Bedürfnis

  1. I. Philosophisch
  2. II. Ökonomisch
  3. III. Sozialethisch

I. Philosophisch

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1. Zum Begriff

B.se kennzeichnen Handlungsimpulse, die dadurch bestimmt sind, Güter zu erstreben, an denen es einem Menschen aktuell mangelt oder deren Mangel er erwartet. B.se sind ein im Bedingungsgefüge der menschlichen Natur verankertes Movens mit dem Anspruch auf Befriedigung. Ungeachtet ihres naturalen Kerns kann ihre Gestalt durch die kulturell geschaffenen Rahmenbedingungen erheblich evolvieren und im Detail gar durch kulturelle Anreizsysteme erst hervorgebracht werden. Wenngleich viele Untersuchungen über die Bedeutung von B.sen ihren Ausgangspunkt bei den subjektiv wahrgenommenen Mangelzuständen nehmen, können B.se auch ausgehend von den zu erstrebenden Gütern studiert werden.

2. Differenzierte Verwendungsweisen

In der Dynamik von naturaler Bedingtheit und kultureller Formung verbindet sich mit der menschlichen B.-Natur eine Gestaltungsverantwortung, in der individuelle Haltungen zur Geltung kommen, die Gründe dafür liefern, jene erstrebenswerten Güter zu identifizieren, die dazu in der Lage sind, einen individuellen Lebensplan zu konturieren. Charles Taylor bezeichnet diese als Lebensgüter. Sie bilden den „Horizont, vor dem ich Stellung zu beziehen vermag“ (Taylor 1994: 55). B.se und Güter werden damit zu einem konstitutiven und identitätsstiftenden Bestandteil des menschlichen Selbstverhältnisses. Diese Verbindung von B.sen und Gütern impliziert eine aktive Stellungnahme zu jedem einzelnen B. und verlangt nach einer Ordnung gemäß der ihnen zugemessenen Bedeutung. Entspr. unterscheidet man etwa zwischen kulturübergreifenden und lebensnotwendigen Grund- oder Basal-B.sen wie den B.sen nach Nahrung, Schlaf oder dem Erhalt der Gesundheit, wichtigen oder hochrangigen B.sen, etwa dem B. ein Fahrzeug zu besitzen, um mobil zu sein oder Luxus-B.sen, etwa dem B. nach einer eigenen Segelyacht oder einer Schönheitsoperation. Grund-B.sen nachzugeben erfordert i. d. R. wenig Rechtfertigungsbedarf, allenfalls hinsichtlich der Weise des Vollzugs. Hingegen kann unter Gesichtspunkten der Verteilungsgerechtigkeit der Wunsch nach der Befriedigung von Luxus-B.sen durchaus Fragen der Rechtfertigung hervorrufen. Luxus-B.se bauen i. d. R. auf Grund-B.sen auf. Erst das bes. Gut oder Mittel sowie der damit verbundene monetäre Einsatz hebt ein B. von einem Grund-B. in die Kategorie eines Luxus-B.ses. Die Kategorisierung von B.sen fällt im Einzelfall jedoch nicht nur deshalb schwer, weil die Lebensstandards und die damit verbundenen funktionalen, moralischen oder ästhetischen Wertschätzungsmuster von Gesellschaft zu Gesellschaft sowie von Zeit zu Zeit variieren, sondern auch weil in der Binnengliederung einer Gesellschaftsform je nach Einstellung, Rahmen- oder Umweltbedingung unterschiedliche Güter und damit B.se in den Mittelpunkt rücken. So kann etwa das B., ein Boot besitzen zu wollen, auf einer Insel als ungleich fundamentaler angesehen werden als im Binnenland. Jedoch lassen sich aufgrund der menschlichen B.-Natur Grund-B.se in einer nicht nur abstrakten Allgemeinheit und Objektivität formulieren. Auf sie wird aktiv zurückgegriffen etwa bei der Konkretisierung von Menschenrechten. Die Kodifizierung und Überwachung von Menschenrechten soll in der Praxis gewährleisten, dass niemandem die prinzipielle Möglichkeit genommen wird, seine basalen B.se befriedigen zu können. Folglich sollten Gesellschaften soziale Rahmenbedingungen schaffen, die das Erstreben von Grundgütern und damit das Nachgeben von Grund-B.sen fördern oder zumindest nicht verhindern. Dieser Ausgangspunkt kann zudem für eine Gesellschaft Anlass sein, Bedürftige mit Gütern zur B.-Befriedigung staatlicherseits zu versorgen oder diese regulierend zu subventionieren, wenn die Betroffenen nicht in der Lage sein sollten, die Güter eigenständig zu erwirtschaften. Aufgrund der zentralen Bedeutung von B.sen für das Zusammenleben in einer Gesellschaft überschneiden sich bei der Bewertung von B.sen anthropologisch-ethische Gesichtspunkte, mit gesellschaftstheoretischen und ökonomischen Aspekten.

3. Vom Mangel zum Überfluss

Die mit der B.-Natur des Menschen einhergehende innere Abhängigkeit ist in den verschiedenen religiösen Traditionen (Tradition) und in der antiken Philosophie gegenüber der B.-Unabhängigkeit Gottes in Kontrast gesetzt worden und hat Paradiesvorstellungen hervorgebracht, die sich im Gegensatz zum irdischen Mangel durch Überfluss auszeichnen. Die Menschheitsgeschichte ist vor diesem Hintergrund auch geprägt durch ein Streben, Knappheit und Mängel zu überwinden. Dies wird insb. gewahr in der Genese von der vorindustriellen zur industriellen Gesellschaft (Industrialisierung, Industrielle Revolution), die als ein Übergang von der Bedarfsdeckung hin zu einer Bedarfsweckung beschrieben werden kann. Mangelgesellschaften wurden in den entwickelten Ländern durch Überfluss- und Wegwerfgesellschaften abgelöst. Durch wissenschaftlich-technischen Fortschritt, die politische Entwicklung zur Demokratie und den veränderten Zugang zu basalen Ressourcen wandelt sich der gesellschaftliche Umgang mit B.sen, gerade auch mit Grund-B.sen.

