Verwaltung

1. Die Komplexität der Verwaltung

Politische, soziale und normative Strukturen nehmen mittel- und unmittelbar Einfluss auf die V. Je komplexer diese Strukturen sind, desto unübersichtlicher sind die gesellschaftlichen Abläufe und desto bürokratischer ist die V. Gesellschaftliche Komplexität hat zur Ausdifferenzierung der V. ebenso beigetragen wie die politische Organisation des Staates und die von ihm zu bewältigenden Aufgaben. Ihre zentralen Funktionen, Steuerung und Verarbeitung gesellschaftlicher Komplexität zum Zweck der Bereit- und Sicherstellung kollektiver Güter, hat die V. dazu veranlasst, ihrerseits Komplexität aufzubauen. Das wiederum hat Auswirkungen auf ihre Stellung zwischen Staat und Gesellschaft sowie ihre Gestaltungsmacht. Die administrative Komplexität ist eine der Ursachen, warum sich die V. weder angemessen definieren noch auf ein allg. verbindliches Verständnis zurückführen lässt. Schon der Begriff „V.“ suggeriert eine Einheit, die sich in der Realität nicht wiederfindet. Sozial-, Finanz-, Selbst-, Ministerial-, Präsidial-V.en etc. haben es jeweils mit unterschiedlichen Aufgaben, Adressaten und Rechtsbindungen zu tun. Gemäß dem deutschen V.s-Föderalismus (Föderalismus) existieren neben der Bundes-V. die Länder-V.en (die auch im Rahmen der Bundesauftrags-V. tätig werden) und die kommunalen V.en. Auch deswegen gibt es nicht „die“ V. Über diese lassen sich deshalb nur Tendenzaussagen machen, die zwar im Allgemeinen zutreffen, aber bei detaillierter Betrachtung davon abweichen können.

Als Bestandteil der Exekutive gliedert sich die V. in die im engeren Sinne regierungsunterstützende (Ministerial-V.) und die im weiteren Sinne vollziehende Exekutive. Daneben verfügen aber auch die Legislativen und die Judikativen über eigene V.en, die wegen des Gewaltenteilungsprinzips mit den Exekutiv-V.en nicht identisch sind, obwohl sie sich im Organisationsaufbau und in der Personalstruktur und -bezahlung kaum voneinander unterscheiden. Daneben gibt es noch die V.en des Bundesrats, des BRH und der Deutschen Bundesbank, die V.en der Anstalten, Körperschaften und Stiftungen des öffentlichen Rechts sowie eine unüberschaubare Vielzahl von verselbständigten V.s-Einheiten. Insofern sind administrative Handlungskriterien, Rechtsgrundlagen, Verfahren und Strukturen recht unterschiedlich. Zwar sind die V.en normativ dem Allgemeinwohl (Gemeinwohl) verpflichtet, gleichzeitig sind sie jedoch mit politischen und gesellschaftlichen Interessen konfrontiert, die ihm nicht immer dienen. Den Bürgern gegenüber üben V.en Macht aus, indem sie in deren Lebensbedürfnisse eingreifen („Eingriffs-V.“). Gleichzeitig stehen die V.en im Dienst der Bürger, für die sie vielfältige Leistungen („Leistungs-V.“) erbringen. Weitere Mehrdeutigkeiten zeigen sich in den Umweltbeziehungen der V.en. Einerseits setzen sie ihre Entscheidungen, insb. Routineentscheidungen, einseitig hoheitlich durch, andererseits kooperieren und verhandeln sie mit den Adressaten ihrer Entscheidungen, wenn es um komplexe Sachverhalte geht. Dabei changieren sie häufig nach innen und nach außen zwischen formalem und informalem Verhalten.

Die Entwicklung der V. in ihrer Vielfalt und Unübersichtlichkeit hat Konsequenzen nicht nur hinsichtlich ihrer öffentlichen Wahrnehmung, sondern auch für ihren internen Betrieb. Die V.s-Zusammenarbeit ist meist schwierig und zeitaufwendig. Interne Kooperationsdefizite, negative Koordination, selektive Problemwahrnehmung, Kompetenzüberschneidungen sowie Konflikte in und zwischen V.en sind keine Seltenheit. Das V.s-Personal verfügt auch nicht mehr über sein früher viel gelobtes, Einheit verbürgendes Amtsethos (Amt). Dazu sind rechtlicher Status, Aufgaben und Ausbildung sowie die soziale Zusammensetzung der Bediensteten zu heterogen. Angesichts dieser Ausgangslage ist es nicht überraschend, dass die V. unterschiedlich wahrgenommen wird. Sie gilt als Verkörperung und Repräsentant des Staates, als Instrument der Politik, als eigenständige Staatsgewalt, als Wahrer des Allgemeinwohls, als Machtfaktor, als Stabilisierungsfaktor „gegenüber den das Staatsleben gestaltenden politischen Kräften“ (BVerfGE 7,162; 8,16; 11,216 f.), als Moderator zwischen gesellschaftlichen Interessen, als Dienstleister, als Ordnungsfaktor, als Bürokratie u. a.

