Transzendenz

  1. I. Philosophisch
  2. II. Theologisch
  3. III. Pädagogisch
  4. IV. Soziologisch

I. Philosophisch

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1. Allgemeine Begriffsbestimmung

Der Begriff T. leitet sich vom lateinischen Verb transcendere (über- bzw. hinübersteigen) ab und besitzt daher die doppelte Grundbedeutung eines Grenzüberschritts (Grenze) von einem ontologisch geringeren zu einem höheren Bereich als auch die des Zielpunkts bzw. des Woraufhin dieses Überstiegs.

2. Philosophische Anwendungsbereiche des allgemeinen Transzendenzbegriffs

Diese allg.e Begriffsbestimmung von T. findet in verschiedenen philosophischen Disziplinen Anwendung auf unterschiedliche Bereiche. Die Metaphysik als Prinzipientheorie macht sich die Doppeldeutigkeit des allg.en T.-Begriffs insofern zu eigen, als sie die T. ihres jeweiligen metaphysischen Prinzips als dessen ihm eigene Überweltlichkeit und das Transzendieren als ein metaphysisches und existenzielles Überschreiten der welthaften Wirklichkeit (Realität) versteht. Dabei wird von den verschiedenen Traditionen in der abendländischen Metaphysik die Überweltlichkeit des metaphysischen Prinzips aller Wirklichkeit unterschiedlich radikal bestimmt, am radikalsten von der platonisch-neuplatonischen Einheitsmetaphysik. Denn diese unterscheidet zwischen einer graduellen T. und einer absoluten T. Unter einer graduellen T. versteht die altakademische (Platon, Speusipp) und neuplatonische (Plotin, Proklos) Metaphysik sowohl das methodisch gesicherte, denkerische Überschreiten einer ontologisch untergeordneten Seinsstufe zu einer sie transzendierenden, d. h. ontologisch übergeordneten Seinsstufe innerhalb einer kontinuierlichen Stufenfolge des Seins als auch das jeweilige Woraufhin dieses Überstiegs. Unter einer absoluten T. versteht sie die Seins- und Geistjenseitigkeit eines immanent relations- und differenzlosen, absolut einfachen metaphysischen Prinzips als auch das menschliche Transzendieren zu diesem Prinzip hin, das sich in Gestalt einer zumindest erfahrungshaften Einswerdung mit ihm vollendet. Dieser erste, metaphysisch-prinzipientheoretische Begriff von T., der in christlicher Transformation auch im frühen (Augustinus, Pseudo-Dionysius Areopagita) und im späten (z. B. Nikolaus von Kues) lateinischen Mittelalter sowie in modifizierter Gestalt auch in der Neuzeit (Immanuel Kant, Friedrich Wilhelm Joseph Schelling, Søren Kierkegaard, Maurice Blondel, Paul Natorp, Karl Jaspers, Emmanuel Levinas) vertreten ist, bestimmt Art und Umfang der von ihm bezeichneten T. qua Überstieg des Menschen in Abhängigkeit von dem Maß der T. qua Überweltlichkeit seines jeweiligen metaphysischen Prinzips.

Von dieser metaphysisch-prinzipientheoretischen Bedeutung des T.-Begriffs ist zweitens die ontologische Bedeutung von T. im Sinne der kategorienübergreifenden und insofern überkategorialen Transzendentalität des Seins bzw. des Seienden zu unterscheiden. Dieser zufolge sind das Seiendsein und dessen mit ihm untrennbar verbundenen transzendentalen Modi des Einen, des Etwas bzw. des Dings, des Wahren, des Guten und des Schönen zwar die allg.sten Bestimmungen aller Entitäten, aber keine Gattungsbegriffe, weil sie im Unterschied zu diesen in ihre artspezifischen Unterschiede eingehen, sodass alles, was überhaupt ist, ein Seiendes ist. Daher ist das Sein bzw. das Seiende nicht wirklich transzendent gegenüber allen Entitäten, sodass hier genau genommen keine eigenständige Bedeutung von echter T. vorliegt.

