Mercado Común del Sur (MERCOSUR)

Der mit dem Vertrag von Asunción im März 1991 gegründete Gemeinsame Markt des Südens (MERCOSUR) markiert den Endpunkt eines bereits 1983 von den Regierungen der beiden Rivalen Brasilien und Argentinien initiierten Annäherungsprozesses. Pragmatisch auf allzu ambitionierte Ziele und Institutionen verzichtend, wurde MERCOSUR v. a. als Sprungbrett für eine gemeinsame Exportstrategie konzipiert mit dem langfristigen Ziel einer konkurrenzfähigen Einbindung seiner vier Mitglieder Brasilien, Argentinien, Uruguay und Paraguay in den Weltmarkt. Zu den zentralen politischen Motiven seiner Gründung gehörte die Wahrung des Friedens zwischen den Nachbarn des südlichen Lateinamerika (Lateinamerika und Karibik). Seit 1998 macht das Protokoll von Ushuaia die Beachtung demkratischer Prinzipien in den Mitgliedsstaaten zur Grundvoraussetzung für die Teilnahme am Integrationsabkommen. International sollte der regionale Schulterschluss im südlichen Lateinamerika dazu beitragen, das durch die Jahre der Militärdiktatur und die massiven Menschenrechtsverletzungen ramponierte Ansehen der vier Mitgliedsländer zu verbessern und ein Gegengewicht zur US-Suprematie in der westlichen Hemisphäre zu kreieren. Übergreifendes Ziel war es, wirtschaftliche Entwicklung mit sozialer Gerechtigkeit zu verbinden. Ergänzend galt es, im südlichen Lateinamerika auf die durch die Gründung der NAFTA ausgelöste Handels- und Investitionsoffensive eine angemessene Antwort zu finden.

In der Geschichte des MERCOSUR können vier Phasen unterschieden werden. Sie stehen für erhebliche Pendelausschläge in der Entwicklung des Integrationsregimes, Ausdruck wechselnder politischer und wirtschaftlicher Konjunkturen in der Innenpolitik der beteiligten Staaten wie auch des regionalen und internationalen Umfelds.

Die erste Phase zwischen dem Vertragsabschluss (März 1991) und dem Protokoll von Ouro Preto (Dezember 1994) stand unter dem Zeichen der institutionellen Konsolidierung und des Ausbaus des intra- und extraregionalen Handels, charakterisiert durch unilaterale Liberalisierung und die lineare und automatische Abschaffung von Zöllen in der Region. Die Erfolge der neuen Strategie waren in den 1990er Jahren ablesbar an einem Anstieg des intraregionalen Handels. Ab 1995 verlor die Integration jedoch zunehmend an Dynamik. Während Globalisierung und Regionalisierung/Regionalismus in den ersten Jahren des Integrationsprozesses sich wechselseitig verstärkten, wirkten sich diverse weltwirtschaftliche Verwerfungen ab 1994/95 als Bremsfaktoren für eine nachhaltige Kooperation aus.

Die zweite Phase (1999–2002/03) stand im Zeichen einer profunden Krise. Sie legte die mangelnde Kapazität der bestehenden, ausschließlich intergouvernementalen Institutionen zur Krisenbewältigung offen. Am Anfang der Krise stand die einseitige, drastische Abwertung des brasilianischen Real im Januar 1999. Argentinien war aufgrund interner wirtschaftlicher Probleme außerstande, darauf angemessen zu reagieren. Vergleichbar hart traf es die kleinen Ökonomien Uruguays und Paraguays, deren Außenhandel eng mit den beiden größeren Nachbarländern verflochten war. So wurde eine Abwärtsspirale regionaler Integration in Gang gesetzt, die schließlich zum Jahresende 2001 in den wirtschaftlichen und politischen Kollaps Argentiniens führte. In der Folge erlebte Argentinien eine der schlimmsten Wirtschaftskrisen seiner Geschichte. Angesichts dieser sich akkumulierenden Krisenphänomene und der fortschreitenden Verhandlungen über eine FTAA schien das Ende regionaler Integration angesagt. Dem Regionalismus war es nicht gelungen, die Außenverwundbarkeit der lateinamerikanischen Ökonomien abzubauen. Die Zollunion blieb ein Fragment und das Integrationsengagement schwach; es kam zu einer Vielzahl intersektorieller Konflikte, die keinen institutionalisierten Ausweg fanden. Ein effektiver Streitschlichtungsmechanismus existierte nicht.

Begünstigt durch die Wahlsiege von Mitte-Links- und Linksregierungen in der Mehrzahl der lateinamerikanischen Länder und deren Abkehr von neoliberalen Imperativen (Neoliberalismus) der 90er Jahre, kam es in den Jahren 2003–2008 – der dritten Phase des MERCOSUR – zu einer Wiederbelebung der Integrationsdynamik. In der Deklaration von Brasilia (14.1.2003) bekannten sich der amtierende argentinische Präsident Eduardo Alberto Duhalde und sein brasilianischer Kollege Luiz Inácio da Silva, gen. Lula, ausdrücklich zur politischen Rolle des MERCOSUR. Diese Deklaration und die im Konsens von Buenos Aires am 16.10.2003 getroffene Übereinkunft zwischen Lula da Silva und dem neuen argentinischen Präsidenten Nestor Kirchner standen symbolisch für eine neue Integrationsdynamik. Beide Dokumente gaben gemeinsam mit der Deklaration von Copacabana (2004) den Auftakt für den MERCOSUR Social und den MERCOSUR Erziehung. Weitere Initiativen folgten, so gleichfalls 2004 der Fonds für strukturelle Konvergenz des MERCOSUR (FOCEM) und das Beratungsforum der Munizipien, Einzelstaaten, Provinzen und Departements des MERCOSUR (FCMEFPD). FOCEM diente in erster Linie zum Ausgleich der enormen Asymmetrien zwischen den Mitgliedsländern. Spektakulär und heftig diskutiert war schließlich die 2006 beschlossene Aufnahme Venezuelas als fünftes Vollmitglied des MERCOSUR. Dieses Land war unmittelbar zuvor aus der CAN ausgetreten. Es sollte jedoch infolge des Vetos des paraguayischen Parlaments bis 2013 dauern, bis sich die Aufnahme Venezuelas infolge des erst 2012 wieder aufgehobenen Ausschlusses Paraguays aus dem MERCOSUR materialisierte. 2016 wurde die Mitgliedschaft Venezuelas mit dem Argument suspendiert, das Land habe es bislang versäumt, die Gemeinschaftsregeln zum intraregionalen Handel und den Menschenrechten in nationales Recht zu integrieren.

