Gesetz

  1. I. Rechtlich
  2. II. Philosophisch

I. Rechtlich

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1. Begriff

Erscheinung und Begriff des G.es gehören zum Urgestein des Rechtsdenkens und der Rechtswissenschaft. In der Verfassungsgebung werden zumeist nur verfahrens- und kompetenzrechtliche Elemente des G.es-Begriffs festgelegt, im Übrigen wird der G.es-Begriff vorausgesetzt. Die Termini G., lex, nomos bedeuten durchgehend Vorschrift, Gebot, Sollen, Norm, und zwar ohne Rücksicht auf deren Entstehensgrund, der entweder attributiv oder durch einen genitivus subiectivus zum Ausdruck gebracht wird: lex aeterna, lex divina, lex naturae, lex humana positiva, Parlaments-G. usw. Dieser normative G.es-Begriff ist bereits ein Produkt der zivilisatorischen Entwicklung. Mit ihm wird ein früherer Zustand überwunden, in dem G. (nomos) soviel wie naturhafte Ordnung bedeutet, nicht die Verpflichtung zu bestimmtem Verhalten, sondern das Verhalten selbst, in dem die sich von der Gottheit bestimmte Natur der verschiedenen Arten der lebenden Wesen darstellt. In den Begriffen der lex aeterna und der lex naturae kommt nicht mehr diese archaische Einheit von G. und Menschennatur zum Ausdruck, vielmehr geht es um das mit den Mitteln der Vernunft erkannte natürliche G., das das menschliche Verhalten, einschließlich die menschliche G.-Gebung, steuern soll. Eine begriffliche Unterscheidung zwischen den von menschlichen Autoritäten erlassenen G.en und natur- oder vernunftrechtlich begründeten G.en (Naturrecht) ist notwendige Voraussetzung für eine der Theologie und der Philosophie gegenüber eigenständige Jurisprudenz (Rechtswissenschaft).

G. (lex) ist abzugrenzen von Recht (ius). Recht steht für den subjektiven Anspruch, der aus G. oder Vertrag folgt. Recht kann aber auch die gesamte objektive Rechtsordnung oder ein Teilgebiet dieser (z. B. Strafrecht, Privatrecht) bezeichnen. Während mit G. die generell-abstrakte Geltungsanordnung (= Rechtsnorm, Norm) bezeichnet wird, umfasst der Rechtsbegriff darüber hinaus auch das im Urteil oder in einer sonstigen Einzelfallentscheidung auf den konkreten Fall angewandte G., z. B. Richterrecht. Gewohnheitsrecht hingegen hat Rechtsnormcharakter, entstammt aber nicht einer bewussten Geltungsanordnung.

Der G.es-Begriff hat unter dem Gesichtspunkt des G.-Gebungsverfahrens (Gesetzgebung), der daran beteiligten staatlichen Organe und insb. der dahinter stehenden gesellschaftlichen Kräfte im 19. Jh. eine engere Bedeutung (wieder-)erlangt, wonach nur diejenigen Akte staatlicher Rechtssetzung als G.e bezeichnet werden, die vom Parlament gebilligt und vom Monarchen sanktioniert worden sind. Damit war der staatsrechtliche G.es-Begriff wesentlich kompetenz- und verfahrensrechtlich geprägt. Da jedoch einerseits nicht der gesamte Bereich der Rechtsetzung zur Domäne der parlamentarischen G.-Gebung gehörte und da andererseits das Parlament Entscheidungskompetenzen auf Gebieten hatte, die herkömmlicherweise nicht zur Rechtssetzung zählten, kam es zur Aufspaltung des G.es-Begriffs. Danach ist G. im formellen Sinne jeder in dem verfassungsrechtlich vorgeschriebenen G.-Gebungsverfahren zustande gekommene Willensakt des G.-Gebers ungeachtet seiner Struktur. G. im materiellen Sinne ist jede Rechtsnorm. Alle nicht vom parlamentarischen G.-Geber erlassenen Rechtsnormen (Rechtsverordnungen, Satzungen), aber auch Gewohnheitsrecht und vereinbartes Recht sind daher G.e im nur materiellen Sinne. Soweit Rechtsakte vom Parlament verabschiedet werden, die nicht Rechtsnormen sind, liegen G.e im nur formellen Sinne vor, was z. B. für das jährliche Haushalts-G. und für bestimmte Organisations-G.e angenommen wurde. Aus der Definition des Begriffs Rechtsnorm ergibt sich, wie groß die gemeinsame Schnittmenge der beiden G.es-Begriffe ist. Der Rechtsnormbegriff erstreckt sich heute nicht mehr nur auf eine individualistisch konzipierte Abgrenzung und Verbindung von Willenssphären, sondern umfasst auch solche Regelungen, die den Grund für die Ausübung der staatlichen und jeder öffentlichen Gewalt legen, sowie deren Aufbau, Ausgestaltung und Tätigkeiten im Einzelnen normieren. Damit ist der Umfang der sogenannten G.e im nur formellen Sinne nahezu auf Null reduziert.

