Strukturpolitik

1. Strukturbegriff

Unter Struktur kann sowohl die Beziehung zwischen den einzelnen Elementen einer Grundgesamtheit zueinander als auch die Relation der einzelnen Elemente zur Gesamtheit verstanden werden. Strukturuntersuchungen disaggregieren eine Grundgesamtheit und führen sie auf ihre einzelnen Elemente zurück. Zudem werden die Einzelelemente zu Subaggregaten zusammengefasst, wenn dadurch vom Durchschnitt der Grundgesamtheit abweichende Eigenschaften oder Gesetzmäßigkeiten der Subaggregate erkennbar werden.

2. Ökonomische Strukturen

In der Wirtschaftspolitik stellen die Unternehmen oder ganz generell die ökonomischen Aktivitäten einer Volkswirtschaft mögliche Grundgesamtheiten dar. Diese einzelnen Elemente der Gesamtwirtschaft werden mit Blick auf Gemeinsamkeiten hinsichtlich

a) der Produktionsrichtung,

b) der Betriebsgröße,

c) des regionalen Aufbaus

zusammengefasst und strukturiert. Vor diesem Hintergrund wird in der S. zwischen sektoraler Wirtschaftspolitik sowie Betriebsgrößen- oder Mittelstands- und Regionalpolitik unterschieden.

3. Strukturpolitik

3.1 Ziele und Begründung der Strukturpolitik

In wettbewerbsbasierten Marktwirtschaften zielt S. darauf ab, potentielle Marktversagen zu korrigieren. In der Praxis bedeutender sind allerdings Wachstums- und Beschäftigungs- sowie Stabilisierungsziele. Allen Varianten von S. ist dabei gemeinsam, dass die explizite Berücksichtigung der Sektoral-, Betriebsgrößen- und Regionalstrukturen das Mittel ist, um wirtschaftspolitische Anliegen gegenüber einem ausschließlich gesamtwirtschaftlichen Ansatz besser zu verwirklichen.

3.2 Sektorale Strukturpolitik

Sektorale S. differenziert die Grundgesamtheit aller Unternehmen einer Volkswirtschaft nach Wirtschaftszweigen, d. h. Unternehmen, die ähnliche Güter und Dienstleistungen produzieren, werden in einer Systematik der Wirtschaftszweige zusammengefasst.

Die sektorale S. in Deutschland und der EU konzentriert sich auf die Agrar-, Industrie- und Energiepolitik. Marktversagenstatbestände aufgrund von Unteilbarkeiten oder externe Effekte etc. spielen in der praktischen sektoralen S. so gut wie keine Rolle. Es geht vielmehr um die Gestaltung des Strukturwandels:

a) Sektorale S. orientiert sich am gesamtwirtschaftlichen Wachstum (Wirtschaftswachstum) und unterstützt dazu selektiv die Branchen, die sich durch hohe Wachstumsbeiträge und innovative Technologien auszeichnen. Dazu werden u. a. Investitions- und Forschungsbeihilfen gewährt, um sicherzustellen, dass diese Sektoren politisch erwünschte Anteile am Sozialprodukt und an der Gesamtbeschäftigung halten.

b) Konservierende sektorale S. verfolgt kein Wachstumsanliegen, sondern stemmt sich gegen Strukturwandel, um sektorale Einkommen und Beschäftigung (Arbeitslosigkeit) zu sichern oder andere politische Ziele (z. B. Versorgungssicherheit) zu realisieren. So brauchte es beim nicht wettbewerbsfähigen deutschen Steinkohlenbergbau rund 70 Jahre, bis 2018 die staatliche Protektion und Konservierung ein Ende fand.

c) Anpassungs- und flexibilitätsorientierte sektorale S. will hingegen weder konservieren noch selektiv Wachstumsbranchen fördern. Vielmehr akzeptiert sie einen angebots- und nachfrageseitig getriebenen Strukturwandel, bemüht sich aber darum, die Kosten des Wandels und der Anpassungsprozesse zu reduzieren. Dies kann durch Sozialpolitik und flankierende Qualifikation des Humankapitals geschehen, um Arbeitskräften eine Perspektive in anderen Branchen zu bieten.

In den beiden ersten Varianten versucht die S. politisch gewünschte Sektoralstrukturen entweder zu schaffen oder zu konservieren. Diesem dem etatistischen Konzept der „Investitionslenkung“ der 1970er Jahre folgenden Ansatz ist letztlich wenig Erfolg beschieden, weil die angebotsseitig von Produkt- und Verfahrensinnovationen und nachfrageseitig von Verbraucherpräferenzen getriebenen Prozesse stärkere Durchschlagskraft besitzen. Die flexibilitätsorientierte S. akzeptiert letzteres, will allerdings Transaktionskosten der Anpassung reduzieren und einen sehr volatilen Wandel vermeiden.