2. Verwaltung zwischen Staat, Politik und Gesellschaft

Die V. steht faktisch zwischen Staat, Politik und Gesellschaft, obwohl sie ein verfassungsrechtlicher Bestandteil des Staates ist. Für ihn nimmt sie eine Vielzahl unterschiedlicher Funktionen wahr, wie z. B. Entscheidungs-, Ordnungs-, Eingriffs-, Vollzugs-, Integrations-, Repräsentations-, Gewährleistungs-, Kontroll-, Leistungs- und Gestaltungsfunktionen. Bei deren Wahrnehmung bringt sie neben der Politik den Staat in die Gesellschaft und die Gesellschaft in den Staat ein. Wichtiges normatives Einfallstor für ihre Vermittlungsleistungen ist die Bindung aller Staatsgewalt an das Volk, das in freien Wahlen die Gesetzgebung unmittelbar und die Rechtsprechung und vollziehende Gewalt mittelbar demokratisch legitimiert (Art. 20 Abs. 2 GG). Die V. repräsentiert somit ebenfalls das Volk. Ihr fällt deshalb normativ die Aufgabe zu, für eine ständige Rückkopplung zwischen staatlichen Maßnahmen und gesellschaftlichen Bedürfnissen zu sorgen.

Obwohl die V. verfassungsrechtlicher Bestandteil des Staates ist, sind beide nicht identisch. Der Staat weist über die V. und die V. über den Staat hinaus. Allerdings wird der Staat im Aufgabenvollzug der V. sichtbar. Sie ist Sinnbild des „arbeitenden Staat[s]“ (Hesse 1987: 77), dessen gesellschaftliche Akzeptanz wesentlich von der administrativen Leistungsfähigkeit abhängt. Gesellschaftliche Veränderungen lassen Staat und V. nicht unberührt. Je nachdem, ob die V. mit einer pluralistischen Gesellschaft, einer Wohlstandsgesellschaft, kapitalistischen Wirtschaftsgesellschaft, Informationsgesellschaft oder Risikogesellschaft konfrontiert ist, beeinflusst dies auch ihr Selbstverständnis. Daneben hat die Entwicklung zu einer mehr kooperativen und weniger hoheitlich vollziehenden V. auch das Staatsverständnis verändert. Neben den hoheitlich-hierarchischen Staat ist der kooperative Staat getreten, der die „Hierarchie als Bauprinzip der Exekutive“ (Dreier 1991: 145) relativiert hat.

Die Wahrnehmung ihrer Aufgaben verbindet die V. sowohl eng mit dem Staat als auch mit der Gesellschaft. Vielfältige gesellschaftliche und politische Veränderungen haben ihr zwar immer mehr Aufgaben aufgebürdet, doch haben sich dadurch zugl. ihre gesellschaftlichen Kontakte, nicht zuletzt aufgrund eines engen Austausches mit Wirtschaftsunternehmen (Unternehmen) und Verbänden, intensiviert. Sie steht der Gesellschaft nicht als fremde Ordnungsmacht gegenüber, sondern ist ihr integraler Bestandteil. Beide sind aufeinander angewiesen: die V. auf die Unterstützung durch die Gesellschaft und die Gesellschaft auf die Leistungen der V. Um sich nicht mit gesellschaftlichen Aufgaben zu überfordern, lässt sich die V. allerdings nur selektiv auf die Übernahme gesellschaftlicher Probleme ein oder lagert ihre Lösung auf Beratungsorganisationen, international operierende Anwaltskanzleien oder Normungsverbände (DIN, VDI) aus. Dadurch und durch Privatisierungen staatlicher Aufgaben sowie die Überwälzung staatlicher Aufsichtspflichten auf Private werden Staat und V. von gesellschaftlichen Akteuren abhängig. Das Problemlösungswissen des V.s-Personals nimmt damit ab und die Gefahr gesellschaftlicher Außensteuerung zu.

