Generalklausel

1. Begriff

Als G. werden in der juristischen Fachsprache qualifiziert allgemein oder unbestimmt gefasste Rechtsnormen oder einzelne Normelemente auf Tatbestands- oder Rechtsfolgenseite bezeichnet. Aus der begriffsgeschichtlichen Entwicklung resultieren zwei typologisch unterscheidbare Hauptbedeutungen, die zum einen an die spezifische Wertausfüllungsbedürftigkeit der G., zum anderen an ihre Auffangfunktion gegenüber Spezialtatbeständen anknüpfen. Der Übergang zwischen beiden Begriffsbedeutungen vollzieht sich fließend; eine scharfe Grenzziehung ist ebenso unmöglich wie zwischen G. und anderen Normtypen (Norm) mit hohem Allgemeinheits- oder Unbestimmtheitsgrad wie Prinzipien oder Allgemeinen Rechtsgrundsätzen. Eine präzise Begriffsbildung wird durch den mitunter schlagwortartigen, polemischen Begriffsgebrauch zusätzlich erschwert.

Zum einen gelten v. a. im deutschsprachigen Zivilrecht solche Normen oder Normelemente als G., die aufgrund ihrer Wertausfüllungsbedürftigkeit eine einzelfallbezogene Vermittlung zwischen den im Recht angelegten entgegengesetzten Wertaspekten von Strengrecht, formaler Gerechtigkeit und Rechtssicherheit einerseits sowie Billigkeit, materialer Gerechtigkeit und Einzelfallgerechtigkeit andererseits ermöglichen. Zu den G.n in diesem Sinn zählen die „großen G.n“ des BGB, namentlich die Verweisungen auf die „guten Sitten“ (§ 138 Abs. 1 BGB) sowie auf „Treu und Glauben“ (§ 242 BGB) sowie in geringerem Maß weitere Normen wie etwa §§ 157, 826 BGB. Diese Vorschriften sind aufgrund ihrer offenen Wertungsstruktur bes. geeignet, um unhaltbare Vertragsfolgen zu korrigieren und damit den entgegengesetzten Grundwertungen der Rechtsordnung im Einzelfall zum Durchbruch zu verhelfen; zugleich fungieren sie damit als Einbruchstellen richterlicher Rechtsfortbildung bis hin zur gesetzeskorrigierenden Rechtsneuschöpfung. Die Anwendung derartiger G.n setzt stets eine einzelfallbezogene Konkretisierung voraus, die typischerweise im Wege der Güter- und Interessenabwägung (Güterabwägung) erfolgt und dem Rechtsanwender beträchtlichen Spielraum für Eigenwertung und einzelfallbezogene Rechtsschöpfung einräumt. Auf dieser Grundlage haben sich insb. §§ 138 Abs. 1, 242 BGB seit ihrem Inkrafttreten zu Ansatzpunkten für umfangreiche richterliche Kasuistik entwickelt.

Zum anderen werden als G. in einem weiteren Sinn auch allgemeine, offen formulierte Kompetenz-, Handlungs- und Befugnisnormen im Gegensatz zu speziell-enumerativen Regelungen auf Tatbestands- oder Rechtsfolgenseite bezeichnet; Gegenbegriff zu G. ist insoweit nicht Strengrecht, sondern Spezialität oder Enumeration. Moderne Gesetzgebungstechnik verbindet oft beide Regelungsmuster miteinander, sodass eine G. als allgemeiner Auffangtatbestand neben eine Mehrzahl von vorrangig zu prüfenden Spezialtatbeständen tritt. Den G.n dieses zweiten Typus liegen ebenfalls oft unbestimmte oder einen Ermessensspielraum (Ermessen) eröffnende Begriffe wie öffentliche Sicherheit, öffentliche Ordnung, Erforderlichkeit oder Angemessenheit zugrunde, in deren Rahmen die Aspekte des Ausgleichs fundamentaler Wertungskonflikte sowie richterlicher Rechtsschöpfung jedoch i. d. R. keine übergeordnete Rolle spielen. Bei ihrer Anwendung kommt es vielmehr primär auf die sachgerechte Ausfüllung eröffneter Handlungs- und Ermessensspielräume an. G.n in diesem Sinne kommen etwa als Kompetenz-, Befugnis- oder Haftungsnormen in nahezu allen Rechtsgebieten vor; eine Ausnahme bildet aufgrund des Bestimmtheitsgrundsatzes lediglich das strafbegründende materielle Strafrecht. Zu den Beispielen aus dem öffentlichen Recht zählen neben der „polizeilichen G.“ oder allgemeinen Befugnisnorm der jeweiligen Polizeigesetze namentlich die „verwaltungsgerichtliche G.“ des § 40 Abs. 1 VwGO sowie zahlreiche weitere Kompetenznormen des allgemeinen und besonderen Verwaltungsrechts. Erhebliche Bedeutung besitzen G. auch im Unionsrecht, dessen Handlungsgrundlagen vielfach in Form von G.n mit nachfolgenden Spezialtatbeständen oder als offene Generalermächtigungen ausgestaltet sind. Auch in unionsrechtlich überformten Rechtsgebieten mit hoher Regelungsdichte wie Wettbewerbs- oder Verbraucherschutzrecht (Wettbewerbsrecht) spielen G.n eine große Rolle. Schließlich zählen auch Normstrukturen des allgemeinen bürgerlichen Rechts zum vorliegenden Typus oder werden unter diesem Aspekt als G. bezeichnet, etwa § 307 Abs. 1 BGB oder §§ 823 Abs. 1, Abs. 2, 826 BGB als die „drei kleinen G. des Deliktsrechts“.

