Krieg: Unterschied zwischen den Versionen

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Version vom 14. November 2022, 05:57 Uhr

  1. I. Historisch
  2. II. Politikwissenschaftlich
  3. III. (Völker-)Rechtlich
  4. IV. Sozialethisch

I. Historisch

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Eine umfassende Definition des K.es gibt es nicht, denn als historisches Phänomen ist K. epochen- und gesellschaftsübergreifend omnipräsent. Was als K. bezeichnet wird, wie er begründet, mit welchen Mitteln und Zielen K.e von wem geführt werden, unterliegt historischem Wandel und ist je nach gesellschaftlicher Struktur und politischer Ordnung von jeweils anderen Faktoren abhängig. Dennoch ist eine vorläufige Unterscheidung zwischen K. u. a. Formen kollektiver Gewalt sinnvoll, denn nicht jede Gewaltäußerung kann als K. klassifiziert werden. Im Gegensatz zum klassischen Duell zwischen Individuen handelt es sich bei einem K. um einen gewaltsamen Massenkonflikt, in dem es zur organisierten Anwendung von Gewalt kommt und die in bestimmten identifizierbaren Formen auftritt. Zum K. gehören in diesem Sinne eine bestimmte Dauer, eine bes. Kontinuität sowie eine spezifische Intensität von Kampfhandlungen. Aus diesen Kennzeichen lässt sich ein Mindestmaß in der Organisation von K.s-Führung und gewisse Planmäßigkeit von kriegführenden Akteuren ableiten. Allg. gesprochen liegt einem K. der Versuch sozialer Gruppen, Verbände oder Staaten zugrunde, ihre politischen, wirtschaftlichen oder ideologischen Ziele mit Hilfe planmäßig eingesetzter physischer Gewalt gegen andere durchzusetzen.

Das breite Spektrum von K.s-Ursachen und K.s-Typen wird an der Vielzahl von Komposita erkennbar, in denen bis in die Gegenwart bes. Kennzeichen von K.en akzentuiert werden, so etwa in den Begriffen Religions-K., Kabinetts-K., Bürger-K., Befreiungs-K., Kolonial-K. oder Terror-K. Bei der Bestimmung von K.s-Ursachen lassen sich zunächst innenpolitische und gesellschaftliche Faktoren anführen, so z. B. Interessenkonflikte zwischen Gruppen um politischen Einfluss, die Verteilung von Gütern und Ressourcen oder der Kampf um die Legitimation politischer Herrschaft. Neben diesem Blick auf endogene Bedingungen von Gesellschaften und Nationen existiert mit dem Fokus auf die externe Sphäre der Staaten, das internationale System, ein zweiter Bezugspunkt für die Erklärung von K.en. Sie haben ihren Ursprung in Auseinandersetzungen um Grenzen, Territorien und Bevölkerungen. Dazu gehört die Spannung zwischen dem Ideal eines Gleichgewichts der Mächte und Versuchen einzelner staatlicher Akteure, durch Expansion eine Hegemonialstellung zu erreichen. Hinzutreten zur Erklärung von K.en im weitesten Sinne kollektivpsychologische und kommunikative Kategorien, so im Blick auf die Bedeutung von Selbst- und Feindbildern, etwa in der K.s-Propaganda (Propaganda), von massenmedial gesteigerten Wahrnehmungen und Krisen politischer Kommunikation.

Ebenso vielfältig wie solche Kategorien sind Muster der Rechtfertigung und Begründung von K.en. Schon in der Antike oszillierte die Vorstellung zwischen K.en als unabwendbarem Schicksal, als notwendiger Bewährung individueller Tugenden wie Tapferkeit oder als Basis sozialer Stratifizierung wie in der kriegerischen Beglaubigung von Ehrbegriffen (Ehre). Im Mittelalter setzte sich diese Vielfalt fort in der Diskussion um den „gerechten K.“ zur Wiederherstellung einer gestörten Rechtsordnung. Erst im Laufe der Frühen Neuzeit seit dem Ende des 15. Jh. wurde die Omnipräsenz von Gewalt in lokalen Fehden durch die deutlichere Unterscheidung zwischen K. und Frieden überwunden. Zwischen der Mitte des 15. Jh. und dem Ende des 18. Jh. entwickelte sich eine ausgesprochene Vielfalt von K.s-Typen, deren Motive und Kennzeichen sich in der historischen Wirklichkeit immer wieder überlappten. Dazu gehörten die Fürsten-K.e sowie die Stände-K.e des Adels, die sich, wie im etwa 80-jährigen Freiheitskampf der Niederlande gegen Spanien, auch als Befreiungs-K.e gegen eine Fremdherrschaft interpretieren ließen. Der Begriff des Erbfolge-K.es ließ sich v. a. auf das 17. und 18. Jh. anwenden, so v. a. auf die Konflikte zwischen der Habsburgermonarchie und Frankreich im Spanischen und Österreichischen Erbfolge-K. Diese Kategorie nahm Bezug auf die Bedeutung der dynastischen Erbfolge für die Legitimation politischer und territorialer Ansprüche. Auch in anderen K.en der Frühen Neuzeit, etwa den Expansions-K.en Ludwigs XIV., blieb der Rekurs auf dynamistische Erbfolge als Begründungszusammenhang virulent.

Eine der wichtigsten K.s-Kategorien der Frühen Neuzeit bildeten die Religions-K.e (Religionskonflikte) des 16. und 17. Jh. als konfessionelle Bürger-K.e, insb. der Schmalkaldische K. (1546–47), die Hugenotten-K.e in Frankreich sowie der Dreißigjährige K. (1618–48). Dabei eskalierte nach 1618 die Gewalt gegen die Zivilbevölkerung häufig, weil ihre Identifikation mit der als „falsch“ angesehenen Konfession in den Vordergrund rückte und die Grenzen zwischen Militär und Gesellschaft einebnete. Auch die Vielzahl von Gewaltakteuren, das Auftreten privater warlords oder K.s-Unternehmer wie Albrecht Wenzel Eusebius von Wallenstein, die Interventionen von außen, etwa durch Schweden und Frankreich, und damit die Verknüpfung von Religions- und Staaten-K. begründeten die lange K.s-Dauer und die hohen Opferzahlen.