3. Eigenständigkeit und administrative Bindungen

Die Komplexität der V. ist eine Ursache für ihr relativ hohes Maß an Eigenständigkeit gegenüber Recht und Gesetz, Politik und Gesellschaft. Ohne ihre multistrukturelle, prozessuale und normative Komplexität wäre sie nicht in der Lage, ihre Aufgaben zu erfüllen. Ihre Eigenständigkeit darf nicht mit völliger Unabhängigkeit oder Autonomie verwechselt oder als feststehende Größe missverstanden werden. Diese zeigt sich vielmehr in einem selektiven, administrativer Logik folgenden Zugriff auf und Umgang mit Umweltereignissen. Erst sie ermöglicht es, Umwelteinflüsse entweder zu bearbeiten, zu neutralisieren, zu blockieren oder gegeneinander auszuspielen, wie z. B. gesetzliche Beschränkungen gegen politische Forderungen. Ihrer relativen Eigenständigkeit stehen administrative Bindungen gegenüber. Eigenständigkeit und Bindungen bilden ein Spannungsverhältnis, das von Aufgabe zu Aufgabe, Situation zu Situation und von Akteur zu Akteur immer wieder neu abgewogen wird.

4. Bindung an die Legislative

Neben ihrer Verankerung im exekutiven Staat ist die V. an Verfassung und Gesetze und damit an die Entscheidungen des Gesetzgebers gebunden. Da dies eine Grundvoraussetzung aller demokratischen Systeme darstellt, wird davon ausgegangen, dass die V. den in freien Wahlen gewählten Parlamenten (Parlament, Parlamentarismus) nachgeordnet sein und die von ihnen verabschiedeten Gesetze ausführen muss. Allerdings wird diese normative Bindung an den Gesetzgeber in der V.s-Realität häufig durchbrochen. Außerdem ist die Ministerialbürokratie intensiv an der Ausarbeitung der Gesetze beteiligt, und die Parlamente sind nur bedingt fähig, die V.en zu kontrollieren, ob sie die Gesetze vollziehen. Daneben sind ihnen für einige Sachverhalte per Gesetz Ermessensspielräume (Ermessen) zugewiesen, die ihre relative Eigenständigkeit gegenüber dem Gesetzgeber unverzichtbar machen. Bedeutsam dafür ist auch ihre Kompetenz, auf der Grundlage eines Gesetzes als Verordnungsgeber aufzutreten, wodurch u. U. weitreichende staatliche und gesellschaftliche Konsequenzen ausgelöst werden können. Weiterhin gilt für sie ein sog.er „Kernbereich der exekutiven Eigenverantwortung“ (BVerfGE 67,139), der wegen der Gewaltenteilung einen totalen Parlamentsvorbehalt ausschließt (BVerfGE 68,87; 49,89,124 f.). Da die V. also über ein erhebliches Maß an Eigenständigkeit verfügt, kann von einer legislatorisch programmierten V. keine Rede sein, aber ebenso wenig von einer Verselbständigung oder Selbstführung der V. gesprochen werden. Legislatorische Programmierung und administrative Verselbständigung oder Selbstführung bilden ein Spannungsverhältnis, das je nach Situation neu auszutarieren ist.

5. Judikative Bindungen

Demokratie und Rechtstaatlichkeit (Rechtsstaat) beruhen auf einer unabhängigen Justiz. Die V. als Bestandteil der Exekutive ist in einem demokratischen Staat vielfältig an die Judikative zurückgebunden. Neben der Rechtsprechung des BVerfG, den Gesetzen und Verordnungen („Selbstbindung“) ist sie auch an das Allgemeine bzw. Besondere V.s-Recht, das V.s-Verfahrensrecht und auf die jeweils darauf beruhende Rechtsprechung der VG gebunden. Doch können diese das V.s-Handeln ebenso wenig detailliert steuern wie die Ordentliche Gerichtsbarkeit, die angerufen werden kann, wenn sich die V. auf das Gebiet des Privatrechts begibt. Recht und Gerichte können ihr Grenzen setzen, doch ihre relative Eigenständigkeit nicht aufheben. So schließt die Rechtsbindung administrativen Handelns einen selektiven Rückgriff auf Gesetze oder deren Ignoranz keineswegs aus, wie die Implementationsforschung (Implementation) nachgewiesen hat. Dahinter müssen sich keine Vollzugsdefizite verbergen, sondern dadurch kann ein Vollzug überhaupt erst ermöglicht werden. Gegen eine vollständige Bindung an die Judikative spricht weiterhin die Gewaltenteilung und die Tatsache, dass die Rechtsprechung gelegentlich zu unklar oder zu lückenhaft ist, als dass sie einer komplexen V.s-Praxis als eindeutige Handlungsanleitung dienen könnte. Für die V. eröffnen sich dadurch Interpretations- und Handlungsspielräume und damit rechtsauslegende Möglichkeiten. Auch das BVerfG hat ihr gewisses Maß an Eigenständigkeit gegenüber der Judikative betont. Demnach sind Gerichte an V.s-Entscheidungen, die unter Plausibilitätsgesichtspunkten getroffen werden, gebunden, wenn keine klaren fachwissenschaftlichen Erkenntnisse bei der Sachverhaltsermittlung vorliegen (BVerfG 23.10.2018–1 BvR 2523/13, Rn. 1–36). Hinzu kommt, dass einige Gesetze Gemeinwohl- oder Generalklauseln enthalten, welche die V. konkretisieren muss. Bezeichnungen wie „Stand von Wissenschaft und Technik“ oder „öffentliches Interesse“ zwingen sie zur eigenständigen Sachverhaltsermittlung und damit zur Wahrnehmung von Handlungsspielräumen, auch wenn sie dabei auf wissenschaftliche Expertise oder die Mitwirkung von Verbänden angewiesen sein sollte. Sie kann dabei eigene Interessen geltend machen, die nicht immer vom Recht gedeckt sind („Brauchbare Illegalität“ [Luhmann 1976: 304]). Auf derartige Entwicklungen haben der Gesetzgeber und die VG mit einer stärkeren Prozeduralisierung des Rechts reagiert, womit die relative Eigenständigkeit der V. indirekt anerkannt wurde.

