheidungen treffen kann, die formal für alle UN-Mitglieder bindend sind. Der Sicherheitsrat kann zudem Nebenorgane einsetzen.

c) Der Wirtschafts- und Sozialrat (ECOSOC) besteht aus 54 Mitgliedern, von denen alljährlich 18 von der Generalversammlung für eine dreijährige Amtszeit gewählt werden, wobei ausscheidende Mitglieder unmittelbar wiedergewählt werden können. Die Aufgaben des Rats (Art. 62–66 Charta) sind äußerst vielfältig und umfangreich: Er kann international vergleichende Untersuchungen u. a. zu wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen, humanitären Fragen durchführen oder anregen sowie Empfehlungen an die Generalversammlung, die UN-Mitglieder oder an zuständige Sonderorganisationen der UN richten. Er stellt das Bindeglied zu diesen Sonderorganisationen mit eigener Mitgliedschaft und eigenem Haushalt (u. a. FAO, UNESCO, IBRD, ILO, WHO, IWF) dar. Diese Sonderorganisationen sind durch Abkommen mit der UN verbunden und bilden zusammen mit den fünf Hauptorganen und den Spezialorganen das UN-System.

d) Der IGH mit Sitz in Den Haag ist zwar den anderen Hauptorganen gleichgestellt (Art. 7 Charta), besitzt aber innerhalb des UN-Systems eine unabhängige Stellung.

e) Das Sekretariat ist das fünfte Hauptorgan der UN und steht damit auf der gleichen Stufe wie die anderen Hauptorgane. Der Generalsekretär ist der höchste Verwaltungsbeamte der Organisation (Art. 97 Charta). Darüber hinaus erstattet er der Generalversammlung alljährlich einen Bericht über die Tätigkeit der UN, der ihm die Möglichkeit bietet, die aktuellen Weltprobleme im Rahmen der Organisation zu thematisieren. Ferner kann er nach Art. 99 Charta die Aufmerksamkeit des Sicherheitsrats auf jede Angelegenheit lenken, die seiner Meinung nach die Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit gefährdet. Er hat damit eine enorm wichtige Rolle in der Weltpolitik. Das in der Phase des Ost-West-Konflikts entwickelte Instrumentarium der friedenserhaltenden Aktionen („Blauhelme“), das in der Charta nicht enthalten ist, macht ihn schließlich verantwortlich für die UN-Friedensoperationen.

2. Reformen

Die Etablierung der UN kann gewiss als großer Fortschritt in der Geschichte der internationalen Politik bezeichnet werden. Allerdings ist der Ruf nach Reformen am System der UN fast so alt wie die Organisation selbst. Die Frage, ob und wie eine adäquate Weiterentwicklung gelingen kann, richtet sich dabei an erster Stelle an die Mitgliedstaaten, weil nur sie die Macht zu Veränderungen besitzen. Die UN sind insofern eine klassische intergouvernementale Organisation, d. h. sie können nur so weit agieren, wie es die sie tragenden Staaten nach Abwägung der eigenen Interessen gestatten. Zu unterscheiden ist zwischen internen Organisationsrechtsreformen und „Verfassungsänderungen“, die eine Änderung der Charta erfordern. Die Hürden für Letzteres sind extrem hoch – neben einer Zweidrittelmehrheit in der Generalversammlung und der Ratifizierung durch eine entsprechende Mehrheit von Mitgliedstaaten hat jedes der ständigen Mitglieder im Sicherheitsrat ein Vetorecht dagegen. Viele der seit Jahren diskutierten Themen sind deshalb vertagt und damit auf die lange Bank geschoben. In verlässlicher Regelmäßigkeit steht deshalb immer wieder ein Teil der Reformvorschläge auf der Tagesordnung diverser Arbeitsgruppen der Generalversammlung und des Sicherheitsrates – ohne realistische Aussicht auf einen Konsens.

Bereits in verschiedenen Reformberichten in der Hochphase der UN-Reformdiskussion unter dem damaligen Generalsekretär Kofi Atta Annan (1997–2006) wurde gefordert, die Mitgliedstaaten müssten die UN besser auf die Herausforderungen der Globalisierung einstellen und dabei insb. drei strategische Prioritätsbereiche in den Blick nehmen: Freiheit vor Not („Entwicklungsagenda“), Freiheit vor Furcht („Sicherheitsagenda“) und Schaffung einer ökologisch bestandsfähigen Zukunft („Umweltagenda“). Doch von den Berichten blieb nach den Diskussionen in den Mitgliedstaaten sowie den wenig ambitionierten Entscheidungen anlässlich des 60-jährigen Jubiläums der UN im Herbst 2005 in der Generalversammlung nicht viel übrig. Politische Bedeutung i. S. einer breiten und nachhaltigen Implementierung der zahlreichen Ideen ist auch zum 75-jährigen Jubiläum im Sommer 2020 nicht erkennbar. Alle aktuellen Reformdiskussionen leiden unter diesem Mangel.