Drittens gibt es einen erkenntnistheoretischen Anwendungsbereich des allg.en T.-Begriffs. Die erkenntnistheoretische Bedeutung von T. besagt „Unabhängigkeit vom Bewußtsein“ (Lotz 1985: 412). Diese T. genannte Eigenschaft einer seinsmäßigen Unabhängigkeit kommt den Gegenständen des menschlichen Erkennens zu, welche diesem „als etwas Selbständiges, nicht erst vom [Erkenntnis-]Akt Gesetztes, gegenüber [stehen]“ (Lotz 1985: 412). Daher ist diesem Anwendungsbereich des T.-Begriffs zufolge T. keine Bestimmung des menschlichen Erkennens selbst, sondern ausschließlich seiner weltimmanenten Gegenstände. Diese erkenntnistheoretische Bedeutung des philosophischen T.-Begriffs findet sich nur in der neuzeitlichen Philosophie, und zwar im Ausgang von I. Kant v. a. bei Edmund Husserl, Eduard Hartmann, Heinrich Rickert und Max Scheler.

Als ein ebenfalls nur neuzeitlich vorkommender vierter Anwendungsbereich des allg.en T.-Begriffs lässt sich die allg.e menschliche Subjektivität identifizieren, sodass diese Bedeutung von T. auch als anthropologisch (Anthropologie) bezeichnet werden kann. Deren T. bedeutet eine sich selbst überschreitende, aber weltimmanent bleibende Bewegung. Sie tritt überwiegend in den beiden folgenden Ausprägungen in Erscheinung:

a) In einer erkenntnistheoretischen Form des anthropologischen T.-Begriffs wird die sich selbst überschreitende Bewegung des menschlichen Subjekts begriffen als eine solche primär des menschlichen Erkennens. Unter diesen Typ ist die kritische Verwendung des T.-Begriffs beim frühen Johann Gottlieb Fichte zu subsumieren, ferner E. Hartmanns Annahme einer T. als Selbstüberschreitung des Subjekts im Erkenntnisakt in die heterogene Objekt-Sphäre und v. a. E. Husserls primäre Verwendung des T.-Begriffs als eine bewusstseinsimmanente Konstitution einer ichfremden Welt, die er eine immanente oder auch eine primordiale T. nennt.

b) T. in diesem anthropologischen Sinne des Begriffs wird in der neuzeitlichen Philosophie auch, obgleich seltener, verstanden als der sich selbst auf anderes Innerweltliche hin überschreitende fundamentale Selbstvollzug des menschlichen Daseins; so v. a. in der phänomenologischen Daseinshermeneutik Martin Heideggers und in der phänomenologischen Ontologie Jean-Paul Sartres, ferner auch in der Phänomenologie Maurice Merleau-Pontys und nicht zuletzt in Ernst Blochs Konzept einer immanenten T. des menschlichen Subjekts.