6. Verwaltung und Politik

Die Bindung der V. an „die“ Politik ist, sofern sie als Parteipolitik verstanden wird, zwangsläufig locker, da von ihr Unparteilichkeit und Objektivität verlangt wird. Das soll nicht heißen, dass sie in einem politikfreien Raum handelt, schließlich soll sich das V.s-Personal aktiv zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung bekennen, zu der auch die Parteien gehören. Insofern ist V. immer politisch. Doch mischt sich die Politik eher selten in den administrativen Routinebetrieb ein. Geht es jedoch um weitreichende politische Reformen oder um Ereignisse, die für die Politik ein Gefährdungspotenzial darstellen, macht sie der V. Vorgaben, die diese nicht ignorieren, höchstens relativieren kann. Von daher sind Klagen, die Politik sei nicht in der Lage, die V. zu steuern, zu ungenau. Zweifellos besitzt die V. aber gegenüber der Politik systembedingte Vorteile, die ihr administrative Spielräume eröffnen. Während sie personell und fachlich auf Kontinuität beruht, ist die politische Führung mit Personalwechseln und sich schnell ändernden Themen konfrontiert, die sie zur ständigen Neuorientierung zwingen. Außerdem muss sie bei ihren Problemlösungsvorschlägen administrative Restriktionen beachten. Sachlich verfügt die V. gegenüber der Politik über einen Informationsvorsprung, der sie darüber befinden lässt, „was politisch geht und was nicht geht“. Zudem muss die Politik auf das Wählerpotenzial Rücksicht nehmen, denn die knapp 6 Mio. Bediensteten der Öffentlichen Arbeitgeber (2017) stellen mit ihren Angehörigen eine nicht zu vernachlässigende Wählergruppe dar. All dies verschafft der V. ein erhebliches Maß an relativer Eigenständigkeit. Darüber hinaus ist in parlamentarisch-politischen Entscheidungsprozessen die (Ministerial-)V. sowohl Partner als auch Gegenspieler der Politik. Die politischen Akteure sind einerseits von der sachlichen Zuarbeit und Mitarbeit der Ministerial-V. im Gesetzgebungsprozess abhängig, die Gesetzesinitiativen der Politik verzögern oder so umgestalten kann, dass sie mit den urspr.en politischen Absichten nur noch wenig gemein haben. Andererseits können administrativ ausgearbeitete Gesetzesvorschläge von der Politik ignoriert oder verworfen werden.

7. Verwaltungs- und Dienstrechtsreformen

V.s-Reformen sind zugl. Staatsreformen, und Staatsreformen sind ohne begleitende V.s-Reformen undenkbar. Selbst wenig ambitiöse staatliche Reformen sind untrennbar mit Veränderungen in der V. verbunden, während sich V.s-Reformen in Änderungen der Staatlichkeit niederschlagen. V.s-Reformen sind eine Daueraufgabe, die durch sozialen Wandel, politische und richterliche Entscheidungen ausgelöst werden.