Im Mittelpunkt der modernen B.-Bewertung steht nunmehr die Spannung zwischen einem ruhelosen Eifer nach quantitativer B.-Befriedigung einerseits und einem auf Erfüllung und Gelingen ausgerichteten qualitativen Streben nach Vollkommenheit andererseits, also einer Neuausrichtung von Lebensgütern. Die Überwindung der Mangelsituation ist keineswegs nur als technisch-funktional anzusehen, sondern allgemeines Kennzeichen einer emanzipativen Bewegung (Emanzipation). Diese geht einher mit der Entdeckung des freiheitlich selbstbewussten Subjekts. Ihm kommt eine neue Macht zu, bisherige natürliche Grenzen technisch zu überwinden und hierfür aber auch eine neue Verantwortung zu erfahren und zu übernehmen. Denn die intendierten und nichtintendierten Wirkungen des eigenen Handelns sind ungleich tiefgreifender und langfristiger als zuvor, wie dies etwa der Zusammenhang zwischen individuellem Energieverbrauch und globalem Klimawandel verdeutlicht. Die vorgegebene Natur wird zwar seit der Neuzeit immer anpassbarer, aber damit gleichzeitig auch zu einer noch größeren ethischen Aufgabe der Gestaltung, die eine neue Form der B.-Steuerung einschließt. Dies erfordert eine deutlich aktivere Stellungnahme des individuellen Subjekts zu sich selbst, zur Gesellschaft und zur Natur. Genau darin entstehen aber auch neue Risiken „für die ethische Identitätsfindung des Einzelnen mit seinen Bedürfnissen“ (Korff 1999: 35).

4. Bedürfnisnatur und Fähigkeiten von Menschen

Der innere Zusammenhang von Gattungsnatur und B.-Natur sowie seine normative Bedeutung werden in der philosophischen Ethik und in der ökonomischen Gesellschaftstheorie zum zentralen Anliegen der Capability Approaches (Capability Approach). Diese normativen Theorien aristotelischer Provenienz fragen, ob es zu erstrebende Basis-B.se gibt, deren Erfüllung für jeden Menschen prima facie gut ist und deren Zusammenspiel als ein allgemeiner Maßstab für soziale Gerechtigkeit gelten kann, um rein prozedurale Gerechtigkeitsmodelle material erweitern zu können. Ansatzpunkte sind die natürlichen Bedingungen, unter denen Menschen ihr eigenes Leben nicht einfach leben, sondern führen müssen. Als soziale, sprach- und vernunftbegabte Lebewesen streben Menschen die Erfüllung jener natürlichen Dispositionen an, die in diesen Ansätzen als capabilities beschrieben werden. Unter den Erfüllungsbedingungen des Strebens innerhalb des Anspruchsgefüges der natürlichen Vorgaben genießen dann diejenigen Ansprüche eine bes. ethische Verbindlichkeit, deren Erfüllung die Bedingung der Möglichkeit für die Befriedigung anderer Ansprüche darstellen. Von John Finnis werden diese als menschliche „Grund-B.se“, „Grundgüter“ oder „Grundwerte“ (basic human goods/values) benannt und bei Martha Craven Nussbaum werden sie als „Grundfunktionen“ oder „Grundfähigkeiten“ (human functions/capabilities) angesprochen. Amartya Sen spricht in ähnlichem Zusammenhang von „Verwirklichungsfreiheiten“. Weder ergibt sich aus ihnen eine unvermittelte Normativität der menschlichen Natur, noch wäre damit ein Gottesstandpunkt angenommen, der eine externe und kontingenzfreie Perspektive bieten würde. Vielmehr – so etwa M. C. Nussbaum – werden nicht verhandelbare (thick) Bedingungen gelingenden menschlichen Lebens aufgezeigt, die aber gegenüber den kontingenten Erfahrungen aus verschiedenen Traditionen offen bleiben (vague) und die sich gleichzeitig einer relativistischen Beliebigkeit entziehen. Zerbrechlichkeit (fragility) und Bedürftigkeit begrenzen die menschliche Lebensführung, entfalten aber gleichzeitig die kontingenten Bedingungen des Gedeihens und Wohlergehens. Hieraus entwickelt sich der kollektive moralische Anspruch, diese Gelingensbedingungen als schützenswert zu beachten.

Die Grundgüter, Grundfähigkeiten oder Grund-B.se selbst werden hier als anthropologisch manifest und indisponabel aufgefasst; als kulturrelational werden hingegen deren Vollzüge im Einzelnen gewertet (etwa die bes. Form der Ernährung, die Ausgestaltung der Religion, die Weisen der Sozialbeziehungen). Über ihre transkulturelle Geltung hinaus, sind Grund-B.se und -fähigkeiten durch einen prämoralischen Charakter ausgezeichnet, ohne dass sie selbst bereits präskriptiv wären. Die Frage nach der Moralität wird erst durch die Realisations- und Vollzugsmöglichkeiten sowie das darin enthaltene Konfliktpotential aufgeworfen. Bedürfnisethisch liegt hierin der Anspruch begründet, in der Gesellschaft das individuelle Ersterben von Grund-B.sen zu beachten, sich aber gleichzeitig der ständigen Herausforderung zu stellen, diese gegenüber übergreifenden sozio-ökologischen oder sozio-ökonomischen Interessen (Interesse) auszubalancieren und die damit verknüpften Güter gegeneinander abzuwägen. Wieweit dies gelingen kann, hängt in den modernen Gesellschaften insb. von den politischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen ab.

