Elternrecht

1. Intention

Das E. ist das Recht und die Pflicht der Eltern zur Erziehung und Pflege ihrer Kinder. Es umfasst die Sorge für deren leibliches, geistiges, und seelisches Wohl sowie die Freiheit, die Erziehungsziele und -wege zu bestimmen. Dieses natürliche Menschenrecht (Menschenrechte) beruht auf der Annahme, „dass diejenigen, die einem Kinde das Leben geben, von Natur aus bereit und berufen sind, die Verantwortung für seine Pflege und Erziehung zu übernehmen“ (BVerfGE 24, 150) und „dass die Interessen des Kindes am besten von Eltern wahrgenommen werden“ (BVerfGE 34, 184).

Als Grundrecht (Grundrechte) der Verfassung richtet sich das E. gegen den Staat. Seinem Charakter nach liberal, schirmt es einen privaten Freiraum ihm gegenüber ab, und es erkennt der elterlichen Erziehung den Vorrang vor der staatlichen zu. Als Freiheitsrecht ermöglicht das E. Individualität der Erziehung. Es legitimiert die Weitergabe familiärer Tradition, religiöser Bindung und kultureller Eigenart. Über die elterliche Erziehung erneuert sich die geistige Vielfalt der Gesellschaft. Das E. bildet die rechtliche Wurzel des Pluralismus. Da es das Differenzierungspotential des Gemeinwesens schützt, bedarf es des rechtlichen Gegengewichts in der staatlichen Verantwortung für die Belange der Allgemeinheit, für die Wahrung des Grundkonsenses, für die Integration der Gesellschaft. Die elterliche und die staatliche Erziehungskompetenz haben ihre je eigene Legitimation. Sie ergänzen einander. Doch stehen sie auch in einem Spannungsverhältnis.

Wie jedes Grundrecht antwortet das E. auf eine bestimmte Gefahrenlage für Menschenwürde und Freiheit: hier auf den wachsenden Drang des modernen Staates, die Versorgung des Kindes zu organisieren und das Erziehungswesen in eigene Regie zu nehmen, es zu standardisieren und zu professionalisieren, es tunlichst dem Eigensinn und der Amateurpädagogik der Eltern zu entziehen, den Einfluss nichtstaatlicher Erziehungsprätendenten, zumal der Kirchen, zurückzudrängen, um die Gesellschaft von ihren Wurzeln her zu integrieren. Dem konträren Leitbild folgt der totalitäre Staat (Totalitarismus) mit dem Ziel, ein umfassendes Versorgungs- und Erziehungssystem auszubauen von der ganztägigen Kinderbetreuung über die Schule bis zur Jugendorganisation, um den „neuen Menschen“ zu züchten. Er entlastet die Eltern, indem er sie entmündigt.

Die Menschenrechtsdeklarationen und Grundrechtskataloge des 18. und 19. Jh. enthalten das E. noch nicht. Philosophische Bekundungen zum elterlichen Erziehungsauftrag, wie sie sich bei Thomas von Aquin oder Samuel von Pufendorf finden, dürfen nicht (wie es zuweilen versucht wird) im Sinne des E. gedeutet werden, weil die Wesensmerkmale des Grundrechts fehlen: die politische Stoßrichtung gegen den Staat, der Individualismus, die subjektive Freiheit der Eltern, die rechtliche Form des Anspruchs.

Dagegen wird das E. als Grundrecht 1848 in der Frankfurter Nationalversammlung eingefordert (im Ergebnis freilich vergeblich) durch den Abgeordneten Wilhelm Emmanuel von Ketteler, der gegen die Verstaatlichung des ganzen Unterrichtswesens ankämpft: jedem Familienvater in Deutschland, gleich, ob gläubig oder ungläubig, sei das Recht zu gewähren und zu sichern, seine Kinder nach seiner Ansicht zu erziehen und auch die Richtung der schulischen Ausbildung zu bestimmen, während der Staat nur eine „bestimmte Stufe formaler Geistesbildung“ festlegen dürfe (Rede vom 18.9.1848, in: F. Wigard, Stenographischer Bericht über die Verhandlungen der Dt. Constituierenden Nationalversammlung zu Frankfurt a. M., 80. Sitzung, Bd. 3, 1848, S. 2183). Hier klingt die naturrechtliche Lehre (Naturrecht) vom E. an, wie sie später von Papst Leo XIII. entfaltet wird, freilich ausschließlich ausgerichtet auf christliche Erziehungsziele. Der politische Katholizismus setzt im 19. und im frühen 20. Jh. auf den Willen der Eltern, um die christliche Erziehung und die kirchliche Präsenz im Schulwesen gegen den antiklerikalen Liberalismus zu verteidigen. Diesem Konflikt entspringt letztlich das Grundrecht, das der politische Katholizismus in den Weimarer Verfassungskompromiss einbringt. Darin zeigt sich ein historisches Paradoxon: dass ein seinem Wesen nach liberales Grundrecht gegen den politischen Liberalismus durchgesetzt wurde von einer Kirche, die ihrerseits seit der Französischen Revolution die Idee der liberalen Menschenrechte grundsätzlich verworfen hatte.