Ging es in Westdeutschland bis in die 60er Jahre zunächst darum, eine rechtsstaatliche V. aufzubauen, wurde die ostdeutsche V. nach der Wiedervereinigung in eine demokratisch-rechtstaatliche V. umgestaltet. Die in den 60er und 70er Jahren durchgeführten Territorial- (Gebietsreform) und Funktionalreformen sowie die Bemühungen, die V. einer vorausschauenden Politik anzupassen, ihre Planungs- und Gestaltungskapazitäten auszubauen und eine Dienstrechtsreform einzuleiten, waren zwar, an ihren urspr.en Absichten gemessen, nur z. T. erfolgreich, haben aber gleichwohl Staat und V. verändert. In den 80er und 90er Jahren wurde die V. bürgernäher, während finanzielle Engpässe der öffentlichen Haushalte einen staatlichen Sparkurs einleiteten, der mit Personalabbau, Kürzungen bei Sachmitteln und Investitionen einherging und mit Qualitätsverlusten verbunden war. Einem schlanken Staat sollte eine schlanke V. zur Seite gestellt werden. Maßnahmen, wie (Teil-)Privatisierungen, Ausgliederungen, Deregulierungen, Verfahrensbeschleunigungen oder Gesetzesvereinfachungen und -bereinigungen standen im Zentrum dieser Entwicklung. Ziel war eine mit Hilfe neoliberaler Ideologie (Neoliberalismus) begründete Ökonomisierung der V., die sie den vermeintlich leistungsmäßig überlegenen privatwirtschaftlichen V.en angleichen sollte. Dass diese Reformbestrebungen sich nur punktuell durchsetzen konnten, lag v. a. an der die V.s-Realität weitgehend ausblendenden Ideologie des NPM (Public Management), das ein Import aus angelsächsischen Ländern war. Daneben legte der Bund das Programm „Moderner Staat – Moderne Verwaltung“ (1998–2006) auf, wodurch die enge Verbindung zwischen Staats- und V.s-Reform bereits im Programmtitel zum Ausdruck gelangte. Es zielte u. a. auf intensivere Verantwortungsteilung zwischen Staat und Gesellschaft, Abbau der Bürokratie und Ausbau des E-Governments ab. Der enge Zusammenhang zwischen Staats- und V.s-Reformen zeigte sich auch in der sog.en „Föderalismusreform I“, die Veränderungen in der Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern und eine Reföderalisierung des öffentlichen Dienstrechts einleitete. Die vom Bund seither aufgelegten Regierungsprogramme zur V.s-Modernisierung zielen auf eine weiterführende Integration der IKT in die V.s-Abläufe. Stichworte dazu sind E-Government, Open Government, Digitale Agenda 2020 oder Open Data. Durch den flächendeckenden administrativen Einsatz der IKT soll der gesellschaftliche Zugang zu amtlichen Leistungen erleichtert sowie Transparenz, Kooperation, Partizipation und Rechenschaftslegung (Doppik) der V. verbessert werden. Die Zukunft wird zeigen, ob die V. die informations- und kommunikationstechnischen Möglichkeiten allein zur Optimierung ihres Aufgabenvollzugs und zur gesellschaftlichen Kontrolle nutzen, oder ob sie die Vielzahl anfallender Daten auch zur Verbesserung ihrer gesellschaftlichen Responsivität verwenden wird. Eine verbesserte Datenlage würde es ihr erlauben, gesellschaftliche Bedürfnisse direkter zu befriedigen oder schneller in den politischen Entscheidungsprozess zu transferieren. Beides würde ihre gesellschaftliche Akzeptanz verbessern, ihre politische Rolle ausweiten und ihre Vermittlungsfunktion zwischen Staat und Gesellschaft stärken. Allerdings besteht auch die Gefahr, dass die Verantwortung für V.s-Entscheidungen auf Algorithmen übertragen wird, welche die komplexe gesellschaftliche Realität nur noch „technisch“ reflektieren.

8. Europäisierung

Die V. ist zwar ein integraler Bestandteil von Staat und Gesellschaft eines Landes, doch wächst sie im Zuge der europäischen Integration (Europäischer Integrationsprozess) über ihren nationalen Rahmen hinaus. Sie setzt sich zunehmend mit europäischen Problemen und Regelungen auseinander und muss das Gemeinschaftsrecht (Europarecht), das Europäische V.s-Recht sowie die Rechtsprechung des EuGH berücksichtigen, was vielfältige neue Regelungen erfordert. Das hat wiederum Einfluss auf die Prägekraft ihrer nationalen normativen Bindungen und Verantwortlichkeiten, denn über die V.en greift die EU immer stärker in die Souveränität der Mitgliedsstaaten ein, sofern dies in die Kompetenz der EU fallende Tatbestände betrifft. Den deutschen V.en fällt die Aufgabe zu, europäische Rechtsakte, also Verordnungen, Richtlinien, Entscheidungen und Empfehlungen, umzusetzen, da die Europäische Kommission keinen eigenen V.s-Unterbau besitzt. Zwar sind die EU-Richtlinien an den Gesetzgeber gerichtet, doch ist ihre Durchsetzung Aufgabe der V.

Obwohl die deutschen V.en die EU-Rechtsakte implementieren müssen, ist dies kein einseitiger Prozess, denn sie sind am Zustandekommen der Kommissions- und Ratsentscheidungen und deren Durchführungsbestimmungen ebenso wie die V.en der anderen Mitgliedsländer in allen Stadien des europäischen Entscheidungsprozesses beteiligt. Insofern ist die Europäisierung ein interaktiver Prozess zwischen den EU-Gremien sowie den V.en und Regierungen der Mitgliedsländer. Durch die Europäisierung haben sich die Kontakte der deutschen V. mit den V.en der anderen Mitgliedsländer intensiviert, wodurch sie eine wichtige Bedeutung für die europäische Integration gewonnen haben. Zugl. hat sich aber auch die inneradministrative Zusammenarbeit vervielfältigt, weil die Wahrnehmung deutscher Interessen in der EU Abstimmungen innerhalb und zwischen den verschiedenen administrativen Fachressorts von Bund und Ländern erfordert.