2. Allgemeinheit des Gesetzes

Hier sind zwei Problemschichten auseinanderzuhalten. Allgemeinheit bedeutet zunächst generell. Generell ist ein G., bei dem sich die Verknüpfung eines abstrakt beschriebenen Tatbestandes mit einer Rechtsfolge auf eine in die Zukunft offene Gattung (genus) von Fällen und Personen erstreckt. Die Generellität des G.es ist ein reines Formprinzip, das kein Garant für eine gerechte Rechtsnorm ist. Gleichwohl kommt dem generellen Charakter der G.e unter mindestens zwei Gesichtspunkten größte Bedeutung zu. Zunächst verlangt das beschränkte Zeitbudget des G.-Gebers, dass er die zur Regelung anstehenden Materien nach generellen Kriterien regelt, um sich auf das Wichtigste beschränken zu können. Indem ferner das generelle G. eine offene Gattung von Adressaten betrifft, die bei dessen Erlass nicht individualisierbar sind, gewährleistet das generelle G. zu einem guten Teil die Freiheit und Gleichheit der Bürger (vgl. Art. 19 Abs. 1 S. 1 GG: ein grundrechtseinschränkendes G. muss allgemein und nicht nur für den Einzelfall gelten). Diese Garantie von Freiheit und Gleichheit ist jedoch abhängig von Art und Inhalt der Gattungsbildungen und von deren Verknüpfung mit einer bestimmten Rechtsfolge.

Es gibt eine zweite Schicht der Allgemeinheit des G.es, die der vernunftrechtlichen Tradition entstammt und in den Verfassungen des westeuropäisch-nordamerikanischen Typs Niederschlag gefunden hat. Danach unterliegen die G.e einer Probe, bei der die vorgenommene Gattungsbildung und deren Verknüpfung mit einer Rechtsfolge daraufhin überprüft werden, ob sie auf Grundsätzen beruhen, die verallgemeinerungsfähig sind. Maßstäbe für diese Verallgemeinerungsprobe ergeben sich aus dem Prinzip des Ausgleichs zwischen freien Menschen, insb. den Grundrechten und den Staatszielbestimmungen, die Differenzierungsgebote, -verbote und -erlaubnisse enthalten, die u. a. den erforderlichen Minderheitenschutz gewährleisten können.

3. Typen der Gesetze

Zahlreiche Einteilungskriterien für G.e sind zumeist rein klassifikatorischer Art (etwa Haupt- und Neben-G.e, Einführungs- und Ausführungs-G.e, Spezial- und Ausnahme-G.e) und zur Erfassung des G.es-Begriffs nicht von Nutzen. Unter dem oben erörterten Gesichtspunkt der Maßstäbe für die Gerechtigkeit der G.e ist die folgende Einteilung der G.e von Bedeutung:

a) Zivilrechtliche G.e, die die Freiheit des einen mit der Freiheit des anderen abstimmen, indem sie die Zuordnung von Sachen und die aus Verträgen folgenden Pflichten regeln sowie Schädigungen und ungerechtfertigte Bereicherungen ausgleichen;

b) Eingriffs-G.e, die die Freiheit der Bürger zum Schutze von Individual- oder Gemeinschaftsbelangen einschränken;

c) Leistungs-G.e, die finanzielle oder finanzwirksame staatliche Leistungen zusprechen;

d) Organisations- und Verfahrens-G.e, die regelmäßig in einem dienenden Verhältnis zu den G.es-Kategorien a–c stehen.

Für die einzelnen G.es-Typen gelten je verschiedene regulative Maßstäbe. Kategorie a steht unter dem überkommenen Prinzip der ausgleichenden Gerechtigkeit; Kategorie b wird beherrscht vom Prinzip des geringsten Eingriffs; im Hinblick auf Kategorie c müssen die Selbstverantwortung des Bürgers und die Grenzen der Besteuerung, die Grundlage der Finanzierung der Leistungen ist, beachtet werden. Die Organisations- und Verfahrens-G.e werden von denselben Grundsätzen beherrscht, die für die ihnen zugrunde liegenden G.e der Kategorien a–c gelten, wobei auch die Verfahrens- und Organisationseffektivität beachtet werden muss. Sogenannte Maßnahme-G.e verfolgen einen konkreten Zweck und stellen die zur Erreichung dieses Zweckes für angemessen gehaltenen Mittel zur Verfügung. Auch Maßnahme-G.e müssen den materiellen verfassungsrechtlichen Vorgaben entsprechen, insb. im Einklang mit den Grundrechten stehen.