Seit dem Ausgang des 17. Jh. und angesichts der vielfach entgrenzten Gewalterfahrungen entstand der neue Typus des Kabinetts-K.es als formalisierter Staaten-K., dessen Grundlage die Vorstellung des souveränen Staates (Souveränität) bildete. Von dem englischen Philosophen Thomas Hobbes vor dem Hintergrund des englischen Bürgerkrieges und von Jean Bodin aus der Perspektive Frankreichs theoretisch begründet, zeichnete ihn die Befriedung nach innen durch ein staatliches Gewaltmonopol aus, durch das militärische Akteure und zivile Gesellschaft deutlicher als zuvor voneinander unterschieden wurden. Der K. schien sich von der Gesellschaft in den Außenraum der Staatenwelt zu verlagern. In dem Maße, in dem konfessionelle Konflikte im Inneren zurücktraten, gewannen politische Interessen von Staaten als Akteure in einem internationalen System an Gewicht. Damit verband sich der Versuch, die K.s-Führung durch die Ansätze zu völkerrechtlichen Normen (Völkerrecht) zu formalisieren und einzuhegen. Doch blieb das ius ad bellum im staatsrechtlichen Denken ein entscheidendes Verfügungsrecht des souveränen Staates, der damit seine Satisfaktionsfähigkeit erst unter Beweis stellte. Erst die Vorstellung von der prinzipiellen Gleichheit der Staaten erlaubte ein Denken in den Kategorien des Gleichgewichts der Mächte (Gleichgewichtspolitik). Aus dieser Perspektive erschienen K.e als notwendig, insofern sie Hegemonialbestrebungen verhinderten und ein gestörtes Gleichgewicht neu herstellten.

Zugl. trat der Zusammenhang zwischen K.en und Staatsbildungsprozessen deutlicher hervor, wobei zwei Dimensionen differenziert werden müssen. Nach außen entwickelte sich ein internationales Staatensystem, das im 18. Jh. in die Pentarchie mit Frankreich, Großbritannien, Russland (das Schweden ersetzt hatte), Österreich und Preußen als europäischen Großmächten mündete. Dieser Prozess akzentuierte eine langfristige und massive Reduzierung der Zahl staatlicher Akteure zwischen Spätmittelalter und 20. Jh. Nach innen trugen K.s-Erfahrungen dazu bei, neue staatliche Institutionen auszubilden. Aufstellung und Unterhalt stehender Heere setzten ein funktionierendes Steuersystem voraus. Der moderne Staat war nicht zuletzt ein „fiscal-military state“ (Brewer 1989: xvii).

Seit der Aufklärung entzündete sich an der Vorstellung des souveränen Staates als Instrument der Einhegung kriegerischer Gewalt entschiedene Kritik. Jetzt erschien der monarchisch-absolutistische Staat (Absolutismus) nicht mehr als Garant von Stabilität, sondern selbst als Ursprung von immer neuen Eroberungs-K.en. Vertreter der staatkritischen französischen Aufklärung erblickten den Grund für die Eroberungs-K.e des 18. Jh. im Despotismus der monarchischen Regierungen. Ein revolutionärer Bürger-K. der Unterdrückten gegen die Unterdrücker erschien aus dieser Sicht als moralische Notwendigkeit. Das radikale Gegenmodell der Revolutionäre in Frankreich lautete daher, den K. nicht mehr als Staaten-K. zu verstehen, sondern ihn zu einem internationalisierten Bürger-K. umzudeuten. In diesem Zusammenhang entstand seit den 1790er Jahren eine neue Bestimmungskategorie des modernen K.es, indem die Verknüpfung von Revolution und K. nicht mehr den Fürsten als bestimmenden Akteur in den Mittelpunkt stellte, sondern die Nation. Militärische Mobilisierung und das Versprechen politischer Teilhabe traten im Zeichen eines neuen Staatsbürgerideals nebeneinander, so v. a. in den neuen Institutionen von Wehrpflicht und Wahlrecht.

Insofern war der moderne Nationsbegriff auch eine K.s-Geburt, denn in der Weise, in der K.e die frühneuzeitliche Staatsbildung maßgeblich bestimmten, waren sie auch für die moderne Nationsbildung konstitutiv. Langfristig griff die moderne Massen-K.s-Führung immer umfassender auf alle Teilgruppen der Gesellschaft zurück und machte die Gesellschaft als „Nation in Waffen“ (Vogel 1997: 32) damit unentbehrlich für die moderne K.s-Führung. Einerseits dynamisierte diese Entwicklung die neue nationale Legitimation staatlichen Handelns, andererseits provozierte sie neuartige Ansprüche auf gleichberechtigte Anerkennung und politisch-soziale Teilhabe. Das komplexe Verhältnis von K. und Nation entfaltete sich in der Tektonik staatlicher Bedürfnisse und partizipatorischer Ansprüche. Diese Demokratisierung des K.es fand zunächst im National-K. des 19. Jh. ihre Entsprechung, seine Totalisierung schlug sich schließlich in einem distinkten K.s-Nationalismus nieder.

Im Fortgang der K.e im Zeitalter der Revolution und Napoleons trat das Muster von Nationalismus und zwischenstaatlichem National-K. immer deutlicher hervor und überlagerte schließlich die Vorstellung eines revolutionären und internationalen Bürger-K.es. Der National-K. stand insofern zwischen dem tradierten Staaten-K. der vorrevolutionären Ordnung Alteuropas und dem universalen Bürger-K. Einerseits wurde er noch vielfach nach den Regeln des klassischen Staaten-K.es geführt, auch wenn sich in den K.s-Erfahrungen der 1860er Jahre, zumal im Amerikanischen Bürger-K., bereits eine tiefgehende Transformation von der Entgrenzung des „absoluten“ (Clausewitz 2008: 651) K.es bei Carl von Clausewitz zum „totalen“ (Ludendorff 1935) K. abzuzeichnen begann. Andererseits entsprach sein Charakter einer identifikatorischen Selbstbindung jedes Einzelnen an die als legitim erachtete Sache, die eindeutig dem Bedeutungsspektrum des Bürger-K.s entstammte. Gegenüber der monarchischen Grundmaxime des Ancien régime, den K. mit relativ kleinen militärischen Söldnerarmeen vom Bürger möglichst fernzuhalten, basierte der National-K. auf der Verabsolutierung und Universalisierung eines externen Feindbegriffes und wirkte im Zeitalter der Nationalstaaten als integratives Deutungsmuster, sei es durch die Erfahrung der Wehrpflicht oder in den auf K.s-Erfahrungen rekurrierenden Erinnerungskulturen.

