Revolution
I. Politikwissenschaftlich
Abschnitt drucken1. Die (politische) Wandlung des Begriffs
Dem mittelalterlichen wie auch dem antiken Sprachgebrauch ist das heutige Verständnis von R. im Sinne eines turning-upside-down der bestehenden Herrschaftsverhältnisse fremd. Die prämodernen Verständnisformen für sozial-politische Wandlungsprozesse folgten traditionell den Begriffen renovatio oder reformatio. An einen abrupten, gar massiv gewaltsamen System- bzw. Ordnungswechsel wurde kaum gedacht.
Die R. im modernen Sinn ist hingegen die Überwindung einer alten Ordnung durch die Etablierung einer (ganz) neuen. Zunächst einmal waren es jedoch Versuche von religiösen, meist zutiefst biblisch-fundamentalistisch ausgerichteten Bewegungen (wie die Wiedertäufer zu Münster oder die Leveller in England), welche mit dem Anspruch, die wahre Ordnung wäre allein die urspr.e, von Gott gegebene, radikale Umwälzungen der bestehenden sozial-politischen Ordnung anstrebten. Mit der Begründung von Menschenrechten in Form des modernen Naturrechtsverständnisses durch die „Déclaration des droits de l’homme“ (1789) in der Französischen R. und auch in den „Amendments“ (1791) der Verfassung der USA wurde dann das heutige Format von R.en etabliert. Absetzen muss man von diesen politischen R.en allerdings effektheischende Zuordnungen des R.s-Begriffs, die sich perspektivisch auf andere Bereiche als den der Politik beziehen, etwa das Reden von einer Industriellen R. (Industrialisierung, Industrielle Revolution) oder einer Wissenschaftlichen R.
2. Die Revolutionen der Moderne
Trotz der Hinrichtung des Königs (1649) und der sog.en Glorious Revolution (1688–1689) in England kommt ein eigentlich revolutionäres Verständnis erst in und mit der Aufklärung auf, in der das bürgerliche Subjekt als individueller politischer Akteur in den Vordergrund tritt. Insofern ist die erste systematisch erfolgreiche R. die Französische Revolution (1789): Unter den Leitlinien von liberté, égalité und fraternité wurde ein gewaltsamer Aufstand gegen die Monarchie vollzogen, der am Ende die gesamte feudale Ordnung in Frankreich hinwegriss. Zugl. setzte eine Gewaltspirale gegen Andersdenkende ein, die sich im Format der terreur als geradezu tugendhafte Bewegung von Revolutionären verstand. Mit der Begründung, dass eine Gegenrevolution verhindert werden müsse, kam es in den Jahren 1793–1794 zu Massenhinrichtungen, denen Zehntausende zum Opfer fielen. Doch trotz des Terrors der Revolutionäre wurde die Französische R. zum Paradigma für die R.en der Moderne. Es ist v. a. der Freiheits- und Gleichheitsgedanke, der eine geradezu katalysatorische Funktion zugesprochen bekam. Auch die Amerikanische R., die mit der Unabhängigkeitserklärung von 1776 begann und in einem bis 1783 währenden Krieg gegen das Britische Empire erfolgreich abgeschlossen wurde, gehört in diese Konstellation, wenngleich die Voraussetzungen gänzlich andere waren. In Frankreich blieb nämlich der Nationalstaat bestehen und wurde durch die R. nur in ein neues Format gebracht, insofern fortan das Volk als Gesamtheit der Bürger (Bürger, Bürgertum) eine Republik konstituierte. In Nordamerika hingegen wurde durch die R. das Staatssystem der USA überhaupt erst gegründet. Der Aufruf zur Freiheit war dann auch konstitutiv für jene R.en, die sich in Mittel- und Südamerika gegen das spanische Kolonialsystem (Kolonialismus) richteten. Mit diesen Erhebungen wurden die heute noch existierenden Nationalstaaten Lateinamerikas (Lateinamerika und Karibik) begründet. Alexis de Tocqueville sah daher das 19. Jh. zurecht als eine Epoche der R. an. Er sah hier eine Demokratisierung der bürgerlichen Gesellschaften Europas wie überhaupt der Welt, und zwar im Format des Nationalstaats.
