Kirchenverfassung

  1. I. Katholisch
  2. II. Evangelisch

I. Katholisch

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Die katholische Kirche besitzt keine formelle Verfassungsurkunde, so dass ihre Struktur nicht auf der Grundlage eines einzigen Dokuments zu beschreiben ist. Die K. ergibt sich vielmehr aus der Ekklesiologie, wie sie vom Zweiten Vatikanischen Konzil dargelegt worden ist, und aus entspr.en Rechtsquellen, insb. aus dem CIC und dem CCEO. Wesentliche ekklesiologische Grunddaten des Konzils sind die Beschreibung der Kirche als Communio und die volle Verwirklichung der Kirche Jesu Christi in der katholischen Kirche (LG 8). Damit ist zugl. eine ökumenische Offenheit der katholischen Kirche auf die nichtkatholischen Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften hin und eine partielle Gemeinschaft mit diesen gegeben. Für die innere Verfassungsstruktur der katholischen Kirche ist ferner auch das Prinzip prägend, dass die Kirche in und aus Teilkirchen besteht.

1. Verfassungsrecht der kirchlichen Gesetzbücher

In den kirchlichen Gesetzbüchern CIC (1983) für die lateinische Kirche des Westens und CCEO (1990) für die katholischen Ostkirchen ist das Recht der K. materiell greifbar. Im CIC handelt es sich im Wesentlichen um die Teile I und II des Buches II (= cann. 204–572); im CCEO sind es die Titel I-XI (= cann. 1–409). Das Recht der Orden und der kirchlichen Vereinigungen (cann. 298–329, 573–746 CIC; cann. 410–583 CCEO) wird bisweilen dem kirchlichen Verfassungsrecht zugerechnet, zählt jedoch nicht dazu, wenn man strikt von der hierarchischen Struktur der K. ausgeht. Nichtsdestotrotz gehören Orden und Vereinigungen zur Kirche und haben ihren legitimen Platz darin. Regelungsgegenstände des Verfassungsrechts sind im Einzelnen: die rechtliche Stellung der Gläubigen (Laien und Kleriker [ Klerus ]); Papst und Bischofskollegium samt den Einrichtungen und Organen, die der höchsten kirchlichen Autorität zugeordnet sind (Bischofssynode, Kardinalskollegium, Römische Kurie, Päpstliche Gesandte; das Ökumenische Konzil ist nicht der höchsten Autorität zugeordnet, sondern als bes. Manifestation des Bischofskollegiums selbst Träger höchster Autorität); die Partikularsynoden und die Bischofskonferenzen; die Diözesen und anderen Formen von Teilkirchen mit ihren Ämtern und Institutionen, insb. dem Bischofsamt, der Diözesansynode, der Bischöflichen Kurie und den verschiedenen Ratsorganen; die Untergliederung der Teilkirchen in Dekanate und andere Strukturen; die Pfarreien mit dem Pfarrer und dessen Helfern sowie den pfarrlichen Ratsorganen.

2. Kirchliche Verfassungsstruktur

Der konziliare Begriff der Communio wurde von der kirchenrechtlichen Doktrin in seiner zentralen Bedeutung gerade für die K. herausgearbeitet. Die Kirche wurde als Communio Ecclesiarum, als Communio fidelium und als Communio hierarchica beschrieben.

Die katholische Kirche ist eine Gemeinschaft von Kirchen (Communio Ecclesiarum). Sie besteht, gemäß der Lehre des Zweiten Vatikanischen Konzils, in und aus den ihr zugehörigen Kirchen (can. 368 CIC; can. 177 § 1 CCEO). Darunter sind zunächst zu verstehen die Kirchen eigenen Rechts, d. h. die lateinische Kirche und die derzeit 23 katholischen Ostkirchen, die in Gemeinschaft mit dem Papst stehen. Die Kirchen eigenen Rechts sind ihrerseits wieder in Teilkirchen (Diözesen, Eparchien) gegliedert, in denen die katholische Kirche jeweils auch ganz präsent wird. In der Beschreibung der katholischen Kirche als Communio Ecclesiarum kommt einerseits zum Ausdruck, dass die Kirche jeweils lokal gegenwärtig ist und lebt; sie besteht also nicht aus einer vom Papst geleiteten Superdiözese mit nachgeordneten Verwaltungseinheiten. Andererseits besagt Communio Ecclesiarum auch, dass diese Gemeinschaft nicht ein Kirchenbund im Sinne eines freien Zusammenschlusses ist, sondern ihre Existenz einer ekklesiologischen Notwendigkeit folgt.