2. Rechtsquellen

Das E. wird erstmals in der WRV von 1919 als Grundrecht anerkannt: „Die Erziehung des Nachwuchses zur leiblichen, seelischen und gesellschaftlichen Tüchtigkeit ist oberste Pflicht und natürliches Recht der Eltern, über deren Betätigung die staatliche Gemeinschaft wacht“ (Art. 120). Die Qualifikation als „natürliches Recht“ hindert die herrschende Staatsrechtslehre der Weimarer Republik (Günther Holstein, Gerhard Anschütz) nicht, an der überkommenen Auffassung vom „Erziehungsprimat“ des Staates festzuhalten. Zu voller grundrechtlicher Wirksamkeit gelangt das E. über das GG: „Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft“ (Art. 6 Abs. 2 GG). Vorausgegangen waren die frühen Landesverfassungen, so Art. 55 HessVerf, Art. 126 Abs. 1 BayVerf, Art. 25–27 RPVerf. Heute gewährleisten alle gliedstaatlichen Verfassungen außer der Hamburger, die über keinen Grundrechtsteil verfügt, das elterliche Erziehungsrecht, zwölf ausdrücklich, drei durch pauschale Verweisung auf die Grundrechte des GG. Das E. gehört nunmehr zum deutschen Kanon der Grundrechte.

Auf europäischer Ebene wird das E. anerkannt in Art. 2 S. 2 des 1. Zusatzprotokolls zur EMRK von 1952: „Der Staat hat bei Ausübung der von ihm auf dem Gebiet der Erziehung und des Unterrichts übernommenen Aufgaben das Recht der Eltern zu achten, die Erziehung und den Unterricht entsprechend ihrer eigenen religiösen und weltanschaulichen Überzeugungen sicherzustellen.“ Das E. wird hier von seiner Kehrseite her formuliert, als Pflicht des Staates; es wird ausdrücklich auf das Gebiet der staatlichen Erziehungs- und Unterrichtstätigkeit bezogen. Das Abkommen gilt für die BRD (als einfaches, innerstaatliches Gesetz, aber ohne praktische Bedeutung neben Art. 6 Abs. 2 GG), für Österreich (hier mit innerstaatlichem Verfassungsrang, indes ein autochthones Grundrecht fehlt), nicht aber für die Schweiz, die auch in ihrer Bundesverfassung kein eigens ausformuliertes E. vorsieht. Mit ähnlichen Worten verpflichtet die EuGRC die Mitgliedstaaten, in ihren Gesetzen das E. zu achten (Art. 14 Abs. 3) und die Rechte des Kindes zu gewährleisten (Art. 24).

Auf Weltebene proklamiert die AEMR von 1948: „Die Eltern haben ein vorrangiges Recht, die Art der Bildung zu wählen, die ihren Kindern zuteil werden soll“ (Art. 26 Abs. 3). Im ICCPR von 1966 verpflichteten sich die Vertragsstaaten, „die Freiheit der Eltern und ggf. des Vormunds oder Pflegers zu achten und die religiöse und sittliche Erziehung ihrer Kinder in Übereinstimmung mit ihren eigenen Überzeugungen sicherzustellen (Art. 18 Abs. 4). Gemäß dem Übereinkommen über die Rechte des Kindes von 1989 sind „für die Erziehung und Entwicklung des Kindes in erster Linie die Eltern oder ggf. der Vormund verantwortlich. Dabei ist das Wohl des Kindes ihr Grundanliegen“. Die Vertragsstaaten unterstützen die Eltern in ihrer Erziehungsaufgabe und sorgen für Einrichtungen und Dienste der Kinderbetreuung (Art. 29).

3. Das grundrechtliche Dreieck Eltern – Kind – Staat

Wie in jedem Freiheitsrecht stehen im E. die privaten Träger der Freiheit dem Staat als notwendigem Garanten und möglichem Widersacher der Freiheit gegenüber: hier die grundrechtsberechtigten Eltern, dort die grundrechtsverpflichtete staatliche Gemeinschaft. Doch als dritte Größe tritt das Kind hinzu, auf dessen Wohl das Recht und die Pflicht der Eltern und der Schutz des Staates ausgerichtet sind. Im Konflikt geht das Recht des Kindes dem Recht der Eltern und dem des Staates vor. Das Kind ist nicht bloßes Objekt des E., sondern eigenständiges Grundrechtssubjekt, auch wenn es noch nicht fähig ist, seine Grundrechte auszuüben. Darin unterscheidet sich das E. fundamental von antiken Rechtsauffassungen, denen das Kind als Eigentum seines Erzeugers galt und seiner unbeschränkten Verfügungsgewalt unterlag. Das E. begründet keine Freiheit der Eltern, beliebig mit dem Kind zu schalten und zu walten. Vielmehr weist es ihnen die Pflege und Erziehung als Aufgaben („Elternverantwortung“) zu. Es steht ihnen nicht frei, ob sie von ihrem Recht Gebrauch machen, sondern nur, wie sie es tun. Dem Grundrecht korrespondiert eine Grundpflicht: eine Besonderheit im Grundrechtskatalog. Wer das E. für sich beansprucht, kann nicht nur Rechte gegenüber dem Kind einfordern, sondern muss auch Pflichten tragen (BVerfGE 108, 102). Das Kind hat einen Anspruch gegen die Eltern, dass sie die Pflicht erfüllen. Der Staat gewährleistet die Erfüllung. Hier hat das Kind auch einen Anspruch gegen den Staat.

Solange das Kind nicht fähig ist, selbstverantwortlich zu handeln, fällt die Verantwortung seinen Eltern zu, die als seine Treuhänder tätig werden. Das Grundrecht baut auf die Bereitschaft und Fähigkeit der Eltern, ihrer Aufgabe gerecht zu werden. Es setzt voraus, dass i. d. R. ihnen „das Wohl des Kindes mehr am Herzen liegt als irgendeiner anderen Person oder Institution“ (BVerfGE 59, 376). Gleichwohl trifft das nicht in jedem Einzelfall zu. Die staatliche Gemeinschaft wacht daher über die Betätigung des E. und schützt so das Wohl des Kindes (Kindeswohl).

