Kirchenkampf

Der nach 1945 bis Ende des 20. Jh. v. a. im protestantischen, modifiziert aber auch im katholischen Raum als Epochenbezeichnung für die Kirchengeschichte im Dritten Reich dienende Begriff K. bezog sich zunächst

a) auf die innerprotestantischen Konflikte um die Leitungs- und Ordnungsstrukturen der evangelischen Kirche sowie auf deren Bekenntniskontroversen v. a. 1933/34, zudem

b) auf das Ringen der Kirchen um ihre Unabhängigkeit gegenüber allen staatlichen „Gleichschaltungsversuchen“ und schließlich

c) auf die kirchliche Abwehr von ideologischen Angriffen des Nationalsozialismus und des sogenannten Neuheidentums.

In den letzten beiden Bedeutungszusammenhängen hat der Begriff auch aus ausländischer Perspektive zur Beschreibung der kirchlichen Situation in Deutschland Anwendung gefunden. Durch das aggressiv-expansive Ausgreifen der deutschen Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg entwickelte sich der deutsche K. schließlich zu einem europäischen Phänomen.

1. Evangelisch

1.1 Innerprotestantischer Kirchenkampf

Die Auseinandersetzungen im Protestantismus entzündeten sich bald nach der sogenannten Machtergreifung durch die Nationalsozialisten an der Frage nach einer theologisch und kirchenpolitisch angemessenen Haltung gegenüber dem „totalen“ Machtanspruch des NS-Staats (Totalitarismus), der auch die „Gleichschaltung“ beider großer Kirchen vorsah. Die Deutschen Christen (DC) setzten von Anfang an alles daran, auch die evangelische Kirche i. S. d. NS-Ideologie umzugestalten. Trotz des für die zunächst zahlenmäßig überschaubaren oppositionellen evangelischen Kräfte deprimierenden Ausgangs der staatlicherseits anberaumten Kirchenwahlen der zuvor neu gegründeten DEK am 23.7.1933 mit der absoluten Mehrheit der DC resignierten sie nicht. Karl Barths Schrift „Theologische Existenz heute!“ (1933), zudem der Protest des von Martin Niemöller im September 1933 gegründeten Pfarrernotbundes gegen den (landeskirchlich teilweise gelungenen) Versuch der DC, den „Arierparagraphen“ auch für Pfarrer und Kirchenbeamte einzuführen, sowie das Bemühen des deutsch-christlichen Reichsbischofs Ludwig Müller, alle 28 Landeskirchen der DEK restriktiv zusammenzuführen, ließen den Widerstand gegen die DC und ihren Reichsbischof wachsen. Schon im Frühjahr hatte man die Auseinandersetzungen um die Einsetzung des Reichsbischofs auf DC-Seite explizit als „K.“ wahrgenommen, angesichts der erstarkten Opposition gegen die DC sprach auch M. Niemöller im Februar 1934 von K. als dem „Ringen um die bekenntnismäßige Haltung und das evangeliumsgemäße Handeln“ (Niemöller 1934: 140). Die sich aus der kirchlichen Opposition heraus in Barmen im Mai 1934 formierende erste Reichsbekenntnissynode und die dort verabschiedete Theologische Erklärung wurden zum konfessorischen Bezugspunkt der Bekennenden Kirche und zum ausdrucksstarken Zeichen eines öffentlich ausgetragenen K.es. Das antagonistische Verhältnis der beiden evangelischen Lager markiert aus heutiger Sicht die schwerste Herausforderung für eine gesamtprotestantische Identität seit der Reformation. Die sich z. T. selbst desavouierenden DC („Sportpalastskandal“) verschafften der Bekennenden Kirche eine Überlegenheit im K., sodass man seit der zweiten Reichsbekenntnissynode in Dahlem im Oktober 1934 die rechtliche Alleinvertretung für die evangelische Kirche beanspruchte. Das Kirchenregiment der DC wurde zunehmend wirkungslos, der Reichsbischof hatte sich im innerkirchlichen Kampf aufgerieben und wurde zuletzt von Adolf Hitler 1935 fallen gelassen.