Hatte C. von Clausewitz zu Beginn des 19. Jh. den K. auf begrenzte Ziele und den Primat der Politik, auf die „Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln“ (Clausewitz 2008: 44) bezogen, erweiterten industrielle Dynamik, Bevölkerungswachstum, neue Technologien wie Eisenbahnen und Telegraphie, Staatsbildungen und neue ideologische Begründungszusammenhänge wie die Nation die Bedeutung von K.en. Während in Westeuropa zwischen 1814 und 1914 große und langandauernde K.e ausblieben, verlagerte sich die Totalisierung der K.s-Gewalt in andere Erfahrungsräume, so etwa in den Kolonial-K.en europäischer Mächte, die mit teils genozidaler Gewaltentgrenzung einhergingen, oder im Amerikanischen Bürger-K., der in seiner Totalisierung, etwa der Entstehung einer eigenen Heimatfront, viele Kennzeichen der K.e des 20. Jh. vorwegnahm.

Die beiden Weltkriege des 20. Jh. steigerten diese Entwicklungen. Als totalisierter K. forderte der Welt-K. von 1914 alle beteiligten Staaten und Gesellschaften stärker als jemals zuvor heraus, zwang sie zur umfassenden militärischen, politischen, sozialen und ökonomischen Mobilisierung und Zentralisierung aller möglichen Kräfte und schuf damit zugl. neue Möglichkeiten der Partizipation. Damit stellte er das Problem nationaler Integration auf eine neue Ebene, denn mit den radikalen Herausforderungen des K.es an Staat, Gesellschaft, Wirtschaft und Militär bei gleichzeitig bisher unbekannten militärischen und zivilen Opfern wuchs der Bedarf an verpflichtenden Legitimations- und Loyalitätsquellen. Allein im nationalen Konsens schien man der Herausforderung des totalen K.es begegnen zu können. Im Zweiten Welt-K. kulminierten die Massenmobilisierung und der ideologisch begründete Vernichtungs-K. Spätestens mit den technologischen Möglichkeiten des Luft-K.s und der Entwicklung von Atomwaffen (ABC-Waffen) war die Grenze zwischen militärischer Front und Heimatfront eingeebnet.

Nach diesen singulären Gewalterfahrungen zeichneten sich nach 1945 neue Ansätze zur Friedenswahrung ab. Das tradierte ius ad bellum als Recht des souveränen Staates zum Angriffs-K. wurde in der UN-Charta eingeschränkt. Ein Ende des K.es bedeutete dies aber keinesfalls. Während das atomare Vernichtungspotenzial im Kalten Krieg in Europa eine fragile Koexistenz der Bündnisse ermöglichte, wurden für kriegerische Gewalt andere Konstellationen kennzeichnend, so im Rahmen der Dekolonisierung oder langwieriger Stellvertreter-K.e wie in Korea und Vietnam. Zudem verlagerte sich kriegerische Gewalt stärker in andere Räume, nach Asien und Afrika, in den Mittleren und Nahen Osten und Lateinamerika oder nach 1989/90 nach Ost- und Südosteuropa. Die Zahl zwischenstaatlicher K.e, die in Europa in der Neuzeit lange dominierten, nahm ab, während sich innerstaatliche K.e gegen bestehende Regime oder für die staatliche Unabhängigkeit intensivierten. Dabei wich die Symmetrie von Staaten-K.en nach 1945 einer zunehmenden Asymmetrie von Gewalterfahrungen. Das gilt im Besonderen für die Entwicklungen der jüngsten Vergangenheit. Die „neuen K.e“ nach dem Ende des Kalten K.es 1989/91 und nach dem September 2001 stehen im Zeichen der Rückkehr ethnischer oder religiös legitimierter, häufig lokalisierter und unübersichtlicher Gewalt, so etwa in den K.en der 1990er Jahre beim Zerfall Jugoslawiens und zumal im Terror-K. des sog.en IS der Gegenwart, der angesichts globaler Terrorakte weder territoriale Fronten kennt noch die Aussicht auf eine geregelte Friedensbegründung durch eine Friedenskonferenz und einen Friedensvertrag.

II. Politikwissenschaftlich

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1. Begriffliche Abgrenzungen

K. wird von Beginn an als organisierte Gewalt von der diffusen Gewalt eines bloßen Kampfs ums Überleben abgesetzt. Indem der seit den Vertragstheoretikern (Vertragstheorien) Thomas Hobbes, John Locke und Jean-Jacques Rousseau so bezeichnete Naturzustand als K. eines jeden gegen jeden (bellum omnium contra omnes [Hobbes 1642: 4]) gegen den K. als organisierte Gewalt von Großgruppen unterschieden wird, setzt das Nachdenken über eine möglichst effektive Form der K.s-Führung, über K.s-Gründe und K.s-Ziele sowie über die Zulässigkeit/Nichtzulässigkeit von Handlungen im K. ein. Mit dem Reflexivwerden des K.es beginnt zweierlei: eine Evolution von Gewaltpraxen, in der Waffentechnik, die Organisation von Kampfverbänden, Strategie und Taktik sowie die Versorgung des Heeres (Logistik) eine treibende Rolle spielen, und es entwickelt sich eine Typologie der K.e, die diese nach Legitimität, Art der Führung, Zielsetzung usw. sortiert und darüber eine systematische Ordnung entwickelt.

Im Umgang mit dem K.s-Begriff lassen sich zwei einander entgegengesetzte Tendenzen beobachten: einerseits die v. a. von Juristen betriebene scharfe Abgrenzung gegen als nichtkriegerisch definierte Formen der Gewaltanwendung (K.s- v Kriminalitätsparadigma) und andererseits eine v. a. im angloamerikanischen Raum zu beobachtende Aufweichung des K.s-Begriffs (Drogen-K., Wirtschafts-K.), in deren Folge sowohl kriminelle Gewalt (Kriminalität) als auch nicht gewaltförmige Formen strategischen Agierens dem K.s-Begriff subsummiert werden. Diese Metaphorisierung des K.s-Begriffs weicht die präzise Gegenüberstellung von K. und Frieden als zwei einander ausschließende Aggregatzuständen des Politischen zunehmend auf. Dem steht die klassische Definition bei Carl von Clausewitz gegenüber: „Der Krieg ist […] ein Akt der Gewalt, um den Gegner zur Erfüllung unseres Willens zu zwingen“ (Clausewitz 1980: 191 f.). K. besteht danach „aus der ursprünglichen Gewaltsamkeit seines Elements, dem Haß und der Feindschaft, die wie ein blinder Naturtrieb anzusehen ist, aus dem Spiel der Wahrscheinlichkeiten und des Zufalls, die ihn zu einer freien Seelentätigkeit machen, und aus der untergeordneten Natur eines politischen Werkzeugs, wodurch er dem bloßen Verstande anheimfällt“ (Clausewitz 1980: 213). Brutalität, Kreativität und Rationalität bilden für C. von Clausewitz „die wunderliche Dreifaltigkeit“ eines jeden K.es.