Das E. ist ein eigenes Recht der Eltern. Aber es gibt im Unterschied zu den sonstigen Grundrechten kein Recht zum eigennützigen Gebrauch. Es ist ein altruistisches „dienendes“ (BVerfGE 61, 372) Grundrecht. Erziehung und Pflege sind ausgerichtet auf das Wohl des Kindes. Die Grundrechtsausübung besteht in Zuwendung zum Kind, in Hilfe, Schutz und Liebe. Die gängige emanzipatorische Deutung der Grundrechtsfreiheit versagt hier. „Selbstverwirklichung“, die das E. freisetzt, besteht nicht in Egozentrik, sondern im Dienst am Nächsten. Während das normale Grundrecht die Entfaltung der Persönlichkeit seines Trägers zum Thema hat, zielt das E. auf die Entfaltung des Kindes. Sonst bedeutet grundrechtliche Freiheit Selbstbestimmung ihres Inhabers, hier jedoch bedeutet sie einseitige Bestimmung über einen anderen Menschen, eben das Kind. Darin setzt sich das E. von allen anderen Grundrechten ab, auch von der Religionsfreiheit. Juristisch ist streitig, ob darin eine Herrschaftsposition (Ernst-Wolfgang Böckenförde) oder eine Führungsrolle (Fritz Ossenbühl) liegt. Falsch ist jedenfalls die (Ab-)Qualifikation als „Fremdbestimmung“ über das Kind. Die Eltern sind nicht Fremde, sondern die Nächsten, die ihrem Kind die notwendige Hilfe leisten, damit es zur Selbstbestimmung heranwächst. Sie sind die Sachwalter seiner Belange. Sie haben anvertraute, treuhänderische Freiheit. In dem Maß, in dem das Kind zu Eigenverantwortung heranreift, bildet sich das E. zurück, um am Ende der Grundrechtsmündigkeit des Kindes zu weichen.

4. Das Elternrecht des Grundgesetzes (Art. 6 Abs. 2 GG)

4.1 Das „natürliche“ Recht

Wenn das GG das E. als „natürliches Recht“ bezeichnet, erkennt es dieses als Vorgegebenheit an, das seiner Verfügungsgewalt nicht unterliegt. Es will keine gönnerhafte Gewähr des Verfassungsgebers sein, sondern die Gewährleistung dessen, was sich von selber versteht, weil es der Sozialnatur des Menschen gemäß ist. Das Wort „natürlich“ weist auf das Bekenntnis zu den vorstaatlichen Menschenrechten als „Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft“ hin (Art. 1 Abs. 2 GG) und darin auf die Grenzen jeder legalen Verfassungsrevision (Art. 79 Abs. 3 GG). Doch das bedeutet keine Verweisung auf eine bestimmte Naturrechtslehre. In seiner grundrechtlichen Fassung ist das E. positives Verfassungsrecht und kein Naturrecht. Aber es steht auf der höchsten Stufe des staatlichen Rechts, und es genießt die Garantie als unmittelbar geltendes, einklagbares Grundrecht (Grundrechte).

Dem Grundrecht kommen mehrere Funktionen zu: die Staatsabwehr und die staatliche Schutzpflicht („Wächteramt“), das Individualgrundrecht und die Institutsgarantie als Schutz der familiären Erziehung und Absage an erzwungene Kollektiverziehung. Seiner Struktur nach lässt sich Art. 6 Abs. 2 auch als Kompetenznorm deuten, die dem Subsidiaritätsprinzip folgt (Subsidiarität). Die vorrangige Kompetenz (der „Erziehungsprimat“) liegt bei den Eltern. Dem Staat kommt nur das subsidiäre Wächteramt zu, um dort einzugreifen, wo die Eltern ihrer Verantwortung nicht genügen.

4.2 Die grundrechtsberechtigten Eltern

Das E. steht im Regelfall den leiblichen, ehelichen Eltern zu. Sie tragen die Elternverantwortung gemeinsam und gleichberechtigt. Der traditionelle Vorrang des Vaters hat sich mit der Gleichberechtigung der Geschlechter erledigt. Das GG geht von dem Regelfall aus, dass das Kind mit den durch Ehe verbundenen Eltern in einer Familiengemeinschaft (Familie) zusammenlebt und Vater und Mutter das Kind gemeinsam pflegen und erziehen.

Die Geltung des E. erschöpft sich jedoch nicht in dieser vorausgesetzten Normalsituation. Bei abweichender familiären Konstellationen (Tod, Trennung, Scheidung oder gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaft der Eltern [ eingetragene Lebenspartnerschaft ], nichteheliche Geburt, künstliche Befruchtung [ Insemination ], Leihmutterschaft, gentechnische Manipulation [ Gentechnik ]) kann die Grundrechtszuständigkeit prekär werden. Wo Unklarheit herrscht und Rechtskollisionen drohen, ist der Staat aufgerufen, durch Gesetz für den schonenden und praktikablen Ausgleich zu sorgen. Jedenfalls kann nur eine Person Vater und nur eine Mutter im Sinne des Art. 6 Abs. 2 GG sein (BVerfGE 108, 101). Der biologische Vater steht grundsätzlich zurück hinter dem rechtlichen Vater. Das Kind braucht rechtliche und personale Sicherheit über die Zuweisung der Elternrolle. Oberstes Richtmaß der Zurechnung ist das Kindeswohl.