Mit der Europäisierung geht zwangsläufig eine „Politisierung“ der V. einher, da alle auf der EU-Ebene getroffenen Entscheidungen immer Fragen der nationalen Handlungs- und Entscheidungsspielräume der Mitgliedstaaten aufwerfen. Daneben verstärkt sie die Position der V. gegenüber der Legislative. Der Deutsche Bundestag kann die administrativen Vorbereitungen, die auf die Ausarbeitung einer deutschen Position gegenüber den EU-Gremien zielen, kaum beeinflussen. Noch geringer sind seine Möglichkeiten, über die V. auf die Ergebnisse der Kommissions- und Ratsentscheidungen Einfluss zu nehmen. Insofern können auf EU-Ebene Regierung und V. von den Legislativen vielfach unkontrolliert agieren. Dadurch wird das ohnehin schon ausgedünnte Konzept der legislatorisch programmierten V. weiter eingeschränkt. Welche Veränderungen sich durch die fortschreitende Europäisierung noch ergeben werden, muss indessen offenbleiben. Doch könnte die EU die transnationale Orientierung der V. im europäischen V.s-Verbund verstärken und damit ihre nationalstaatlichen Bindungen schwächen.

9. Verwaltung im demokratischen Staat

Lange Zeit war es umstritten, ob die V. integraler Bestandteil des demokratischen Systems, oder ob sie ihm wesensfremd ist. Mittlerweile gilt, dass der demokratische Staat eine V. benötigt, die mit seinen Strukturen und Normen vereinbar ist und diesen in ihren alltäglichen Operationen Geltung verschafft (§ 60 Abs. 1 DNeuG). Da komplexe moderne Gesellschaften und ihre demokratischen Systeme im hohen Maße bürokratisiert sind, fällt es den V.en auch nicht allzu schwer, sich mit ihnen zu identifizieren. V. und bürokratisierte Demokratie stellen insofern keine Gegensätze dar. Offen muss aber die Frage bleiben, wie sehr die V. sowohl nach innen als auch nach außen demokratisiert sein muss, um mit dem demokratischen System zu harmonieren. Einerseits soll sie möglichst eng auf das Prinzip der Volkssouveränität ausgerichtet, ohne andererseits daran unmittelbar gebunden zu sein. Dieses Spannungsverhältnis soll durch die Bindung an das Gesetz aufgelöst werden, wodurch sie zu einer „Komplementärerscheinung demokratischer Staatlichkeit“ (Dreier 1991: 13) wird. Dieses primär normativ ausgerichtete Konzept der legislatorisch programmierten V. geht von einer strikten Trennung zwischen Gesetzgebung und V. aus, obwohl die meisten Gesetze von der (Ministerial-)V. in Kooperation mit davon betroffenen Verbänden oder innerhalb der EU ausgearbeitet werden. Außerdem gilt jedes V.s-Handeln als demokratisch legitimiert, wenn es auf einer gesetzlichen Grundlage beruht („Input“). Sein materieller Gehalt und die daraus resultierenden Konsequenzen („Output“) haben dagegen nachrangige Bedeutung. Der dieser Konzeption zu Grunde liegende formale Demokratiebegriff stellt jedoch nur eine notwendige Bedingung für eine demokratiekonforme V. dar. Für die erforderliche Bindung an demokratischen Staat und demokratische Gesellschaft bedarf es ergänzender Elemente, wie Mitwirkungsmöglichkeiten an V.s-Entscheidungen, administrative Transparenz sowie Responsivität gegenüber den Bürgern, die auf verbesserte Möglichkeiten der Selbstbestimmung hinweisen. Die Legitimation des V.s-Handelns benötigt jenseits der Bindung an den Gesetzgeber zusätzliche demokratische Impulse, selbst wenn sie nicht Ergebnis bewusster administrativer oder politischer Maßnahmen sind. Allerdings sind solche Impulse nicht in allen V.en gleichermaßen ausgebildet. Unterschiede bestehen z. B. zwischen Sicherheits- und Sozial-V.en oder Vollzugs- und Leistungs-V.en.