1.2 Die kirchenpolitische Dimension

Das Jahr 1935 bedeutete eine Wende in der Kirchenpolitik des Staates, wodurch der K. zunehmend eine politische Komponente erhielt. Angesichts fehlgeschlagener Bemühungen um eine Gleichschaltung der beiden Großkirchen ging der NS-Staat zu einer kirchenpolitischen Ausschaltungs- und Marginalisierungsstrategie über, ohne dass ein koordiniertes Gesamtvorgehen erkennbar gewesen wäre. Der NS-Staat entlarvte sich in aller Öffentlichkeit als Gegenspieler der Großkirchen, der K. setzte sich nach evangelischer Wahrnehmung nunmehr unter kirchenpolitischen Vorzeichen fort. Seit 1935 ging die Regierung zumindest in Teilen mit der Devise „Entkonfessionalisierung des öffentlichen Lebens“ (Rede von Reichsinnenminister Wilhelm Frick am 7.6.1935 in Münster, zit. n. Kösters 2011: 78) gegen die Kirchen vor. Spätestens zu diesem Zeitpunkt schlug die frühe evangelische Begeisterung über den nationalen Aufbruch in zunehmende Skepsis und Enttäuschung um. In evangelischer Wahrnehmung begann sich damit eine neue Frontlinie des K.es abzuzeichnen.

A. Hitler selbst unternahm 1935 mit der Einsetzung eines Ministers für Kirchliche Angelegenheiten, Hanns Kerrl, einen letzten Versuch, die disparate Lage innerhalb des Protestantismus zu überwinden. Das von ihm erlassene Gesetz zur Sicherung der DEK sah die Bildung von parteiübergreifenden Reichskirchenausschüssen vor (Bekennende Kirche, DC und Neutrale), die die „innerkirchlichen“ Angelegenheiten besorgen sollten. Die Bekennende Kirche verhielt sich uneins: deren entschlossenerer, bruderrätlicher Flügel um M. Niemöller lehnte die Initiative ab, während die „bischöfliche“, mehrheitlich lutherische Gruppe zur Kooperation bereit war. Die Seite der Ausschussgegner trug explizit den K.-Begriff in diesen Disput, der nunmehr im Kern die Auseinandersetzung um die Ausschüsse und damit um ein Kirchenpolitikum bezeichnete. Damit geriet die staatliche Kirchenpolitik innerhalb der Bekennenden Kirche zum Streitgegenstand, die Bekennende Kirche kapitulierte schließlich und zerbrach daran in zwei – eingedenk der Gruppe der „Neutralen“: drei – getrennte Lager.

1.3 Die Front des „Neuheidentums“

Die politische Aufladung des K.es ist am deutlichsten dort ablesbar, wo der Nationalsozialismus den Protestantismus ideologisch herausforderte. Mit der kirchenpolitischen Wende von 1935 ging der Staat dazu über, die quasireligiöse Weltanschauung mit ihrem Glauben an die eigene Rasse, der Vergötterung des Staates und dem Führerkult, gesellschaftlich noch offensiver und nachhaltiger zu installieren. Die Positionierung des NS-Staats gegen die Kirchen setzte kompensatorisch die Hypostase der NS-Ideologie zur Quasi-Religion frei. Das antikirchliche Blut-und-Boden-Buch „Der Mythus des 20. Jahrhunderts“ Alfred Rosenbergs von 1930 avancierte zum offiziösen Weltanschauungswerk und diente als Schulungsgrundlage für Parteimitglieder. Allmählich erkannte der Protestantismus, dass die DC und die Deutsche Glaubensbewegung nur ein schwaches Vorgeplänkel inszeniert hatten gemessen an dem, was seit 1935 als das „zielbewusst vorwärtsdrängende Heer der politischen Religion“ (Jacob 1946: 39) sichtbar wurde. Das Rassedogma wurde verherrlicht und der Nationalsozialismus zu einem politischen Deutschtum mit religiösem Zuschnitt verklärt. Diese dritte Frontlinie des K.es mit ihren erkennbaren politischen Implikationen ging man evangelischerseits vergleichsweise entschieden an. Während sich der Kampf mit den DC zusehends in den lokalkirchlichen Sektor verlagert hatte, war der ideologisch-religionspolitische Kurs des Staates als starke Bedrohung wahrgenommen worden und ließ manche zuvor geübte Zurückhaltung hinfällig erscheinen.

1.4 Kirchenkampf im europäischen Ausland

Die kriegerische Expansion seit 1939 betraf in unterschiedlicher Intensität auch die Kirchen in den besetzten oder angegriffenen Ländern. Insb. in Ländern mit protestantischen Kirchen fand der deutsche K. eine Fortsetzung im europäischen Kontext. In Frankreich und den Niederlanden waren es v. a. die von K. Barths Theologie beeinflussten reformierten Kirchen, die die Auseinandersetzung mit der deutschen Besatzungsmacht aufnahmen.

