Kunstfreiheit: Unterschied zwischen den Versionen
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− | Allg. sichert die K. als individuelles Recht die Freiheit des künstlerischen Schaffens und des künstlerischen Wirkens (Werk- und Wirkbereich). Gerade vor dem Hintergrund der Erfahrung der NS-Kulturpolitik, die bestimmte Ausdrucksformen und bestimmte Inhalte als „entartet“ verwarf, Künstler verfolgte und ihre Werke vernichtete, war die Interpretation der K. in Rechtsprechung und Schrifttum von jeher auf die Gewährleistung größtmöglicher Freiheit des künstlerischen Schaffens und Wirkens und den Ausschluss jeglichen staatlichen Einflusses darauf ausgerichtet. Jedwedes staatliches Kunstrichtertum soll durch die Gewährleistung der K. ausgeschlossen sein. Allerdings verlangt eine Berufung auf das Grundrecht eine Abgrenzung von dem, was [[Kunst]] ist und daher unter den Schutz dieses Grundrechts fällt, von Nicht-Kunst. Wenn es ein spezifisches Grundrecht der K. gibt, dessen Schutzumfang eben zentral durch den Begriff „Kunst“ determiniert ist, wird von der Behörde, dem Gericht oder jeder anderen staatlichen Stelle, die das Grundrecht anwendet, eine Subsumtion unter den Rechtsbegriff „Kunst“ verlangt. Das wirft das Problem auf, dass in der Entscheidung über den Schutzumfang des Grundrechts zugl. eine staatliche Entscheidung über Kunst und Nicht-Kunst liegt, wodurch die Gefahr besteht, dass bestimmte Ausdrucksformen oder gar Inhalte als „Nicht-Kunst“ qualifiziert werden. Das [[Bundesverfassungsgericht (BVerfG)|BVerfG]] hat in seiner Rechtsprechung von Beginn an ein weites Kunstverständnis und einen offenen Kunstbegriff vertreten. In der Mephisto-Entscheidung aus dem Jahr 1971 (BVerfGE 30, 173), in dem es um das Verbot des gleichnamigen Romans von Klaus Mann ging, war die Einordnung des Romans als Kunstwerk nicht ernsthaft zweifelhaft. Das BVerfG entwickelte dennoch seinen auch im Folgenden vertretenen materialen Kunstbegriff, wonach der Lebensbereich „Kunst“ durch die vom Wesen der Kunst geprägten, ihr allein eigenen Strukturmerkmalen zu bestimmen sei. Von ihnen habe die Auslegung des Kunstbegriffs der Verfassung auszugehen. Das Wesentliche der künstlerischen Betätigung sei die freie schöpferische Gestaltung, in der Eindrücke, Erfahrungen, Erlebnisse des Künstlers durch das Medium einer bestimmten Formensprache zu unmittelbarer Anschauung gebracht würden. In Anwendung dieses Kunstbegriffs qualifizierte das BVerfG 1990 auch den Roman „Josefine Mutzenbacher. Die Lebensgeschichte einer Wiener Dirne, von ihr selbst erzählt“, der anonym erschien, aber dem Schriftsteller Felix Salten zugesprochen wird, als Kunst und stellte klar, dass Kunst und | + | Allg. sichert die K. als individuelles Recht die Freiheit des künstlerischen Schaffens und des künstlerischen Wirkens (Werk- und Wirkbereich). Gerade vor dem Hintergrund der Erfahrung der NS-Kulturpolitik, die bestimmte Ausdrucksformen und bestimmte Inhalte als „entartet“ verwarf, Künstler verfolgte und ihre Werke vernichtete, war die Interpretation der K. in Rechtsprechung und Schrifttum von jeher auf die Gewährleistung größtmöglicher Freiheit des künstlerischen Schaffens und Wirkens und den Ausschluss jeglichen staatlichen Einflusses darauf ausgerichtet. Jedwedes staatliches Kunstrichtertum soll durch die Gewährleistung der K. ausgeschlossen sein. Allerdings verlangt eine Berufung auf das Grundrecht eine Abgrenzung von dem, was [[Kunst]] ist und daher unter den Schutz dieses Grundrechts fällt, von Nicht-Kunst. Wenn es ein spezifisches Grundrecht der K. gibt, dessen Schutzumfang eben zentral durch den Begriff „Kunst“ determiniert ist, wird von der Behörde, dem Gericht oder jeder anderen staatlichen Stelle, die das Grundrecht anwendet, eine Subsumtion unter den Rechtsbegriff „Kunst“ verlangt. Das wirft das Problem auf, dass in der Entscheidung über den Schutzumfang des Grundrechts zugl. eine staatliche Entscheidung über Kunst und Nicht-Kunst liegt, wodurch die Gefahr besteht, dass bestimmte Ausdrucksformen oder gar Inhalte als „Nicht-Kunst“ qualifiziert werden. Das [[Bundesverfassungsgericht (BVerfG)|BVerfG]] hat in seiner Rechtsprechung von Beginn an ein weites