4. Geltung der Gesetze

Die sachliche Geltung der G.e wird von verschiedenen verfassungsrechtlichen Grundsätzen bestimmt. Aus dem Vorrang der Verfassung ergibt sich eine Stufenordnung der G.e. Die Verfassung bewirkt, dass ihr widersprechende einfache Parlaments-G.e ungültig sind. Die Realisierung dieses Prinzips verlangt jedoch die Möglichkeit gerichtlicher oder sonstiger G.es-Kontrolle. Anderenfalls wird in jedem einfachen G. eine authentische Interpretation der Verfassung zu sehen sein, was jedoch einen Vorrang der Verfassung im strengen Sinne ausschließt. Unterhalb der Parlaments-G.e stehende Rechtsnormen haben Geltung, soweit sie nicht im Widerspruch zu Parlaments-G.en stehen. – Im Bundesstaat haben Landes-G.e nur Geltung, soweit sie Materien regeln, die nicht der Bundesgesetzgebung unterliegen oder die der Bundesgesetzgeber den Ländern ausdrücklich übertragen hat (z. B. Art. 71 GG), bei konkurrierender Bundes- und Landesgesetzgebungskompetenz nur, solange und soweit der Bund von seinem G.-Gebungsrecht keinen Gebrauch gemacht hat (z. B. Art. 72 Abs. 1 GG). Soweit Landes-G.e (einschließlich Landesverfassungsrecht) gegen gültiges Bundesrecht verstoßen, erlangen sie keine Geltung oder verlieren ihre Geltung; denn „Bundesrecht bricht Landesrecht“ (Art. 31 GG).

Die zeitliche Geltung der G.e ist regelmäßig nicht beschränkt; d. h., ein gültiges G. gilt, bis es aufgehoben wird. Die Aufhebung erfolgt entweder ausdrücklich oder durch den Erlass eines neuen G.es gleicher oder höherer Stufe, das inhaltlich im Widerspruch zu dem früheren G. steht.

Die räumliche Geltung eines G.es ergibt sich i. d. R. aus der Abgrenzung des Hoheitsgebietes der öffentlich- rechtlichen Körperschaft, in deren Namen der G.-Geber tätig wird. Das Hoheitsrecht erstreckt sich auch auf die unter der Flagge oder dem Hoheitszeichen des betreffenden Staates fahrenden Schiffe und Flugzeuge. Die Geltung ausländischen Privatrechts im Inland regeln die Kollisionsnormen des Internationalen Privatrechts (vgl. z. B. Art. 7 ff. EGBGB). Zur Geltung des inländischen Strafrechts für im Ausland begangene Straftaten (vgl. z. B. §§ 5 ff. StGB.)

5. Gesetz, Rechtsstaat und Demokratie

Der G.es-Begriff hat eine Schlüsselrolle für die Rechtsstaatskonzeption, und zwar in doppelter Hinsicht: Der G.es-Begriff ist Bestandteil der Lehre von der Gewaltenteilung, nach der die Organe der G.-Gebung und G.es-Anwendung verschieden sein müssen, um rationale und kontrollierte Ausübung der Staatsgewalt (Staat) sicherzustellen. Hieraus folgt das grundsätzliche Verbot der Rückwirkung von belastenden G.en. Die bes. förmliche (G.-Gebung) wie inhaltliche Qualität des G.es, die aus dem G.es-Begriff folgt, ist ein weiterer Garant der Rechtsstaatlichkeit, und zwar auch im materiellen Sinne. Ausdruck des Demokratieprinzips ist der G.es-Begriff insofern, als die G.e vom Parlament, das unmittelbar vom Volk gewählt ist (evtl. unter Mitwirkung einer zweiten Kammer), erlassen werden. Die im folgenden behandelten Prinzipien dienen zugleich der Verwirklichung des Rechtsstaates und der repräsentativen Demokratie.

Das Gesetzmäßigkeitsprinzip besteht aus dem Vorrang des G.es und dem Vorbehalt des G.es. Vorrang des G.es bedeutet, dass der in Form des G.es geäußerte Staatswille rechtlich jeder anderen staatlichen Willensäußerung vorgeht. Soweit eine Verfassung mit Vorrang besteht, wie das in den meisten Verfassungsstaaten westlicher Prägung der Fall ist, geht die Verfassung dem G. vor. Der Vorrang besteht nur für das verfassungsmäßige G. Der Vorrang hört dort auf, wo die Zugriffskompetenz der G.-Gebung ihre verfassungsrechtliche Grenze hat, die von den Vorbehaltsbereichen der Rechtsprechung und der Exekutive gebildet wird.