Dagegen richtete sich das „Kommunistische Manifest“ (1848) von Karl Marx und Friedrich Engels mit einer dezidiert anderen Interpretation von R., in der auf die sozial-ökonomische Dimension der R. hingewiesen wurde. Grund für alle R.en sei die Soziale Frage, die – als massive Ungerechtigkeit von Klassengegensätzen bei der Ausgestaltung der Besitzverhältnisse – in jeder Gesellschaft zur R. führen müsse. Die damit verbundene Prognose diente im Marxismus dann zur ideologischen Legitimierung umfassender Gewalt bei der Beseitigung bestehender Herrschaftsverhältnisse bzw. dem Aufbau der neuen Ordnung.
Insofern brachte die Oktober-R. (1917) in Russland einen neuen Typus hervor: Die Revolutionäre um Wladimir Iljitsch Lenin und Leo Trotzki traten mit dem Anspruch an, die Klassengegensätze des Zarenreichs ein für allemal aufzuheben. Die im Bürgerkrieg (1917–1922) siegreichen Bolschewiki etablierten mit der Sowjetunion im Selbstverständnis nicht nur einen neuen Staat, der Arbeiter und Bauern vereinte, sondern zugl. auch einen ganz neuen Typ von Mensch, den Sowjetbürger, der im Rahmen der Gleichheit keinen Privatbesitz mehr kennen sollte. Der Totalitarismus, der von dieser R. ausging, nahm zwar ideologische Anleihen auch aus der Französischen R.; doch das Ausmaß des praktizierten Terrors wurde durch die Doktrin des Klassenkampfes weiter gesteigert. Diese gewaltverherrlichende Freiheitsdoktrin wurde dann insb. von den antikolonialistischen Befreiungsbewegungen der Dritten Welt zur Rechtfertigung herangezogen. Ihre totalisierende Wirkung zeigte sich auch bei der Chinesischen R.: Mit der Wiedergewinnung der nationalen Souveränität (1949) unter dem Leitziel des Maoismus war es nicht getan; vielmehr sollte die revolutionäre Dynamik dauerhaft am Leben gehalten werden. Dies geschah mithilfe systematischen Terrors, der sich gegen immer wieder neue Formationen des angeblichen Klassenfeindes oder von Konterrevolutionären richtete. Insb. Mao Zedong als der propagandistisch überhöhte Große Lehrer der R. hat hiervon schonungslos Gebrauch gemacht. Mio. Chinesen mussten sterben, weil sie systemisch unerwünscht waren, insb. beim Großen Sprung nach vorn (1958–1962) und bei der sog.en Kultur-R. (1966–1976). Ein anderer R.s-Typus trat mit der Iranischen R. 1979 in Erscheinung, weil hier eine authentisch religiöse, nicht säkular-ideologische Begründung das Antriebsmoment darstellte: Die R.s-Idee des Ayatollah Ruhollah Musawi Khomeini verstand sich als klar islamisch.
Mit Ausnahme von Tunesien brachten die (scheinbar) revolutionären Ereignisse des sog.en Arabischen Frühlings weder neue Ordnungen oder gar Freiheit oder Demokratisierung der arabischen Gesellschaften hervor. Als Moment der Freiheit kann hingegen die Orangene R. gedeutet werden, die in der Ukraine ein bürgerliches Aufbegehren (zunächst erfolgreich 2004) gegen die autokratisch agierende Regierung darstellte und schließlich im sog.en Euromaidan 2014 eine russlandaffine Regierung gewaltsam zu Fall gebracht hat.
