Haager Friedenskonferenz

Im Sommer 1892 überraschte Zar Nikolaus II. die Regierungen aller Länder mit der Anregung einer Konferenz für Frieden und Abrüstung. Dieser „Blitz aus dem Norden“ (Tuchman 1966: 229) stand im Zusammenhang mit einer allgemeinen Friedensbemühung und wurde vom polnischen „Eisenbahnbaron“ (Sapper 2008: 306) und Bankier Jan Bloch angeregt. Als siebentes von neun Kindern hatte sich J. Bloch zu einem Unternehmer, Publizisten und Pazifisten entwickelt. Er baute u. a. die Eisenbahnstrecke zwischen St. Petersburg und Warschau, 1883 wurde er zum Staatsrat ernannt und geadelt. Vor dem Hintergrund des russisch-türkischen Kriegs von 1877 erkannte er die Gefahr der Materialschlacht des modernen Krieges. In seinem sorgfältig argumentierenden, sechsbändigen Werk von 1899 zur „Zukunft des Krieges“ warnte er vor den finanziellen Kosten und den Verlusten an Menschenleben, dass kaum ein Staat noch Kriege würde führen können. Die hohen Verluste und die Demoralisation würden jedoch ebenso auch im Inland den Druck so ansteigen lassen, so dass ihm insb. ein so gefährdetes Reich wie Russland nicht standhalten könne. Einst geachtet und 1901 für den Friedensnobelpreis nominiert, ist J. Bloch heute kaum noch bekannt. Immerhin konnte er die Aufmerksamkeit des Zaren erringen, mit dem er auch für Besprechungen zusammentraf.

Konferenzen zur Beendigung von Kriegen waren nichts Neues. Doch ohne Anlass und allein zur Weiterentwicklung des Völkerrechts waren sie eine Innovation. Immerhin kannte man jedoch die Entwicklung gemeinsamer technischer Standards und eines internationalen Verwaltungsrechts. Doch in Den Haag sollten, mehr als nur Klauseln eines Friedensvertrags, v. a. drei Bereiche des Völkerrechts neu geregelt werden: Abrüstung, die Regeln des Landkriegs und Schiedsgerichtsbarkeit.

Den Haag wurde vom Zaren ausgesucht, weil die Niederlande bes. neutral eingeschätzt wurden. Nach der Konsultation bedeutender Völkerrechtler versammelten sich auf Einladung der Niederlande im „Huis ten Bosch“ vom 18.5. bis zum 29.7.1899 die Vertreter von 14 Staaten, jedoch nur sechs davon nicht aus Europa, nämlich die USA, Mexiko, Persien, Siam, Japan und China. Der Vatikan war nicht beteiligt. Das mediale Interesse war moderat, immerhin gab es mit Berta von Suttner eine bedeutende Beobachterin der Friedensbewegung. Unter russischem Vorsitz wurden drei Kommissionen für die drei Ziele gebildet, welche getrennt ihre Texte entwickelten.

Die erste Kommission zur Abrüstung war v. a. durch deutsche Widerstände zum Scheitern verurteilt; der Kaiser, der sein persönliches Regiment über die Armee gefährdet sah, drohte, beim ersten Wort der Abrüstung seine Delegierten zurückzuziehen. Der 80jährige deutsche Delegationsleiter, Graf Georg Herbert zu Münster, und sein Vertreter, Karl von Stengel von der Münchener Universität, folgten diesen Vorgaben, wogegen der Königsberger Philipp Zorn wenig ausrichten konnte.

Die zweite Kommission sammelte unter dem Vorsitz des russischen Völkerrechtlers Feodor von Martens die gewohnheitsrechtlichen oder schon partiell vereinbarten Regeln des Landkriegs der vergangenen 50 Jahre. Ziel war es hier v. a., die Regeln als Ausdruck eines allgemeinen Konsenses anerkennen zu lassen. Dabei sollten die neuen Regeln nicht herangezogen werden dürfen, um andere bereits etablierte Regeln hinterfragen zu dürfen. Die Martens Klausel stellte daher sicher, dass das neue Recht das ältere nicht abschaffen solle.

In der dritten Kommission unter Léon Bourgeois wurde das Schiedsrecht verhandelt. Mit einem Vertrag zwischen den USA und Großbritannien von 1897 gab es eine Textvorlage. Die Entwicklung des Ständigen Schiedsgerichtshofs bot zwar ein Forum und Regeln für Schiedsgerichtsbarkeit, konnte jedoch keine zwingende Schiedsgerichtsbarkeit erreichen, nur eine dreimonatige cooling off-periode vor dem Beginn militärischer Aktionen. Immerhin ist hier der deutlichste Erfolg der Konferenz angesprochen.