3. Zur systematischen Relevanz der Anwendungsbereiche des philosophischen Transzendenzbegriffs

Hinsichtlich ihrer systematischen Relevanz für eine angemessene philosophische Begriffsbestimmung von T. lassen sich die erläuterten Anwendungsbereiche des philosophischen T.-Begriffs wie folgt beurteilen: Der etymologischen Grundbedeutung von T. (die Präposition trans bedeutet „über (etwas) hinaus“ und das lateinische Verb scandere bedeutet „steigen“) als eines aufsteigenden Überstiegs von unten nach oben, d. h. über eine Grenze zwischen einem qualitativ geringeren und einem wertvolleren, höheren Bereich, wird alleine der metaphysische T.-Begriff gerecht. Denn das Woraufhin des metaphysisch verstandenen Überstiegs ist bei der graduellen T. stets eine höhere und bessere, bei der absoluten T. die höchstmögliche Stufe der Wirklichkeit. Im Unterschied hierzu kennen die anderen Anwendungsbereiche des philosophischen T.-Begriffs keinen qualitativen Unterschied zwischen den jeweils beiden in einem T.-Verhältnis zueinander stehenden Bereichen. Ein systematisch stärkeres Argument dafür, dass dem metaphysischen T.-Begriff der Vorzug vor den anderen Anwendungsbereichen des philosophischen T.-Begriffs gebührt, ist das Folgende: Der metaphysische T.-Begriff bezeichnet das denkbar größte bzw. umfassendste Übersteigen – nämlich über alles Endliche hinaus –, und zwar sogar in zweifacher Hinsicht: als (erkenntnismäßige und/oder existenzielle) Bewegung des Menschen wie auch als Bestimmung eines metaphysischen Prinzips. Dabei schließt in diesem Fall die denkbar größte Intension des metaphysischen T.-Begriffs notwendigerweise den intensionalen Gehalt der anderen T.-Begriffe als im dreifachen hegelschen Sinne aufgehobene Momente ihres eigenen begrifflichen Gehalts in sich ein. Denn die welt- oder auch nur (wie bei E. Husserl) bewusstseinsimmanent bleibende Selbstüberschreitung des menschlichen Subjekts, als welche der anthropologische Typ T. bestimmt, ist qua Selbstüberschreitung in dem metaphysisch gedachten Paradox des Selbstüberstiegs enthalten und zugl. – im Hinblick auf ihre Weltimmanenz – überwunden, indem sie auf eine höhere Stufe, die der Welt-T., gehoben ist. Entspr.es gilt für den begrifflichen Gehalt des erkenntnistheoretischen T.-Begriffs: Denn die T. im Sinne der seinsmäßigen Andersheit und Unabhängigkeit der Gegenstände des menschlichen Erkennens von diesem kann als ein aufgehobenes Moment der radikalen Andersheit und völligen Unabhängigkeit eines absoluten metaphysischen Prinzips gegenüber dem menschlichen Erkennen verstanden werden, ist also – wenn auch in einem defizitären Modus – auf diesen Aspekt des metaphysischen T.-Begriffs bezogen. Ist daher die rein anthropologisch gedachte Selbstüberschreitung des menschlichen Subjekts ein in dem metaphysisch begriffenen menschlichen Transzendieren aufgehobenes begriffliches Moment, so stellt die T. der Erkenntnisgegenstände ein begriffliches Moment dar, das in dem intensionalen Gehalt des metaphysischen Prinzips aufgehoben ist.

II. Theologisch

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In den Religionen kommt eine weltschaffende und -richtende, alles übersteigende Macht zum Ausdruck, die als Geheimnis (unpersönliche Kraft/persönlicher Gott) verehrt wird. Die Verschiedenheit endlich-vergänglicher Welt des Menschen von jenseitiger numinoser Macht wird als T. festgehalten und die Beziehung zwischen Mensch und Gott als Überstieg einer absoluten Grenze verstanden, wobei dieser Weg nicht ohne Hilfe der T. gelingen kann. Selbst agnostische Weltanschauungssysteme spiegeln diese Struktur, wenn sie Absolut-Setzungen vornehmen.

Im AT zeigt sich T., wenn Gott als dreimal Heiliger (Jes 6) in seiner Erhabenheit gepriesen wird, während der Mensch ihm gegenüber seine Gebrochenheit und Sünde bekennt. In der Zusage orts- und zeitunabhängig bleibender Gegenwart Gottes an sein Volk Israel (Ex 3,14) erweist sich die Heiligkeit Gottes in zunehmender Universalisierung als richtend-vergebende und schöpferische Allmacht. In der babylonischen Exilserfahrung wird sich Israel der Absolutheit und Einzigkeit Gottes bis hin zum ausdrücklichen Monotheismus bewusst: „JHWH ist der Gott, kein anderer ist außer ihm“ (Dtn 4,35). Im NT erreicht das Bekenntnis der T. neue Qualität; Heiligkeit und Herrlichkeit Gottes sind unlösbar mit der Person Jesu Christi verbunden (2 Kor 4,6). In der Menschwerdung wird Gottes Weltüberlegenheit noch einmal transzendiert in die endgültige Nähe des Immanuel-Christus zu Mensch und Welt (Mt 1,23), in dem Gott für immer „mit uns ist“ (DV 4). Weil Welt-T. und Weltimmanenz in Jesu Tod und Auferstehung untrennbar miteinander verbunden sind, ohne einander aufzuheben, ist Gott der eine Gott, dessen absolute Einzigkeit in Jesus Christus als Ursprung und Ziel alles Geschaffenen offenbar wird (1 Kor 8,6), so dass er in der Vollendung „alles und in allem“ (1 Kor 15,28) sein wird.