Das E. verbleibt den Eltern auch nach der Ehescheidung, wie immer das Sorgerecht (Elterliches Sorgerecht) zugeteilt wird. Es schützt sowohl das (volle) Sorgerecht des einen als auch das bloße Umgangsrecht des anderen Elternteils. Das E. kommt auch nichtverheirateten Eltern zu sowie dem nichtehelichen Vater. Eine gesetzliche Vorzugsstellung der nichtehelichen Mutter ist jedoch mit Art. 6 Abs. 2 GG vereinbar. An die Stelle der biologischen Elternschaft kann die „soziale“ Elternschaft treten. Adoptiveltern (nicht aber Pflegeeltern) sind Eltern gemäß Art. 6 Abs. 2 GG (u. U. nach endgültigem Grundrechtsverzicht der leiblichen Eltern). Dagegen haben Großeltern und sonstige Familienangehörige nicht teil am Grundrecht aus Art. 6 Abs. 2 GG, auch nicht der Partner eines Elternteils, der in sozial-familiärer Beziehung mit dem Kind lebt. Gleichgeschlechtliche Lebenspartner, die gesetzlich als Elternteile anerkannt sind, werden nicht Eltern im verfassungsrechtlichen Sinne (anders aber BVerfGE 133, 77 ff.).

4.3 Pflege und Erziehung als Aufgaben

Gegenstand des E. sind „Pflege und Erziehung“ der Kinder, eine einzige Aufgabe, die sich nicht begrifflich trennen lässt und praktisch zusammengehört. Sie umfasst die Sorge für die Person und das Vermögen, für das leibliche wie für das geistig-seelische Wohl, für Unterhalt wie Bildung, die tatsächliche erzieherische Arbeit wie die Entscheidung über die erzieherischen Ziele und Mittel. Den Eltern kommen sowohl die pädagogische Exekutive zu als auch die pädagogische Direktive, der Umgang mit dem Kind wie die Wahrnehmung seiner Belange gegenüber Dritten, zumal seine gesetzliche Vertretung. Das E. umfasst die religiöse Erziehung. Die Eltern müssen ihre Aufgabe nicht in Person erfüllen. Sie können die Aufgabe Dritten übertragen (Tagesmutter, Kindergarten, Internat etc.)

4.4 Erziehungsziele und Verfassungserwartungen

Das GG behält den Eltern die Entscheidung vor, wie sie ihr Kind erziehen und auf welche Ziele sie die Erziehung ausrichten. Weder Staat noch Kirche oder eine sonstige Macht kann ihnen ihr Erziehungskonzept aufzwingen. Doch das E. wird nicht lediglich negativ bestimmt als Freiheit von staatlicher Regulierung, sondern auch positiv als Freiheit zur Verwirklichung des Kindeswohls. Dieses bildet die „oberste Richtschnur“ (BVerfGE 59, 376; 60, 88). Doch als solche wird es nicht von Verfassungs oder Gesetzes wegen ausdefiniert. Die Erziehung zu „leiblicher, seelischer und gesellschaftlicher Tüchtigkeit“ (Art. 120 WRV) oder „zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit“ (§ 1 Abs. 1 SGB VIII) nähern sich der Sache, bleiben aber hochabstrakt und so unbestimmt, dass sie den Eltern Raum lassen, ihre eigenen pädagogischen Vorstellungen zu verwirklichen, ohne Rücksicht darauf, ob diese Vorstellungen vom Staat, von der Bevölkerungsmehrheit oder einer beachtlichen Minderheit geteilt werden und als „politisch korrekt“ gelten. Sie ist der eigentliche Ursprung des gesellschaftlichen Pluralismus. Es bildet auch den integrationsresistenten Part (Integration) von Zuwanderern aus fremden Kulturkreisen, ihre nationale, kulturelle, religiöse Eigenart in der Mehrheitsgesellschaft zu bewahren und weiterzugeben. Dem Staat ist es kraft Art. 6 Abs.2 GG verwehrt, in den autonomen Bezirk der Familie hineinzuregieren, um seine eigenen Vorstellungen aufzudrängen, auch dann, wenn sie moralisch hochwertiger, pädagogisch vernünftiger sein sollten. So ist die gesetzliche Anordnung einer dialogischen Erziehung („Intellektuellenparagraph“ § 1626 Abs. 2 S. 2 BGB) verfassungswidrig.

Das GG enthält kein rechtsverbindliches Erziehungsprogramm für die Eltern, auch nicht im Sinne einer „demokratischen Gesinnung“ oder Verfassungstreue. Das Grundrecht wird den Eltern auch dann nicht entzogen, wenn sie es töricht und unmoralisch ausüben und aller Verfassungsideale spotten. Das Wächteramt des Staates lebt erst auf, wenn das Kind körperlich oder seelisch zu verwahrlosen droht. Dennoch verhält sich die Verfassung nicht gleichgültig gegenüber der elterlichen Erziehung, weil sie im Guten wie im Schlechten an der ethischen und lebenspraktischen Fundierung des Gemeinwesens mitwirkt. Ungeschriebene Verfassungserwartungen, deren Einlösung der Staat zwar fördern, aber nicht erzwingen darf, richten sich darauf, dass die Erziehung dem grundrechtlichen Leitbild der freien Entfaltung der Persönlichkeit des Kindes entspricht, in Achtung vor den Rechten anderer, vor den rechtlichen wie den sittlichen Geboten. Verfassungserwartungen dieser Art, nicht aber Rechtsgebote, sind die in Landesverfassungen aufgerichteten Erziehungsziele wie Ehrfurcht vor Gott, Achtung vor der Würde des Menschen, Bereitschaft zum sozialen Handeln, Duldsamkeit und Achtung vor der Überzeugung des anderen, Liebe zu Volk und Heimat (Art. 7 NRWVerf, Art. 12 BadWüVerf). Rechtsverbindlichkeit beanspruchen dagegen die Erziehungsziele für das staatliche Schulwesen, soweit sie mit der gesamtstaatlichen Verfassung vereinbar sind. Der Erziehungsauftrag des Staates dient als Ergänzung, unter Umständen auch als Korrektiv des individuellen E., weil er die allgemeinen, objektiven Belange eines gedeihlichen Zusammenlebens unter den Bedingungen der Freiheit zur Geltung bringt, die zentripetalen Kräfte gegenüber den zentrifugalen stärkt und die pluralistische Gesellschaft zum solidarischen Gemeinwesen eint. Je heterogener die Bevölkerung im Zuge der Zuwanderung ist, desto mehr wird das staatliche Integrationsinstrumentarium gefordert.