2. Frühe Ätiologien und jüngere Funktionstheorien

In den frühen K.s-Ätiologien, etwa bei Homer und (indirekt) Herodot, wird Frauenraub als wesentliche K.s-Ursache herausgestellt. Die Suche nach Beute, die Verteilung der Beute (der Streit zwischen Achill und Agamemnon um geraubte Frauen) und die Abwehr von Beutemachern werden in der Epik als Hauptursachen des K.es erzählt. Mit dem Übergang von der Epik zur Historiographie wird das Raubmotiv durch den genuin politischen Konflikt ersetzt: bei Herodot ist es ein Kampf der Kulturen (asiatische Despotie v griechische Freiheitsliebe), ein K.s-Grund, der zuletzt bei Samuel Huntington in der Formel vom „Clash of Civilizations“ (Huntington 1996) wieder auftauchte, und bei Thukydides der machtpolitische Gegensatz zwischen Demokratie und Aristokratie, wirtschaftlicher Expansion und militärelitärer Geschlossenheit. Die Gegensätze zwischen politischer Kultur, Verfassungsordnung und sozio-ökonomischen Dynamiken stellen neben dem Kampf um Macht und Einfluss bis heute die zentralen Ätiologien der politischen K.s-Geschichtsschreibung dar.

Neben diesen auf äußere Gegensätze abhebenden Ätiologien stehen Theorien, die bei der Analyse von K. auf deren funktionale Effekte für die kriegführende Gesellschaft selbst abheben: die französischen Soziologen Georges Bataille, Roger Caillois und Pierre Clastres haben den forcierten Verbrauch gesellschaftlichen Mehrprodukts im K. als Wiederherstellung sozialer Egalität und eine sozialmoralische Selbstreinigung der Gesellschaft beschrieben, während viele Autoren des politischen Republikanismus von Sallust bis Georg Wilhelm Friedrich Hegel dem K. die Funktion einer politischen Revitalisierung attestiert haben: K. gegen äußere Feinde ist danach ein probates Mittel gegen gesellschaftlichen Zwiespalt und drohenden Bürger-K. Der K., heißt es in G. W. F. Hegels „Rechtsphilosophie“ (Hegel 1911) habe „die höhere Bedeutung, daß durch ihn […] die sittliche Gesundheit der Völker in ihrer Indifferenz gegen das Festwerden der endlichen Bestimmtheiten erhalten wird“ (Hegel 1911: § 324).

3. Typologien

Eine frühe typologische Unterscheidung ist die zwischen profanem und heiligem K., die sich um die Zulässigkeit des Beutemotivs dreht. Profane K.e werden, gleichgültig, ob dieses Ziel erreicht oder verfehlt wird, um materiellen Gewinn geführt; heilige K.e dagegen haben ohne jede Bereicherungsabsicht auszukommen. Im AT fordert der Prophet als Sprachrohr Gottes König Saul zu einem Vernichtungs- und Ausrottungs-K. gegen die Amalekiter auf: „Weihe alles, was ihm [König Agag von Amalek, Anm. des Verfassers] gehört, dem Untergang. Schone es nicht, sondern töte Männer und Frauen, Kinder und Säuglinge, Rinder und Schafe, Kamele und Esel“ (1 Sam 15,2–3). Durch das kategorische Beuteverbot erhält der Heilige K. eine Bedingungslosigkeit, die ihm bis heute eine Mischung aus Schrecken, Abscheu und Ratlosigkeit verleihen. Der Heilige K. ist eine Variante des Vernichtungs-K.s, der zumeist aber um materieller Ziele willen geführt wird.

Eine weitere typologische Unterscheidung ist die von Platon eingeführte Differenzierung zwischen polemos und stasis, K. und innerem Gewaltkonflikt, die zu der Entgegensetzung von Staaten-K. und Bürgerkrieg weiterentwickelt worden ist. Die sog.e Westfälische Ordnung, benannt nach dem Westfälischen Frieden von 1648, hat die Gegenüberstellung von zwischenstaatlichen und innergesellschaftlichen K.en zu einem binären System (d. h. Ausschluss eines Dritten) fortentwickelt und den Staaten-K. einem zunehmend differenzierten kriegsvölkerrechtlichen Regime unterworfen. Dagegen wurde der Bürger-K., da rechtlich nicht regulierbar, mit der politischen Klugheitsregel des unbedingt zu Vermeidenden belegt.

Weitere typologische Unterscheidungen mit Ordnungsanspruch sind die zwischen großem und kleinem K. (Guerilla), Niederwerfungs- und Ermattungs-K., Eroberungs- und Verteidigungs-K. Daneben stehen eher additive Typologien, wie die von Hegemonial-, Religions-, Imperial- und Kolonial-K.en, die klassifizieren und charakterisieren, aber nicht ordnen. Von größerer typologischer Relevanz sind K.e, die durch die Auflösung binärer Ordnungen gekennzeichnet sind und für die eine Diffusion unterschiedlicher K.s-Typen charakteristisch ist. Solche K.e sind durch lange Dauer, hohe Intensität und gesteigerte Grausamkeit gekennzeichnet. Thukydides hat den Peloponnesischen K. als einen K. beschrieben, der zugl. zwischenstaatlicher und innergesellschaftlicher K. ist; ein anderes Beispiel hierfür ist der Dreißigjährige K. von 1618 bis 1648. Solche K.e stehen für den Zusammenbruch von Ordnungs- und Regulationsregimen. Viele der „neuen K.e“ folgen diesem Typus des unregulierten K.s.

4. Kriegerethos und Kriegsrecht

Mit der Ausdifferenzierung eines Kriegerstandes, der sich vom Rest der Gesellschaft absetzt, entstand ein spezifisches Kriegerethos. In Form von Heldenerzählungen werden Legitimationen und Regeln des Kampfes entwickelt. In einem weiten Sinn kann dieses Ethos unter dem Begriff der Ritterlichkeit gefasst werden; es wurde durch Brauch gesichert und über Erzählungen vermittelt, blieb indes prekär. Seit dem 16. Jh. wurde dieses ethosgestützte Regulationssystem zunehmend durch eine juridische Ordnung des K.es abgelöst, deren zentrale Differenzierung die zwischen ius ad bellum und ius in bello war. Ersteres wurde an die von Jean Bodin entwickelte Vorstellung der Souveränität geknüpft, während letzteres in dem Maße, wie sich die Zahl der zum K. Berechtigten verringerte, immer stärker reguliert wurde. Seit der Verknüpfung des ius ad bellum mit der Souveränität trat die Idee des gerechten K.es in den Hintergrund, die von Cicero, Augustinus und Thomas von Aquin als eine Begrenzung des ius ad bellum ausformuliert worden war: Neben die formale Berechtigung zur K.s-Erklärung (auctoritas principum) traten die Vorstellung des gerechten Grundes (causa iusta), der aufrechten Absicht (intentio recta) und der Angemessenheit (aequitas). Mit der Vorstellung von der humanitären militärischen Intervention (Humanitäre Intervention) und einer staatlichen Schutzverantwortung (responsibility to protect) hat die Idee des gerechten K.es in jüngster Zeit eine Renaissance erfahren.