Religiöses Bekenntnis der T. bedarf der theologischen Reflexion. Die Kirchenväter wiederholten nicht einfach biblische Aussagen, sondern vermittelten sie mit hellenistischer Philosophie. Dabei galt es, den Glauben zu bewahren und die philosophischen Inhalte neu zu interpretieren. Die von Platon vertretene T.-Vorstellung des Gegenüberstehens von Welt der Sinne und Reich der ewigen Ideen und von der Verortung der Idee des Guten als Ursprung aller Ideen in gesteigerter T. noch „jenseits des Seins“ (Plat. pol. 509 b) wird differenziert auf Gott und den göttlichen Logos angewendet. Plotins Weg zur absoluten T. des Einen, die Selbst-T. menschlichen Geistes in die Innerlichkeit ekstatisch erschlossener intellektueller Anschauung durch Negation von Begriffen und Vergleichen, wird bei Augustinus gedeutet als graduelle T.-Bewegung des „foris, intus, intimum“, wobei die letzte Stufe nur durch Offenbarung erreicht werden kann (conf. VII; X). Der Weg der Negation wurde in der Theologiegeschichte beschritten, um den Begriff Gottes von allen Begrenzungen frei zu halten. Methodisch wurde so über Zustimmung, Verneinung und Steigerung die Analogie in Glaubensfragen gewonnen (Viertes Laterankonzil, Erstes Vatikanisches Konzil). Die aus der Entsprechung zwischen Schöpfer und Geschöpf (Weish 13,1–5; Röm 1,19 f.) abgeleiteten Gottesbeweise (Anselm von Canterbury; Thomas von Aquin) halten die T. zum Glauben hin argumentativ offen. Auf dieser Basis bestimmt Nikolaus von Kues die absolute T. als „coincidentia oppositorum,“ als Ineinsfall der Gegensätze, der auch das Kontradiktorische umfasst (Docta ignor. I, 4). Dafür steht der Gottesbegriff „Nichtanderer“ (De non aliud), der durch Negation jede Begrenzung abwehrt.

In der Neuzeit wird die T. Gottes in Ferne von Welt (Deismus) und zur bloßen Idee im Bewusstsein umgedeutet. Immanuel Kant trägt dem Wechsel Rechnung, ohne den Gottesgedanken gänzlich preiszugeben. Der Mensch wird in der Folgezeit sich selbst zu Weg und Ziel der T., wobei strittig bleibt, ob Gott nur Projektion oder ermöglichende Bedingung ist. Angesichts dessen kommt es für die Theologie darauf an, die Entwürfe menschlichen Selbstvollzugs als anthropologische T. (Anthropologie) zu erweisen und darauf zu bestehen, dass der Mensch sich nicht selbst vollenden kann, sondern auf Gottes Selbstmitteilung verwiesen ist. Ob diese in der Immanenz menschlichen Wollens und der Fähigkeit zur liebenden Hingabe an Gottes Wirken (Maurice Blondel), als transzendentale Ausrichtung menschlichen Daseins auf die Selbstmitteilung Gottes (Karl Rahner) oder im unbedingten Ruf in die Verantwortung für Andere (Emmanuel Levinas) gesucht wird – es kommt entscheidend darauf an, die Unerschöpflichkeit und Unabschließbarkeit der T. zu bewahren.