Vorbehalt des G.es bedeutet, dass die im Vorbehaltsbereich stattfindende Verwaltungstätigkeit einer ausdrücklichen gesetzlichen Grundlage bedarf. Die Formulierung des Vorbehaltsprinzips steht gegen die Ansicht, das G. sei nur Schranke und Rahmen für die im übrigen frei agierende Verwaltung. Der Umfang des Vorbehalts des G.es ergibt sich aus dem jeweiligen Verfassungsrecht. Der klassische aus dem 19. Jh. überkommene Eingriffsvorbehalt, wonach alle Eingriffe in Freiheit und Eigentum der Bürger unter G.es-Vorbehalt stehen, ist heute in den westlichen Ländern durchweg anerkannt, zumeist auch bezogen auf Eingriffe innerhalb sogenannter besonderer Gewaltverhältnisse. Staatliche Leistungen (Sozialleistungen und Subventionen) stehen unter dem G.es-Vorbehalt, soweit sie auf Dauer angelegt, für einen großen Adressatenkreis bestimmt sind oder hohe Summen ausbringen. Eine weitere Ausdehnung des G.es-Vorbehalts auf Leistungs- und Organisationsrecht gilt im Hinblick auf die dadurch berührten Grundrechte.

Rechtsstaat und Demokratie finden im Bereich der rechtsprechenden Gewalt Ausdruck in der Bindung des Richters an G. und Recht (Art. 20 Abs. 3, Art. 97 Abs. 1 GG), die Rechtsgleichheit und Rechtssicherheit verbürgen soll; sie ist Kehrseite der Unabhängigkeit der Richter. Das Prinzip der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung in Verbindung mit dem verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutz fordert eine gerichtliche Überprüfung der angefochtenen Verwaltungsakte am Maßstab des G.es. Die gesetzliche Bindung des Strafrichters wird herkömmlicherweise bes. hervorgehoben (nullum crimen, nulla poena sine lege, z. B. Art. 103 Abs. 2 GG). Die richterliche G.es-Bindung ist eine verfassungsrechtliche Kompetenzbestimmung; sie ist zu realisieren nach den Regeln der G.es-Auslegung.

6. Gesetzesauslegung und Gesetzesanwendung

Das G. bezieht sich als Verhaltensregel auf die Wirklichkeit. Diese Beziehung verlangt Anwendung der Regel auf konkrete Fälle. G.e werden erlassen, damit sich das Leben nach ihnen richtet. Die Normativität des G.es setzt ein Substrat, einen Lebensbereich voraus, auf den sich das G. bezieht. Dieser Lebensbereich ist in allen seinen konkreten Ausformungen und in seiner Entwicklung und Wandlung, denen alles Menschliche unterworfen ist, vom G.-Geber nicht im Einzelnen vorauszusehen und zu erfassen. Der dem G. unterstellte Lebensbereich ist zunächst noch ein Konglomerat von schon Wirklichem und noch Möglichem, der erst durch menschliche Akte hic et nunc feste Gestalt annimmt. Die jeweilige Wirklichkeit, auf die sich das G. beziehen soll, entsteht also erst. Da die konkrete Wirklichkeit, die das G. formen soll, dem G.-Geber nicht verfügbar ist, kann das G. auf das individuelle und gesellschaftliche Leben immer nur relativ bestimmt wirken. Vor aller Anwendung und Auslegung steht zunächst eine allgemeine acceptatio legis. So wickeln sich die Privatrechtsgeschäfte i. d. R. im Rahmen des Bürgerlichen Rechts, der Straßenverkehr nach dem Straßenverkehrsrecht ab; die meisten Menschen respektieren die Straf-G.e. Zu einer bewussten Anwendung und Auslegung des G.es kommt es nur im Streitfall oder falls für die G.es-Anwendung ein Verfahren zwingend vorgesehen ist. Die Anwendung des G.es setzt die Antwort auf zwei miteinander verwobene Fragen voraus: Welcher Sachverhalt liegt vor? Passt das (ein) G. auf diesen Sachverhalt? Normative Wirkung des G.es auf die Wirklichkeit setzt voraus, dass bereits die Herausmeißelung des juristischen Sachverhalts aus der Welt der Geschehensabläufe durch das G. geleitet wird. Karl Engisch hat diesen Vorgang als Hin- und Herwandern des Blicks zwischen Norm und Wirklichkeit beschrieben. Der Brückenschlag zwischen der sprachlichen Abstraktion des G.es und der Wirklichkeit ist möglich, weil die G.e im Hinblick auf die Wirklichkeit formuliert werden. Die zu ordnende Wirklichkeit ist insofern an der Konstitution des G.es beteiligt. Mit den Mitteln der Sprache werden Aspekte der Wirklichkeit im gesetzlichen Tatbestand begrifflich erfasst und einer ebenfalls abstrakt-begrifflich gefassten Rechtsfolge unterworfen. Die im gesetzlichen Tatbestand begrifflich erfasste Wirklichkeit verlangt eine Wertung des G.-Gebers, die u. a. bestimmt wird durch die leitenden Ideen, unter denen die Wirklichkeit betrachtet wird. Der so gewonnene Begriff von der Wirklichkeit ist etwas Allgemeines, das Wiederholung ermöglicht. Bei der G.es-Anwendung wird der geschilderte Vorgang umgekehrt. Dabei knüpft der Anwender des G.es an die Erfahrungen an, die für die Herstellung des G.es benutzt worden sind. Die Umkehrung des dem G. zugrunde liegenden Abstraktionsprozesses bei der Entscheidung von Einzelfällen ist möglich, weil die Sprache kraft ihrer gemeinsamen Benutzung Verständigung über die Wirklichkeit erlaubt. Die semantische Leistung der im G. verwendeten Begriffe ist bes. groß, wenn es sich um neue G.e handelt, die möglichst präzise formuliert sind. Handelt es sich um ältere oder weniger präzise formulierte G.e, so ist die Wirklichkeitsreferenz der Begriffe i. d. R. aufgrund eines allgemeinen Vorverständnisses herstellbar. D. h. außer den verwendeten Worten spielen eine Rolle: exemplarische Konfliktfälle in Präjudizien, gemeinsame soziale Erfahrungen, der Traditionszusammenhang und schließlich die Juristenausbildung. Wesentliche Hilfen für die Auslegung der G.e sind außer verfassungsrechtlichen Leitlinien die juristischen Auslegungsregeln, v. a. die historische, grammatische, systematische und teleologische Auslegung (Methode), wenngleich sie nicht automatisch ein richtiges Ergebnis verbürgen. Eine allgemeine, verpflichtende Systematik dieser Regeln besteht nicht. Die Auslegungsregeln sind Anleitungen zur Begründung von Auslegungsentscheidungen.