5. Zweckrationale Bedürfnissteuerung und rechtfertigungsfähiges Wirtschaften

Mit der Entwicklung einer Wirtschaft, die in neuer Freiheit eigenständig Produktions- und Produktivitätsbedingungen unter technischen, strukturellen und politischen Gesichtspunkten neu fasst, entsteht ein verändertes Selbstverständnis der Wirtschaft mit eigenen Mechanismen, die quantitativen Verfahren folgen, welche nach zweckrationalen und damit funktionalen Prämissen organisiert sind. Bedarfsnachfragen regeln die Produktion, weniger eine an moralische Maßstäbe gebundene praktische Vernunft. In dieser Neuordnung entwickelt sich die Praxis, einen Bedarf nach neuen Gütern nicht einfach anzunehmen, sondern ihn überhaupt erst zu wecken. Diese Bedarfsweckung ist unabhängig von Knappheit und kann sich in produktstrategischer Orientierung selbständig weiterentwickeln. Auf diese Weise kann jedoch sekundär wieder neue Knappheit aktiv geschaffen werden, wenn der Bedarf zum B. wird. Im Ergebnis werden die Möglichkeitsbedingungen menschlicher B.se durch neu erweckte Potentiale menschlicher Produktivität erheblich verändert und erweitert. Die B.-Bedingungen der menschlichen Natur werden in noch größerem Maßstab kulturell überformt und sind einer neuen B.-Steuerung ausgesetzt, die durchaus manipulative Züge annehmen kann etwa durch politische Impulse oder kommerzielle Werbemaßnahmen (Werbung).

Umso mehr verlangt die bedürfnisethische Perspektive, Überlegungen nachzugehen, wie mit den neuen Freiheiten des Subjekts der Moderne umzugehen ist. Denn bei allen positiv produktiven Potentialen ergeben sich in der Industriegesellschaft auch neuartige Abhängigkeitsstrukturen. Diese sind nun nicht mehr durch eine ständische Ordnung und staatliche oder religiöse Autoritäten (Autorität) geprägt, sondern die Abhängigkeiten werden durch die Kapitalkonzentration auf Einzelne oder einzelne Gruppen im marktwirtschaftlichen System gesteuert. Der Kernbestandteil der „sozialen Frage“ des frühindustriellen Zeitalters war daher insb. durch den Umstand geprägt, dass der Fortschritt für einige um den Preis der Missachtung der B.se vieler erkauft wurde. Karl Marx etwa kritisiert an diesem System, dass diese neuen Abhängigkeiten durch die Produktions- und Kapitalverhältnisse der wirklichen B.-Struktur des Menschen entgegenstehen. Daher bedürfe es einer starken gesellschaftlichen Kontrolle und einer Kollektivierung von Produktionsmitteln. Erstrebt wird damit auch eine erstarkende moralische Solidarisierung der gesamten Gesellschaft in Form eines neuen kollektiven Bewusstseins für die B.se aller. Herbert Marcuse kritisiert an der Kapitalgesellschaft ihre Künstlichkeit und ihren Überfluss; er fordert stattdessen in Anlehnung an Georg Wilhelm Friedrich Hegels Pädagogik in dessen Rechtsphilosophie (Hegel 1986: § 175) eine Hinwendung zu „wahren Bedürfnissen“, um zu einem eigenen „reifen Bewusstsein“ zu gelangen. Die „Selbstausarbeitung der Libido“, in der die B.se nach diesem Modell beheimatet sind, überwindet repressive Formen des Leistungsprinzips; H. Marcuse spricht in Anlehnung an Sigmund Freud von „libidinöser Vernunft“ (Marcuse 1965: 196), durch die der Mensch zu einer höheren Form kulturgeformter Freiheit gelangen soll. Gefordert werden damit ein reduziertes Anspruchsverhalten sowie eine individual- und gesellschaftsförderliche Erziehung zur Einfachheit.

Unabhängig von H. Marcuses fundamentaler Systemkritik lassen seine Ausführungen auch eine Reflexion zur aktuellen Konsumentenrolle zu. Denn in der modernen Industriegesellschaft orientieren sich die Märkte insb. an den B.sen und B.-Regulationen der Konsumenten, die nicht ausschließlich über Bedarfssteuerung geweckt werden können, wenn sich Konsumenten ihre Eigenverantwortung tatsächlich bewusst machen. Liberale Wirtschaftssysteme setzen auf eine bedürfnisorientierte Binnenregulation der Märkte (Markt) und Interessen (Interesse), die von Konsumenten wesentlich mitbestimmt werden. Die ethische Herausforderung besteht dann gerade darin, in Freiheit und sozialer Verantwortung B.se über ein emanzipiertes Verhalten zu regulieren und nach sozialen, gesundheitlichen und ökologischen Verträglichkeiten zu balancieren. Wohl setzt dies Einblicke in die komplexen Wertschöpfungsketten voraus, die Konsumenten nicht immer in einem solchen Maß gewährt werden, dass sie ihren Teil der Verantwortung zur B.-Steuerung auch angemessen wahrnehmen könnten. Eine soziale und freie Form des Wirtschaftens unter den modernen Rahmenbedingungen wird sich nur dann gegenüber Konsumenten, Produzenten und Regulierenden als rechtfertigungsfähig erweisen, wenn es gelingt, individuelle B.se und übergreifende Verträglichkeiten in Einklang zu bringen. Bedürfnisethische Reflexionen sind daher nicht additiv zu sehen, sondern als ein integraler Bestandteil verantwortlichen Wirtschaftens aufzufassen.

