Transparency International

T. I. wurde 1993 als globales zivilgesellschaftliches Bündnis zur Bekämpfung von Korruption gegründet. Es ist im Wesentlichen das Verdienst von T. I., dass Antikorruption zu einem echten common good und weltweit als zentrales Thema auf die politische Agenda gesetzt wurde. Damit hat T. I. einen wesentlichen Beitrag zur Entstehung einer globalen Zivilgesellschaft leisten können. Korrupte Praktiken hintertreiben das Projekt der Moderne, indem sie eine rationale politische Interessenvertretung vereiteln, die Demokratie hemmen und die Regeln einer freien Marktwirtschaft außer Kraft setzen. T. I. ist bestrebt, den Bürgern bewusst zu machen, dass sie selbst Opfer korrupter Machenschaften geworden sind und dass ihre Lethargie und ihre Toleranz gegenüber Korruption Bedingungen sind, die diese illegitimen Praktiken ermöglichen. Im kantischen Sinne des Ausgangs aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit betreibt T. I. Aufklärung, technisch umgesetzt in Kampagnen zur Sensibilisierung der Zivilgesellschaft, der Politik und Wirtschaft für das Problem (awareness campaigns) sowie für eine gemeinschaftliche Suche nach Problemlösungen (advocacy). T. I. verfolgt dabei die Strategie, die Kontrahenten an einen Tisch zu bringen und vermeidet es, eine Gruppe an den Pranger zu stellen. Am Ende steht nicht unbedingt die eine rationale Lösung (best practice) und ein tragfähiger Interessenausgleich – das wird weiterhin als das angestammte Feld der Politik angesehen und den Politikern überlassen –, sondern die Übereinstimmung im Hinblick auf bestimmte Wertvorstellungen (Umwelt und Überleben, Menschenrechte, Antikorruption) und deren Durchsetzung in der Gesellschaft.

Auffällig ist die einzigartige Netzwerkstruktur von T. I. als Verein deutschen Rechts mit einem Sekretariat in Berlin und über 100 sogenannten national chapters weltweit, die autonom und selbstfinanziert operieren. Das Sekretariat besitzt keine Weisungsbefugnis oder andere hierarchische Steuerungsfunktionen. Nicht einmal der Name ist bindend, und Organisation und Arbeitsweise der national chapter variieren von Land zu Land. Die Koordination der Beziehungen zwischen den Einheiten des heterarischen Netzwerks erfolgt durch komplizierte Verhandlungsprozesse. Die daraus resultierenden Reibungsverluste, die mit dem Wachsen der Organisation eher zunehmen, sind somit auch ein wesentlicher Antrieb für einen organisatorischen Wandel, der letztlich auf ein NSM abzielt. Unter Beibehaltung seines Netzwerkcharakters hat sich die zivilgesellschaftliche Moralinstitution gegenwärtig in eine professionelle politische Beratungsagentur gewandelt. In diesem Zusammenhang erwies sich die Implementierung von Advocacy and Legal Advice Centres, kurz ALACs, als wichtigstes Projekt. ALACs sind Bürgerbüros, die telefonische Beratung, insb. Rechtsberatung (legal advice) durch angestellte oder ehrenamtliche bzw. assoziierte Juristen anbieten, ggf. gestaffelt, sodass Erstgespräche (legal advice) i. d. R. durch Jurastudenten durchgeführt werden, Fallkampagnen (case advocacy) dagegen von Volljuristen. Beratung heißt hier Aufklärung über das Problem und Aufzeigen von Lösungsmöglichkeiten i. S. d. Hilfe zur Selbsthilfe bzw. Verweis an staatliche, anwaltliche oder andere zivilgesellschaftliche Stellen, die Hilfe gewähren. Letztlich geht es darum, Kampagnen zu ausgewählten Einzelfällen zu initiieren, die das öffentliche Interesse erwecken und den Druck auf politische und wirtschaftliche Akteure erhöhen, um so das eigentliche Ziel, einen gesellschaftlichen Strukturwandel (systemic advocacy), zu erreichen. Das ALAC-Projekt stellt tools wie das ALAC-Handbuch und ein computergestütztes Dokumentationssystem bereit, mit dem eine standardmäßige Datenerzeugung und deren Vergleichbarkeit ermöglicht wird. Dieser Datenkorpus liefert die Wissensbasis für das Kerngeschäft des T. I.-Sekretariats, die Politikberatung. Auf der Grundlage des in den ALACs generierten evidenzbasierten Wissens erstellt die T. I.-Forschungsabteilung in Kooperation mit akademischen Einrichtungen empirisch fundierte Korruptionsanalysen und insb. Indikatoren wie etwa den Corruption Perception Index, die als Ausweis wissenschaftlicher Expertise und zur Legitimation als professionelle Beratungsagentur dienen. Die Verwissenschaftlichung der Organisation forciert jedoch den Konflikt zwischen idealistischer Graswurzelbewegung und sachlich-realistischer Orientierung einer von professionellen Eliten geführten Beratungsagentur.

ALACs ist auch ein Projekt, um die Bürgerbeteiligung zu stärken und somit den internen Konflikt einzuhegen. ALACs sind aber nicht nur ein technisches Instrument zur Optimierung der Kommunikation. In einer wissensbasierten Netzwerkorganisation (epistemic community) wird Kommunikation zum zentralen Steuerungsmedium. Praktiziert wird ein Wissens- und Qualitätsmanagement auf der Grundlage von Zielvereinbarungen (management by objectives) und einer darauf gestützten (Selbst-) Evaluation der Aktivisten. In einer Organisation, die durch Kommunikation von Wissen demokratisch-mitbestimmend gesteuert wird, herrscht eine anonyme Macht: das Wissen. Die Wissensgesellschaft ist auch eine Auditgesellschaft, in der ein Managerialismus betriebswirtschaftlicher Provenienz dominiert. Dieser Managerialismus etabliert eine Evaluationskultur, die wiederum i. S. d. Gouvernementalität als mikropolitischer Herrschaftsform eine neue Phase im Prozess der Umwandlung von Fremd- in Selbstzwang darstellt. Damit schleicht sich auch in zivilgesellschaftliche Organisationen eine anonyme Macht ein, als deren Gegengewicht sie eigentlich ins Leben gerufen wurden.