Unter dem Siegel des sogenannten post-liberalen Regionalismus kam es in der zweiten Hälfte der ersten Dekade des 21. Jh. – der vierten Phase – zur Gründung weiterer Integrationsregime, die über die Bereiche Wirtschaft und Handel weitere Politikfelder einschlossen. Diese Neugründungen – ALBA, UNASUR und die CELAC – waren eine Antwort auf die Erschöpfung des „offenen Regionalismus“ mit seinem schwachen Institutionalismus und der negativen wirtschaftlichen, v. a. verteilungspolitischen Bilanz. Ihre integrationspolitischen Folgen werden jedoch inzwischen zunehmend kontrovers diskutiert. Während die einen sie als „Flucht nach vorne“, Verdoppelung auf Kosten einer Vertiefung bestehender Integrationsregime oder gar als Rückfall in die Binnenorientierung der 1950er und 1960er Jahre kritisieren, sehen andere in ihnen die Chance einer spezifisch lateinamerikanischen Ausdifferenzierung des Integrationsprozesses, die der Logik konzentrischer Kreise folgt und eine bessere Arbeitsteilung ermöglicht.

Die Bilanz des MERCOSUR, der nahezu die Hälfte der wirtschaftlichen Aktivität der Region repräsentiert, ist zweieinhalb Jahrzehnte nach Unterzeichnung des Gründungsvertrags von Asunción gemischt. Fortschritten in bestimmten Bereichen stehen auf der anderen Seite Rückschläge gegenüber, Phasen einer wenn auch eher verhaltenen Dynamik solche des auf der Stelle-Tretens und des Fehlens eines strategischen Endziels als Projekt. Die größte Neuerung dieses Integrationsregimes war seine Öffnung und die enge Verknüpfung mit der wirtschaftlichen Globalisierung. Treibende Kräfte waren sowohl bei seiner Gründung wie auch im gesamten Integrationsfortgang die Präferenzen und Entscheidungen staatlicher Akteure. Der Verbund ist heute eine unvollkommene Zollunion, eingeengt durch die Unmöglichkeit sich auf supranationale Institutionen zu einigen und durch unilaterale Alleingänge der beiden big player Brasilien und Argentinien auf dem Gebiet der Handelspolitik. Insgesamt war der Block bis zu den 2016 erfolgten Regierungswechseln in Brasilien und Argentinien protektionistisch, was seinen Außenhandel ebenso beschränkte wie ausländische Direktinvestitionen. Als politische Erfolge zu werten sind neben der Etablierung der Demokratieklausel und der Schaffung einer Friedenszone im Südatlantik Fortschritte in Richtung einer Bürgerbeteiligung im Integrationsprozess und der ansatzweisen Herausbildung einer auf der lokalen und subnationalen Ebene angesiedelten Paradiplomatie. Auch auf dem Gebiet des Rechts und der Institutionen gab es, was die Mechanismen und Instrumente der Integration betrifft, einige Fortschritte. Insgesamt weist MERCOSUR jedoch, gemessen an den Gründungszielen und dem Integrationsverlauf, einen zu geringen Institutionalisierungsgrad auf. Er macht eine Vertiefung unmöglich und stößt insb. bei den kleineren Mitgliedern auf Kritik. Bestehende Asymmetrien bzgl. Größe, Entwicklungsniveau, Machtressourcen, den verfolgten Teilpolitiken und des jeweiligen Integrationsengagements führten wiederholt zu politischen Friktionen und wirkten sich insgesamt desintegrierend aus. Auch bzgl. Wachstum, effizienter Ressourcennutzung und Bewahrung der Umwelt ist die Bilanz eher gemischt. Strukturelle Sozialpolitiken, die die chronisch ungleiche Einkommensverteilung in der Region erfolgreich und dauerhaft zu bekämpfen in der Lage wären, sind erst in Ansätzen zu erkennen. Das Ziel einer tragfähigen, auf soziale Gerechtigkeit abstellenden Entwicklung ist, trotz unverkennbarer sozialer Fortschritte in den Mitgliedsländern, lediglich ansatzweise in Sicht. Auch dazu bedürfte es supranationaler Institutionen. Schließlich lässt auch die Beteiligung der Zivilgesellschaft trotz Fortschritten seit 2006 noch erheblich zu wünschen übrig. Trotz der genannten Schwächen dürfte MERCOSUR jedoch auch künftig ein zentraler Bezugspunkt des lateinamerikanischen Integrationsprozesses bleiben. Offen ist, ob Brasilien die Chance eines gestärkten MERCOSUR ergreift oder sich von der sich dynamisch entwickelnden Pazifik-Allianz als alternativem Integrationsregime mehr außenpolitische Vorteile verspricht. Wählte es letzteren Weg, wäre der MERCOSUR wohl endgültig zur Bedeutungslosigkeit verurteilt.