6. Verantwortungen und Verträglichkeiten

Wenn verantwortliches Wirtschaften als ein zentrales Element von Lebensführung und Lebensentwurf angesehen werden kann, dann verlangt dies nach einer neuen Betrachtung der Gestaltung von B.-Befriedigungen, die der neuzeitlichen Wende zum Subjekt und der inneren Konstitution seiner Freiheit im Zuge der Aufklärung entspr. Denn diese führt auch äußerlich zu einem selbstbestimmten Wesen, das nach einer veränderten gesellschaftlichen Ordnung strebt. Vor diesem Hintergrund eröffnen sich neue Horizonte von B.-Strukturen im Blick auf freie Berufswahl, Religionsfreiheit, private Eigentumsverhältnisse (Eigentum), bis hin zur Nutzung von Naturressourcen und zu Formen körperlicher Selbstgestaltung. Den damit verbundenen Konsum- und Produktionsfreiheiten stehen neue Formen von äußeren Steuerungsmechanismen und Monopolisierungen gegenüber, die nach anderen Qualitäten von Verantwortung verlangen. Gerade durch die neuen technologischen Möglichkeiten, die nicht nur zu einer größeren Eingriffstiefe in die Natur führen, sondern auch langfristige und irreversible Veränderungen in der Natur mit sich bringen (z. B. Klimawandel, Artenschwund), entstehen neue individuelle und kollektive Verantwortungsebenen, die auch die prospektiven B.-Strukturen zukünftiger Personen angehen. Sie betreffen den Umgang des Menschen mit sich selbst etwa bei der Frage nach der biotechnischen Verbesserung der menschlichen Natur (enhancement), aber genauso den Umgang mit den sozialen und den ökologischen Umwelten. Für die Praxis der B.-Erfüllung entsteht damit eine Verantwortungstriade der Überprüfung, inwieweit ihr Vollzug für das Subjekt passend, sozial akzeptabel und ebenso ökologisch verträglich ist. Je größer die Vernetzungen sind, mit denen solche Praxen verbunden sind und je mehr Auswirkungen – bis hin zu einem globalen Ausmaß – ein entsprechendes Handeln hat (etwa beim Rohstoffverbrauch oder bei großen Kapitalflüssen), desto stärker gilt es, die B.-Seite auszubalancieren. Dies geschieht in Form einer Abwägung hinsichtlich der Güter, die es zu erstreben gilt und der Mittel, die hierfür eingesetzt werden sollen.

II. Ökonomisch

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1. Arten von Bedürfnissen

B.se bezeichnen das, was ein Mensch braucht. Zur Präzisierung dieser allgemeinen Definition gibt es dichotome Einteilungen in materielle und immaterielle oder physiologische und psychologische B.e sowie differenziertere Vorschläge. Neben der klassischen Einteilung von Abraham Maslow in die fünf B.arten physiologische B.se, Sicherheits-B.se, soziale B.se, Wertschätzungs-B.se und schließlich das B. nach Selbstverwirklichung finden sich insb. für psychologische B.e Dreiteilungen, so bei David McClelland u. a. in Erfolgs-, Macht- und Zugehörigkeits-B.se oder ähnlich bei Edward Deci/Richard Ryan in Kompetenz, Autonomie und soziale Eingebundenheit.

Stärker moralischen Charakter bis hin zu rechtlichen Konsequenzen (bspw. Pfändbarkeit von Gütern oder Regelbedarf nach § 20 SGB II) hat die Abgrenzung existenzieller B.se von GrundB.sen und von LuxusB.sen.

2. Ansätze zur Bedürfnismessung

Die B.-Vielfalt bereitet der B.-Messung erhebliche Aggregations- und Skalierungsprobleme. Während sich für physiologische B.se noch Empfehlungen finden (etwa zum Energiebedarf nach FAO 2004), fällt eine solche kardinale B.- oder Nutzenmessung über Volksweisheiten („one apple a day“) hinaus schwer. Auch der genannte § 20 SGB II zum Regelbedarf ist sehr allgemein gehalten. Neben direkten oder indirekten Befragungen, etwa im thematischen Apperzeptions-Test von Henry Murray, erfolgt die Bildung von Konsumententypen anhand von Güternachfragemustern (z. B. Yuppies, Lohas, Dinks).