3. Theorie und Revolutionsvergleiche
Die Gründe für das erfolgreiche Zustandekommen einer R. sind meist derart vielschichtig, dass sich, trotz zahlreicher Versuche (bes. markant: Chalmers Johnson), bis heute keine allg.e Theorie der R. durchgesetzt hat. Das zeigt sich schon bei der Mutter aller R.en, der Französischen R.: Die klassisch marxistische Lesart, wonach sich die Bourgeoise erstmals erfolgreich gegen das Ancien Régime behauptet habe, gilt mittlerweile als völlig einseitig und simplifizierend. Tatsächlich entwickelten sich über Jahre vor der R. in Frankreich sehr verschiedene soziale und kulturelle Phänomene, die 1789 zusammenfanden, ohne jedoch zwingend koinzidieren und auf so gewaltsame Weise kulminieren zu müssen. Der marxistischen Lesart, wonach eine R. stets die Folge von Armutsverhältnissen sei, die sich in Zeit und Raum quasi selbstreinigend entlüden, ist denn auch dezidiert etwa von Hannah Arendt widersprochen worden. Am Beispiel der Amerikanischen R. machte sie deutlich, dass hier die Revolutionäre nicht vor der Frage standen, wie soziale Gerechtigkeit über die Besitzverhältnisse besser zu regeln sei, sondern dass der Ausgangs- und Antriebspunkt der R. genau der Wille zur Freiheit war. Für die amerikanischen Revolutionäre, die im Grunde nur einen Aufstand gegen die britische Monarchie organisierten, sei die „Selbsterhaltung der [bürgerlichen] Gesellschaft“ das zentrale Ziel gewesen (Arendt 1994: 88).
H. Arendt wie A. de Tocqueville geht es dabei um angemessene Beschreibungsformate für eine R. Eine empirische Theorie ist das aber noch lange nicht. Nach Gustav Landauer ist R. ohnehin nichts anderes als angewandte Sozialpsychologie, weshalb sie auch gar nicht „wissenschaftlich exakt“ bestimmbar sei. Dennoch versteht G. Landauer R. auf generalisierte Weise i. S. eines dialektisch ablaufenden Modells der Geschichte: Die Neuzeit sei deshalb neu, weil sie revolutionär sei – und das Neue am Revolutionären sei seine Dynamik. Diese werde angetrieben durch die Dialektik von Topie (Stabilität) und Utopie (Änderung); eine R. sei genau der Moment, in dem der Akt der Transformation stattfindet.
Zur bes.n Herausforderung für eine allg.e Theorie wird der erforderliche systematische Vergleich zwischen den einzelnen Erscheinungsformen von R.en in Zeit und Raum. Hierzu gibt es erst wenige Arbeiten, etwa die von Theda Skocpol, bei der Frankreich, Russland und China miteinander verglichen wurden, oder die von Crane Brinton mit dem Vergleich der Konstellationen in England, Frankreich, den USA und Russland. C. Brinton identifiziert drei Faktoren für eine erfolgreiche R.: die Nation, die Bürger, und schließlich die „Masse“, welche in Bewegung gerät. Komplexer, durchwegs funktionsanalytisch ausgerichtet und deshalb gut verallgemeinerbar ist hingegen die empirische R.s-Theorie von C. Johnson, die R.en als Folgen einer mangelnden Synchronisierung der Entwicklung von Systemen und ihren Umwelten samt gravierenden Steuerungsdefiziten (Steuerung) ihrer Führungen konzeptualisiert.
Literatur
C. Brinton: Anatomie der Revolution, 2017 • F. Dikötter: Mao und seine verlorenen Kinder. Chinas Kulturrevolution, 2017 • G. Landauer: Die Revolution, 2017 • D. R. Marples/F. V. Mills (Hg.): Ukraine’s Euromaidan, 2015 • B. Stone: The Anatomy of Revolution Revisited. A Comparative Analysis of England, France, and Russia, 2014 • A. Jünemann/A. Zorob (Hg.): Arabellions, 2013 • P. McPhee (Hg.): A Companion to the French Revolution, 2013 • H. Arendt: Über die Revolution, 41994 • T. Skocpol: States and Social Revolutions. A Comparative Analysis of France, Russia, and China, 1979 • A. de Tocqueville: Der alte Staat und die Revolution, 1978 • K. Marx/F. Engels: Manifest der Kommunistischen Partei, 1977 • C. Johnson: Revolutionstheorie, 1971.