II. Philosophisch

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1. Der Begriff des Gesetzes

Das G. hat im grundlegenden Begriffsverständnis zwei wesentliche Eigenschaften: Notwendigkeit und Allgemeinheit (Generalität). Die Notwendigkeit kann dabei eine natürliche oder praktische, die Allgemeinheit eine sachliche oder personale sein.

Das altgriechische Wort nómos verwies zwar schon auf Allgemeines, konnte aber bloße Regelmäßigkeiten und damit Wirkliches bezeichnen, also auch Wiederholungen ohne Notwendigkeit, etwa die Gewohnheit, das Herkommen, den Brauch oder die Art. Erst der aus der Rechtssphäre stammende, lateinische Ausdruck lex bezog sich im klassischen Verständnis ausschließlich auf Notwendiges und Allgemeines. Diesen Bezug haben viele europäische Sprachen in Lehnworten wie legge, loi, ley, lei, law oder anderen Ausdrücken wie G., Satzung, Sitte (= ethisches bzw. moralisches G.) weitergeführt.

Aufgrund seiner Verbindung von Notwendigkeit und Allgemeinheit lässt sich das G. von anderen Phänomenen abgrenzen, bei denen nur eine der beiden Eigenschaften wesentlich ist, etwa die Notwendigkeit ohne wesentliche Allgemeinheit wie bei Anordnung, Befehl, Imperativ, Pflicht, Rat, Ursache, Verpflichtung und Vorschrift, oder die Allgemeinheit ohne wesentliche Notwendigkeit wie bei Art, Brauch, Gewohnheit, Herkommen, Konvention, Norm, Normalität, Regel, Regelmäßigkeit, und Typus.

2. Die Arten des Gesetzes

Das G. kann sich auf die unterschiedlichsten Gegenstände beziehen. So gibt es logische, mathematische, physikalische, chemische, biologische (natürliche), psychologische, soziale/soziologische, ethische/naturrechtliche, moralische, juridische G.e usw. Die logischen und mathematischen G.e betreffen alle Gegenstände und Verhältnisse, die physikalischen G.e alle Materie und Energie, die chemischen G.e alle chemischen Prozesse, die biologischen G.e alle Lebewesen. Die psychologischen und sozialen G.e beziehen sich auf den Menschen sowie höhere Tiere. Sie bilden mit den natürlichen G.en die theoretischen G.e. Die ethischen, moralischen und juridischen, also praktischen G.e sind notwendig für das Handeln und verpflichten deshalb nur den Menschen.