Die Reformdebatte konzentriert sich im Bereich der Sicherheitspolitik seit Jahren mit unterschiedlichen Realisierungschancen auf zwei Bereiche:

a) Erstens die Reform des Sicherheitsrates: Unabhängig von der Zielvorstellung formulieren sämtliche Reformvorschläge deutliche Kritik an der Zusammensetzung dieses zentralen Gremiums, das nach Art. 24 der Charta zuständig für die Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit ist. Die Mehrheit der UN-Staaten hält die Zusammensetzung und die Privilegien der fünf ständigen Mitglieder für nicht mehr legitim und angesichts der weltpolitischen Realitäten des neuen Jahrtausends auch für anachronistisch. Eine Erweiterung ist aber aus mindestens zwei Gründen schwierig: Zum einen gibt es zwischen „Nord“ und „Süd“ keinen Konsens über die Kriterien für einen ständigen Sitz (obgleich die Charta in Art. 23 Abs. 1 solche für die nichtständigen Mitglieder nennt). Insb. Deutschland und Japan argumentieren mit ihrer Wirtschaftskraft, während andere auf die Größe ihrer Bevölkerung hinweisen (so hat allein Indien dreimal mehr Einwohner als die gesamte EU). Zum anderen bedingt eine veränderte Zusammensetzung nach Art. 108 und 109 einer Änderung der Charta, was nur mit zwei Dritteln der Stimmen der Generalversammlung und der Zustimmung aller ständigen Mitglieder des Sicherheitsrates erreichbar ist. Trotz einer erheblichen Intensivierung der Debatte seit Beginn der 1990er Jahre ist bislang keine Formel gefunden worden, die eine konsensfähige Grundlage für eine Reform des Sicherheitsrats beinhaltet. Die Suche danach wird neben hohen institutionellen Erfordernissen durch eine dreifache inhaltliche Anforderung erschwert. So soll die Repräsentativität verbessert (Erhöhung der Mitgliederzahl, um einen repräsentativen Querschnitt aller Weltregionen zu erreichen), gleichzeitig die Legitimität gestärkt (Schaffung eines möglichst „legitimen“ Entscheidungsfindungsmechanismus) und schließlich die Effektivität erhöht werden (Verbesserung der Entscheidungsfindung und der Chancen für eine Umsetzung der Beschlüsse in die Praxis).

b) Zweitens die Reform der Friedenssicherung und Friedenserzwingung: Die ursprüngliche und durchaus erfolgreiche Ausrichtung der UN auf die Verhinderung zwischenstaatlicher Kriege mit dem Wandel des Kriegsbildes in Richtung innerstaatlicher Auseinandersetzungen hat sich radikal verändert. Spektakuläre Fehlschläge wie Ruanda, Somalia, Srebrenica oder Sierra Leone haben den Reformdruck in diesem Bereich erhöht. Gemäß Kap. VII der Charta stünde den UN zwar ein hinreichendes Instrumentarium an Maßnahmen bei Bedrohung oder Bruch des Friedens zur Verfügung; in der Praxis wurde aber von diesen Bestimmungen bisher kaum Gebrauch gemacht. Nach den Vorschlägen einer wegweisenden Expertengruppe unter dem Vorsitz des ehemaligen algerischen Außenministers Lakhdar Brahimi vom August 2000 sollten die UN-Truppen in Zukunft grundsätzlich ein robustes Mandat erhalten und nur in Einsätze geschickt werden, wenn die Regeln dafür eindeutig sowie hinreichende Führung und gute Ausrüstung gesichert sind. Zudem sollte gemäß dem Konzept eines Standby-Arrangement-Systems eine schlagkräftige multinationale Streitkraft bereitgestellt werden, auf die bei Bedarf schnell zugegriffen werden kann. Insgesamt sollte damit das System der Friedenssicherung effektiver werden und auch der vorbeugenden Diplomatie sowie der Friedenskonsolidierung mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden. In diesem Zusammenhang wird auch über die Frage nach einer internationalen Schutzverantwortung (responsibility to protect) im Falle gravierender innerstaatlicher Missstände diskutiert.