Kunstverständnis und einen offenen Kunstbegriff vertreten. In der Mephisto-Entscheidung aus dem Jahr 1971 (BVerfGE 30, 173), in dem es um das Verbot des gleichnamigen Romans von Klaus Mann ging, war die Einordnung des Romans als Kunstwerk nicht ernsthaft zweifelhaft. Das BVerfG entwickelte dennoch seinen auch im Folgenden vertretenen materialen Kunstbegriff, wonach der Lebensbereich „Kunst“ durch die vom Wesen der Kunst geprägten, ihr allein eigenen Strukturmerkmalen zu bestimmen sei. Von ihnen habe die Auslegung des Kunstbegriffs der Verfassung auszugehen. Das Wesentliche der künstlerischen Betätigung sei die freie schöpferische Gestaltung, in der Eindrücke, Erfahrungen, Erlebnisse des Künstlers durch das Medium einer bestimmten Formensprache zu unmittelbarer Anschauung gebracht würden. In Anwendung dieses Kunstbegriffs qualifizierte das BVerfG 1990 auch den Roman „Josefine Mutzenbacher. Die Lebensgeschichte einer Wiener Dirne, von ihr selbst erzählt“, der anonym erschien, aber dem Schriftsteller Felix Salten zugesprochen wird, als Kunst und stellte klar, dass Kunst und [[Pornographie]] kein Gegensatzpaar seien (BVerfGE 83, 130). Entspr.es nahm das BVerfG im Jahr 2007 für den Roman „Esra“ von Maxim Biller an (BVerfGE 119, 1). Auch wenn die Kunsteigenschaft der Romane in den genannten Fällen nicht wirklich streitig war, hat das BVerfG durch seine Grundrechtsauslegung doch klargestellt, dass eine Bewertung des Inhalts, etwa als Pornographie oder als Ehrverletzung ([[Ehre]]), nicht zum Verlust der Eigenschaft als Kunstwerk führt. Wichtig für die effektive Gewährleistung der K. ist auch, dass der Kunstbegriff nicht auf traditionelle, übliche künstlerische Ausdrucksformen beschränkt wird, sondern dass auch neue Formen als Kunstwerke angesehen werden. |
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− | Die K. ist nach dem GG – anders als die Meinungsäußerungsfreiheit – ein Grundrecht ohne ausdrücklichen Gesetzesvorbehalt, das dennoch nicht völlig schrankenlos ist. Nach der im Wesentlichen auch im Schrifttum anerkannten Rechtsprechung des BVerfG ist das Grundrecht der K. durch kollidierendes Verfassungsrecht beschränkbar, wobei diese Einschränkung auf Grundlage eines Gesetzes erfolgen muss. Zwischen den kollidierenden Verfassungsgütern ist im Wege eines Abwägungsprozesses „praktische Konkordanz“ (Hesse 1995: 28) herzustellen, so dass beide Verfassungsgüter bestmöglich zur Geltung gebracht werden. Als die K. beschränkendes Verfassungsgut kommt insb. das allg.e | + | Die K. ist nach dem GG – anders als die Meinungsäußerungsfreiheit – ein Grundrecht ohne ausdrücklichen Gesetzesvorbehalt, das dennoch nicht völlig schrankenlos ist. Nach der im Wesentlichen auch im Schrifttum anerkannten Rechtsprechung des BVerfG ist das Grundrecht der K. durch kollidierendes Verfassungsrecht beschränkbar, wobei diese Einschränkung auf Grundlage eines Gesetzes erfolgen muss. Zwischen den kollidierenden Verfassungsgütern ist im Wege eines Abwägungsprozesses „praktische Konkordanz“ (Hesse 1995: 28) herzustellen, so dass beide Verfassungsgüter bestmöglich zur Geltung gebracht werden. Als die K. beschränkendes Verfassungsgut kommt insb. das allg.e [[Persönlichkeitsrechte|Persönlichkeitsrecht]] in Betracht, das etwa in den bereits genannten Fällen Mephisto und Esra von Bedeutung war. In umfangreichen und differenzierten Abwägungen der Einzelfälle erörtert das BVerfG, in welchem Maße in einem Kunstwerk auf reale, erkennbare Personen Bezug in einer Weise genommen werden kann, die deren Persönlichkeitsrecht beeinträchtigt. Auch der [[Jugendschutz]] kann Eingriffe in die K. rechtfertigen, ebenso wie Vorschriften zum Schutz von {{ #staatslexikon_articlemissing: Staatssymbolen | Staatssymbole }}, etwa der Bundesflagge (dazu BVerfGE 81, 278). |
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Version vom 15. August 2021, 11:45 Uhr