4.5 Elternrecht und Grundrechte des Kindes

Das Kind steht seinen Eltern als Person gegenüber, ausgestattet mit Menschenwürde und Grundrechten. Es ist ihnen mit Leib und Leben und allen Entfaltungsmöglichkeiten der Freiheit anvertraut. Solange es seine (Grund-)Rechte nicht eigenverantwortlich ausüben kann, nehmen sie diese in seinem Interesse wahr. In dem Maße, in dem es zu Einsichtsfähigkeit und Selbstverantwortung erwächst, bildet sich das E. zurück, um bei Erreichung der Volljährigkeit gänzlich zu erlöschen. Die grundrechtlichen Positionen der Eltern und der Kinder sind zu unterscheiden, gegeneinander abzuwägen und zu Konkordanz zu führen. Die Aufgabe erfüllt der Gesetzgeber nach Maßgabe der Verfassung. Um der Rechtssicherheit willen trifft er im RKEG allgemeine, abgestufte Regelungen für den Eintritt der Geschäftsfähigkeit. In den ersten Lebensjahren entscheiden die Eltern allein über die Religionszugehörigkeit, die religiöse Erziehung sowie die Teilnahme am Religionsunterricht (Art. 7 Abs. 2 GG). Sie bestimmen im eigenen wie des Kindes Namen, ob es getauft wird. Ab dem vollendeten 12. Lebensjahr kann das Kind nicht gegen seinen Willen in einem anderen Bekenntnis als bisher erzogen werden. Die volle Religionsmündigkeit tritt mit dem vollendeten 14. Lebensjahr ein. Das Kind hat nunmehr die alleinige Entscheidung über die Religionszugehörigkeit und die Teilnahme am Religionsunterricht. Das E. erlischt jedoch nicht völlig. Das Kind wird nicht jedem religiösen Einfluss der Eltern entzogen, weil das Erziehungsrecht im Übrigen fortbesteht. Die Eltern behalten sogar eine klagbare Position, soweit sie in Übereinstimmung mit ihrem religionsmündigen Kind handeln. Die Eltern erteilen die erforderliche Zustimmung zu medizinischen Eingriffen allein, bis das Kind die hinlängliche Einsichtsfähigkeit erlangt hat. Ab diesem nicht generell normierten, sondern individuell zu ermittelnden Zeitpunkt erhält das Kind ein Vetorecht.

Die Grundrechte des Kindes richten sich nicht gegen die Eltern, sondern (wie seinerseits das E.) gegen den Staat. Diesem obliegt jedoch die grundrechtliche Schutzpflicht, das Kind, das sich noch nicht selber schützen kann, vor Übergriffen der Eltern in seine grundrechtlichen Positionen wie die körperliche und seelische Integrität zu bewahren. Das Kind hat ein subjektives Recht auf staatlichen Schutz. Umstritten ist, ob die rituelle Beschneidung aufgrund der Einwilligung der Eltern mit dem Recht des Kindes auf körperliche Unversehrtheit vereinbar ist (so einschlussweise § 1631d BGB) und ob das Grundrecht nicht zumindest traditionelle Methoden verbietet, die den heutigen Standards der Hygiene und der Anästhesie widersprechen. Die Schutzpflicht für die Grundrechte des Kindes gehört zum Wächteramt des Staates.

4.6 Das Wächteramt des Staates

Über die Betätigung des E. „wacht die staatliche Gemeinschaft“ (Art. 6 Abs. 2 S. 2 GG). Kraft dieses Wächteramtes stellt sie das Recht des Kindes auf Pflege und Erziehung sicher und greift ein, wenn die Eltern ihre Grundpflicht vernachlässigen oder missbrauchen. Das Wächteramt ist so eng zugeschnitten, dass es die Freiheitssubstanz des E. nicht antasten und den elterlichen Erziehungsprimat nicht berühren kann. Der Staat erhält über das Wächteramt (im Unterschied zur Schulhoheit) keine eigene Erziehungskompetenz. Er tritt nicht in Wettbewerb zu den Eltern. Er überwacht die Erziehung, zieht sie aber nicht an sich. Sein Amt ist für den pathologischen, nicht für den normalen Fall geschaffen. Er respektiert die erzieherische Arbeit und Ausrichtung der Eltern und greift nur ein, wo die Eltern versagen. Er ist lediglich der subsidiäre Treuhänder der Belange des Kindes. Nach seiner verfassungsrechtlichen Bestimmung ist er „nicht Obervormund, sondern Nothelfer“ (Ossenbühl 1981: 71). Das Wächteramt besteht in: Gefahrenabwehr, Missbrauchskontrolle und der Lösung solcher Rechtskonflikte, die sich nicht familienautonom lösen lassen. Das Wächteramt ruht, solange über bessere Ziele und Methoden gestritten werden kann. Es tritt erst auf den Plan, wenn eine eindeutige, erhebliche Gefahr für das Kind besteht. Das ist etwa der Fall, wenn die Eltern das Kind verwahrlosen lassen, es nicht ausreichend ernähren, körperlich oder seelisch misshandeln, sich an ihm sexuell vergehen, es in eine Zwangsheirat treiben. Da es um den Schutz des Kindes, nicht um die Bestrafung der Eltern geht, kommt es nicht darauf an, ob die Eltern die Gefahr verschuldet haben (str.). Die Eingriffsschwelle ist nicht schon bei singulärem, geringfügigem Fehlverhalten der Eltern erreicht.