5. Modelle der Kriegsgeschichte

Grundsätzlich lässt sich K.s-Geschichte nach vier Vorgaben schreiben: in Abhängigkeit von der Waffentechnologie, wobei sog.e militärische Revolutionen als Entwicklungssprünge herausgestellt werden (Bronze- und Eisenwaffen, Schießpulver, Nutzung fossiler Rohstoffe, Elektronik); in Abhängigkeit von strategischen Innovationen im Umgang mit Raum und Zeit (napoleonische Strategie einer Konzentration der Kräfte in Raum und Zeit v maoistische Strategie einer Ausdehnung des K.es im Raum und seiner Verdauerung in der Zeit); in Bezug auf die Organisationskapazität eines politischen Akteurs zur Aufstellung von Heeren, wobei der Abschöpfung des gesellschaftlichen Mehrprodukts eine Schlüsselfunktion zukommt; und schließlich mit Blick auf die Verfassungsgeschichte, die unterschiedliche Heere und Soldatentypen (Soldat) hervorbringt.

6. Kriegsökonomien

Ein weiterer Typ von K.s-Geschichte erfasst diese im Hinblick auf die Wirtschaftsform der kriegsführenden Parteien, wobei die Leitdifferenz eine zwischen geschlossener und offener Wirtschaft ist. Eine geschlossene K.s-Wirtschaft orientiert sich an der Territorialität des Akteurs, aus der er seine Ressourcen bezieht. Das Staatsgebiet ist die sichere und zuverlässige Grundlage der K.s-Wirtschaft; seine Abschließung von der Umgebung hat indes eine hohe Vulnerabilität zur Folge, deren Pole die Belagerung einer Stadt mit dem Ziel der Aushungerung und der seegestützte Blockade-K. gegen ein ganzes Land darstellen. Beispiele dafür sind Napoleons Kontinentalsperre, die britische Fernblockade im Ersten Welt-K. und der uneingeschränkte U-Boot-K. der Deutschen. Dem stehen offene K.s-Ökonomien gegenüber, die fernliegende Ressourcen anzuzapfen vermögen, um den K. als forcierten Ressourcenverbrauch durchhalten zu können. Letzteres gilt v. a. für Seemächte, aber auch für (terroristisch agierende) Netzwerkorganisationen, die sich nicht oder nur zeitweilig territorialisieren und eine große organisatorische Fluidität aufweisen. In beiden Fällen wird die Wirtschaft als Basis der K.s-Führungsfähigkeit zum Angriffspunkt des strategischen Gegenhandelns. Der strategische Bomben-K. ist eine weitere Form der K.s-Führung, bei der die Entscheidung des K.es durch Zerstörung der gegnerischen K.s-Wirtschaft gesucht wird.

III. (Völker-)Rechtlich

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1. Zur Entwicklungsgeschichte

Konzeptionelle Neuorientierungen finden im Recht häufig semantischen Niederschlag. So verzichten die völkerrechtlichen Kodifikationen nach dem Zweiten Welt-K. auf den tradierten K.s-Begriff. Ihnen geht es dabei keineswegs um euphemistische Neubeschreibungen der Völkerrechtswirklichkeit. Sie denken – unabhängig von einem formal zu bestimmenden K.s-Zustand – vielmehr an (zwischenstaatliche) mit Waffengewalt ausgetragene Konflikte und fassen sie deshalb terminologisch weiter als „bewaffnete Konflikte“. Für das Recht im K. hat sich von seinen Schutzzwecken her die Bezeichnung „humanitäres Völkerrecht“ eingebürgert. Zu Missverständnissen Anlass gibt dagegen der schon im römischen Recht gebräuchliche Terminus K.s-Recht (ius belli), da er sowohl auf das K.s-Völkerrecht als auch auf die innerstaatlichen Regelungen im Falle des Ausnahmezustands Anwendung findet.

Von der Dialektik zwischen Friedens- und K.s-Völkerrecht bestimmt ist das Hauptwerk von Hugo Grotius: „De jure belli ac pacis“ (1625). H. Grotius konnte an den ideengeschichtlichen Bestand der Lehren zum gerechten (rechtmäßigen) K. seit der römischen Antike (Cicero) und den lateinischen Kirchenvätern anknüpfen (Augustinus, Thomas von Aquin). Für Thomas hing der gerechte K. von drei Voraussetzungen ab: der Ermächtigung eines zur K.s-Führung legitimierten Fürsten (auctoritas principis), einem den K. legitimierenden Grund (iusta causa) und der (ge-)rechten Absicht des K.-Führenden (intentio recta). Ziel des K.es sollte die Wiederherstellung des Friedens sein. An einem solchen friedensethischen Fixpunkt orientierte sich auch die spanische Spätscholastik (Scholastik) mit der Schule von Salamanca und ihren Hauptvertretern Francisco de Vitoria und Francisco Suárez. Getragen vom Vernunftrecht der Aufklärung machte Immanuel Kants „Zum ewigen Frieden“ (1795) diese Friedensorientierung zum bis heute gültigen Maßstab einer idealistischen Völkerrechtslehre. Zur Bestimmung der iusta causa fehlte es aber an hinreichend rationalisierbaren Maßstäben. Der K.s-Ausgang galt vielfach als Gottesurteil. Für den neuzeitlichen, vom religiösen Weltbild des Mittelalters emanzipierten Staat bedurfte die Berechtigung zum K. einer anderen Grundlage: Er erkannte sie in der Souveränität.