Die künftig maßgebliche Frage nach der Haltung christlichen Glaubens zu anderen Religionen wird entscheidend vom T.-Bewusstsein geprägt sein. Nichts ablehnen zu wollen, was in den Religionen wahr und heilig ist (NA 2), bleibt – wie schon Nikolaus von Kues gesehen hat („De pace fidei“) – nur denkbar, wenn Gott in absoluter T. als je größeres Geheimnis verstanden wird, an dem teilzuhaben eine umfassende Solidarität und Kooperation menschlicher Selbst-T. einschließt.

III. Pädagogisch

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Als Grundbestimmung der menschlichen Verfassung kommt der T. auch in pädagogischer Hinsicht bes. Bedeutung zu, und zwar sowohl was die als T. bezeichnete Grenze, den als T. verstandenen Akt ihrer Überschreitung als auch dessen Woraufhin betrifft. Deutlich wird dies an der Gestalt, die der in Philosophie und Theologie thematisierte Gedanke der T. in der neuzeitlich-modernen Anthropologie angenommen hat, wie sie auch von der Pädagogik vorausgesetzt wird. Dieser Gedanke geht davon aus, dass die als T. bezeichnete Grenze wie auch deren Überschreitung in der Struktur der conditio humana grundgelegt ist und sich als die dem Menschen zukommende perfectibilité, d. h. seine Bildsamkeit und Bildungsbedürftigkeit äußert. Anders als die ihm nah verwandten Lebewesen kann der Mensch nicht einfach leben, sondern muss sein Leben führen.

1. Transzendenz als Struktur der conditio humana

Helmuth Plessner hat diese Verfasstheit aus der „exzentrischen Positionalität“ (1981: 360) erklärt, die dem Menschen eigen ist. Während das Leben der anderen höher organisierten Lebewesen sich im Spannungsverhältnis von Selbst und Organismus, von organisch repräsentierter Mitte und organisch strukturiertem Körper vollzieht und durch einen artspezifischen Zusammenhang von Bauplan, Umwelt und Verhalten bestimmt ist, gehört es zum Menschen, sich zu diesem ihn als Lebewesen bestimmenden Verhältnis noch einmal verhalten zu können und zu müssen.

Dieses den Menschen kennzeichnende „Verhältnis zu einem Verhältnis“ hat den Charakter einer vom ihm selbst zum Ausgleich zu bringenden Spannung, was nur in Form einer – so H. Plessner – „vermittelten Unmittelbarkeit“ (1981: 396), einer „natürlichen Künstlichkeit“ (1981: 383) und eines „Theomorphismus“ (1981: 345), kurz: im Überstieg auf ein anderes, das nicht er selbst ist, gelingen kann. Nur im Umweg über anderes und andere findet der Mensch sich selbst.

Wenn aber zur conditio humana gehört, dass „der Mensch den Menschen unendlich überschreitet“ (Pascal 1963: 202) und das Seinkönnen des Menschen größer ist, als er es aus sich selbst verwirklichen kann, kommt der Frage, wie die den Menschen kennzeichnende T. zu verstehen ist und auf welches Woraufhin sie sich bezieht, für das Gelingen des Menschen zentrale Bedeutung zu. Deren Beantwortung versteht sich aber keineswegs von selbst. Denn in ihrer Offenheit setzt sich die T. und ihr Woraufhin durchaus dem Streit der Deutungen und der Gefahr der ideologischen Vereinnahmung (Ideologie) aus: Wird etwa die Frage nach ihrem Woraufhin für unbeantwortbar gehalten, bleibt die T. entweder eine rein formale Struktur, die ins Leere geht, oder aber sie wird in die Immanenz zurückgenommen wie im Fall einer rein naturalistischen Erklärung (Naturalismus) der conditio humana. Oder aber beide Aspekte verbinden sich wie in den neuerlichen Programmen eines „Transhumanismus“, der an der Selbst-T. des Menschen festhält, deren Realisierung aber allein von einer durch Biomedizin und Biotechnologie ermöglichten (Selbst-)Perfektionierung erwartet bzw. mit der Idee der Substitution von Bildung durch biotechnologische Perfektionierung spielt (Peter Sloterdijk). Auch kann die Totalität, auf die der Akt der T. ausgreift, totalitär usurpiert werden (Totalitarismus), wie dies durch Absolutsetzung der „Rasse“, der Nation, der klassenlosen Gesellschaft, der „Gottesherrschaft“ (Theokratie) o. ä. geschieht. Nicht zuletzt kann sich der Akt der T. auf Surrogate aller Art beziehen, die den Selbstüberstieg zur Sucht werden lassen.