Die Mittel, die der Staat zur Abhilfe gegenüber den Eltern einsetzen darf, sind abgestuft nach dem Übermaßverbot („Verhältnismäßigkeit“). Das mildere Mittel, die schonendere Lösung haben jeweils den Vorrang. Solange die Chance besteht, durch Rat und Hilfe die Eltern zu verantwortungsgerechtem Verhalten zu bewegen, ist der Staat nicht berechtigt, sie von der Pflege und Erziehung ihrer Kinder auszuschalten oder gar selbst diese Aufgabe zu übernehmen. Die tatsächliche Trennung des Kindes von der Familie gegen den Willen der Erziehungsberechtigten ist als bes. einschneidender Eingriff in das E. an verfassungsrechtliche Voraussetzungen gebunden: eine bes. gesetzliche Grundlage (§ 1666a BGB), krasses Versagen der Erziehungsberechtigten oder akute schwerwiegende Gefährdung des Kindes in körperlicher oder seelischer Hinsicht, so dass es zu verwahrlosen droht (Art. 6 Abs. 3 GG). Der Anordnung staatlicher Erziehung ist damit ein verfassungsrechtlicher Riegel vorgeschoben. Die Adoption gegen den Willen der leiblichen Eltern (§ 1748 BGB) ist nur als Ausnahme zulässig, wenn ein schutzwürdiges Recht der natürlichen Eltern nicht mehr besteht. Das Wächteramt würde missbraucht, wenn die Behörden ohne begründeten Anlass die Kinder aushorchten oder sonst in den Familien auskundschafteten, ob eine Gefahrenlage und damit ein Grund zum Eingreifen besteht. Der Rechtsstaat achtet die Privatheit der Familie, die unter dem besonderen Schutz der Verfassung steht (Art. 6 Abs. 1 GG). Zum Wächteramt gehört auch, Rechtskollisionen und Streitigkeiten, die das Wohl des Kindes gefährden können, auszugleichen, so etwa bei Scheidung der Eltern.

4.7 Das Elternrecht in der Staatsschule

Im Bereich der Schule stößt die Geltung des E. auf den verfassungsrechtlichen Widerstand der staatlichen Schulhoheit, die Art. 7 Abs. 1 GG umschreibt: „Das gesamte Schulwesen steht unter der Aufsicht des Staates.“ Zur Schulhoheit gehören: die Organisation des Schulwesens, die Festlegung des fachlichen und pädagogischen Programms sowie die schulische Erziehung. Die Schulhoheit ist eine eigene, nicht aus dem E. abgeleitete Kompetenz des Staates, kraft deren er die Belange der Allgemeinheit in die Erziehung einbringt, und die intellektuellen wie ethischen Bedingungen des gesellschaftlichen Lebens vermittelt. Die Schule ist das wichtigste Integrationsmittel (Integration) des freiheitlichen Staates, das sich gerade gegenüber den Zuwanderern aus fremden Kulturkreisen bewähren muss. Die Schulhoheit ist also ein Komplementär- und Gegenprinzip zum privaten E. wie zum gesellschaftlichen Pluralismus. Während die etatistische herrschende Lehre zur WRV einseitig auf die Schulhoheit fixiert war und das E. aus dem schulischen Bereich verwies, öffnet sich die Staatsschule unter dem GG innerhalb bestimmter Grenzen dem E. Zwischen den antinomischen Verfassungsnormen ist nunmehr praktische Konkordanz gefordert. Wie diese ausfallen soll, ist jedoch streitig.

Das BVerfG geht von der Gleichordnung zwischen dem staatlichen Erziehungsauftrag in der Schule und dem elterlichen Erziehungsrecht aus. Die gemeinsame Erziehungsaufgabe von Eltern und Schule, welche die Bildung der Persönlichkeit des Kindes zum Ziel hat, soll sich in einem „sinnvoll aufeinander bezogenen Zusammenwirken“ erfüllen: „Der Staat muss deshalb in der Schule die Verantwortung der Eltern für den Gesamtplan der Erziehung ihrer Kinder achten und für die Vielfalt der Anschauungen in Erziehungsfragen so weit offen sein, als es sich mit einem geordneten staatlichen Schulsystem verträgt“ (BVerfGE 34, 183). In praktischen Fragen muss differenziert werden.

Der Staat gibt die allgemeine Schulpflicht vor, die durch Privatunterricht nicht ersetzt wird. Sie führt, bes. in der Grundschule, die Kinder jedweder sozialen Herkunft und Konfession, einheimische wie zugewanderte, im gemeinsamen Lernen zusammen. Er bestimmt grundsätzlich das Schulsystem, die Ausbildungsgänge, die fachlichen Standards und die Unterrichtsziele. Doch haben die Eltern das Recht, zwischen den vom Staat zur Verfügung gestellten Schulformen und über den Bildungsweg des Kindes in der Schule zu entscheiden. Der Staat hat sich von jeder „Bewirtschaftung des Begabungspotentials“ freizuhalten (BVerfGE 34, 184 f.). Das Schulwesen muss hinreichend gegliedert sein, damit das elterliche Wahlrecht überhaupt effektiv greifen kann. Doch verpflichtet das E. den Staat nicht, eine bestimmte, an den Wünschen der Eltern orientierte Schulform zur Verfügung zu stellen, auch nicht eine Schule bestimmter religiöser oder weltanschaulicher Prägung.