Die K.s-Führungsbefugnis (auctoritas) lag nun allein in den Händen des Souveräns (Emer de Vattel). Das PrALR formuliert in seinem zweiten Teil unter Titel 13 § 5: „Kriege zu führen; Frieden zu schließen; […] kommt allein dem Oberhaupte des Staats zu“. Der rechtswissenschaftliche Positivismus (Rechtspositivismus) des 19. Jh. verfestigte die Position vom freien K.s-Führungsrecht der souveränen Staaten. Philosophische Klassikertexte wie Georg Wilhelm Friedrich Hegels „Grundlinien der Philosophie des Rechts“ (1821) taten desgleichen: „Der Streit der Staaten kann […], insofern die besonderen Willen keine Übereinkunft finden, nur durch Krieg entschieden werden“ (Hegel 1911: § 334). Es gab aber auch gegenläufige Tendenzen. Die Schlacht von Solferino (1859) hatte die Gräuel des K.es unbarmherzig offenbart und den Schweizer Henry Dunant zum Gründervater des IKRK werden lassen. Friedensbewegungen mobilisierten die Öffentlichkeit zu Beginn des 20. Jh. Aber erst der Erste Welt-K. mit seinen neuen Massenvernichtungstechnologien ebnete den Weg zu einer schrittweisen Ächtung des K.es. Die Völkerbundsatzung (Völkerbund) vom 24.4.1919 relativierte zwar die souveräne Entscheidung über K. und Frieden, die Kodifikation eines allg.en K.s-Verbots blieb aber erst dem Briand-Kellogg-Pakt (1928) vorbehalten: „Die Hohen Vertragschließenden Parteien erklären […], dass sie den Krieg als Mittel für die Lösung internationaler Streitfälle verurteilen und auf ihn als Werkzeug nationaler Politik […] verzichten“ (Art. 1). Den Zweiten Welt-K. konnten diese Versuche nicht verhindern. Um angesichts seiner Opfer „künftige Geschlechter vor der Geißel des Krieges“ zu bewahren (Präambel der UN-Charta), verbieten die Vereinten Nationen jede Anwendung und Androhung von Gewalt (Art. 2 Nr. 4 UN-Charta).

2. Erscheinungsformen bewaffneter Konflikte

Bewaffnete Konflikte kennen viele Erscheinungsformen. Staaten-K.e meinen die organisierte Gewaltanwendung zwischen Gemeinwesen, Bürgerkriege gewaltsame Auseinandersetzungen innerhalb eines Gemeinwesens, die zu revolutionärem Umbruch (Revolutions-K.) oder zu Abspaltungsprozessen (Sezessions-K.) führen können. Angriffs-K.e markieren den offenen Bruch des Gewaltverbots. Vernichtungs-K.e mit dem Ziel, einen bestimmten Teil der Bevölkerung zu dezimieren oder ganz zu vernichten, münden im Genozid. Im „totalen K.“ (Erich Ludendorff, Joseph Goebbels) sind alle Maßstäbe des Rechts preisgegeben. Verteidigungs-K.e können hingegen gerechtfertigt sein. Die Bandbreite kriegerischer Auseinandersetzung reicht vom lokalen Grenzscharmützel bis zum Weltkrieg. Der „war on terror“ (Bush 2001) steht für neue Formen bewaffneter Auseinandersetzung („asymmetrische K.e“, „hybride K.e“, „neue K.e“), in denen staatliche auf nicht-staatliche Akteure mit vergleichbarem militärischen Potential treffen. Die technischen Möglichkeiten des Internet haben Cyber-Attacken (Cyber K.) möglich gemacht.

3. Ius contra bellum – das Gewaltverbot der UN-Charta

Das allg.e Verbot militärischer Gewalt aus Art. 2 Nr. 4 UN-Charta bindet nicht nur die Mitglieder der Vereinten Nationen, sondern als Rechtssatz des Völkergewohnheitsrechts (Gewohnheitsrecht) und zwingendes Völkerrechts (ius cogens) alle Staaten (IGH, ICJ Reports 1996, 14 (98) – Nicaragua). Ob die Gewalt zwingend von staatlichen Akteuren ausgehen muss oder unter ein erweitertes Verständnis auch nicht-staatliche Gewaltakteure (al-Qāʿida, IS) zu fassen sind, wird seit 9/11 diskutiert. Eine eindeutige Staatenpraxis hat sich noch nicht herausgebildet.

Vom Gewaltverbot lässt die UN-Charta drei Ausnahmen zu:

a) Kap. VII (Art. 39–51) sieht vor, dass bei Bedrohung oder Bruch des Friedens respektive einer Angriffshandlung der UN-Sicherheitsrat kollektive Zwangsmaßnahmen autorisieren kann.

b) Bestehen bleibt das Recht auf individuelle oder kollektive Selbstverteidigung (Art. 51), auf das sich etwa die NATO als Verteidigungsbündnis stützt.

c) Kap. VIII erlaubt militärische Maßnahmen von Regionalorganisationen, soweit sie im Auftrag oder mit Ermächtigung des Sicherheitsrates handeln (Art. 53).

Alle Durchbrechungen des Gewaltverbotes sind restriktiv zu handhaben und setzen eine Angriffshandlung (GA-Res. 3314 [XXIX] vom 14.12.1974) in Form von Gewalt gegen die Souveränität, die territoriale Integrität oder die politische Unabhängigkeit eines Staates voraus. Sie muss gegenwärtig und die Gegenreaktion verhältnismäßig sein. Der Versuch von US-Präsident George Walker Bush, zur Rechtfertigung des Irak-K.es (2003) eine neue Präventivschlagsdoktrin (preemptive strikes, preventive strikes) durchzusetzen, scheiterte an fehlender Rechtsüberzeugung und Praxis eines Großteils der Staatenwelt. Strittig ist, ob bei gröbsten Menschenrechtsverletzungen eine militärische Intervention zugunsten der Opfer (humanitäre Intervention) ohne Autorisierung durch den Sicherheitsrat möglich ist. Die NATO-Staaten beriefen sich für den Kosovo-K. (1999) auf diese Legitimationsgrundlage. Das neue Prinzip der Schutzverantwortung (responsibility to protect) bekräftigt den humanitären Impuls, begründet jedoch keine Pflicht zur Intervention.

Rein interne Konflikte unterliegen grundsätzlich nicht der Beurteilung durch Art. 2 Nr. 4 UN-Charta. Eine Intervention durch Drittstaaten bleibt eine unzulässige Einmischung in innere Angelegenheiten. Denkbar ist aber eine Intervention auf Einladung der amtierenden effektiven Regierung, die etwa Russland für seinen Einsatz in Syrien (Seit 2015) in Anspruch nimmt. Ob neue Formen des internationalen Terrorismus, obgleich von nicht-staatlichen Akteuren verantwortet, das Selbstverteidigungsrecht (Art. 51 UN-Charta) auslösen können, ist eine noch offene Frage. Der traditionell-staatszentrierte Ansatz verlangt die Zurechenbarkeit an einen Hintergrundstaat.