Empfohlene Zitierweise
P. Nitschke: Revolution, I. Politikwissenschaftlich, Version 08.06.2022, 09:10 Uhr, in: Staatslexikon8 online, URL: https://www.staatslexikon-online.de/Lexikon/Revolution (abgerufen: 31.10.2024)
II. Historisch
Abschnitt druckenMit der Glorious Revolution von 1688/89 und dem amerikanischen Unabhängigkeitskrieg 1775 bis 1783, v. a. aber mit der Großen Französischen Revolution ab 1789 erhielt der „R.s-Begriff“ seine bis heute gültige moderne, normative Aufladung: R.en markieren als fundamentale, gesellschaftlich tief verankerte Umsturzbewegungen historische Wendepunkte in einer langfristigen Aufstiegsbewegung. Ihnen voraus gehen anhaltende Krisen und „sehr plötzlich eintretende Desintegrationen der alten Regime, die ihre Autorität jäh verloren“ (Arendt 1974: 328). Als „Lokomotiven der Geschichte“ (MEW 7: 85) treiben sie die Entwicklung in eine progressive Richtung und richten sich gegen „Tyrannei“, „Despotie“ sowie „Diktatur“, damit auch gegen den Spätabsolutismus (Absolutismus) und ebenso gegen koloniale (Kolonialismus) oder autoritär-realsozialistische Regime. Sie sollen der Freiheit und Gleichheit unterdrückter oder unterprivilegierter Sozialschichten oder ganzer Völker sowie einer allg.en „Brüderlichkeit“ den Weg bahnen. Typisch für R.en ist die Fundamentalpolitisierung breiter Bevölkerungsschichten, „die schnelle und gewaltsame Zerstörung der bestehenden politischen Institutionen“ (Huntington 1973: 94) sowie die nicht gesteuerte, tiefgreifende „demokratische Partizipation von unten“ (Vester/Teiwes-Kügler 2013: 72). Dem modernen R.s-Begriff, der seinerseits mit der Hochaufklärung „auf das engste verklammert“ ist (Grosser 2013: 33), ist mithin „Emanzipation“ als Kernelement eingeschrieben – als Grundtendenz die politische und soziale Gleichstellung unabhängig von „Rasse“, Nation, Geschlecht und Konfessionszugehörigkeit.
R.en erzwingen Parteinahme – für oder wider die R. Gegenrevolutionäre Theorien und deren Protagonisten werten R. als fundamentale Krise und Inkarnation alles Negativen. Der Terminus „Gegen-R.“ taucht bereits 1790 auf, behält in der Folgezeit seinen pejorativen Bedeutungsinhalt, ähnlich wie „Reaction“ und „Restauration“ mit antidemokratischer Akzentuierung – oder dient der oft ironischen Selbstbeschreibung von Protagonisten traditioneller Eliten. Ein anderer Gegenbegriff zu R. ist „Evolution“. Er wird ebenfalls bereits Ende des 18. Jh. entspr. geprägt und insistiert auf „Reformen“, oft „von oben“. „Evolution“ ist freilich auch dem R.s-Begriff selbst eingeschrieben, da jede R. unabgeschlossen bleibt. Deshalb taucht die Formel „Revolution in Permanenz“ bereits Ende des 18. Jh., dann nach der Juli-R. 1830 und mit dem Scheitern der R. von 1848 auf (Pierre-Joseph Proudhon Okt. 1848; Karl Marx 1850; Hermann Ferdinand Freiliggrath 1851). Der Terminus „permanente Revolution“ (Trotzki 1969: 21) wurde durch Leo Trotzki seit 1906 prominent gemacht – und von Wladimir Iljitsch Lenin seit 1917 geteilt – gemünzt auf die „unterentwickelten“ russischen Verhältnisse und die Forderung nach einer zunächst bürgerlichen R., die in eine sozialistische R. übergehen müsse, aber auch als Umschreibung der nicht abgeschlossenen sozialistischen Welt-R. und schließlich in kritischer Wendung gegen Josef Wissarionowitsch Stalins Diktum vom „Sozialismus in einem Land“ (Stalin 1976: 331).