Aus der Communio Ecclesiarum ergibt sich die Verantwortung der Teilkirchen füreinander und für die gesamte katholische Kirche. Sie findet v. a. in den synodalen Strukturen der Kirche ihren Ausdruck. Die Bischöfe tun ihren Dienst nicht nur in den eigenen Diözesen und für diese, sondern tragen als Mitglieder des Bischofskollegiums auch Sorge für die Gesamtkirche, insb. wenn sie zum Ökumenischen Konzil versammelt sind. In den katholischen Ostkirchen eigenen Rechts gehören die Bischöfe den bischöflichen Synoden der betreffenden Kirche an, während die aktiven Bischöfe der lateinischen Kirche in den Bischofskonferenzen und den Partikularkonzilien (Provinzial- oder Plenarkonzilien) über ihre Bistümer hinausgehende regionale oder nationale Verantwortung wahrnehmen. In diesen Organen wird der bischöfliche Amtsauftrag jeweils kollegial ausgeübt.

Die Kirche ist wesentlich auch Communio fidelium, also Gemeinschaft von Gläubigen. In dieser Beschreibung, die an die konziliare Rede von der Kirche als „Volk Gottes“ anknüpft, kommt der personale Charakter der Kirche deutlich zum Ausdruck. Die Kirche ist nicht lediglich eine göttliche Stiftung zum Heil der Menschen, sondern eine aus den gläubigen Menschen, welche ihre Sendung mittragen, gebildete Körperschaft. Dieser Gedanke findet auch Anwendung auf die Einrichtungen der kirchlichen Verfassungsstruktur. Die einzelne Diözese bzw. Eparchie ist zuerst ein „Teil des Gottesvolkes“ (can. 369 CIC; can. 177 § 1 CCEO) und nicht eine formale kirchliche Struktur. Gleiches gilt für die Pfarrei, die im Recht vorrangig als „bestimmte Gemeinschaft von Gläubigen“ (can. 515 § 1 CIC; can. 279 CCEO) umschrieben wird. Diese wesentlich personale Prägung der K. erhält konkreten Ausdruck auch in jenen bes.n Organen und Ämtern, in denen Gläubige auf den verschiedenen Ebenen der K. an der Erfüllung des Auftrags der Kirche mitarbeiten. Die Beschreibung der Kirche als Communio fidelium gibt ferner einen Hinweis auf die fundamentale Gleichheit aller Gläubigen, die sich rechtlich auch in einem Katalog der Pflichten und Rechte niedergeschlagen hat, die allen Katholiken gemeinsam sind (cann. 204–223 CIC; cann. 7–26 CCEO). Diese prinzipielle Gleichheit aller Gläubigen schließt Differenzierungen, die aus dem individuellen Stand und den jeweiligen Aufgaben folgen, nicht aus.

Die Kirche ist ferner wesentlich hierarchisch strukturiert und kann deshalb zutreffend auch als Communio hierarchica beschrieben werden. Der sakramentalen Eigenart der Kirche selbst als Zeichen und Werkzeug für die Vereinigung mit Gott und für die Einheit der Menschen (LG 1) entspr. die sakramentale Prägung und Durchdringung ihrer rechtlichen Struktur. Der Kirche als ganzer und ihren Teilgemeinschaften sind jeweils durch das Weihesakrament legitimierte und mit geistlicher Vollmacht ausgestattete Amtsträger individuell oder kollegial als Leitungsorgane zugeordnet. Dabei gelten das Petrusamt und das Bischofskollegium für die Gesamtkirche und das Amt des Bischofs für die einzelne Diözese (Eparchie) als kraft göttlichen Rechts bestehend. Die Organe der untergeordneten Ebenen müssen in ihrer Amtstätigkeit das Recht der übergeordneten beachten, sofern nicht Ausnahmen vorgesehen sind. Im Einzelnen vollzieht sich dies auf folgenden Ebenen der K.:

a) Der gesamten katholischen Kirche stehen der Papst und das Kollegium aller Bischöfe zusammen mit und unter dem Papst vor (cann. 330–341 CIC). Beide Subjekte üben im Hinblick auf die ganze Kirche die Dienste des Lehrens, Heiligens und Leitens aus. Zum Leitungsdienst zählen die Gesetzgebung, die Rechtsprechung (Kirchliche Gerichtsbarkeit) und die Verwaltung (Kirchliche Verwaltung).