Die Schule muss zu Gespräch und Verständigung mit den Eltern bereit sein. Sie haben aus Art. 6 Abs. 2 GG den Anspruch auf rechtzeitige und vollständige Information über die Vorgänge, deren Verschweigen die Ausübung ihres Erziehungsrechts beeinträchtigen könnte: Leistungen und Betragen, schulische Schwierigkeiten des Schülers. Das E. als solches ist als höchstpersönliches Individualrecht nicht repräsentierbar und nicht majorisierbar. Nicht ausgeschlossen wurden aber: gemeinsames, einvernehmliches Vorgehen aller Eltern gegenüber der Schule, kollektive Vertretung elterlicher Interessen und Partizipation der Betroffenen an der Schulverwaltung (soweit die demokratisch legitimierte Schulhoheit Partizipation zulässt). Die Spannung zwischen E. und staatlicher Schulhoheit darf nicht einseitig aufgelöst werden. Der Unterricht hat bei religiös und weltanschaulich neuralgischen Themen (z. B. Sexualerziehung) für die verschiedenen Wertvorstellungen offen zu sein und auf das E. Rücksicht zu nehmen. Jedoch können die Eltern ihr Kind nicht schulisch-legitimen Veranstaltungen entziehen, die ihre besonderen religiösen Empfindungen verletzen (z. B. Sport, Klassenausflüge für muslimische Kinder). Nachgiebigkeit ginge auf Kosten der staatlichen Integrationsaufgabe. Eine Besonderheit bildet der konfessionsgebundene Religionsunterricht. Hier bestimmen die Erziehungsberechtigten über die Teilnahme des Kindes (Art. 7 Abs. 2 GG).

Die Staatsschule ist kein Erziehungsinstrument der Parlamentsmehrheiten und Regierungen, der herrschenden Parteien oder Lehrergewerkschaften, aber auch nicht das der einzelnen Lehrer. Sie ist keine ideologische Multi-Kulti-Agentur. Das Erziehungsmandat beschränkt sich auf die ethischen Normen und Grundwerte, die den verfassungsrechtlich legitimen und notwendigen Konsens des pluralistischen deutschen Gemeinwesens ausmachen. Der Erziehungsauftrag der Staatsschule ist also begrenzt durch die dem freiheitlichen Staat eigenen Toleranz- und Neutralitätspflichten. Die Eltern können dagegen aufgrund ihres Freiheitsrechts einem ganzheitlichen Erziehungskonzept folgen, sich religiös, weltanschaulich, gesellschaftlich engagieren. Die Einhaltung der äußeren wie inneren Grenzen der Schulerziehung stellt bes. hohe Anforderungen an das Amtsethos und an das pädagogische Feingefühl des Lehrers.

Das E., das sich in erster Linie im häuslich-familiären Bereich entfaltet, würde weitgehend entleert werden, wenn der Staat den Schüler ganztägig von der Familie trennte; die Ganztagsschule als Pflichtschule ist mit Art. 6 Abs. 2 GG unvereinbar, desgleichen vorschulische Inanspruchnahme gegen den Willen der Eltern.

4.8 Die erzieherische Gewaltenteilung

E. und staatliches Wächteramt, Elternhaus und Staatsschule bilden in ihrem Ergänzungs- und Spannungsverhältnis Faktoren der erzieherischen Gewaltenteilung, die zu den Strukturen des freiheitlichen Gemeinwesens gehört. Ein weiterer verfassungsrechtlich garantierter Faktor ist die Privatschule, die Vielfalt des Erziehungssystems ermöglicht und das zum E. gehörende Wahlrecht unter den Bildungswegen verbreitert (Art. 7 Abs. 4 und 5 GG).

Erzieherischer Einfluss kommt von Verfassungs wegen auch den Kirchen zu (Art. 4 Abs. 1 und 2, Art. 7 Abs. 2 und 3, Art. 140 GG). Doch haben sie nicht von sich aus das Recht, unmittelbar auf das Kind einzuwirken, sondern nur vermittelt durch die elterlichen Zustimmung. Kirchenrecht wird im verfassungsstaatlichen System mediatisiert durch das E. Entsprechendes gilt für den Einfluss anderer privater Bildungsträger, wie der freien Wohlfahrtsverbände, der Jugendorganisationen, der Medien. Sie alle können sich, im Unterschied zum Staat, gemäß ihrer grundrechtlichen Freiheit weltanschaulich, politisch und gesellschaftlich engagieren; für sie gelten nicht die verfassungsrechtlichen Distanz-, Konsens- und Toleranzschranken, denen der Rechtsstaat unterliegt.

Nur der Staat hat ein eigenes, unmittelbares Erziehungsmandat, das sich nicht vom E. ableitet. Aber dieses beschränkt sich auf den Bereich der Schulhoheit. Soweit der Staat darüber hinaus Erziehungs- und Bildungsangebote macht (Kindergarten und Tagesstätten, Schülerfreizeit etc.), ist auch er auf die Zustimmung der Eltern angewiesen.

Das E. in Art. 6 Abs. 2 GG ist in seinem heutigen Verständnis auf das hergebrachte Spannungsverhältnis zwischen der elterlichen Freiheit und dem hoheitlichen Eingriff abgestellt. In der Wirklichkeit einer offenen Gesellschaft müssen sich die Eltern gegen eine unabsehbare und unkontrollierbare Menge unerbetener Miterzieher mit ihren Kommunikations-, Informations-, Unterhaltungs- und Konsumofferten behaupten, und das unter der schwierigen Bedingung der beruflichen Beanspruchung beider Elternteile, mit der sich die Zeit für die Kinder verknappt. Auf der anderen Seite wird die „amateurhafte“ elterliche Erziehung delegitimiert durch den Trend zur Verwissenschaftlichung, Professionalisierung und Sozialisierung der Pädagogik. Das Gewicht des „natürlichen“ E. nimmt ab. Die Balance in der erzieherischen Gewaltenteilung muss immer neu austariert werden.