Der anfängliche Glanz des R.s-Begriffes – seine Funktion als Projektionsfläche für unterschiedlichste Hoffnungen und Wünsche – trübte sich unter Intellektuellen und in breiteren Bevölkerungsschichten zwar immer wieder ein, insb. in Phasen des terreurs (Frankreich 1792/93 oder Russland ab 1917/18). Seine grundsätzlich positive Konnotation als Inbegriff emanzipatorischen Fortschritts blieb jedoch nachhaltig, Ende des 20. Jh. zusätzlich „geadelt“ mit Attributen wie „friedlich“ oder „sanft“ (so für die Umbrüche ab 1989/90).
R.en werden zudem oft zu einem Kollektivsingular verdichtet. Die Formel „die R.“ bündelt (die oftmals sehr unterschiedlichen) Hoffnungen, Ziele und Forderungen der revolutionären Akteure oder markiert bestimmte Entwicklungsstränge und Umbruchsformen. R. wird dabei oft zu einem eigenständigen Subjekt verselbständigt, das „den Adel“ oder „die Bourgeoisie“ attackiert. Typisch ist auch, dass Protagonisten oder sympathisierende Beobachter von R.en diese zu historischen Naturerscheinungen mit „ihne(n) eigenthümlichen Gesetze(n)“ (Forster 1793:595), deren „große Lichtmasse der Vernunft“ (Forster 1793: 596 f.) breite Volksschichten erleuchte (Forster 1794), stilisieren. Gleichzeitig gelten R.en vielfach als Phasen einer eminent beschleunigten historischen Zeit, in denen zudem grundlegendere Tendenzen der Zeitläufte sichtbar werden. Überdies prägen sie Leben und Erinnerungen der Akteure wie kein anderes Großereignis. Den R.s-Begriff kennzeichnet ferner, dass er oft lediglich auf den Anfangsmonat der – meist kurzen – revolutionären Epoche bezogen und z. B. von Juli-R. (1830), Februar- und März-R. (1848), Februar- und Oktober-R. (1917) oder November-R. (1918) gesprochen wird.
Grundlegende gesellschaftliche Umwälzungen vor 1789 bzw. vor 1688 wurden erst retrospektiv als „R.en“ bezeichnet. Mit der Antikenrezeption seit der Wende zum 19. Jh. wurden die Entstehung der attischen Demokratie unter Solon und Kleisthenes, die Schaffung des hellenistischen Großreiches unter Alexander, die Phase des Umbruchs des antiken Roms von der Republik zum Kaiserreich, der Untergang des west-, später des oströmischen Reiches unter dem Ansturm germanischer und arabischer Völker sowie die Entstehung der Niederlande im 16. Jh. als „R.en“ klassifiziert, ebenso die Bauernaufstände zu Beginn des 16. Jh. und die Zeit des long parliaments mit der Herrschaft Oliver Cromwells (great rebellion) von 1640 bis 1660.
Der politisch-soziale R.s-Begriff besitzt mehrere Bedeutungsebenen. Er hebt phänomenologisch auf „Gewalt“ sowie „Aufstand“ ab und ist insofern von „Revolte“ und „Rebellion“ definitorisch wie empirisch ebensowenig strikt zu trennen wie vom „Bürgerkrieg“, zu dem die meisten historisch bedeutsamen R.en eskalierten. Auch vom „Putsch“ ist die „R.“ oft schwer abzugrenzen, z. B. Portugal 1974. Entscheidend dafür, dass von „R.“ gesprochen werden kann, ist, dass die gesamte Gesellschaft „erschüttert“ und zumindest in zentralen Teilbereichen „umgewälzt“ wird. Neben politischen und sozialökonomischen Effekten – im „langen 19. Jh.“ bis 1920 etwa der Aufhebung verbliebener feudaler Fesseln, aber auch bereits des Privateigentums an „Produktionsmitteln“, insb. in Bergbau, Großgrundbesitz und Industrie – haben erfolgreiche R.en i. d. R. auch rechtliche Folgen: Vorrevolutionäres Recht wird außer Kraft gesetzt, die veränderten gesellschaftlichen Verhältnisse werden durch eine neue Verfassung legitimiert. Daneben können R.en und die aus ihnen entstehenden Bürgerkriege wichtige Hebel von Nationsbildungen sein (Deutschland, Italien, Finnland, Osteuropa 1917 bis 1919). Retrospektiv, von Historikern, aber auch Theologen usw., wurden R.en oft auf ihre Rolle bei der Nationsbildung verengt. Ein Beispiel ist die R. von 1848/49 in den deutschen Staaten, deren Bedeutung bis weit in die zweite Hälfte des 20. Jh. auf die einer Vorgeschichte der Reichseinigung 1866 bis 1871 reduziert wurde.