4. Das ius in bello und das Völkerstrafrecht

Alle Völkerrechtsregeln (Völkerrecht), die während des bewaffneten Konflikts für die im K.s-Gebiet befindlichen Personen und die Beurteilung der K.s-Handlungen gelten, werden als ius in bello bezeichnet. Sie wollen nicht etwa das generelle Gewaltverbot durch mittelbare Legitimationsversuche aushebeln, sondern gerade im Falle eines Systemversagens humanitäre Mindeststandards sichern. Die maßgeblichen Teile des ius in bello wurden im 20. Jh. kodifiziert. Die Haager Abkommen von 1899 und 1907 (Haager Friedenskonferenz) enthalten ein dichtes Regelwerk über zulässige K.s-Handlungen. 1925 wurde das Genfer Giftgasprotokoll verabschiedet. In Reaktion auf den Zweiten Welt-K. entstand das Genfer Recht, das in vier Abkommen nebst zwei Zusatzprotokollen den Kernbestand des humanitären Völkerrechts kodifiziert (Genfer Konventionen). Das Ottawa-Abkommen aus dem Jahre 1997 verbietet den Einsatz von Anti-Personen-Minen. Darüber hinaus begründen völkerstrafrechtliche Normen individuelle Verantwortlichkeit. Zu den Kernverbrechen des Völkerstrafrechts (core crimes) zählen K.s-Verbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Völkermord und Aggressionsverbrechen. Von den Vereinten Nationen ins Leben gerufene Ad-hoc-Straftribunale (etwa für Jugoslawien oder Ruanda) und der durch das Römische Statut errichtete IStGH (2002) stehen in Verantwortung für die effektive Durchsetzung.

IV. Sozialethisch

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Das Nachdenken, ob und unter welchen Umständen K.e ethisch legitim sein können, hat eine lange Tradition. Zur sozialethischen (De-)Legitimation von K. und militärischer Gewalt wurden und werden verschiedene grundlegende Ansätze vorgebracht.

1. Politischer Realismus

Bereits bei Thukydides wird die Frage verhandelt, ob realpolitische Gesichtspunkte es erzwingen, eine schwächere politische Gemeinschaft zu unterwerfen. Da sich K.e für die K.-Führenden zumindest materiell nur selten auszahlen, können realpolitische Argumente durchaus auch kriegerischen Tatendrang hemmen. Aber das moralphilosophische Nachdenken über K.-Führung hat sich (wie bei Hugo Grotius in der Vorrede zu „De Jure Belli ac Pacis“ [1625] oder bei Michael Walzer im ersten Kapitel von „Just and Unjust Wars“ [1977]) stets gegen eine Reduktion der Ethik des K.es auf die Realpolitik (Realismus) gewehrt. Aus dem deskriptiven Zusammenhang, dass nur über einen K. Macht erhalten werden kann, kann nicht normativ gefolgert werden, dass dieser K. geführt werden müsste.

2. Utilitarimus

Für sämtliche Spielarten des Utilitarismus stellt nicht der partikulare Nutzen einer bestimmten politischen Gemeinschaft, sondern der universale Nutzen für alle Menschen das Ziel legitimen Handelns dar. K. ist nicht zu rechtfertigen, wenn dabei die Nutzengewinne für bestimmte Menschen mit größeren Nachteilen für andere Menschen erkauft werden. Da aber gerade der Auslegungsstreit darüber, was überhaupt als Nutzen zu gelten habe, K. auslösen kann, helfen die Limitationen, die dieses bekannteste ethische Paradigma setzt, nur sehr begrenzt weiter, wenn es um die Erlaubnis oder das Verbot von K.-Führung geht.

3. Theorie des gerechten Krieges

Das als „Tradition des gerechten K.es“ bezeichnete Nachdenken darüber, unter welchen Umständen K.e erlaubt sein können, setzt ein deontologisches prima-facie-Verbot des K.es an den Anfang. Die Rechtfertigungspflicht liegt also beim Anwender militärischer Gewalt. In der Tradition des gerechten K.es wird versucht, bestimmte Kriterien oder Kriterienkataloge zu etablieren, die die Bedingungen festlegen sollen, unter denen kriegerische Gewalt zulässig ist. Dabei werden drei Felder a) ius ad bellum, b) ius in bello und c) ius post bellum unterschieden. Als Kriterien auf den jeweiligen Gebieten werden heute gemeinhin genannt:

a) gerechter Grund, legitime Autorität, rechte Absicht, ultima ratio, Aussicht auf Erfolg und Verhältnismäßigkeit im ius ad bellum;

b) Notwendigkeit, Pflicht zur Unterscheidung und Verhältnismäßigkeit im ius in bello;

c) faire Strafverfahren, Kompensationen, Pflicht zur Wiederaufbauhilfe und Respektierung der Souveränität im ius post bellum.

Thomas von Aquin stellte die Frage, wer zur K.-Führung berechtigt sei, also jene nach der legitimen Autorität, an die erste Stelle; in den Gegenwartsdebatten werden zumeist die K.s-Gründe vorrangig diskutiert. H. Grotius kannte deren drei: „die Verteidigung, die Wiedererlangung des Genommenen und die Bestrafung“ (Grotius 1950: 136). Voraussetzung ist also stets „erlittenes Unrecht“ (Schockenhoff 2016: 436; Aggression). Insb. die Frage, ob K.e als verteidigende oder strafende Handlungen zu denken sind, prägt die Behandlung des ius in bello vor: Verteidigende K.s-Führung hat ihre Grenze in der Notwendigkeit, das bedrohte Gut zu bewahren, lässt aber häufig bereits präventive Maßnahmen zu; strafende K.s-Führung hat ihre Grenze in der Verhältnismäßigkeit der Vergeltung. – Auch wenn Kriterien des gerechten K.es als „Prinzipien mittlerer Reichweite“ für eine vorläufige Prüfung einer Sachlage hilfreich sein können, wäre ihre unkritische Anwendung doch verfehlt: Zum einen sind diese Kriterien in der Geschichte nicht immer im gleichen Sinne verstanden worden und dadurch auch inhaltlich nicht eindeutig. Zum anderen müssen sie auf die jeweilige Situation hin angewandt werden, was weitere Spezifizierungen und oft schwierige Abwägungsprozesse nötig macht. Deshalb kann eine vertiefte ethische Betrachtung nicht ohne Rückgriff auf grundsätzliche Erwägungen zur kollektiven Gewalt, zur Eigenart des Politischen und zum Status von sozialen Gemeinschaften auskommen.