2. Transzendenz als Thema der Bildung

Ist das Ziel der Bildung die ihr Leben führen könnende, selbständig urteilende und handelnde Person und der Vollzug der T. der ebenso unüberspringbare wie deutungsbedürftige Kern der zu diesem Ziel führenden „Menschwerdung“, wird Pädagogik sowohl den verschiedenen Dimensionen der T. als auch deren Woraufhin bes. Aufmerksamkeit schenken müssen. Dazu gehört das in Erkennen und Handeln (Handeln, Handlung) geschehende, auf „Welt im Ganzen“ vorgreifende Weltverhältnis verbunden mit dem die Vorstellung von „Welt“ bildenden und Weltbild vermittelnden Medium der Sprache, aber auch der die Erfahrung von Sozialität ermöglichende Vorgriff auf die Sphäre des „Wir“ und die im Horizont der als Kultur vermittelten Sinnvorgaben, in deren Medium sich Wertüberzeugungen und Haltungen (Wert) entwickeln. Nicht zuletzt sind die durch Vorbilder vermittelte Ausbildung eigener personaler Identität und deren Verantwortung vor dem Gewissen (Gewissen, Gewissensfreiheit) auf den Ausgriff auf ein umgreifendes Absolutes verwiesen, als dessen Gegenüber sich das Ich erfährt.

Ist aber T. als intentionaler Akt nicht nur auf ein Woraufhin bezogen, sondern in dessen Gelingen von der Gültigkeit und Überzeugungskraft dieses Woraufhin abhängig, wird pädagogisches Handeln mit der Förderung des mehrdimensional sich vollziehenden Akts der T. die Reflexion auf Sinn, Gültigkeit und Tragweite des Woraufhin dieses Aktes verbinden müssen. Diese Reflexion wird kritisch erfolgen müssen, soll das intentionale Korrelat des Akts der T. vor ideologischer Vereinnahmung oder der Substitution durch abhängig machende Surrogate bewahrt bleiben. Dabei spielt die Weise eine bes. Rolle, in der die „Grenze“ wahrgenommen wird, die der conditio humana durch ihre Endlichkeit gezogen ist. Denn von ihr hängt es ab, in welchem Maß wir die mit der Selbst-T. des Menschen verbundene Vorstellung von gelingendem Leben („Selbstperfektionierung“, „Selbstverwirklichung“, „Glück“) für sinnvoll, geboten oder zumindest vertretbar halten.