3.3 Regionale Strukturpolitik

Bei einer regionalen Strukturierung rekrutiert sich die Grundgesamtheit aus den einzelnen Raumpunkten eines Gesamtraums. Soweit diese sich in einem geographischen Nachbarschaftsverhältnis befinden und zudem Gemeinsamkeiten etwa hinsichtlich der Bevölkerungsdichte (Ballungsräume und ländliche Räume) oder Flächennutzung (Wohnen, Verkehr, Natur etc.) aufweisen, können Subaggregate differenziert werden. In der regionalen Wirtschaftspolitik wird der gesamtwirtschaftliche Arbeitsmarkt Deutschlands in 258 regionale Arbeitsmärkte zerlegt, indem benachbarte Wohn- und Arbeitsorte zusammengefasst werden, die über die Berufspendlerverflechtung miteinander verflochten sind.

Bei der Begründung regionaler S. kann auf Schwächen der marktgetriebenen Allokation abgestellt werden. Regionale Monopole oder externe Effekte von bestimmten Flächennutzungen und Agglomeration sind aber allesamt nicht Gegenstand praktischer regionaler S., sondern eher Objekt der Wettbewerbspolitik sowie der Raum-, Flächen- und Umweltpolitik. In der Praxis der regionalen S. steht vielmehr das Ausgleichs- und Wachstumsanliegen im Vordergrund, das in der EU und Deutschland flankierend und nachgeschaltet auf die marktgetriebene räumliche Verteilung ökonomischer Aktivität reagiert:

a) Im Ausgleichsinteresse sollen entwicklungsschwache Regionen durch Hilfe zur Selbsthilfe ein höheres Wachstum generieren und aufholen.

b) Im Entwicklungsinteresse soll flächendeckend intelligentes, nachhaltiges und integratives Wachstum (etwa im Rahmen der EU-2020-Strategie) in allen Regionen forciert werden.

Insofern ist praktische regionale S. mit Ausnahme in Hinblick auf entwicklungsschwache Regionen weniger selektiv orientiert als die wachstumsorientierte S. Darüber hinaus versteht sie sich eher als Hilfe zur Selbsthilfe und zum Strukturwandel, auch wenn in der Praxis stets starke strukturkonservierende Einflüsse wirksam werden.

3.4 Betriebsgrößenorientiere Strukturpolitik

Bei der Unternehmensgröße wird zwischen Klein-, Mittel- und Großbetrieben unterschieden. Die praktische Politik fördert sowohl KMU (bis 250 Beschäftigte) als auch große Unternehmen. Bei den KMU geht es darum, Marktversagenstatbestände aufgrund von unvollkommenen Kapitalmärkten (Geld- und Kapitalmarkt) und Größennachteilen zu überbrücken. Finanzierungs- und Eigenkapital- sowie Gründungshilfen sind dabei ebenso wie Hilfen zum Marktzutritt relevant und im Interesse eines funktionierenden Wettbewerbs nachvollziehbar. Bei den strukturpolitischen Hilfen für Großunternehmen ist dies weniger der Fall. Hier zielt insb. Industriepolitik auf die Bildung „europäischer Champions“, die durch ein fusions- und subventionsfreundliches Wettbewerbsrecht zu global wettbewerbsfähigen Unternehmen aufgebaut werden sollen. Inwiefern Schutz vor Wettbewerb diesem Ziel dienen kann, wird allerdings in der Ökonomik kritisch erörtert. Zweifel nähren die zahlreichen industriepolitischen Fehlinvestitionen wie jüngst in der deutschen Solarindustrie. Selbst das Vorzeigeprojekt Airbus ist nur dann als Erfolg zu werten, wenn die gigantischen Subventionsvolumina (Subvention) ausgeblendet werden. Insofern ist die Förderung funktionierenden Wettbewerbs die attraktivere Alternative zu industriepolitischen Planspielen (Freiburger Schule, Soziale Marktwirtschaft).

4. Koordination von Strukturpolitik

Die erörterten Varianten der S. beeinflussen sich wechselseitig, weil Ziel- und Mittelinterdependenzen existieren und sich die Aktionsräume überschneiden. So betrifft etwa sektorale S. Unternehmen unterschiedlicher Betriebsgrößen, die zudem im Raum nicht gleich verteilt sind. Sektorale S. hat somit Rückwirkungen auf die Betriebsgröße und die regionale Entwicklung. Um sich konterkarierende Effekte zu vermeiden und Synergien zu nutzen, sollten die erörterten Varianten der S. im Effizienzinteresse aufeinander abgestimmt werden.