Bei der K. handelt es sich um ein Grundrecht (Freiheitsrecht), das spezifisch künstlerisches Schaffen und künstlerisches Wirken gegenüber Eingriffen des Staates schützt. Im Rahmen der sog.en Drittwirkung kann das Grundrecht auch Auswirkungen auf das rechtliche Verhältnis zwischen Privatpersonen haben. Die K. ist eine bes. Ausprägung des Grundrechts der Meinungsfreiheit. Handelt es sich um die Bildung und Äußerung einer Meinung in künstlerischer Form, bildet die K. das gegenüber der Meinungsfreiheit spezielle Grundrecht. Nicht alle Grundrechtskataloge enthalten eine gesonderte, explizite Gewährleistung der K. Während das GG eine solche Garantie seit seinem Entstehen aufweist (Art. 5 Abs. 3 GG), wurde im österreichischen StGG ein entspr.es Grundrecht erst 1982 eingefügt (Art. 17a StGG). Die EMRK enthält keine ausdrückliche Gewährleistung der K. Der EGMR hat in seiner Rechtsprechung jedoch die Freiheit der künstlerischen Äußerung als durch die in Art. 10 EMRK gewährleistete Meinungsfreiheit geschützt angesehen. Art. 13 EuGRC gewährleistet die K. wie auch die Wissenschaftsfreiheit, wobei die Erläuterungen zu diesem Artikel (ABl EU C 303/17) darauf verweisen, dass sich dieses Recht in erster Linie aus der Gedankenfreiheit und der Freiheit der Meinungsäußerung ableitet.
Allg. sichert die K. als individuelles Recht die Freiheit des künstlerischen Schaffens und des künstlerischen Wirkens (Werk- und Wirkbereich). Gerade vor dem Hintergrund der Erfahrung der NS-Kulturpolitik, die bestimmte Ausdrucksformen und bestimmte Inhalte als „entartet“ verwarf, Künstler verfolgte und ihre Werke vernichtete, war die Interpretation der K. in Rechtsprechung und Schrifttum von jeher auf die Gewährleistung größtmöglicher Freiheit des künstlerischen Schaffens und Wirkens und den Ausschluss jeglichen staatlichen Einflusses darauf ausgerichtet. Jedwedes staatliches Kunstrichtertum soll durch die Gewährleistung der K. ausgeschlossen sein. Allerdings verlangt eine Berufung auf das Grundrecht eine Abgrenzung von dem, was Kunst ist und daher unter den Schutz dieses Grundrechts fällt, von Nicht-Kunst. Wenn es ein spezifisches Grundrecht der K. gibt, dessen Schutzumfang eben zentral durch den Begriff „Kunst“ determiniert ist, wird von der Behörde, dem Gericht oder jeder anderen staatlichen Stelle, die das Grundrecht anwendet, eine Subsumtion unter den Rechtsbegriff „Kunst“ verlangt. Das wirft das Problem auf, dass in der Entscheidung über den Schutzumfang des Grundrechts zugl. eine staatliche Entscheidung über Kunst und Nicht-Kunst liegt, wodurch die Gefahr besteht, dass bestimmte Ausdrucksformen oder gar Inhalte als „Nicht-Kunst“ qualifiziert werden. Das BVerfG hat in seiner Rechtsprechung von Beginn an ein weites Kunstverständnis und einen offenen Kunstbegriff vertreten. In der Mephisto-Entscheidung aus dem Jahr 1971 (BVerfGE 30, 173), in dem es um das Verbot des gleichnamigen Romans von Klaus Mann ging, war die Einordnung des Romans als Kunstwerk nicht ernsthaft zweifelhaft. Das BVerfG entwickelte dennoch seinen auch im Folgenden vertretenen materialen Kunstbegriff, wonach der Lebensbereich „Kunst“ durch die vom Wesen der Kunst geprägten, ihr allein eigenen Strukturmerkmalen zu bestimmen sei. Von ihnen habe die Auslegung des Kunstbegriffs der Verfassung auszugehen. Das Wesentliche der künstlerischen Betätigung sei die freie schöpferische Gestaltung, in der Eindrücke, Erfahrungen, Erlebnisse des Künstlers durch das Medium einer bestimmten Formensprache zu unmittelbarer Anschauung gebracht würden. In Anwendung dieses Kunstbegriffs qualifizierte das BVerfG 1990 auch den Roman „Josefine Mutzenbacher. Die Lebensgeschichte einer Wiener Dirne, von ihr selbst erzählt“, der anonym erschien, aber dem Schriftsteller Felix Salten zugesprochen wird, als Kunst und stellte klar, dass Kunst und Pornographie kein Gegensatzpaar seien (BVerfGE 83, 130). Entspr.es nahm das BVerfG im Jahr 2007 für den Roman „Esra“ von Maxim Biller an (BVerfGE 119, 1). Auch wenn die Kunsteigenschaft der Romane in den genannten Fällen nicht wirklich streitig war, hat das BVerfG durch seine Grundrechtsauslegung doch klargestellt, dass eine Bewertung des Inhalts, etwa als Pornographie oder als Ehrverletzung (Ehre), nicht zum Verlust der Eigenschaft als Kunstwerk führt. Wichtig für die effektive Gewährleistung der K. ist auch, dass der Kunstbegriff nicht auf traditionelle, übliche künstlerische Ausdrucksformen beschränkt wird, sondern dass auch neue Formen als Kunstwerke angesehen werden.