3. Ökonomische Bedeutung von Bedürfnissen

B.se und ihre Befriedigung gelten als zentrales Motiv menschlichen Verhaltens. Gemäß der B.-Spannungstheorie verursachen unerfüllte B.se innere Spannung und Frustration, die entweder durch – konstruktives oder destruktives – Arbeits- oder Kaufverhalten, auch als Kompensationshandlungen, abgebaut oder durch eine Neubewertung der B.se und der Gründe ihrer Nichterfüllung im Rahmen von Rationalisierungs-, Verdrängungs- oder Lernprozessen überwunden werden können. Da allerdings weder Askese noch Glück oder der von Mihaly Csikszentmihalyi beschriebene Zustand völliger Vertiefung (Flow) zu einer generellen B.-Auflösung führen, ist von grundsätzlich unbegrenzten B.sen auszugehen, die mit grundsätzlich begrenzten Ressourcen zu befriedigen sind. Dieses Problem bildet den Kern ökonomischer Überlegungen. Neben der Einschätzung als Triebkräfte unternehmerischen Verhaltens und kapitalistischer Innovationsdynamik bei Gabriel Tarde, Werner Sombart, Joseph Schumpeter und George Akerlof/Robert Shiller (2009) dominieren zwei ökonomische Perspektiven auf B.se: Einerseits die Perspektive der Versorgung von Menschen mit Gütern, sowohl auf gesamtwirtschaftlicher als auch auf einzelwirtschaftlicher Ebene; andererseits die Konsequenzen dieser B.se für die betriebliche Organisation (Betrieb) und Governance-Strukturen (Governance).

4. Bedürfnismodellierung in Nachfragepräferenzen

Nachfragemodelle beschäftigen sich mit Arten, Mengen und Preisen von Gütern, die B.se befriedigen. In differenzierter Form identifizieren sie Bedarfe oder Wünsche als kulturell und situativ geprägter Ausdruck von B.sen. Liegt auch Zahlungsfähigkeit und -bereitschaft für diese Bedarfe vor, spricht man von Nachfrage. Diesen Zusammenhang zwischen B.sen, Bedarfen und Nachfrage zu identifizieren, zu beeinflussen und mit dem Angebot abzustimmen, gilt seit der klassischen Ökonomie (Klassische Nationalökonomie) als zentrale Kompetenz des Wirtschaftssubjekts. Einzelbetrieblich sind es Aufgaben des Marketings bzw. der Beschaffung, volkswirtschaftlich finden sie sich in der Sozial- oder Wohlfahrtspolitik oder der Strukturpolitik.

Zur Bewertung der B.-Befriedigung durch Güter wird in der Nutzentheorie regelmäßig angenommen, dass Präferenzen vollständig, transitiv und monoton bezogen auf die Gütermenge sind. Ebenso geht sie von abnehmendem Grenznutzen eines Gutes aus (Gossensches Gesetz) und schlägt ordinale Präferenzmodelle für substitutionale oder komplementäre Güterbeziehungen vor, die unabhängig von der Art der B.se oder den Präferenzen anderer Wirtschaftssubjekte sind.

Abweichende Nachfrageeffekte werden auf komplexere B.-Strukturen zurückgeführt, die sowohl physiologisch als auch kulturell begründet sein können. Hierzu gehören Einkommenseffekte, z. B. bei inferioren Gütern, oder Dosiseffekte. Zudem werden Wertschätzungs- oder soziale B.se beobachtet: Beim Bandwagon- oder Mitläufer-Effekt entsteht ein B. nach Imitation anderer Nachfrager, beim Snob-Effekt sinkt die eigene Nachfrage wegen der Nachfrage anderer, und schließlich bezeichnet der Veblen-Effekt eine Nachfrage, die mit steigendem Güterpreis nicht sinkt, sondern steigt. Stimulus-Response-(SR)-Modelle untersuchen Reaktionen auf auslösende Reize. Diese Stimuli können als unbedingter Reiz auf ein originäres B. wirken, sie können jedoch auch durch behavioristische Konditionierung (Behaviorismus, Behavioralismus) auf bedingte Reize oder durch Generalisierung über Assoziationssteuerung (z. B. Halo-Effekt) erzeugt werden. Aktuelle Ansätze des Neuromanagements oder Neuromarketings untersuchen die physiologischen Hintergründe.

5. Bedürfnisorientierte Produkt- und Prozessgestaltung

Im Produkt- und Prozessmanagement spielt die Orientierung an unterschiedlich abgegrenzten B.sen eine zentrale Rolle. So können B.se spezifisch oder in Kombination mit anderen B.sen adressiert werden. Kostenführerschaftsstrategien zielen eher auf spezifische B.se, Produkt- und Preis-Differenzierungsstrategien in der Regel auf komplexe B.se. So adressieren Markenprodukte und Hochpreisstrategien neben den originären physiologischen oder Sicherheits-B.sen auch Status- oder Distinktions-B.se, während für No-Name-Produkte, Commodities oder Generika jeweils ein spezifisches B. dominiert.

Im Service Blueprinting trennt die Line of Visibility sichtbare Dienstleistungskomponenten, die eher soziale und Wertschätzungs-B.se befriedigen, von vorwiegend prozess- oder sicherheitsorientierten Komponenten, die dem Kunden verborgen bleiben. Nach Michael Porter sind unmittelbar und mittelbar wertschöpfende sowie nicht wertschöpfende Aktivitäten anhand ihrer Bedeutung für die Kunden-B.se zu unterscheiden und diese Kategorien der weiteren Gestaltung der Wertschöpfungskette zugrunde zu legen. Die Service-Dominant Logic betont die Einbindung des Kunden in die Leistungsgestaltung und damit die Vorzüge der Berücksichtigung differenzierter B.-Spektren.