Der R.s-Begriff birgt umfängliche semantische Legitimitätsressourcen. Er rechtfertigt auf dem radikalen Flügel „revolutionären Terror“, z. B. 1792/93 oder 1917 ff., legitimiert aber auch gegenrevolutionäre Strömungen und ist für eine kalkulierte rechtskonservative wie faschistische Sprachpolitik attraktiv. Beispiele mindestens zeitweilig erfolgreicher Begriffsaneignungen sind im deutschen Raum die in den 1920er und 1930er Jahren generierten Begriffe der „konservativen R.“ und der „nationalen R.“
Der von hochkonservativen und faschistischen (Faschismus) Strömungen in den 1920er Jahren geformte Begriff der Konservativen R., zielt auf ein autoritäres und elitäres Regime, das den „Staat aus seiner jahrhundertelangen Verstrickung in gesellschaftliche Interessen emanzipiert“ und „zu einem freien Wesen [macht], das die Revolution von rechts in sich aufnimmt“ (Freyer 1931: 55). R. sollte in dieser Perspektive vermeintlich vorhistorische Zustände wiederherstellen. Repräsentanten der Konservativen R. wie Hans Freyer suchten den auf die Aufklärung und die Große Französische R. zurückgehenden R.s-Begriff in sein Gegenteil umzuprägen und sich der positiven Konnotationen des R.s-Begriffs zu bemächtigen. Sie suggerierten einen „dritten Weg“ zwischen liberalem Kapitalismus und Marxismus bzw. Bolschewismus. Die Berufung Adolf Hitlers zum Reichskanzler und die anschließende Gleichschaltung galten rechten Strömungen weit über die organisierte NS-Bewegung (Nationalsozialismus) hinaus als „nationale“ (Domarus 1965: 219), „völkische“ oder „totale“ R. Der „deutschen, germanischen Revolution“ (Jäckel/Kuhn 1980: 779) war im Rahmen der Rhetorik A. Hitlers die unmittelbar gegenrevolutionäre Grundtendenz explizit eingeschrieben: Sie war gegen „Novemberverbrecher“ (Domarus 1965: 257) und überhaupt gegen die R. von 1918/19 gerichtet, die den NS-Protagonisten als ein Resultat der „jüdisch-bolschewistischen Weltverschwörung“ galt. Ihr Ziel war die „Vernichtung des Marxismus“ (Domarus 1965: 219) und aller Ideen, die auf der Aufklärung sowie der R. von 1789–1799 basieren. Neben der auf politisch-soziale Umbrüche zielenden fortschrittlich-teleologischen Bedeutung erfasst der Terminus außerdem strukturelle, langfristige Fundamentaltransformationen: „Industrielle Revolution“ – zuerst Friedrich Engels 1845 (MEW 2: 237) –, wissenschaftlich-technische R., Kommunikations-R. usw. Hinzu treten in der zweiten Hälfte des 20. Jh. Trivialisierungen und kommerzialisierende Vereinnahmung des Begriffs. Diese Inflationierungen ändern allerdings nichts daran, dass der Terminus im präzisen (nicht-alltäglichen) Sinne seinen politisch-sozialen Kern behalten hat.