Die K. ist nach dem GG – anders als die Meinungsäußerungsfreiheit – ein Grundrecht ohne ausdrücklichen Gesetzesvorbehalt, das dennoch nicht völlig schrankenlos ist. Nach der im Wesentlichen auch im Schrifttum anerkannten Rechtsprechung des BVerfG ist das Grundrecht der K. durch kollidierendes Verfassungsrecht beschränkbar, wobei diese Einschränkung auf Grundlage eines Gesetzes erfolgen muss. Zwischen den kollidierenden Verfassungsgütern ist im Wege eines Abwägungsprozesses „praktische Konkordanz“ (Hesse 1995: 28) herzustellen, so dass beide Verfassungsgüter bestmöglich zur Geltung gebracht werden. Als die K. beschränkendes Verfassungsgut kommt insb. das allg.e Persönlichkeitsrecht in Betracht, das etwa in den bereits genannten Fällen Mephisto und Esra von Bedeutung war. In umfangreichen und differenzierten Abwägungen der Einzelfälle erörtert das BVerfG, in welchem Maße in einem Kunstwerk auf reale, erkennbare Personen Bezug in einer Weise genommen werden kann, die deren Persönlichkeitsrecht beeinträchtigt. Auch der Jugendschutz kann Eingriffe in die K. rechtfertigen, ebenso wie Vorschriften zum Schutz von Staatssymbolen, etwa der Bundesflagge (dazu BVerfGE 81, 278).
Aus der K. kann kein Anspruch auf Förderung bestimmter künstlerischer Aktivitäten abgeleitet werden. Das Grundrecht gewährt kein Recht darauf, dass der Staat die Voraussetzungen schafft, damit künstlerische Tätigkeit ausgeübt oder Kunstwerke präsentiert werden und damit Wirkung entfalten können. Umgekehrt ist es dem Staat nicht verwehrt, künstlerisches Schaffen oder Wirken zu fördern – und er nimmt diese Aufgabe auch in vielfältiger Weise wahr. Im Rahmen dieser Tätigkeit hat der Staat wiederum die K. zu achten, er hat bei der Ausgestaltung des Förderverfahrens und der Entscheidung über Förderungen die Eigengesetzlichkeit der Kunst zu wahren. Zwar ist es dem Staat nicht verwehrt, zwischen förderungswürdigen und nicht-förderungswürdigen künstlerischen Projekten zu differenzieren und insofern auch eine Wertung von Kunst vorzunehmen. Allerdings muss diese Differenzierung sachlich und nachvollziehbar sein. Eine staatliche Kunstförderpolitik, die bestimmte Kunstformen oder -inhalte von vornherein von der Förderung ausschließen würde oder die umgekehrt nur bestimmte Inhalte fördern würde, wäre mit dem Grundrecht unvereinbar. Neutralität, Pluralität und Transparenz sind letztlich aus dem Grundrecht der K. folgenden Leitlinien für staatliche Kunstförderung.
Literatur
F. Hufen: Kunstfreiheit, in: D. Merten/H.-J. Papier (Hg.): Hdb. der Grundrechte, Bd. 4, 2011, § 101 • K. Korinek: Staat und Kunst, 2006 • K. Hesse: Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 201995.
Empfohlene Zitierweise
K. Pabel: Kunstfreiheit, Version 04.01.2021, 09:00 Uhr, in: Staatslexikon8 online, URL: https://www.staatslexikon-online.de/Lexikon/Kunstfreiheit (abgerufen: 01.11.2024)