6. Bedürfnisbefriedigung durch Arbeits- und Organisationsgestaltung

Die Ausrichtung auf spezifische oder umfassende B.se ist ein zentrales Motiv in Konzepten der Arbeitsgestaltung und des Personaleinsatzes. So zielt das Scientific Management nach Frederick Winslow Taylor mit präzisen Arbeitsvorgaben und externen Verhaltens- und Prozesskontrollen auf sehr spezifische Fähigkeiten und B.se. Bei Aufgabenerfüllung winken Löhne (Lohn) und Prämien, die Übereinstimmung mit dem sozialen Umfeld und Autoritäten (Autorität) sowie die damit vermittelten Sicherheit als Belohnung. Alle übrigen – durch die Arbeitsplatzgestaltung vernachlässigten oder gar unterdrückten – B.se sind dadurch zu decken oder zu kompensieren. Ähnlich einfach sind B.se in Prinzipal-Agenten-Ansätzen modelliert. Agenten verspüren lediglich anstrengungsabhängiges Arbeitsleid, das durch Einkommen kompensiert wird, welches wiederum an eine anstrengungs- und umweltabhängige Bemessungs-grundlage geknüpft ist.

Dagegen sieht die Human-Relations-Bewegung Vorteile durch die Berücksichtigung vielfältiger B.se. Denn ob eine B.-Befriedigung konstruktives Verhalten auslöst oder nicht, hängt auch von der Art des B.ses ab. Frederick Herzberg (1967) unterscheidet zwischen Hygienefaktoren, die trotz B.-Befriedigung nicht zu Zufriedenheit und Leistungsbereitschaft führen, sondern lediglich Unzufriedenheit vermeiden, und Motivatoren, die konstruktives Verhalten auslösen und zu denen er Leistungserlebnisse, Anerkennung, Arbeitsinhalte, Ver-antwortung und Beförderung zählt. Partizipative, abwechslungsreiche Arbeitsgestaltung soll solche Motivatoren fördern. Ähnlich beschreibt Douglas McGregor mit seiner Theorie Y-Menschen mit intrinsischer Leistungsbereitschaft, die nach Selbstverwirklichung und Selbstbestimmung streben, kreativ, eigeninitiativ und bereit zur Übernahme von Verantwortung sind. Individuell geschieht dies durch Arbeitsplatzwechsel (Job Rotation), Arbeitsanreicherung (Job Enrichment) und Arbeitsvergrößerung (Job Enlargement); soziale B.se werden direkt durch teilautonome Gruppenarbeit adressiert. Dafür sind partizipative Zielvereinbarungen und Kontrollen zweckmäßig, während man hinsichtlich der Wege und Prozesse zur Zielerreichung in hohem Maße dem Einfallsreichtum, Engagement und Urteilsvermögen der Verantwortlichen vertraut.

Im Personalmanagement zeigt sich die Abstimmung von B.sen mit der betrieblichen Arbeits- und Organisationsgestaltung, wenn die Gestaltung der Arbeitszeit (Vertrauensarbeitszeit, Altersteilzeit, Pflegeauszeit) oder des Arbeitsumfeldes (durch Kinderbetreuung, Home Office, …) die Work-Life-Balance beeinflusst, wenn mit Weiterbildung, lebenslangem Lernen und altersgerechter Arbeitsplatzgestaltung gezielt die B.se alternder Belegschaften adressiert werden oder wenn im Diversity Management die Vielfalt der B.se berücksichtigt wird.

In allen diesen Ansätzen wird deutlich, dass die Befriedigung von B.sen nicht nur eine Belastung ist, sondern auch Potenziale für den Menschen, den Betrieb und die Gesellschaft erschließt.

III. Sozialethisch

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Seit der industriellen Revolution (Industrialisierung, Industrielle Revolution) haben in Gesellschaften mit einer auf Technologie und Wissenschaft basierenden Innovativwirtschaft nicht nur die Einkommen und die hergestellten Güter und Dienstleistungen erheblich zugenommen, sondern auch die B.se der Menschen sich enorm ausgeweitet, differenziert und verfeinert. Aus sozialethischer Perspektive ergeben sich daraus drei große Herausforderungen: Wie kann der Mensch, wie können die Gesellschaften die expandierende Güter- und B.-Welt individuell angemessen, sozial- und ökologieverträglich gestalten? Wie kann den Menschen mit geringer Kaufkraft in diesen Gesellschaften ein menschenwürdiges Dasein gesichert werden? Wie können die Menschen in ärmeren und destabilisierten Weltregionen an der Güter- und B.-Vielfalt der wohlhabenden Staaten partizipieren, so dass sich ihnen auch ohne Migration eine Lebensperspektive eröffnet?

1. Verantwortliche Gestaltung einer expandierenden Bedürfniswelt

1.1 Konservative, progressive und ökologische Kritik

Mit der Industrialisierung (Industrialisierung, Industrielle Revolution) und der Schaffung einer freiheitlichen Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung ( Wirtschaftsordnungen) gelang es vielen Staaten im Verlauf des 19. und 20. Jh., die vorindustrielle Armut mit wiederkehrenden Hungersnöten zu überwinden. Doch die mit wachsendem Wohlstand verbundene Ausweitung und Verfeinerung der B.se war von Anfang an umstritten: Loben Philosophen der Aufklärung und liberale Ökonomen diese Entwicklung als Kulturwerdung, und wird die heute erreichte Vielfalt insb. urbaner Lebens- und Konsummöglichkeiten (Konsum) als Bereicherung individueller Lebensentwürfe gewertet und als weltweit begehrter „way of life“ propagiert, löste und löst die B.-Expansion in manchen konservativen, progressiven und ökologischen Kreisen Kritik am Gesellschafts- und Wirtschaftssystem und am Konsumenten und seiner Glücksstrategie (Glück) aus. Exponenten der progressiven und ökologischen Seite interpretieren die Güter- und B.-Ausweitung als Ergebnis einer von mächtigen Gruppen der Gesellschaft in Gang gesetzten Manipulationsmaschinerie zur Erhaltung des auf Wachstum angewiesenen Wirtschaftssystems (Wirtschaftswachstum). Damit aber würden sich Knappheit und (nicht-libidinöse) Arbeit des Menschen verewigen. Die ökologische Kritik, die mit dem Bericht „Die Grenzen des Wachstums“ an den Club of Rome (1972) erstmals weltweite Visibilität erlangte, schließt hier an: Eine künstlich auf höheren Touren laufende und auf schnelleren Verschleiß ausgerichtete Wirtschaft sprenge die ökologischen Belastbarkeitsgrenzen.