Das G. kann als ein Etwas der Wirklichkeit, des Denkens oder der Sprache angesehen werden, also als eine außergedankliche und außersprachliche Realität, ein Gedanke oder ein Satz. Ersteres vertritt ein Realismus, etwa bei Aristoteles. Die Gegenposition des Anti-Realismus bzw. Konstruktivismus behaupteten manche Sophisten, etwa Protagoras mit seinem homo-mensura-Satz, der Mensch sei das Maß aller Dinge. Auch für einen Atomismus (Leukipp, Demokrit), können natürliche G.e nicht real sein. Der Konstruktivismus widerspricht aber der grundsätzlich realistischen Auffassung der Wissenschaften und des Alltags.

Der Universalienstreit ist für die Frage nach der Realität der G. wesentlich: Die denk- und sprachunabhängige Wirklichkeit von G.en erfordert das Bestehen eines denk- und sprachunabhängigen Allgemeinen und somit eine realistische Auffassung (David Malet Armstrong). Für einen begrifflichen bzw. gedanklichen Nominalismus (Konzeptualismus, etwa bei Wilhelm von Ockham) können Universalien und folglich auch G.e nur in unserem Denken und unserer Sprache existieren. Ein radikaler, sprachlicher Nominalismus (etwa bei Thomas Hobbes) hält Universalien nur für Worte, so dass G.e nur Sätze sein könnten.

Neben uniformen Auffassungen, gibt es aber auch differenzierende, wonach verschiedene Arten von G.en unterschiedlich real sind. Logische und mathematische G.e werden etwa von manchen für gedanklich konstruiert, physikalische G.e für wirklich gehalten. Viele glauben, dass sich psychologische und soziale G.e nur auf Einzelwesen und Einzelereignisses in der Wirklichkeit beziehen. Ethische bzw. naturrechtliche G.e werden von Vertretern eines Objektivismus, Realismus bzw. Naturrechts für an sich bestehend oder zumindest verpflichtend angesehen, während Anhänger eines Subjektivismus, Antirealismus bzw. Positivismus dies bestreiten. Moralische und juridische G.e existieren jedenfalls in menschlichen oder göttlichen Äußerungen und Handlungen als soziale Wirklichkeit bzw. „positive“ G.e, etwa in den Zehn Geboten auf den Steintafeln des Mose oder im deutschen GG.

G.e können entweder durch einen G.-Geber von außen auferlegt oder immanent durch die genötigten Individuen selbst geschaffen werden. In der Antike und im Mittelalter wurde Gott sowohl als letzter G.-Geber der natürlichen als auch der praktischen G.e angesehen. Die neuzeitliche Physik formulierte dagegen immanente G.e. Auch Immanuel Kants moralisches G. der Vernunft (Vernunft – Verstand) ist ein immanentes, also autonomes G. Bei den juridischen G.en kann man zwischen den von außen auferlegten G.en der G.-Gebung durch Herrscher, Parlament, Regierung sowie Verwaltung und den immanenten G.en des Gewohnheitsrechts, des Richterrechts sowie der Verwaltungsvorschriften unterscheiden, zwei Arten von G.en, welche etwa im Kodifikationsstreit zwischen Friedrich Carl von Savigny und Anton Friedrich Justus Thibaut zu Beginn des 19. Jh. gegeneinander in Stellung gebracht wurden.

3. Der Stufenbau der Gesetze

Wegen ihrer verschieden weit reichenden Allgemeinheit und Notwendigkeit sind die einzelnen Arten der G.e unterschiedlich grundlegend und bilden deshalb eine Art Stufenbau, welchen bereits die antike bzw. mittelalterliche Stufenbaulehre in ersten Ansätzen formuliert hat, etwa bei Thomas von Aquin als Hierarchie von lex aeterna (ewiges G.), lex divina (göttliches G.), lex naturalis (natürliches G.) und lex humana (menschliches G.). Am fundamentalsten sind die logischen und mathematischen G.e. Im Mittelalter hat man erörtert, ob sogar Gott ihrer Notwendigkeit unterworfen sei. Die nächsten Stufen bilden die physikalischen, chemischen, biologischen, psychologischen, sozialen G. und dann die ethischen bzw. naturrechtlichen G.e, welche schließlich die moralischen und rechtlichen G.e rechtfertigen.

Bereits in der Antike begannen unterschiedlich radikale Versuche einer Reduktion weniger fundamentaler Seins- und Wissensbereiche und ihrer G.e auf fundamentalere. Schon Pythagoras hat die Zahlen und damit die mathematischen G.e für grundlegend gehalten. T. Hobbes wollte alle G.e auf das physikalische Kausal-G. zurückführen. David Hume sah im Kausal-G. dann nur noch eine Beschreibung regelmäßiger Einzelereignisse ohne objektive Notwendigkeit. Neuere Vorschläge der Rückführung aller wissenschaftlichen Erkenntnis auf die Physik haben ähnlich reduktive Implikationen. Manche versuchen alle sozialen G.e auf biologische G.e, etwa solche der Evolutionstheorie (Evolution), zu reduzieren oder alle praktischen G.e auf psychologische oder soziale G.e, etwa Friedrich Nietzsche und Niklas Luhmann. Wie bei den Wissenschaften war auch eine Reduktion der G.e bisher nicht erfolgreich und hat keine allgemeine Akzeptanz gefunden.