Mit der Schlussakte von 1899 wurden drei Konventionen geschaffen, nämlich für die friedliche Streitbeilegung, für die Regeln des Landkriegs und für den Seekrieg. Hierfür wurde die Genfer Konvention vom 22.8.1865 bestätigt. Hinzu traten drei Deklarationen mit Verboten eines Beschusses von Ballons aus, von der Verwendung von Giftgasen und von Deformationsgeschossen („dum-dum-Geschossen“). Danach folgten fünf einmütig beschlossene vœux (Wünsche), mit der die Versammlung ihre Vorstellungen verbalisierte zur Weiterentwicklung der einschlägigen Konventionen, zur Stellung der Neutralen, zur Reduktion der Waffen und zur weiteren Entwicklung des Seekriegsrechts. Die Konventionen und Deklarationen wurden dagegen nicht beschlossen, um ihnen nicht den Charakter einer Mehrheitsentscheidung zukommen zu lassen. Vielmehr wollte man so das allgemeine Völkerrecht verändern. Lassa Oppenheim sah darin den Versuch, das Völkerrecht zu konstitutionalisieren.

Die Reaktion der Zeitgenossen fiel unterschiedlich aus. Manche Briten sahen die Ergebnisse als bedeutungslos an, weil kein Einfluss auf politische Probleme genommen wurde und sich keine politischen Beziehungen zwischen den Mächten verändert hätten; Theodor Mommsen sah in den Beschlüssen sogar einen „Druckfehler der Geschichte“ (Sapper 2008: 310). V. a. beschlossen die Delegierten 1899 jedoch, sich wieder zusammensetzen zu wollen, um das Völkerrecht weiter zu entwickeln. 1905 folgte auf Anregung von Theodore Roosevelt eine neue Einladung zur nächsten F., doch erst wollte man noch die dritte Pan-Amerikanische Konferenz von 1906 abwarten. 1906 verbreitete Russland ein Programm für die neue Konferenz.

So traf man sich vom 15.6. bis zum 18.10.1907 wieder am selben Ort. Doch nicht nur die Dauer, auch die Zahl der Delegierten stieg auf 256. Nun waren 44, also fast alle existierenden Staaten vertreten, aber immer noch ohne den Vatikan oder Vertreter aus Afrika und nur die bereits erwähnten aus Asien. Aber auch das mediale Interesse auf die Konferenz war erheblich gewachsen und schuf einen Erfolgsdruck. Neben den mächtigen drei Tagungsbänden von 1907 wirken die Dokumente von 1899 bescheiden. Die Themen von 1899 sollten bestätigt und weiter entwickelt werden. Dafür wurden wieder die Kommissionen gebildet, hinzu trat nur noch eine vierte für Fragen des Seekrieges. Teilweise wurde die Arbeit auf Unterkommissionen verteilt.

1907 erzielte man 13 Konventionen sowie eine Deklaration und eine Schlussakte, die von den Staaten ratifiziert wurden. Von den Konventionen waren zehn neu, drei jedoch Überarbeitungen von 1899. Immer noch konnte kein Zwang einer Schiedsgerichtsbarkeit eingeführt werden. Mit Ergänzungen wurde die Landkriegsordnung neu beschlossen und die weiteren Verbote von 1899 bestätigt. Hinzu kamen Regeln zur Eröffnung von Feindlichkeiten und zu den Rechten von Neutralen, auch im Seekrieg, was sich an die Vorschriften zum Landkrieg anlehnte. Ein besonderes Streitthema war dagegen der Seekrieg wegen der Spannung zwischen dem Reich und Großbritannien. Immerhin wurden auch hier auf der Grundlage des Gewohnheitsrechts Regeln entworfen, darunter eine Konvention für die Errichtung von internationalen Prisegerichten als Appellationsinstanz. Die Londoner Deklaration zum Recht des Seekriegs vom 26.2.1909 bestätigt zunächst den Erfolg der Haager Konvention XII. Doch das britische House of Lords blockierte dann die Ratifikation, so dass hier ein besonderer Streitpunkt der nachfolgenden Weltkriege entstand.

Eine weitere für 1915 geplante F. konnte nicht mehr stattfinden. Doch immerhin hatten die beiden Konferenzen ein neues Regelwerk für eine Fülle von Themen errichtet. Man kann hier in moderner Terminologie von „soft law“ sprechen und beklagen, wie gerade in den Weltkriegen viele dieser Regeln gebrochen wurden; erst mit der Ratifikation durch den letzten Vertragspartner sollten die Rechtsregeln verbindlich werden. Ob dagegen die Entwicklung des später sogenannten „humanitären Völkerrechts“ der Härte des Krieges Vorschub leistete, muss bezweifelt werden. Dagegen wurde ein Prozess in Gang gesetzt, das Völkerrecht konsensual weiter zu entwickeln mit Augenmaß für die modernen Bedürfnisse. Das gilt nicht nur für das „humanitäre Völkerrecht“, sondern die ganze Weltorganisation von den Vereinten Nationen bis hin zum internationalen Handelsrecht, ohne das die Welt heute kaum auskommen könnte.