Die konservative Kritik betrifft den Konsumenten: Güterfülle, Vielzahl der Auswahlmöglichkeiten, Novitäten in rascher Folge werden für ihn als moralische Gefahr eingestuft. Adam Heinrich Müller weist bereits zu Beginn des 19. Jh. auf den dadurch verursachten Orientierungsverlust des Menschen hin, Erich Egner in der zweiten Hälfte des 20. Jh. auf die Auflösung haushalterischer (Familien-)Ordnung. Populärwissenschaftliche Werke (Vance Packard 1958) warnen gegen Ende der 1950er Jahre vor der Verführungskunst von Marketing und Werbung. Auf progressiver Seite befürchtet Erich Fromm, dass der Mensch mit seiner (Konsum-) Freiheit nichts anfangen könne und für seine Identitäts- und Sicherheitsgewinnung „Fertigprodukte“ mit sich rasch abnutzendem Befriedigungswert einkaufe. Daher drohe der Mensch einer Gier nach materiellen Gütern (Konsumismus) zu verfallen, die nicht zum Glück, sondern in Überdruss und Depression führe.

1.2 Defensives (illiberales) Verantwortungskonzept: Stationäre Wirtschaft und dekretierter Konsum

Gesellschaftlich strittig sind weniger diese Kritiken an einzelnen Phänomenen der Güter- und B.-Expansion, sondern v. a. die Lösungsvorschläge zur Behebung dieser Defizite. Dahinter stehen nämlich unterschiedliche Verantwortungskonzepte (Verantwortung) und damit auch unterschiedliche Verständnisse vom Menschen (Anthropologie) und der Gesellschaft.

Manche konservativen, progressiven und ökologischen Kritiker wollen die Güter- und B.-Expansion unterbinden und schlagen staatliche Eingriffe bezüglich der Angebots- und Nachfrageseite vor, die auf einem Leitbild einer stationären Wirtschaft, einer stationären B.-Welt und der Heteronomie des Konsumenten beruhen. Angebotsseitig soll die wirtschaftliche Innovationskraft durch Einschränkung des Wettbewerbs abgebremst und die Produktevielfalt durch Standardisierung und Simplifizierung verringert werden. Nachfrageseitig misstraut man der moralischen und ökonomischen Vernünftigkeit des Konsumenten und führt eine Unterscheidung zwischen „wahren“ und „falschen“, „natürlichen“ und „künstlichen“ B.sen ein. Sie zu definieren, sei Aufgabe einer außerhalb der Konsumenten angesiedelten (wissenschaftlichen) Instanz, die auch die Menschen erziehen solle, nur noch die „wahren“ B.se bedürfen zu wollen (bei E. Fromm 1980: „Kulturrat“, 396, 407 f.). In weiterer Konsequenz werde die Produktionsseite dahin gelenkt, nur noch die Güter und Dienstleistungen anzubieten, welche die „wahren“ B.se befriedigen (bei E. Fromm 1981: „Wirtschaftskommission“, 39). Dass solche Überlegungen nicht ganz planwirtschaftlicher Vergangenheit (Zentralverwaltungswirtschaft) angehören, zeigen immer wieder aktuelle gesellschaftliche Diskurse über Suffizienz-Konzepte mit politisch verordneter „Einfriedung der B.se“ (Linz 2013: 15), über Werbe- und Konsumverbote bzw. die Einführung eines Pflichtkonsums, insb. bei den Themen Gesundheit, Ernährung, Mobilität oder Energiebedarf.

1.3 Offensives (liberales) Verantwortungskonzept: Bedürfnisoffenheit des Menschen und kriterienorientierte Bedürfnissteuerung

Ein freiheitliches Gesellschafts- und Wirtschaftssystem benötigt ein liberales Verantwortungskonzept, das auf drei grundsätzlichen Überlegungen beruht:

a) Die B.-Gestaltung und der Konsum sind zentrale Bestandteile des individuellen Lebensentwurfs. Nicht nur das herstellende Tätigsein, auch das Konsumieren kann grundsätzlich kreativ und phantasievoll, identitätsbildend und damit produktiv sein.

b) Der Mensch ist aufgrund seiner Instinktentbundenheit, seiner weltzugewandten Wahrnehmungsfähigkeit sowie der Formbarkeit seiner B.se durch kulturell unterschiedliche Objekte und ihrer Verschmelzung mit anderen B.sen ein bedürfnisoffenes Wesen. Der Mensch ist deshalb nicht auf bloße Lebensfristung angelegt; er ist im Gegensatz zum Tier das Wesen des „Nichtfestgestelltseins“ (Gehlen 1962: 32) und der „Selbstexpansion“ (Scherhorn 1959: 54). Der Mensch als B.-Wesen ist nicht aus seiner Natur-Kultur-Verschränkung herauszulösen. Seine biologische Unangepasstheit zwingt den Menschen, sich seine Befriedigungsmittel selbst zu fertigen, indem er die Natur umarbeitet und sie in Kultur transformiert. Die Notwendigkeit der artifiziellen Herstellung der Befriedigungsmittel bedeutet zugl., dass die B.se, ausgenommen einiger Instinktresiduen, immer bereits Bilder geschaffener Befriedigungsmittel aufnehmen und sich an ihnen orientieren. Somit ist eine Unterscheidung in „natürliche“ und „künstliche“ B.se fragwürdig.