Moralische und juridische G.e müssen jedenfalls alle grundlegenderen G.e beachten. Sie dürfen weder gegen logische und mathematische noch gegen naturwissenschaftliche, psychologische und soziale G.e verstoßen. Die Folgen eines Verstoßes sind unterschiedlich: Nach dem Grundsatz „Sollen impliziert Können“ sind rechtliche G.e, die widersprüchlich, also logisch oder mathematisch fehlerhaft und nicht interpretativ korrigierbar sind, ungültig. Gleiches folgt aus naturwissenschaftlichen Fehlern. Verstöße gegen psychologische und soziologische G.e führen nicht zur Ungültigkeit, aber regelmäßig zur teilweisen Unwirksamkeit. Verpflichten juridische G.e anders als moralische G.e, so werden sie wenig befolgt werden.

Umstritten ist die Folge, wenn moralische und rechtliche G.e gegen ethische bzw. naturrechtliche oder göttliche G.e verstoßen. Die klassische, naturrechtliche Auffassung nahm nach dem Grundsatz lex iniusta non est lex eine Ungültigkeit solcher moralischen und rechtlichen G.e an. Der sogenannte Rechtspositivismus, der ab dem 19. Jh. Verbreitung fand und heute v. a. in den angelsächsischen Ländern führend ist, hält dagegen auch vollkommen ungerechte G.e für positives Recht und damit rechtsverbindlich. Gustav Radbruch vertrat noch 1932 die Auffassung, dass der Richter selbst extrem ungerechte G.e anwenden müsse, weil er damit zumindest der Rechtssicherheit als einem Element der umfassenden Gerechtigkeit diene. Als Reaktion auf die Verbrechen des Nationalsozialismus hat er diese Auffassung in dem berühmten Aufsatz „Gesetzliches Unrecht und übergesetzliches Recht“ (Radbruch 2003) aufgegeben: Nach der sogenannten Radbruchschen Formel, sind unerträglich ungerechte G.e ungültig und G.e ohne Intention der Gerechtigkeit kein Recht. Deutsche Gerichte haben die Formel beim Umgang mit NS-Unrecht und sachlich auch in den Mauerschützenprozessen herangezogen.

4. Ethische, moralische und juridische Gesetze

Die Notwendigkeit und Allgemeinheit der einzelnen G.es-Arten unterscheidet sich: Während die theoretischen G.e körperlich-individuell, ohne geistige und sprachliche Fassung sowie in jedem einzelnen Fall oder zumindest streng statistisch in einer Mehrzahl von Fällen wirksam sind, setzen die praktische G.e eine geistige und sprachliche Fassung sowie eine personale Interaktion voraus und wirken nicht in jedem einzelnen Fall. Die Notwendigkeit des praktischen G.es ist also eine geistige, sprachliche, personal-interaktive und insofern intentionale. Sie besteht darin, das Handeln von Menschen (Handeln, Handlung) durch eine mehr oder minder starke Verpflichtung zu bestimmen. Da Menschen aber frei oder zumindest innengesteuert sind, können sie sich gegen die Befolgung entscheiden und eine gebotene Handlung unterlassen oder eine verbotene Handlung ausführen, so dass praktische G.e anders als theoretische G.e (von Wundern abgesehen) in einzelnen Fällen unwirksam bleiben.

Hinsichtlich der Notwendigkeit praktischer G.e lassen sich kategorische und hypothetische G.e unterscheiden. Kategorische G.e gebieten ohne Rücksicht auf den Willen des Verpflichteten. Hypothetische G.e setzen einen zustimmenden Willen des Verpflichteten voraus. I. Kant hat begrifflich umfassender zwischen kategorischen und hypothetischen Imperativen differenziert.

Die Allgemeinheit des praktischen G.es kann eine sachliche oder eine personale sein. Das G. kann also mehrere Sachverhalte bzw. Ereignisse oder die Pflichten mehrerer Personen regeln. Im ersten Fall spricht man von einem abstrakten G., im zweiten Fall von einem generellen (im engeren Sinn) G. Ethische und moralische G.e sind regelmäßig abstrakt und generell. Fehlt die Abstraktheit, besteht ein Einzelfall-G., fehlt die Generalität ein Einzelpersonen-G.