b) Die katholischen Ostkirchen eigenen Rechts, die in voll ausgebauter Form als Patriarchats- oder Großerzbischöfliche Kirchen begegnen, werden von ihrem Ersthierarchen (Patriarch, Großerzbischof) geleitet. Die Vollmacht zur Gesetzgebung kommt für die Kirche eigenen Rechts jedoch der Synode der Bischöfe dieser Kirche zu (can. 110 § 1 CCEO).

c) In der lateinischen Kirche gibt es zwischen der Gesamtkirche und der einzelnen Diözese (Bistum) verschiedene hierarchische Zwischeninstanzen (cann. 431–459 CIC). Unter ihnen besitzt die Kirchenprovinz, ein Zusammenschluss benachbarter Bistümer, die älteste Tradition. An ihrer Spitze steht der Metropolit, d. h. der Diözesanbischof des Hauptsitzes der Kirchenprovinz. Gesetzgebendes Organ ist die Provinzialsynode, auf der alle Bischöfe der Provinz entscheidendes Stimmrecht besitzen. Ebenso verhält es sich bei einem Plenarkonzil, welches gewöhnlich die Bischöfe einer Nation vereint. Erst seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil ist die Bischofskonferenz eine hierarchische Zwischeninstanz in der Kirche. Mitglieder der Bischofskonferenz sind die im aktiven Dienst stehenden Bischöfe des Konferenzgebietes, das i. d. R. eine Nation umfasst; ihre Rechte und Pflichten werden im Statut festgelegt. Die Bischofskonferenz besitzt nur jene Gesetzgebungskompetenz, die ihr gesetzlich oder im Einzelfall vom Apostolischen Stuhl übertragen worden ist.

d) In der einzelnen Diözese (Eparchie) liegt die volle Leitungsgewalt beim Diözesanbischof. Er ist alleiniger Gesetzgeber.

e) In der Pfarrei kommt dem Pfarrer die Leitungsvollmacht zu. Sie hat in diesem Fall jedoch keinen hoheitlichen Charakter.

Die Amtsträger und bischöflich-kollegialen Institutionen auf den verschiedenen Ebenen der K. verfügen regelmäßig über Hilfsorgane, deren sie sich bedienen können und die sie unterstützen. Bei Papst und Bischofskollegium sind dies v. a. die Römische Kurie mit ihren verschiedenen Dikasterien, die Kardinäle und die Päpstlichen Gesandten, aber auch die Bischofssynode als Beratungsorgan. Die Patriarchen und Großerzbischöfe der katholischen Ostkirchen haben eine eigene Kurie, die lateinischen Bischofskonferenzen ein eigenes Generalsekretariat. Der Diözesanbischof besitzt zu seiner Unterstützung in der Verwaltung und der Rechtsprechung die Bischöfliche Kurie, deren hervorragende Beamte die General- und Bischofsvikare, der Gerichtsvikar (Offizial) und der Kanzler sind. Verschiedene Gremien, bes. der Priesterrat, unterstützen den Bischof. Dem Pfarrer stehen in seiner Aufgabe verschiedene Mitarbeiter und Gremien (Pfarrgemeinderat, Vermögensverwaltungsrat) zur Seite.

Für die Kirche als Communio hierarchica ist darüber hinaus kennzeichnend, dass die Beziehung zwischen Leitungsorgan und Gemeinschaft nicht einseitig, sondern dialogisch ist. V. a. durch Beratung und berechtigte Hinweise können die Gläubigen auf die Tätigkeit des Amtsträgers bzw. des Kollegialorgans einwirken. Nicht zuletzt hängt die (rechtliche) Wirksamkeit der Verkündigung und des Leitungshandelns der zuständigen Organe in erheblichem Maße auch von einer lebendigen Rezeption durch die Gemeinschaft der Gläubigen ab.

II. Evangelisch

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1. Anwendung des Verfassungsbegriffs auf das evangelische Kirchenrecht

Das evangelische Kirchenverständnis kann mit dem Begriff der „Verfassung“ der Kirche – im Anschluss an einen allg.en Verfassungsbegriff – zum einen den Rechtszustand der Kirche insgesamt ansprechen. Die Verfassung, in der sich die Kirche befindet, ist in diesem Sinn das Gefüge an Institutionen, Normen, Beziehungen und Handlungsmustern, das ihre Rechtsgestalt konstituiert. Die Anwendung des allg.en Verfassungsbegriffs auf die Kirche ist daher von der Frage begleitet, wie sich die Verfasstheit und Verfassung der Kirche zum Handeln Gottes in Wort und Sakrament verhält, das ihre geistliche Wirklichkeit konstituiert.