3. Transzendenz im Horizont des Glaubens: religiöse Erziehung

Die Tatsache, dass der Menschen als ein „Wesen der Transzendenz“ (Rahner 1976: 42) verstanden werden muss, lässt auch erkennen, warum der T. in Form von Glaube und Religion im Prozess der Bildung bes. Bedeutung zukommt und warum die religiöse Erziehung als ein integraler Teil der Pädagogik zu betrachten ist. Denn wenn der Mensch unentrinnbar der Frage nach dem letzten Wohin und Woher seiner Existenz ausgesetzt ist, kann die Frage, in welcher Weise dieser T. ein absolutes Woraufhin entspricht, im Prozess der Bildung nicht ausgeblendet werden. Die Antwort, die der christliche Glaube gibt, macht dabei in bes.r Weise deutlich, was den Prozess der T. als solchen kennzeichnet. So lässt die Glaubensüberzeugung, dass „Gott“ das „absolute Geheimnis“ (Rahner 1976: 54) ist, das alles umgreift und übersteigt und dennoch erkennbar ist, insofern es sich als solches mitteilt, die dem Akt der T. eigene Dialektik erkennen: nämlich zum einen die Grenze anzuerkennen, die das Woraufhin der T. radikal transzendent erscheinen und damit alle Surrogate der Kritik verfallen lässt, und zum anderen an der Möglichkeit des Menschen festzuhalten, sich selbst auf dieses transzendente Woraufhin „übersteigen“ zu können, und darin die bes. Auszeichnung des Menschen zu erblicken. Auch lässt die Deutung der Gotteserfahrung als Rückstieg in das Innere des Menschen (Augustinus) erkennen, dass der Akt der T. ein dialogischer Selbstvollzug im Modus der Verantwortung ist. Nicht zuletzt verweist der Glaube daran, dass das absolute Woraufhin der T. in Geschichte (Geschichte, Geschichtsphilosophie) und Offenbarung erfahrbar wird, auf die die T. kennzeichnende Verschränkung von T. und Immanenz. Ist es doch für das Verständnis der T. entscheidend, ob und wenn ja in welcher Weise sich die „Andersheit“ des Woraufhin mit seiner Intendierbarkeit durch den Menschen verbindet oder – auf unsere Erfahrung der Zeit bezogen – ob und in welcher Weise die vom Menschen als endlich erfahrene Zeit den Gedanken einer nach vorn offenen Zukunft erlaubt und damit die T. des Menschen als einen spezifischen Akt seiner Freiheit sichtbar macht.

IV. Soziologisch

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Jenseits seiner quasiontologischen Opposition zur Immanenz erfährt der Begriff der T. in der Soziologie eine starke Erweiterung. In der Systemtheorie Niklas Luhmanns ist dieser Gegensatz Ausdruck eines spezifischen Codes, der die Grenzen des Subsystems Religion bildet. Die phänomenologisch begründete Sozialtheorie entwickelt ein umfassenderes T.-Konzept: Als Bewusstseinvorgang ist Transzendieren in die subjektive Erfahrung eingelagert; sie bildet zugl. eine elementare Grundtatsache der Strukturen der Intersubjektivität; schließlich verweist sie – auch über die Religion hinaus – auf alle Formen geschichtlicher, gesellschaftlich objektivierter Symboluniversen. Von den egologischen Grundstrukturen subjektiver Erfahrung aus entfaltet sich damit eine soziologische Kommunikations- und Gesellschaftstheorie, die sich über alle Ordnungsebenen des Sozialen – von ego und alter bis hin zu den kosmologisch umfassendsten symbolischen Sinnwelten – erstreckt.

Als Erfahrungstatsache und kulturelle Sinnkonstruktion markiert T. die Grenzen der Lebenswelt und ihre Überschreitung. T. basiert auf den universalen Strukturen menschlicher Bewusstseinvorgänge. Die allg. menschliche Fähigkeit zum Transzendieren gründet in den egologischen Tiefenstrukturen subjektiver Erfahrung und ist wesentlich präprädikativ. Diese Theorie fußt auf dem von Edmund Husserl aufgedeckten elementaren Bewusstseinsprozess der Appräsentation, bei dem im Bewusstsein das aktuell Erfahrene mit etwas die aktuelle Erfahrung Übersteigendem verbunden wird.

1. Transzendenz der Erfahrung und Erfahrungen der Transzendenz

Die Theorie der T.-Erfahrungen knüpft an die anthropologisch (Anthropologie) und phänomenologisch (Phänomenologie) begründete Sozialtheorie an. Rekurrierend auf die protosoziologischen Arbeiten von Alfred Schütz fasst Thomas Luckmann das Überschreiten der aktuellen Erfahrung und die Einfügung des Einzelnen in die ihm vorgängige soziale Ordnung als Transzendieren: Transzendent in diesem Sinne ist alles, was meiner aktuellen Erfahrung entzogen ist.