Die Disziplin der Metaethik stellt die Frage, ob und wie ethische G.e bestehen und verpflichten. Während traditionelle Gesellschaften und Theorien von einer unmittelbaren oder zumindest mittelbaren Verpflichtung durch Gott ausgingen, muss eine immanente, nichtreligiöse Ethik den Bestand und die Verpflichtungskraft ethischer G.e auf andere Weise rechtfertigen. Nach dem von manchen angenommenen Satz „Ohne Gott ist alles erlaubt“ ist das unmöglich. Ein säkularer Skeptizismus bzw. Subjektivismus kommt zum gleichen Ergebnis. Dagegen nimmt ein Realismus bzw. Objektivismus eine objektive ethische Verpflichtung auch ohne Gott an.

Moralische und rechtliche G. bestehen zumindest in unseren Äußerungen tatsächlich. Sie dienen dem Ziel der Vermittlung zwischen potentiell gegenläufigen, konfligierenden Belangen mit kategorischen Mitteln, erstere auch mit internen, letztere nur mit externen und formalen Mitteln. Rechtliche G.e sind regelmäßig abstrakt-generell. Einzelfall-G.e des Rechts sind etwa Ermächtigungen eines einzelnen staatlichen Organs, Organisationsbestimmungen oder Haushalts-G.e. Der Unterschied zwischen kategorischen und hypothetischen G.en manifestiert sich im Recht in der Differenz von zwingendem (ius cogens) und abdingbarem Recht (ius dispositivum). G.e des Strafrechts und des öffentlichen Rechts sind häufig zwingend, solche des Zivilrechts, bes. des Vertragsrechts weitgehend abdingbar.

G.e sind eine wichtige Rechtsquelle und ein zentrales Element des Rechtsstaats. G.e werden mit ihrer Allgemeinheit den Zielen der Gleichheit, Gerechtigkeit, Sicherheit, Voraussagbarkeit, demokratischen Legitimation und Effizienz regelmäßig förderlicher sein als bloße Einzelfallregelungen wie Gerichtsurteile und Verwaltungsakte. Dies erklärt und rechtfertigt ihre stetige Zunahme und nunmehr erreichte Dominanz sowie die Schaffung sehr allgemeiner G.e als Verfassungen an der Spitze der G.es-Hierarchie. Allerdings bedürfen G.e regelmäßig der Konkretisierung durch Einzelentscheidungen, da nur diese dem einzelnen Konflikt gerecht werden können.

Die Zuordnung staatlichen Handelns zu einzelnen Gewalten hat im neuzeitlichen Staat teilweise zur Verengung und Erweiterung des juridischen G.es-Begriffs und damit zur begrifflichen Verwirrung geführt: Partiell verengt wurde der Begriff auf die sogenannten formellen G.e gesetzgebender Organe, etwa Parlaments-G.e der Legislative, denen z. B. Ordnungen bzw. Verordnungen der Exekutive und Satzungen autonomer Körperschaften wie Gemeinden oder sonstiger juristischer Personen gegenübergestellt wurden (materielle G.). Erweitert wurde der Begriff auf alle Produkte der Legislative, auch solche ohne Notwendigkeit und Allgemeinheit, etwa bloße Beschreibungen, Feststellungen oder Regelungen für Einzelfälle, etwa Fachplanungen (BVerfGE 95, 1 [17]). Art. 19 Abs. 1 S. 1 GG fordert nur die Allgemeinheit grundrechtsbegrenzender G.e, was vom BVerfG allerdings auf echte Einschränkungsvorbehalte verengt wurde (BVerfGE 24, 367 [396]). Durch einen Einzelfall veranlasste, aber allgemein formulierte und damit auf alle zukünftigen Fälle anwendbare G.e, sogenannte Maßnahme-G., sind zulässig (BVerfGE 4, 7 [18 f.]; 10, 89 [108]; 121, 30 [49]).

Art. 20 Abs. 3 GG lautet: „Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden.“ Das Prinzip der G.-Mäßigkeit fordert mit dem G.es-Vorrang den Primat der G.e vor allen anderen staatlichen Willensäußerungen und mit dem G.es-Vorbehalt für wesentliche Regelungen, insb. Grundrechtseingriffe die Form des G.es. Der Strafrichter muss sich etwa bei seinem Urteil an das Straf-G. halten. Und ohne vorheriges Straf-G. darf niemand bestraft werden (Art. 103 Abs. 2 GG): nullum crimen/nulla poena sine lege.

Das positive Recht versucht G. gelegentlich selbst zu definieren, etwa in § 2 EGBGB: „Gesetz im Sinne des Bürgerlichen Gesetzbuchs und dieses Gesetzes ist jede Rechtsnorm“. Da der Begriff der Norm allerdings die Notwendigkeit nicht wesentlich enthält (s. Punkt 1) und erheblich jünger, unklarer und weniger grundlegend als der Begriff des G.es ist, bleibt dieser Definitionsversuch wenig erhellend.