Sofern der Begriff der Verfassung zum anderen auf Merkmale des modernen Verfassungsstaates verweist, steht die evangelische K. für ein herausgehobenes Normengefüge, das die Rechtsbindung des kirchlichen Handelns für eine dadurch als korporative Rechtsperson verfasste Partikularkirche originär zur Geltung bringt, das kirchliche Rechtshandeln in Rechtssetzung und Rechtsanwendung autorisiert, es in Institutionen und Verfahren ordnet und ihm durch prinzipielle Entscheidungen Grenzen setzt. Hierzu beansprucht die Verfassung Vorrang gegenüber dem durch sie geordneten Rechtshandeln, insb. gegenüber der unterverfassungsrechtlichen Gesetzgebung durch „einfache“ Kirchengesetze. Sie ist selbst der Änderung durch Gesetz zugänglich; ihren Vorrang gegenüber der unterverfassungsrechtlichen Gesetzgebung sichert sie durch qualifizierte Anforderungen an Form und Verfahren der verfassungsändernden Gesetzgebung.

2. Die evangelische Kirchenverfassung im landesherrlichen Kirchenregiment

Die historische Entwicklung der evangelischen K. war lange mit den Verhältnissen zwischen Staat und Kirche (Kirche und Staat) und mit der Entwicklung der staatlichen Verfassung dicht verflochten. Die Reformation verlangte nach einer evangelischen Erneuerung der katholischen K., v. a. nach einer Entkopplung der weltlichen Rechtsgewalt vom geistlichen Amt. Da sich die durch die bischöfliche und päpstliche Jurisdiktionsgewalt bestimmte römisch-katholische K. einer solchen Erneuerung verschloss, übernahmen die der Reformation folgenden Fürsten als weltliche „Notbischöfe“ Verantwortung für die evangelische K., in den Städten die Räte. Die auf dieser Grundlage entstandenen reformatorischen Kirchenordnungen können als eine Urform der evangelischen K. gelten.

Als Verfassung des landesherrlichen Kirchenregiments nahm die evangelische K. an der Herausbildung des modernen Staates teil. Im 19. Jh. vollzog sie den Übergang zur konstitutionellen Monarchie mit, indem sie die Legitimation und Organisation des landesherrlichen Kirchenregiments allmählich in bes.n Strukturen, Behörden und Organen abbildete und um synodale Vertretungen der Kirchenangehörigen ergänzte.

3. Die evangelische Kirchenverfassung nach der Trennung von Staat und Kirche

Die in der WRV 1919 angeordnete Trennung von Staat und Kirche vollendete die Verselbständigung der evangelischen K. vom staatlichen Recht. Die evangelischen Landeskirchen machten von ihrem Selbstbestimmungsrecht in den Formen des öffentlichen Rechts nach Art. 137 Abs. 3 und 5 WRV Gebrauch, indem sie sich nunmehr eigenständige K.en gaben. Diese lehnten sich deutlich an die staatlichen Verfassungen der Zeit an. Nach 1933 durchlitten sie auch eine ähnliche Indienstnahme, Verformung und Durchbrechung für die auch in die evangelische Kirche eindringenden nationalsozialistischen Gleichschaltungsambitionen. Die Verfassung der DEK vom 11.7.1933 wurde von den so gesinnten DC als Instrument der Machtübernahme benutzt; zugl. war sie eine Rechtsgrundlage für den dagegen gerichteten Kirchenkampf der Bekennenden Kirche, deren Barmer Theologische Erklärung vom 31.5.1934 die in der Verfassung der DEK verbürgte Bindung an das Bekenntnis geltend machte. Die evangelischen K.en nach 1945 suchten nach diesen Erfahrungen eine deutliche Bekenntnisprägung in einer größeren Distanz vom staatlichen Verfassungsrecht. Das kommt u. a. in den verbreiteten Bezeichnungen als „Kirchenordnung“ oder „Grundordnung“ zum Ausdruck.