Die Demokratiekonformität der V. speist sich aus verschiedenen Quellen mit jeweils unterschiedlicher Intensität. Bes. Bedeutung hat dabei die sich seit 1949 allmählich durchsetzende Demokratisierung des Personals. Eine der Voraussetzungen dafür war die „Demokratisierung“ des Zugangs zum öffentlichen Dienst, der keiner privilegierten sozialen Schicht mehr vorbehalten ist, sondern prinzipiell allen Bürgern offensteht, welche die Kriterien Eignung, Befähigung und Leistung erfüllen (Art. 33 Abs. 2 GG). Eine andere Voraussetzung waren die „innere Demokratisierung“ einleitenden Personalvertretungsgesetze (Personalvertretung), durch die die Beschäftigtenrechte erweitert wurden. Endgültig durchgesetzt hat sich das Bekenntnis zum demokratischen Staat mit dem Generationenwechsel und dem gesellschaftlichen Wertewandel Ende der 60er, Anfang der 70er Jahre des vorigen Jahrhunderts. Seitdem steht die Identifizierung des V.s-Personals mit dem demokratischen Staat außer Frage. Sie hat Konsequenzen im Verhältnis zum Bürger. Ihm gegenüber sind die V.en immer responsiver geworden. Schon Mitte der 1980er verschob sich das funktionale Selbstverständnis „vom Staatsdiener zum ‚Bürgeranwalt‘“ (Mayntz 1985: 174). Selbst wenn zu bedenken ist, dass eine responsive V. durch rechtliche, politische, organisatorische und finanzielle Grenzen eingeschränkt ist, und Bürgernähe gelegentlich als „schmückendes Beiwerk“ behandelt wird, so haben sich doch die hoheitlichen Momente des V.s-Handelns abgeschwächt, während die Rolle der Bürger gegenüber der V. aufgewertet worden ist. Dies zeigt sich nicht zuletzt an den Mitwirkungsmöglichkeiten von Betroffenen an V.s-Entscheidungen. Sie gelten nicht nur für die Partizipation von Verbänden bei der Vorbereitung von Gesetzentwürfen oder die Mitwirkung von Vertretern gesellschaftlicher Gruppen in Beiräten, Ausschüssen und Kommissionen in der Ministerial-V., sondern auch für die von V.s-Maßnahmen betroffenen Bürgern auf lokaler und regionaler Ebene. Nicht von ungefähr ist heute die Rede von einer „kooperativen V.……“. Dieser V.s-Typ vollzieht nicht mehr einseitig hoheitlich Entscheidungen, sondern trifft sie in Absprache und Aushandlung mit den davon Betroffenen. Selbst wenn empirische Untersuchungen zeigen, dass V.en auch Partizipationswünsche unterlaufen und Kooperation im Schatten von Hierarchie und Recht stattfindet, können diese dennoch, zumal bei komplexen Entscheidungen, nicht abgewiesen werden. Daraus ziehen nicht nur die V.en, sondern auch das demokratische System Nutzen. Rechtlich vorgegebenen Mitwirkungsmöglichkeiten erleichtern außerdem die Herstellung und Mobilisierung von Öffentlichkeit, erhöhen das Informationsniveau der Beteiligten, schaffen Kommunikation über konfligierende Interessen, erlauben Kontrolle des V.s-Handelns und zwingen die Behörden, ihre Maßnahmen zu rechtfertigen. Dass die Partizipation an V.s-Maßnahmen v. a. solche Interessen begünstigt, die gut organisierbar, finanzstark und mit Vetomacht ausgestattet sind, widerspricht zwar dem Gleichheits-, nicht aber dem Partizipationsgebot.

Im demokratischen Staat ist die V. verpflichtet, ihre Entscheidungen sowohl gegenüber den Parlamenten, der Politik, den Verbänden, den Medien und den Bürgern zu rechtfertigen (BVerfGE 84,34,45). Sich gegenüber der Öffentlichkeit kommunikativ abzuschotten wäre dem demokratischen System unangemessen, da sich Öffentlichkeit und Volkssouveränität wechselseitig voraussetzen. Kommunikation ist deshalb zu einer zentralen V.s-Aufgabe geworden, obwohl die Geheimhaltung administrativer Prozesse immer noch große Bedeutung besitzt. Aber selbst diese bedarf heute kommunikativer Rechtfertigung. Die V. stellt sich somit auf mehr Offenheit und Öffentlichkeit um, wobei die IFG von Bund und Ländern, das UIG und das VIG nicht zu unterschätzende Wirkung entfalten. Es geht also nicht allein um die kommunikative Vorbereitung, Steuerung und Durchsetzung administrativer Prozesse, sondern auch um die Herstellung von Öffentlichkeit. Das schließt zwar eine einseitige kommunikative Beeinflussung der Bürger nicht aus, gleichwohl ist die administrative Herstellung von Öffentlichkeit ein Beitrag zur Demokratie bzw. Demokratisierung (BVerfGE 44,147), sofern die V. wahrheitsgemäß, umfassend und allgemeinverständlich informiert.