Darauf insistierende R.s-Typologien fragen zunächst nach „Erfolg“ oder „Misserfolg“ – eine Frage, die je nachdem, ob die Maßstäbe von Zeitgenossen oder den Nachgeborenen angelegt werden, unterschiedlich beantwortet werden kann. Offen ist häufig auch die Frage der regionalen Differenzierungen: Ob bei den europäischen R.en insb. von 1848/49, von 1917 bis 1920 oder auch von 1989/90 von einer R. im Singular oder mehreren R.en gesprochen werden kann, hängt von den an diese Umwälzungen angelegten Kriterien und vom gewählten Abstraktionsgrad ab.
Daneben setzen R.s-Typologien am Grad und der Tiefe der Erschütterung an und unterscheiden danach, welche gesellschaftlichen Bereiche maßgeblich erfasst werden. Zentral und verbreitet ist die Unterscheidung in politische und (darüberhinausgehend) soziale R., ohne dass beide Typen realhistorisch strikt getrennt werden können. Maßgeblich K. Marx und F. Engels haben den R.s-Begriff um die soziale Dimension erweitert; in ihrer Perspektive entstehen R.en am Kulminationspunkt eines nicht aufhebbaren Spannungsfelds von wissenschaftlich-technologischen „Produktivkräften“ (MEW 13: 9) und ökonomisch-gesellschaftlichen „Produktionsverhältnissen“ (MEW 13: 9).
Nach den Marx/Engelsschen R.s-Überlegungen und den auf sie zurückgehenden R.s-Traditionen entstehen R.en aus Klassenspannungen und „Klassenkämpfen“, die maßgeblich historische Entwicklungen vorwärtstreiben. R.en werden in (kapitalistisch-)bürgerliche v proletarische bzw. sozialistische unterschieden. Eng verbunden ist damit die Frage nach dem (sozialen) revolutionären Subjekt. Unterschiedliche, sich auf K. Marx beziehende Traditionslinien bildeten W. I. Lenin und Rosa Luxemburg aus: Während W. I. Lenin die R. mittels einer politischen Zentralbehörde (Bolschewiki) zu lenken trachtete, setzte R. Luxemburg auf „das aktive, ungehemmte, energische politische Leben der breitesten Volksmassen“ (Luxemburg 1968: 130). Die vielschichtige und unabgeschlossene Marx/Engelssche R.s-Theorie erlaubte R.s-Konzepte auch für die in westlich-kapitalistischer Perspektive „unterentwickelte Peripherie“ der Dritten Welt (Mao Zedong, Ernesto „Che“ Guevara u. a.). Im Stalinismus und im nachstalinistischen Realsozialismus gefror der R.s-Begriff „zu einer ontologischen Dauerkategorie“ (Koselleck 1984: 783), die den Regimen bei schwindendem sozialen Rückhalt Legitimität verschafften, Gegner als „Verräter an der Revolution“ denunzierte und den schließlichen Machtkonservativismus der Staatsparteien kaschieren sollte.
Eine wieder andere Variante ist der v. a. auf China während der Jahre 1966 bis 1976 bezogene Begriff der Kultur-R., je nach Sichtweise ein Fraktionskampf innerhalb der KPCh (der zum Bürgerkrieg ausartete) und eine „kulturelle“ Umwälzung des seit 1949 geschaffenen „Überbaus“ oder eine Art innersozialistischer „Klassenkampf“ gegen eine privilegierte Polit-Bürokratie bzw. überhaupt traditionelle Funktionseliten. Retrospektiv wurden mit dem Etikett Kultur-R. außerdem ältere Phänomene versehen, etwa die kurzzeitige Blüte der russischen Avantgarde nach 1917 und das in weite Teile der deutschen Gesellschaft ausstrahlende Bauhaus, oder auch die kulturellen Veränderungen im Gefolge der „68er“-Bewegung.
Die räumliche Reichweite moderner R.en ist abhängig von den Verkehrs- und Kommunikationsstrukturen: Während die französischen R.en von 1789–1799 sowie von 1830/31 eine aufgrund der Kommunikationsstrukturen nur begrenzte internationale Resonanz fanden, wurde die R. von 1848/49 vor dem Hintergrund des bereits europaweiten Ausbaus des Eisenbahnnetzes zu einer kontinentalen R., die in der Schweiz begann (Sonderbundskrieg vom Nov. 1847), sich Anfang 1848 in Italien fortsetzte und sich mit der Pariser Februar-R. zu einer gesamteuropäischen R. auswuchs.