In der Freiheit, die das staatliche Verfassungsrecht im deutschen GG gewährleistet, haben die evangelischen Landeskirchen ihr K.s-Recht rege entfaltet. Die Landeskirchen unter der Herrschaft der DDR haben ihr Verfassungsleben so gepflegt, wie es die von vielfältigen staatlichen Eingriffen gesetzten Bedingungen jeweils zuließen, bis es nach dem Umbruch 1989 ebenfalls ganz an der freien Entwicklung der K. teilnehmen konnte.

Die Synoden als verfassungsändernde kirchliche Gesetzgeber zeigen gewöhnlich eine hohe Bereitschaft, die K. an gewandelte Bedingungen und Einsichten anzupassen, bis hin zu vergleichsweise häufigen Totalrevisionen. Die jüngsten Anlässe zur kirchlichen Verfassungsgebung sind die Vereinigung von Landeskirchen zur Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland (Verfassung vom 5.7.2008) und die zur Evangelisch-Lutherischen Kirche in Norddeutschland (Verfassung vom 7.1.2012).

4. Gegenstände des geltenden evangelischen Kirchenverfassungsrechts

Die heute geltenden evangelischen K.en benennen das ekklesiologische Selbstverständnis und die Bekenntnisgrundlagen ihrer Kirche, ihren Ort in der Einheit der Kirche Jesu Christi und in der ökumenischen Gemeinschaft der Christen. Sie verpflichten das kirchliche Handeln auf den Auftrag der Kirche zur Verkündigung des Evangeliums und differenzieren es in der Vielfalt kirchlicher Aufgaben. Sie regeln den Aufbau der landeskirchlichen Organisation in den Ebenen der Kirchengemeinden, der kirchlichen Mittelstufe und der Landeskirche, ihre Einbindung in die überlandeskirchlichen Beziehungen, die Organisation der Gemeinde- und Kirchenleitung, die Verbands- und Organzuständigkeiten, die Konstitution der Organe durch Wahl oder Berufung, die Inter- und Intraorganverhältnisse, die rechtlichen Formen kirchlichen Handelns in Gesetzgebung, Verwaltung (Kirchliche Verwaltung) und Rechtsprechung (Kirchliche Gerichtsbarkeit), die Verhältnisse der kirchlichen Einrichtungen und Werke (Diakonisches Werk u. a.), die Grundsätze der kirchlichen Finanzen und des Umgangs mit kirchlichem Vermögen. Sie schreiben die Prinzipien für die Ordnung des Amts der öffentlichen Wortverkündigung und Sakramentsverwaltung und des kirchlichen Dienstes fest. Zwei K.en nehmen darüber hinaus noch Elemente der Ordnung des kirchlichen Lebens und des Gottesdienstes auf.

Bestimmungen über das Mitgliedschaftsrecht definieren den kirchenrechtlichen Grundstatus der Kirchenmitglieder. Soweit einzelne K.en dem Vorbild der Grundrechte aus staatlichem Verfassungsrecht zu folgen versuchen und mit der Gewährleistung kirchlicher Grundrechte experimentieren, umschreiben sie jeweils Aspekte des objektiven kirchlichen Auftrags, etwa mit einem „Anspruch“ auf Wort und Sakrament. Solche Bestimmungen haben nicht die gleiche Funktion wie die Abwehr- und Leistungsrechte der staatlichen Grundrechtsordnung (status negativus, status positivus). Vielmehr ergibt sich der individuelle kirchliche Rechtsstatus des einzelnen Kirchenmitglieds aus dem in der Taufe gegründeten Allgemeinen Priestertum und ist wesentlich auf die aktive Teilnahme am kirchlichen Handeln gerichtet (status activus).

5. Prinzipien der evangelischen Kirchenverfassung

In den prinzipiellen Entscheidungen über das Verhältnis zwischen Landeskirche und Kirchengemeinden, Amt und Gemeinde, synodal-presbyterialen Gremien und geistlichen Leitungsämtern, Charisma und Bürokratie nehmen die evangelischen K.en unterschiedliche Traditionen auf. Eine grobe Typologie schreibt der lutherischen Tradition einen Vorrang der Landeskirche, ein akzentuiertes Gegenüber von Amt und Gemeinde, einen Selbstand der bischöflichen und konsistorialen Kirchenleitung gegenüber der Synode zu, der reformierten Tradition einen Vorrang der Gemeinde und eine Ableitung aller Kirchenleitung aus der Synode. Solche Zuschreibungen passen auf das geltende evangelische K.s-Recht nicht mehr. Sie spiegeln eher unterschiedliche historische und politische Entwicklungsbedingungen als konfessionelle Differenzen. Die jüngere Entwicklung des evangelischen K.s-Rechts ist konvergent und läßt gemeinevangelische Prinzipien der K. hervortreten.