Die Gesamtzahl der UN-Friedensmissionen beläuft sich seit Gründung der UN auf über 70. 2020 sind in 13 UN-geführten Friedensoperationen rund 110 000 militärische und zivile Friedensschützer im Einsatz. Dabei ist zwischen „UN-geführten Missionen“ – also den von den UN selbst verantworteten sogenannten „Blauhelmmissionen“ – und „UN-mandatierten Missionen“ – also solchen, die die UN nicht selber durchführen, aber der Sicherheitsrat das Mandat dazu erteilt – zu unterscheiden. V. a. aber veränderte sich die Qualität der Einsätze. Die frühen Missionen waren überwiegend auf eine Rolle als Puffer zwischen den regulären Armeen der Kriegsparteien ausgerichtet. Doch seit drei Jahrzehnten sind die „Blauhelme“ v. a. auch mit den Folgen innerstaatlicher Auseinandersetzungen wie Bürgerkriegen, Vertreibungen (Flucht und Vertreibung) und großflächigen Menschenrechtsverletzungen bis hin zum Völkermord konfrontiert. Ob sie zu diesem Zweck deutlich robuster als bisher aufzustellen sind und auch ein entsprechendes Mandat benötigen, wird seit langer Zeit intensiv diskutiert und ist Gegenstand zahlreicher Reformberichte (so etwa der im Jahr des 70. UN-Jubiläums tagenden Expertenkommission zur Überprüfung der UN-Friedenssicherung oder verschiedenen Reforminitiativen des seit 2017 amtierenden Generalsekretärs António Guterres). Eine W…underheilung der UN-Krisenpolitik ist von all dem kaum zu erwarten. Eine weitere offene Frage bleibt, ob der Sicherheitsrat auf diesem Feld tatsächlich das Monopol hat oder inwieweit es akzeptabel ist, wenn in Sonderfällen – wie etwa beim Einsatz der NATO in Jugoslawien im Jahr 1999 – auch ohne eindeutiges Mandat des Sicherheitsrates eingegriffen wird.

3. Zukunft

Insgesamt ist heute offen, in welche Richtung sich die UN entwickeln. Auch wenn dem gesamten UN-System jährlich etwa 10 Mrd. US-Dollar zur Verfügung stehen, besteht ein Missverhältnis zwischen den der UN übertragenen Aufgaben und der Bereitschaft, dafür finanzielle und politische Ressourcen zu mobilisieren. Gleichwohl lässt sich argumentieren, dass in der internationalen Politik ein Milieu entstanden ist, in dem zentrale Bestimmungen und Normen der Charta Referenzpunkte geworden sind. Sie werden zwar nicht immer eingehalten. Aber der Rechtfertigungsdruck im Falle der Regelverletzung hat zugenommen. Selbst große Mächte können sich diesem durch Teile der internationalen Öffentlichkeit verstärkten Druck kaum entziehen. Der aktuelle Trend geht jedoch in eine andere Richtung: Multilateralismus ist zunehmend unter Druck geraten. So gilt es, sich von unrealistischen Erwartungen an die UN zu verabschieden. In vielen Kernfragen der internationalen Politik sind die UN gelähmt und spielen keine zentrale Rolle. Das Spannungsverhältnis zwischen den Zielen und Grundsätzen der UN-Charta auf der einen und der politischen Realität auf der anderen Seite ist offenkundig. Wesentliche Grundsätze der Charta basieren mithin auf Regeln, die in der Praxis internationaler Politik immer aufs Neue relativiert, verändert oder schlichtweg systematisch missachtet werden. Der souveränen Gleichheit aller Staaten steht ein ausgeprägtes Machtgefälle, der Pflicht zur friedlichen Streitbeilegung allgegenwärtige Gewalt im internationalen System gegenüber. Und trotz des Allgemeinen Gewaltverbots nehmen sich Staaten immer wieder das Recht auf unilaterale Gewaltanwendung. Zudem erzwingt die Globalisierung grundlegender Problembereiche eine Neudefinition staatlicher Souveränität, was aber letztlich der Charta und dem festgeschriebenen Verbot der Einmischung in die inneren Angelegenheiten der Staaten zuwiderläuft.

Der anhaltende Reformbedarf der Weltorganisation sollte aber nicht den Blick dafür verstellen, dass die UN für die Stabilität des internationalen Systems unverzichtbar sind. Tragfähige Antworten auf die zentralen Menschheitsprobleme sind besser multilateral zu geben, und in dem Geflecht multilateraler Regime und Organisationen spielen die UN eine herausragende Rolle. Einer erneuerten Weltorganisation käme daher die Aufgabe zu, die in der Charta formulierten Ziele und Grundsätze einzulösen. Wenn die Mitgliedstaaten die UN darin nicht stärker unterstützen, wird der Erfolg allerdings ausbleiben. Ohne eine von allen Mitgliedstaaten getragene, durchgreifende und nachhaltige Reformanstrengung werden die drei großen Dilemmata der UN – Legitimität, Durchsetzung der hehren Ziele und Mittelknappheit – weiterhin ungelöst bleiben.