2. Problemgeschichte

In der Problemgeschichte dominierte zunächst die zuletzt genannte Bedeutung der G. als allgemeiner Auffangtatbestand. Der in diesem Sinn gebrauchte Begriff (latein clausula generalis) findet sich bereits im Corpus Iuris Civilis (etwa bei Ulpian, D 4.6.26.pr, Modestinus, D 4.6.33.pr). Als juristischer Fachbegriff wurde G. in der deutschen Rechtssprache seit Ende des 19. Jh. gebräuchlich. Zum einen wurde der Begriff 1895 von Heinrich Rosin in die Diskussion um Reichweite und Grenzen von § 10 II 17 ALR (1794) als Grundlage der späteren „polizeilichen G.“ eingeführt. Zum anderen gelangte er nahezu zeitgleich aus der Debatte um die Entstehung des UWG (1896) als Schlagwort für richterliche Ermessenstatbestände in die letzten Stadien der Gesetzesberatung des BGB, ohne dessen G. allerdings zunächst inhaltlich zu beeinflussen. Die charakteristische Entwicklung insb. der §§ 138 Abs. 1, 242 BGB setzte vielmehr erst nach Inkrafttreten des BGB, namentlich im Zusammenhang der Aufwertungsrechtsprechung der 1920er Jahre ein. Die Entstehung der G. im Sinn der ersten oben genannten Begriffsbedeutung ist damit ein spezifisches rechtstheoretisches Problem des 20. Jh., in dessen Hintergrund die bereits von Max Weber beschriebene zunehmende Materialisierung des modernen Rechts durch einzelfallbezogene Wertungskorrekturen steht. Bezogen auf die Anwendung der G. wurde diese Entwicklung von Justus Wilhelm Hedemann 1933 maßstabsetzend für die weitere Debatte als „Flucht in die Generalklauseln“ bezeichnet und als „Gefahr für Recht und Staat“ kritisiert. Diese rechtsstaatliche Gefahr realisierte sich namentlich in der NS-Zeit, in der sich die G. zu einer der zentralen Einbruchstellen der NS-Ideologie in das Recht entwickelten. Auf der Grundlage dieser Erfahrung fußt die in der Nachkriegszeit entstandene methodologische Debatte über G., die diese als Blankett-, Delegations- oder Ermächtigungsnormen, seltener auch als Lücken intra legem bezeichnet und Theorien zu ihrer Konkretisierung insb. am Maßstab rechtlicher und verfassungsrechtlicher Wertungen, rationaler Abwägung und Fallgruppenbildung entwickelt, die darauf zielen, den bei ihrer Anwendung verbleibenden Spielraum richterlicher Eigenwertung möglichst zurückzudrängen und methodisch zu rationalisieren. In jüngerer Zeit verschiebt sich der Schwerpunkt der Debatte allerdings zunehmend zurück zu den im zweiten Sinne verstandenen G. in regulatorischen und unionsrechtlich überformten Rechtsgebieten, in deren Zentrum praktische Fragen rationaler Konkretisierung und rechtspolitischer Kompetenzabgrenzung und weniger methodische Grundsatzfragen richterlicher Rechtsschöpfung stehen.