Das Gemeindeprinzip behandelt Kirchengemeinden als eine ekklesiologische Größe und stattet sie mit einer selbständigen Gemeindeleitung aus. Es löst sie aber nicht kongregationalistisch aus der Gemeinschaft der Kirchengemeinden heraus, die gleichermaßen ekklesiologische Qualität hat und sich in der Landeskirche organisiert. Sein kirchenverfassungsrechtlicher Ausdruck ist das Selbstverwaltungsrecht der Kirchengemeinden in den durch das Recht der Landeskirche gesetzten und mittels der kirchliche Aufsicht verwirklichten Schranken nach den Grundsätzen der Subsidiarität und Solidarität.

Das synodale Prinzip weist eine maßgebliche Verantwortung für die Gemeinde- und Kirchenleitung presbyterialen und synodalen Organen zu. Diese setzen sich aus vorwiegend gewählten – neben delegierten, hinzuberufenen und kraft Amts angehörigen – Mitgliedern zusammen und repräsentieren die kirchliche Gemeinschaft in ihrem Zuständigkeitsbereich. In ihnen fließt ehrenamtliche und berufliche, ordinierte und nichtordinierte Verantwortung für den kirchlichen Auftrag in eine kollegiale Willensbildung ein. Unbeschadet der besonderen Aufgaben des ordinierten Amts zur geistlichen Leitung durch Wort und Sakrament tragen sie Mitverantwortung für Wortverkündigung und Sakramentsverwaltung, Gottesdienst und Lehre.

Zur Leitung der Landeskirche wirken in der Landessynode ein synodales Element, im geistlichen Leitungsamt ein episkopales Element und in der kollegialen Leitung der Kirchenverwaltung ein konsistoriales Element zusammen. Die evangelischen K.en gestalten diese Leitungsorgane und ihr Verhältnis zueinander unterschiedlich aus. Jüngere K.en betonen den Gleichrang in „arbeitsteiliger Gemeinschaft und gegenseitiger Verantwortung“ Das Zusammenwirken der Leitungsorgane ist regelmäßig zusätzlich in einem bes.n Leitungsorgan verkörpert, dessen Zusammensetzung das synodale, episkopale und konsistoriale Element zusammenführt. Die Nomenklatur der Organbezeichnungen ist vielfältig (z. B. Bischof, Landesbischof, Kirchenpräsident; Konsistorium, Landeskirchenamt, Oberkirchenrat; Landeskirchenrat, Kirchenregierung, Kirchenleitung).

6. Geltungsgrund und Funktion der evangelischen Kirchenverfassung

Ihren Geltungsgrund und ihre Funktion findet die evangelische K. nicht in einer hierarchischen Verfassung „göttlichen Rechts“, aber auch nicht in Ordnungsvorstellungen jenseits des Auftrags der Kirche, also nicht im staatlichen Recht und nicht in den Eigengesetzlichkeiten sozialen Handelns. Vielmehr konstituiert und verbürgt sie die Verantwortung kirchlichen Handelns vor dem Auftrag der Kirche in der Gemeinschaft der Getauften. Dazu gehört die Bindung des kirchlichen Handelns und damit des kirchlichen Rechts an Schrift und Bekenntnis. Deren Unverfügbarkeit ist auch ein gemeinevangelischer Verfassungssatz: „Das Bekenntnis ist nicht Gegenstand der Gesetzgebung“ (Art. 2 Abs. 2 S. 2 Grundordnung der EKD).

Aus den konfessionellen, historischen, geographischen, kulturellen und sonstigen empirischen Bedingungen für die Verständigung über kirchliches Handeln ergibt sich die Partikularität der evangelischen K. Im Unterschied zum demokratischen Verfassungsstaat leitet sie ihre Legitimität nicht aus einer verfassungsgebenden Gewalt des so bestimmten und als Partikularkirche (ecclesia particularis) sich selbst verfassenden Ausschnitts aus der Gemeinschaft der Getauften her, sondern aus deren Teilhabe an der weltweiten Gemeinschaft aller Getauften (ecclesia universalis) unter der Verheißung ihrer geistlichen Wirklichkeit als Gemeinschaft der Glaubenden (ecclesia spiritualis).