10. Verwaltung und gesellschaftlicher Pluralismus

Die V. ist trotz ihrer vielfältigen Bindungen an politische, gesellschaftliche und transnationale Akteure in vielerlei Hinsicht eigenständig. Die Durchführung staatlicher Aufgaben und die Erfüllung gesellschaftlicher Bedürfnisse verschafft V.en ein erhebliches Maß an Eigenmacht, die sie aber immer nur sehr selektiv und situationsbedingt, nicht aber für sich als Institution insgesamt einsetzen kann. Ihre fragmentarisierten bzw. pluralisierten Strukturen, das Fehlen eines verbindenden Ethos sowie die Vielzahl von externen und internen Kontrollen begrenzen eine übergreifende Machtausübung im eigenen Interesse. Das schließt aber nicht aus, dass sie Macht im Namen der Politik, des Rechts oder gesellschaftlicher Akteure ausüben und zum eigenen Vorteil nutzen kann. Allerdings bedarf es auch hierzu wiederum der Unterstützung eben dieser Akteure. Insofern überkreuzen sich in ihr staatliche, politische, gesellschaftliche und inneradministrative Machtbeziehungen. Zwar ist die V. im Staat verankert, doch hat sie sich im demokratischen Staat gegenüber der Gesellschaft geöffnet, zumal die staatlichen und gesellschaftlichen Aufgaben eine derart hohe Komplexität erreicht haben, dass sie ohne Mitwirkung von privaten Sachverständigen, Verbänden oder Bürgerinitiativen nicht gelöst werden können. Die V. besitzt insofern kein Monopol über die Definition des Allgemeinwohls, obwohl sie es durchsetzen soll. Ihre Aufgabe liegt vielmehr darin, dem Allgemeinwohl durch Vermittlung zwischen gesellschaftlichen und staatlich-administrativen Interessen möglichst nahe zu kommen. Da sie hierbei jedoch auf die Zusammenarbeit mit gesellschaftlichen Akteuren angewiesen ist, können sich gesellschaftliche Interessenkonflikte auf die V.en übertragen bzw. sich mit ihren Eigeninteressen verbinden. Sie werden damit, zumindest partiell, zu „Verbündeten“ von Interessengruppen, deren Unterstützung sie in der Auseinandersetzung mit anderen V.en und Interessengruppen benötigen, während jene wiederum die V.en brauchen, um ihre Interessen mit deren Hilfe durchzusetzen. Zugl. sind V. und Interessengruppen auf die Unterstützung der mit ihnen sympathisierenden politischen Akteure angewiesen. Gesellschaftlicher Pluralismus, V.s-Pluralismus und politischer Pluralismus verbinden sich damit zu einem pluralistischen Korporatismus und verstärken sich wechselseitig. Gleichzeitig wird dabei staatliche Macht durch gesellschaftliche Macht begrenzt und vice versa. Denn die V.en kontrollieren sich hierbei auch wechselseitig und verhindern, dass sich die mit ihnen jeweils gekoppelten Sonderinteressen ungebrochen durchsetzen. Insofern sind sie Interessengruppen keineswegs ausgeliefert. Vielmehr ergibt sich aus einer solchen Konstellation für V.en die Möglichkeit, konfligierende gesellschaftliche Interessen auszubalancieren und sich ihnen gegenüber als Schiedsrichter zu profilieren. Insofern sind sie wichtiger Mitspieler und integraler Bestandteil der pluralistischen Demokratie. Ihre legitimatorische Bindung lässt sich nicht mehr wie im hoheitlichen Staat allein auf den Gesetzgeber zurückführen. In einer komplexen demokratischen Gesellschaft sind administrative Legitimationsgrundlagen wie demokratische Einstellungen des Personals, Responsivität gegenüber den Bürgern und Ermöglichung von Mitwirkungsmöglichkeiten an V.s-Entscheidungen von großer Bedeutung für ihre gesellschaftliche Akzeptanz. Diese Entwicklungen haben zwar die Orientierung der V. an der Legislative abgeschwächt, sie gleichzeitig aber enger mit dem demokratischen System im Ganzen verbunden, wobei ihre bürokratischen Strukturen ebenfalls zugenommen haben. Demokratisierung und Bürokratisierung der V. gehen insofern Hand in Hand. Eine solchermaßen „postbürokratische V.“ ist komplementärer Bestandteil einer „bürokratisierten Demokratie“ (Weber 1988: 497) bzw. „Demobürokratie“ (Luhmann 1987: 156) in der pluralistischen Gesellschaft. Die für die Zukunft wichtigste Aufgabe wird es deshalb sein, eine empirisch tragfähige und normativ überzeugende Theorie für eine „postbürokratische V.“ in einer bürokratisierten Demokratie zu entwickeln.