Im zweiten Drittel des 20. Jh. hat der historische R.s-Begriff geographisch seine weitgehende Beschränkung auf den europäischen Raum endgültig gesprengt. Wurde die mexikanische R. 1910–1920 meist eher als Ausnahmeerscheinung betrachtet, haben insb. die chinesische R., aber auch R.en in Lateinamerika (Lateinamerika und Karibik), beginnend mit Kuba 1956–1959, den Blick global geweitet. Strittig ist, ob Großereignisse und Massenaufstände außerhalb Europas vor der Wende zum 20. Jh. – auch aufgrund ihrer weiterhin oft starken religiösen Aufladungen – als „R.en“ bezeichnet werden können, etwa die chinesische R. der Taiping-Bewegung, die zig Mio. Opfer forderte.
Aus europäischem Blickwinkel kann man das „lange 19. Jh.“ von 1789–1920 als ersten R.s-Zyklus klassifizieren, der „bürgerliche“ wie „proletarisch-sozialistische R.en“ umschließt. Seit 1871 (Pariser Commune) gingen allen R.en dieses Zyklus Kriege voraus. Ein zweiter, v. a. außereuropäischer R.s-Zyklus setzt 1949 mit dem Erfolg der chinesischen R. ein und endet mit den afrikanischen und asiatischen Dekolonialisierungskriegen. Ob das Verschwinden des (europäischen) Realsozialismus einen eigenständigen R.s-Zyklus markiert, bleibt ebenso offen wie die Frage, ob der Arabische Frühling und Protestwellen der jüngsten Zeit einen weiteren R.s-Zyklus einleiten.
Literatur
D. Armitage: Bürgerkrieg, 2018 • F. Grosser: Theorien der Revolution zur Einführung, 2013 • M. Vester/C. Teiwes-Kügler: Arbeitnehmer/innen in der Krise: zunehmende Kompetenzen – wachsende Unsicherheit in L. Billmann/J. Held (Hg.): Solidarität in der Krise, 2013: 53–77 • J. Osterhammel: Die Verwandlung der Welt. Eine Geschichte des 19. Jahrhunderts, 2009 • R. Hachtmann: Berlin 1848. Eine Politik- und Gesellschaftsgeschichte der Revolution, 1997 • G. Forster: Revolutionsschriften 1792/93 in Akademie der Wissenschaften der DDR (Hg.): G. Forster. Werke, Bd. 10, 1990 • E. Forschbach: Edgar J. Jung. Ein konservativer Revolutionär. 30. Juni 1934, 1984 • R. Koselleck: Revolution, Rebellion, Aufruhr, Bürgerkrieg, in: GGB, Bd. 5, 1984, 653–788 • E. Jäckel/A. Kuhn (Hg.): Hitler. Sämtliche Aufzeichnungen 1905–1924, 1980 • J. Stalin: Die Oktoberrevolution und die Taktik der russischen Kommunisten, in: ders.: Werke, Bd. 6. 1976: 320–358 • H. Arendt: Über die Revolution, 1974 • S. P. Huntington: Modernisierung durch Revolution, in: K. von Beyme (Hg.): Empirische Revolutionsforschung, 1973, 92–104 • R. Luxemburg: Die russische Revolution, in: dies.: Politische Schriften III, 1968, 106–141 • L. Trotzki: Die permanente Revolution, 1969 • M. Domarus (Hg.): Hitler. Reden und Proklamationen 1932–1945, Bd. 1, 1965 • H. Freyer: Revolution von Rechts, 1931.
Empfohlene Zitierweise
R. Hachtmann: Revolution, II. Historisch, Version 08.06.2022, 09:10 Uhr, in: Staatslexikon8 online, URL: https://www.staatslexikon-online.de/Lexikon/Revolution (abgerufen: 31.10.2024)