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Version vom 15. August 2021, 11:44 Uhr
Mit seiner Geburt wird der Mensch rechtsfähig (§ 1 BGB). Aus diesem Grund können bereits Minderjährige Rechte und Pflichten haben, etwa Partei eines Kaufvertrages sein, Eigentum erwerben oder erben. Jedoch sind sie in ihrer rechtlichen Geschäfts- und Handlungsfähigkeit in erheblichem Umfang eingeschränkt und werden bei vielen Handlungen von ihren Eltern als den Personensorgeberechtigten vertreten (§ 1629 BGB). In einem weiten Sinne bezeichnen K. alle rechtlichen Regelungen, die Belange Minderjähriger betreffen. Der sprachliche Ausdruck „K.“ entstammt indes der grund- und menschenrechtlichen Debatte und wird darum überwiegend in einem engeren Sinne auf die fundamentalen Rechtspositionen Minderjähriger bezogen. Während in anderen Rechtsbereichen zwischen „Kindern“ (0–13 Jahre) und „Jugendlichen“ (14–17 Jahre) unterschieden wird, können sich K. auf alle nicht volljährigen Personen beziehen.
1. Geschichte der Kinderrechte
K. im Sinne juridischer Grund– und Menschenrechte Minderjähriger werden im internationalen wie im deutschen Recht seit den 1920er Jahren diskutiert.
1.1 Die Entwicklung im Völkerrecht
Als erste internationale Kodifikation listet die „Genfer Erklärung über die Rechte des Kindes“ des Völkerbundes vom 24.9.1924 in vier kurzen Absätzen wesentliche Bedürfnisse von Kindern auf, darunter u. a. den Schutz vor Gefahren, die Versorgung mit dem Nötigsten und die Entwicklung der Persönlichkeit. Ähnlich normiert auch die erste „Erklärung der Rechte des Kindes“ der Vereinten Nationen vom 20.11.1959 überwiegend Rechte des Kindes auf Erziehung und Schutz. Erst mit dem „Übereinkommen über die Rechte des Kindes“ der Vereinten Nationen vom 20.11.1989 (UN-KRK) wird die eigene Perspektive des Kindes – sein Wille, seine Wünsche und sein Streben nach Eigenständigkeit – zu einem zentralen Bestandteil kinderrechtlicher Überlegungen. Die UN-KRK hat seit den 1990er Jahren bereits erheblichen Einfluss auf die deutsche Rechtsordnung entfaltet. Gleiches gilt für die Rechtsprechung des EGMR, der sich insb. im Rahmen des Art. 8 EMRK (Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens) regelmäßig auch mit K.n befasst.
1.2 Die Entwicklung im deutschen Recht
Die erste Kodifikation eines K.s in Deutschland findet sich in § 1 RJWG von 1922: das „Recht des Kindes auf Erziehung zu leiblicher, seelischer und gesellschaftlicher Tüchtigkeit“. Ein Recht im Sinne eines einklagbaren Anspruchs war mit dieser Regelung nicht verbunden; es sollte lediglich Ausdruck der staatlichen (Mit-)Verantwortung für das Aufwachsen von Kindern sein. Dieses Verständnis, wonach Kinder allenfalls ein Recht haben, erzogen zu werden, prägte auch die Beratungen zum GG in den Jahren 1948/49 und die Geschichte der frühen BRD. Erst in den 1960er Jahren wurden die K. in der rechtswissenschaftlichen Diskussion breiter thematisiert. Im Jahr 1968 bestätigte das BVerfG erstmals die Grundrechtsträgerschaft des Kindes (BVerfGE 24, 119). Seine Rechtsprechung entfaltete in den Folgejahren weitreichende Wirkung, die sich etwa in der Anerkennung der Meinungs-, Versammlungs- und Religionsfreiheit von Schülern in der Schule, dem seit 2001 ausdrücklich geregelten Recht auf gewaltfreie Erziehung (§ 1631 Abs. 2 BGB) sowie schrittweise ausgeweiteten Anhörungs- und Beteiligungsrechten in familiengerichtlichen Verfahren sowie in der Kinder- und Jugendhilfe zeigt.
2. Die Rechte des Kindes in der Kinderrechtskonvention der Vereinten Nationen
Die UN-KRK gilt für alle nicht volljährigen Personen ab ihrer Geburt. Sie ist von dem Bemühen geprägt, unterschiedlichen Facetten der Lebensphase Kindheit gerecht zu werden: der existenziellen Abhängigkeit des Kindes von Schutz, Versorgung und Förderung auf der einen sowie dem eigenen Streben des Kindes nach Mit- und Selbstbestimmung auf der anderen Seite. Die Rechte der UN-KRK lassen sich vor diesem Hintergrund in mehrere Gruppen einteilen:
a) Rechte, die den Schutz des Privat- und Familienlebens des Kindes sichern, indem sie insb. ein Recht auf staatliche Gewährleistung der elterlichen Erziehung und Abwehrrechte gegen ungerechtfertigte staatlichen Interventionen in diese normieren;
b) Rechte auf Leben, Gesundheit sowie auf Schutz vor Gewalt (Art. 19) und vor bes.n Gefährdungen wie Drogenabhängigkeit, sexualisierter Gewalt oder wirtschaftlicher Ausbeutung;
c) Rechte, die der eigenständigen Persönlichkeitsentwicklung und -entfaltung dienen, etwa auf Identität, Beteiligung, Bildung, Spiel, Erholung und Freizeit. Des Weiteren enthält die UN-KRK ein allg.es Diskriminierungsverbot und in dem sog.en Kindeswohlprinzip einen grundsätzlichen Vorrang der Kindesinteressen bei staatlichen Maßnahmen, die Kinder betreffen.