Die Grundfrage der Gegenwartsdiskussion kann in folgender Weise skizziert werden: Ist kriegerische Gewalt normativ sui generis zu behandeln („Kollektivismus“) oder sollte sie nach den Maßstäben legitimer Gewalt zwischen Individuen behandelt werden („Individualismus“)? Damit inhaltlich verbunden ist die weitergehende Frage, ob bei kriegerischer Gewalt prinzipiell zwischen einem Innenraum und damit dem K. im Inneren und einem Außenraum und damit dem K. gegen äußere Feinde zu unterscheiden ist (polemos v stasis; leg. 628b). Für Theorien, die die Gewaltmaßstäbe zwischen Individuen als Anker der Ethik des K.es setzen, gibt es keine grundsätzliche Unterscheidung zwischen K. und innerem Aufruhr oder von militärischer – also feindbekämpfender – und polizeilicher – also kriminalitätsbekämpfender – Gewalt. Kollektivistische Modelle politischer Philosophie sehen gemeinhin eine Pluralität von Staaten vor. Dementsprechend hat die staatliche Sicherungsaufgabe zwei Seiten: die Außensicherung gegenüber Feinden, die das staatliche Gemeinwesen als solches bedrohen, und die Innensicherung gegenüber Kriminellen, die durch Rechtsbruch die innere Ordnung gefährden. Während die Innensicherung an die rechtsstaatliche Ordnung (und das menschenrechtliche Schutzregime) gebunden ist, besteht eine solche vorgängige Verpflichtung gegenüber den von außen angreifenden Feinden nicht – es sei denn, auch mit möglichen Feinden wurde bereits vorab ein Vertrag geschlossen, der den Austrag militärischer Gewalt im Falle des K.es regelt. Kombattanten beider Konfliktparteien sind in diesem Modell moralisch gleichgestellt. Umstritten ist, ob die Bekämpfung von Terroristen (Terrorismus) der Innen- oder Außensicherung zuzuordnen ist. Die Unterscheidung von Innen- und Außenraum ist nicht nur für das ius in bello zentral: In Bezug auf das ius ad bellum kann man konstatieren, dass aus dieser sozialethischen Perspektive grundsätzlich nur im Falle eines Angriffs ein Verteidigungsrecht einer politischen Gemeinschaft gegenüber einer anderen besteht, im Allgemeinen aber kein Recht auf Intervention.

Kollektivistische Modelle der Ethik des K.es sind neben der normativen Veränderung durch universale Menschenrechte, die ihrer Tendenz nach staatliche Innen- und Außenräume aufheben, auch durch die Faktizität grenzüberschreitender – und dennoch nicht leicht als Kriminalität v kriegerische Gewalt klassifizierbarer – Gewaltformen in Bedrängnis geraten, insb. durch Terrorismus oder Angriffe auf informationstechnische Infrastruktur und Eigentum (Cyber K.), in denen sich auch die Unterscheidung von staatlichen und nicht-staatlichen (privaten) Akteuren verwischt. In der moralphilosophischen Diskussion werden daher die Maßstäbe für militärische Gewalt zunehmend an den Ordnungsmodellen interpersoneller verteidigender Gewalt orientiert. Verteidigende Gewalt ist zulässig, wenn Leib und Leben (mit Abstufung auch sonstiges Eigentum) einer Person durch das Handeln einer anderen Person gefährdet sind (Notwehr und Nothilfe). Andererseits können neben dem Angreifer auch unbeteiligte dritte Personen in der verteidigenden Handlung geschädigt werden, wenn dieser Schaden in einem angemessenen Verhältnis zum durch die Handlung geschützten Gut steht („Kollateralschaden“).

Die strikte Trennung zwischen ius ad bellum und ius in bello entfällt in diesem häufig „Revisionistische Theorie des gerechten K.es“ genannten Theoriemodell ebenso wie eine prinzipielle Trennung zwischen Kombattanten und Zivilisten, die in ihrem moralischen Status nur graduell zu unterscheiden sind. Militärische Interventionen in Staaten sind aus dieser Perspektive grundsätzlich erlaubt, wenn sie auf Notwehr- oder Nothilferechten von Personen auf dem Territorium des Interventionsstaates gründen (z. B. im Rahmen der responsibility to protect [Schutzverantwortung]). Nicht die Uniform des Soldaten macht diesen zu einem angreifbaren Ziel, sondern seine individuelle Beteiligung an dem Gewaltgeschehen, das eine Verteidigungshandlung legitimiert. Nur Kombattanten der ungerechterweise kriegführenden Partei sind somit überhaupt legitim angreifbar (liable to attack). Hauptvertreter dieses Ansatzes (wie Jeff McMahan) wollen aber das humanitäre Völkerrecht, das Kombattanten aller Konfliktparteien gleichen rechtlichen Status zubilligt und Zivilisten vor direkten Angriffen schützt, nicht ändern. Ähnlich wie bereits bei H. Grotius ergeben sich also zwei Ebenen: eine „eigentlich moralische“ („iniustitia interna“, Grotius 1950: 500) und eine „pragmatisch rechtliche“ (ius gentium).

4. Pazifismus

Der Umstand, dass militärische Gewalt aufgrund ihres Ausmaßes häufig zu Kollateralschäden führt, und die unsicheren Erfolgsaussichten des militärischen Gewaltgebrauchs werfen konstant die Frage auf, ob nicht aus sozialethischer Sicht eine pazifistische Position besser begründet ist als Rechtfertigungsmodelle militärischer Gewalt. Zudem hat das zunehmende Anerkennen menschenrechtlicher Normvorgaben auch militärische Schläge gegen illegitime Angreifer problematisch gemacht („Targeted Killing“). Jedoch gilt es hier verschiedene Formen des Pazifismus zu unterscheiden.

5. „Gerechter Frieden“

Die großen Kirchen Deutschlands treten spätestens seit den 80er Jahren des 20. Jh. für eine Position („Paradigma“) des „gerechten Friedens“ ein, der – ähnlich der Revisionistischen Theorie des gerechten K.es – militärische Gewalt dort zulässt, wo diese sich auf eine klare (Menschen-)Rechtsgrundlage („Rechtspazifismus“) stützen kann, die aber anders als die revisionistische Theorie die Perspektive auf den zu erreichenden Friedenszustand hin ausrichtet. Die Ablehnung der Redeweise von „gerechten K.en“ impliziert aber keine Ablehnung von Kriterien, die aus dem Traditionsfeld des Denkens über gerechte K.e entnommen sind.