Weil die Fähigkeit zum Transzendieren in die Struktur menschlicher Bewusstseinstätigkeit eingelagert ist, stellt sie ein universales Charakteristikum der menschlichen Spezies dar. Die Überschreitung der reinen Gegenwart des Erlebens ist dabei immer bezogen auf eine dem Individuum vorgängige soziale Ordnung. „Religiös“ ist diesem Verständnis nach der Vergesellschaftungsprozess als solcher, was der auf Émile Durkheim zurückgehenden funktionalistischen Idee einer weitgehenden Identität von „Religion“ und „Gesellschaft“ gleicht.

T.-Erfahrungen sind vierfach „determiniert“: Ihre Universalität gründet

a) in den biologischen Grenzen der Leiblichkeit als Ergebnis eines Evolutionsprozesses (Evolution) sowie

b) in allg.en menschlichen Bewusstseinsstrukturen; ihre konkrete historische Form erhalten sie

c) durch aus dem jeweiligen gesellschaftlichen Wissensvorrat abgeleitete transzendenzspezifische Deutungsmuster, die das Ergebnis langer historischer Ketten von Handlungen und Deutungen darstellen und die

d) in situativen Prozessen der konkreten „Aktualisierung“ dieses gesellschaftlichen Wissens im kommunikativen Handeln mit subjektiven Wissensvorräten verknüpft werden.

2. Universalität von Transzendenzerfahrungen

Transzendieren ist folglich ein Element der conditio humana. Als Körper-habendes und Leib-seiendes Wesen existiert der Mensch in doppelter Weise; in „exzentrischer Positionalität“ (Plessner 1981: 360) zu sich selbst gesetzt ist er „der geborene Grenzüberschreiter“, denn „das Transzendieren ist dem Leben selbst immanent“ (Simmel 2000: 297). Entspr. entwickelt A. Schütz in Anlehnung an das Konzept der Subuniversa bei William James eine Theorie mannigfacher Wirklichkeiten: Die Welt des Alltags ist von anderen finiten Sinnprovinzen umgeben, die sich als Erfahrungswirklichkeiten durch je eigene Bewusstseinsspannung, kognitiven Stil, Form der Sozialität, Spontaneität und Selbsterfahrung und eine je spezifische Epoché auszeichnen. Die hieran anknüpfende Typologie von T.en ist mit einer Kommunikationstheorie (Kommunikation) verbunden: kleine T.en treten in der Wirklichkeit des Alltags auf, sobald die gegenwärtige Erfahrung in zeitlicher oder räumlicher Hinsicht überschritten wird. Anzeichen (z. B. Rauch → Feuer) und Merkzeichen helfen bei ihrer Überwindung; mittlere T.en sind ebenfalls Teil der Alltagswirklichkeit und bezeichnen die intersubjektive Grenze zum fremden Bewusstsein; sie werden durch konventionalisierte Zeichen bewältigt (z. B. Sprache, Mimik, Gestik); große T.en reichen über den Alltag hinaus und verknüpfen ihn mit anderen, nichtalltäglichen Wirklichkeiten; sie werden in Symbolen und Ritualen artikuliert und beanspruchen – gleich ob in religiöser oder in profaner Gestalt – das Potenzial kollektiver Sinnintegration.

3. Kulturelle Relativität von Transzendenzerfahrungen

T.-Erfahrungen bleiben nicht rein subjektiv, weil die individuellen Vorgänge der Grenzüberschreitung intersubjektiver Absicherung bedürfen. Erst im Rahmen einer gesellschaftlich ratifizierten und kollektiv geteilten Wirklichkeitstheorie (Realität) gewinnen sie Relevanz. Subjektive Erfahrung ist auf Vermittlung angewiesen, d. h. ihre kommunikative Konstruktion und Rekonstruktion erfolgt vermittels Zeichen, Symbolen und Ritualen. In der Institutionalisierung von Deutungen, ihrer Verfestigung durch Kanon und Zensur, werden schließlich spezifische historische Formen der T. zu gesellschaftlich festgeschriebenen Modellen.