c) Dem Menschen wird grundsätzlich die Befähigung zu einem verantwortungsvollen Umgang mit seinen B.sen gegenüber sich selbst, seiner gesellschaftlichen Mitwelt und der natürlichen Umwelt zugesprochen. Da die B.-Gestaltung und der Konsum Teile des eigenen Lebensentwurfes sind, ergibt sich als zentrales Kriterium die humane Selbstverwirklichung. Was dies nun materialiter bedeutet, muss bei einem liberalen Ansatz jeder für sich selbst entscheiden. Aus der im Laufe seiner Lebensgeschichte gewonnenen Erfahrung über das, was ihm bei der Persönlichkeitswerdung dienlich ist, kann der Mensch für sich eine dynamische B.-Norm bilden, die einerseits einen beliebigen Umgang mit den B.sen ausschließt und andererseits eine sich weitende Lebenshaltung klug gestaltet, indem sie die Güter- und B.-Expansion als Möglichkeiten für einen reicheren Lebensinhalt nutzt. Askese ist dabei eines ihrer Instrumente: Askese bedeutet z. B., wegen eines höheren B.ses auf ein niedrigeres zu verzichten. Sie hilft somit, eine (moralisch) kluge Auswahl an Gütern zu treffen, um sich im Strom der Güter zu behaupten. Die dadurch gewonnene innere Freiheit vermeidet eine Verabsolutierung des Konsums und lässt ihn zu einem Mittel (nicht Selbstzweck!) werden, dessen sich der Mensch bedient, um seinem Lebensentwurf Gestalt zu geben. Hier lässt sich auch die „Suffizienz“ andocken, sofern darunter ein vom Individuum freiwillig gewählter nicht güterfixierter Lebensstil in einer offenen Gesellschaft verstanden wird.

Subsidiär zu diesem zentralen Kriterium der humanen Selbstverwirklichung treten bei der Gestaltung des Konsums die beiden ethischen Kriterien der Sozial- und Umweltverträglichkeit hinzu: Der Mensch soll sein Konsumverhalten so gestalten, dass er Schäden bei anderen Menschen, gegenüber der Gesellschaft und an der Umwelt nach Möglichkeit vermeidet. Die für die Sozial- und Umweltverträglichkeit gültigen Gesetze und Mindeststandards müssen erfüllt werden. Darüber hinaus können freiwillig weitere soziale und ökologische Anstrengungen unternommen werden, so z. B. im Sinne der consumer citizenship. Nach diesem Konzept sollen strategische (Nicht-) Kaufentscheidungen, die auf der Bewertung der moralischen Qualität des Unternehmens und seiner Zulieferkette beruhen (z. B. Einhaltung international anerkannter sozialer und ökologischer Standards), Unternehmen positiv oder negativ sanktionieren, sich durch die neuen sozialen Medien kollektiv verstärken und so beim Unternehmen entsprechende (Reputations-) Kosten oder Gewinne bewirken. Daraus erhofft man sich einen marktwirtschaftlich, nicht staatlich ausgelösten Veränderungsprozess für gerechtere wirtschaftliche und soziale Verhältnisse.

2. Verantwortung für eine menschenwürdige Daseinssicherung

In einer privatwirtschaftlich organisierten Wirtschaft gelingt es nur einer kaufkräftigen Nachfrage, Güter und Dienstleistungen zur B.-Befriedigung zu erwerben. Menschen ohne entsprechendes Einkommen sind deshalb zu ihrer Existenzsicherung auf staatliche Unterstützung angewiesen. Nach heutigem Verständnis der Menschenwürde geht es dabei nicht nur um Überlebenssicherung, d. h. um die Deckung des physischen Existenzbedarfs, sondern um die Gewährleistung eines sozialen oder kulturellen Existenzminimums, das auch die Teilhabe am Sozial-, Kultur- und Arbeitsleben beinhaltet. Diese Unterstützungsleistungen sollten zudem so angelegt sein, dass sie zusätzlich die Eigenverantwortung fördern.

3. Verantwortung für globale Partizipationsmöglichkeiten an der Güter- und Bedürfnisvielfalt

Was für den nationalen Kontext gilt, gilt grundsätzlich weltweit: Jeder Mensch hat ein Recht auf eine menschenwürdige Daseinssicherung. In der Dritten Welt geht es allzu oft noch um die Sicherung des physischen Überlebens, um die Bekämpfung von extremer Armut und Hunger. Die Migrationsbewegungen in den ersten Dezennien des 21. Jh. zeigen, dass die extremen Diskrepanzen bei Lebensstandard und -perspektiven von den Menschen aus ärmeren Weltregionen nicht mehr passiv hingenommen werden. Die herkömmliche Entwicklungshilfe scheint hier aus verschiedenen Gründen (Korruption, Bürgerkriege [ Bürgerkrieg ], zerrüttete Institutionen [ Institution ], „failed states“ [ Failed state ]) an Grenzen gestoßen zu sein. Es braucht neue Lösungen, damit die Menschen der Dritten Welt auch ohne Migration an den Möglichkeiten der Lebensgestaltung der Ersten Welt partizipieren können.