3. Die Grundrechte des Kindes im deutschen Grundgesetz
In der deutschen Verfassungsrechtswissenschaft ist mittlerweile weitgehend anerkannt, dass Kinder Träger aller Grundrechte ab ihrer Geburt sind, auch wenn sie in der Wahrnehmung dieser Rechte u. U. von ihren Eltern oder anderen Personensorgeberechtigten vertreten werden. Kinder sind folglich Träger der Menschenwürde und haben eigene Persönlichkeitsrechte. Sie können sich auf ihre Freiheitsrechte wie die Meinungs-, Religions- oder Versammlungsfreiheit berufen und haben einen Anspruch auf Schutz vor Diskriminierung. Des Weiteren haben Kinder ein Recht auf Schutz ihres Familienlebens (Familie) sowie – nach der Rechtsprechung des BVerfG – auf staatliche Gewährleistung der elterlichen Erziehung. Das elterliche Erziehungsrecht gibt Eltern die Freiheit, ihre Kinder nach ihren eigenen Vorstellungen zu erziehen. Jedoch wird es durch die Persönlichkeitsrechte des Kindes erheblich begrenzt: Es ist nicht nur ein Recht, sondern zugl. eine Pflicht, die zugunsten des Kindes auszuüben ist. Das Elternrecht besteht darum nur so lange, wie das Kind des Schutzes und der Hilfe bedarf. Werden Eltern der mit dem Erziehungsrecht einhergehenden Verantwortung in einer Weise nicht gerecht, die das Kind gefährdet (Kindeswohl), so ist der Staat berechtigt, zum Schutz des Kindes in die elterliche Erziehung einzugreifen („Wächteramt“). Die Persönlichkeitsrechte des Kindes gebieten ferner, das Kind an wesentlichen Entscheidungen über seine Belange angemessen zu beteiligen und seine Meinung mit zunehmendem Alter und wachsender Reife zu berücksichtigen.
Das GG enthält in seiner gegenwärtigen Interpretation keine Schutzlücken gegenüber den Gewährleistungen der UN-KRK. Da das Kind als Grundrechtsträger im GG aber nicht ausdrücklich erwähnt wird, wird seit Langem über Ergänzungen des GG diskutiert. Während die Verfassungsrechtswissenschaft dem mehrheitlich skeptisch gegenübersteht, erhoffen sich insb. Kinderschutzverbände und -initiativen von einer klarstellenden Formulierung der K. im GG eine symbolische Aufwertung kinder- und jugendpolitischer Anliegen.
4. Umsetzung der Kinderrechte
Die abstrakt formulierten Grund- und Menschenrechte bedürfen der Achtung und Umsetzung im einfachen Recht. Wichtige Rechtsgebiete für die Verwirklichung der K. sind das Kinder- und Jugendhilferecht, der Jugendschutz, das Abstammungs-, Sorge- und Umgangsrecht, das Medizinrecht sowie das Schul- und Bildungsrecht. Das völkerrechtliche „Kindeswohlprinzip“ konstituiert die Rechte von Kindern zudem als Querschnittsmaterie, die immer dann zu berücksichtigen ist, wenn Kinder von staatlichen Maßnahmen betroffen sind, etwa auch bei aufenthaltsrechtlichen, städtebaulichen oder umweltrechtlichen Entscheidungen.
Literatur
A. Uhle (Hg.): Kinderrechte im Spiegel der Kindesentwicklung, 2019 (i. E.) • S. Schmahl: Kinderrechtskonvention mit Zusatzprotokollen. Hand-Komm., 22017 • F. Wapler: Kinderrechte und Kindeswohl. Eine Untersuchung zum Status des Kindes im Öffentlichen Recht, 2015 • E. Rossa: Kinderrechte. Das Übereinkommen über die Rechte des Kindes im internationalen und nationalen Kontext, 2014 • M. Liebel: Wozu Kinderrechte, 2007.
Empfohlene Zitierweise
F. Wapler: Kinderrechte, Version 04.01.2021, 09:00 Uhr, in: Staatslexikon8 online, URL: https://www.staatslexikon-online.de/Lexikon/Kinderrechte (abgerufen: 31.10.2024)