5. Die naturrechtliche Konzeption der katholischen Kirche

Für die katholische Kirche ist das E. naturrechtlich begründet (Naturrecht). In der Lehre Papst Leos XIII. konvergieren die aristotelisch-thomistische Tradition und die Menschenrechtsidee: „Von Natur aus haben die Eltern das Recht zur Erziehung ihrer Kinder, und damit auch die Pflicht, dass die Erziehung und der Unterricht dem Zweck gerecht werden, zu dem sie durch Gottes Gnade die Nachkommenschaft erhalten haben. Darum müssen die Eltern alles aufbieten, jeden Übergriff auf diesen Bereich zurückzuweisen, und auf dem Recht bestehen, ihre Kinder pflichtgemäß christlich zu erziehen und sie von jenen Schulen fernzuhalten, wo sie antireligiös beeinflusst werden könnten“ (Enzyklika „Sapientiae christianae“ 1890). Der Papst rühmt die Gründung katholischer Privatschulen. Gleichwohl hänge das meiste von der häuslichen Erziehung ab. „Wo die Jugend im elterlichen Haus eine gute Lebensordnung und eine Schule der christlichen Tugenden findet, ist auch das Wohl des Staates gesichert“ (ebd.). Der Vorrang der elterlichen vor der staatlichen Erziehung ist ein wichtiger Anwendungsfall des Subsidiaritätsprinzips (Subsidiarität). Der Staat hat nach kirchlicher Lehre durch ein differenziertes Schulsystem die institutionellen Voraussetzungen zu schaffen, dass das E. in diesem Bereich ausgeübt werden kann. Das E. ist positiv angelegt auf sittliche und religiöse Erziehungsziele. Christliche Eltern haben die Aufgabe, „für die christliche Erziehung ihrer Kinder gemäß der von der Kirche überlieferten Lehre zu sorgen“ (can. 226 § 2 CIC). Die Kirche beansprucht ein eigenes, originäres Erziehungsmandat, „denn ihr ist von Gott aufgetragen, den Menschen zu helfen, dass sie zur Fülle des christlichen Lebens gelangen können“ (can. 794 § 1 CIC).

Die kirchliche Lehre entfaltet sich bes. in der Enzyklika Papst Pius’ XI. „Divini illius magistri“ (1929), der Erklärung des Zweiten Vatikanischen Konzils „Gravissimum educationis“ (1965) und dem Apostolischen Schreiben Papst Johannes Pauls II. „Familiaris consortio“ (1981).

Die Rechte und Pflichten sind auch kirchenrechtlich positiviert (can. 226 § 2, can. 193 § 1, can. 1136 CIC). Das innerkirchliche Recht widerspricht dem E., insofern es – in Fortführung einer von jeher umstrittenen Tradition – vorsieht, dass in Todesgefahr ein Kind katholischer, ja sogar nichtkatholischer Eltern auch gegen den Willen der Eltern erlaubt getauft wird (can. 868 § 2 CIC). Die kirchenamtliche Zusammenfassung der naturrechtlichen und positivrechtlichen Normen und Postulate bringt die „Charta der Familienrechte“ (1983): „Da sie ihren Kindern das Leben geschenkt haben, besitzen die Eltern das ursp.e, erste und unveräußerliche Recht, sie zu erziehen; daher müssen sie als die ersten und vorrangigen Erzieher ihrer Kinder anerkannt werden.

a) Eltern haben das Recht, ihre Kinder in Übereinstimmung mit ihren moralischen und religiösen Überzeugungen zu erziehen und dabei die kulturellen Traditionen ihrer Familie zu berücksichtigen, die Wohl und Würde des Kindes fördern; sie sollten auch die notwendige Hilfe und Unterstützung der Gesellschaft erhalten, um ihre Erziehungsaufgabe richtig zu erfüllen.

b) Eltern haben das Recht, Schulen und andere Hilfsmittel frei zu wählen, die notwendig sind, um die Kinder in Übereinstimmung mit ihren Überzeugungen zu erziehen. Staatliche Autoritäten müssen sicherstellen, dass die staatlichen Unterstützungen so zugeteilt werden, dass die Eltern dieses Recht wirklich frei ausüben können, ohne ungerechtfertigte Lasten tragen zu müssen. Es darf nicht sein, dass Eltern direkt oder indirekt Sonderlasten tragen müssen, die die Ausübung dieser Freiheit unmöglich machen oder in ungerechter Weise einschränken.

c) Eltern haben das Recht auf Gewähr, dass ihre Kinder nicht gezwungen werden, Schulklassen zu besuchen, die nicht in Übereinstimmung stehen mit ihren eigenen moralischen und religiösen Überzeugungen. Insb. die Geschlechtserziehung (Sexualerziehung) – die ein Grundrecht der Eltern darstellt – muss immer unter ihrer aufmerksamen Führung geschehen, ob zu Hause oder in Erziehungseinrichtungen, die von ihnen ausgewählt und kontrolliert werden.

d) Die E.e werden verletzt, wenn der Staat eine verpflichtende Erziehungsform auferlegt, bei der alle religiöse Bildung ausgeschlossen ist.

e) Das vorrangige Recht der Eltern, ihre Kinder zu erziehen, muss in allen Formen des Zusammenwirkens zwischen Eltern, Lehrern und Schulleitung gewahrt bleiben, insb. „bei Mitwirkungsformen, die den Bürgern in praktischen Schulfragen und in der Formulierung und Konkretisierung von Erziehungsprogrammen eine Stimme geben wollen.“

Im evangelischen Bereich findet sich keine vergleichbare Konzeption des E. (trotz vereinzelter theologischer Ansätze). Zum einen wirkt sich die Fremdheit gegenüber dem Naturrechtsdenken aus. Zum anderen fehlt herkömmlich die Distanz zum Staat, ohne die das E. nicht gedacht werden kann. In jüngerer Zeit zeichnet sich mit der Durchsetzung des E. als säkularem Grundrecht praktisch Konvergenz zwischen den Konfessionen ab.