In den lutherischen nordischen Kirchen gestaltete sich der K. gegen die Besatzer mit unterschiedlicher Intensität. Der lutherische Bischof von Oslo, Eivind Berggrav, interpretierte Martin Luthers Staatsethik entschiedener als deutsche Lutheraner zugunsten eines Einschreitens gegen einen machtbesessenen Tyrannen („trunkener Kutscher“ [Berggrav 1999: 168]). In England war der K. mittels exilierter oder temporär wirksamer deutscher Theologen (darunter auch Dietrich Bonhoeffer) sowie über die Erzbischöfe William Temple und George Bell, die über ihre ökumenischen Beziehungen mit der Bekennenden Kirche in Deutschland verbunden waren, präsent.

Der im Aufbau begriffene ÖRK mit Sitz in Genf besaß vielfältige Kontakte zur deutschen Bekennenden Kirche und kommunizierte die Entwicklung im deutschen K. in die europäischen Kirchen bis in die USA, andersherum erhielt die Bekennende Kirche im K. wichtige externe Informationen aus Genf.

1.5 Kirchenkampf und Widerstand

Der K.-Begriff hat in der Zeit des Nationalsozialismus in unterschiedlichen Gebrauchszusammenhängen abweichende Bedeutungen entwickelt und ist nur in diesen speziellen funktionellen Kontexten zu verstehen. Diese pluriforme Semantik erschwert eine qualitative Bestimmung des Begriffs bei der Frage nach dem Widerstandspotential bzw. der Interpretation des K.es als christlichen Widerstand. Unbestritten wird man dem K. in Reihen der evangelischen Kirche das Motiv der institutionellen Selbstbehauptung attestieren können. Die Themen, die Adressaten, das Feld der Akteure und deren theologische Dispositionen waren allerdings nicht kohärent, der K. war kein „geschlossener Ereigniskomplex“ (Fitschen 2011: 114). Insofern lässt sich einerseits postulieren, dass der K. maßgeblich dazu beitrug, dass die Kirche mit ihren volkskirchlichen Strukturen eingedenk etlicher Schwächen insgesamt sich vom Nationalsozialismus nicht in Gänze hat vereinnahmen lassen. Legt man freilich höhere Maßstäbe an, bleibt nur der entschiedene Flügel der Bekennenden Kirche, dessen Prägung des K.es von Barmen über Dahlem, getragen von den theologischen Einlassungen K. Barths, den „Weg in den Widerstand“ (van Norden 2007: 186 f.) geebnet habe. Die Relativität dieser Einschätzungen erschließt sich angesichts der Vernichtungsstrategie des NS-Staates, mit der die ungebremste Umsetzung der Shoa möglich wurde. Gemessen daran, wird man für den K. – in welcher Form auch immer – keine nachhaltige Widerstandsqualität beanspruchen können.

1.6 Forschungsgeschichte

Nach dem Kriegsende bemühte man sich auf evangelischer Seite zügig, aber zunächst ineffizient, um die historiografische Bewältigung des zurückliegenden K.es. Da die Geschichtsschreiber der Nachkriegszeit auch Akteure des K.es gewesen waren, setzten sich die alten Grabenkämpfe innerhalb der Bekennenden Kirche jetzt im Gewande der Kirchengeschichtsschreibung fort. Erst die kirchlich initiierte wissenschaftliche Kommissionsarbeit seit Mitte der 1950er-Jahre markierte eine forschungsgeschichtliche Zäsur. Evangelischerseits wurde 1955 die „Kommission für die Geschichte des Kirchenkampfes“ gegründet, deren Ergebnisse das K.-Paradigma nachhaltig prägten. Die in den 1970er-Jahren vollzogene Öffnung der Kirchengeschichte zur Gesellschaftsgeschichte und zu den empirischen Methoden der Sozialwissenschaften bedeuteten eine grundlegende Umorientierung, fortan ging die evangelische K.-Forschung in der Kirchlichen Zeitgeschichtsschreibung auf (1972 Umbenennung in „Evangelische Arbeitsgemeinschaft für Kirchliche Zeitgeschichte“). Die Agenda der Kirchengeschichtsschreibung wandelte sich: Die NS-Religionspolitik, kircheninstitutionelle Fragen wie die theologischen Fakultäten und kirchliche Alltagsfragen in der NS-Zeit rückten ins Blickfeld. Daraus gingen grundlegende Gesamtdarstellungen hervor. Die Forschungen seit den 1980er-Jahren etwa zum Verbands- und Institutionsprotestantismus der NS-Zeit hatten das Paradigma der K.-Forschung hinter sich gelassen. In der Forschung zur evangelischen Kirchengeschichte der DDR kommt dem Begriff K. jenseits des Hinweises auf dessen temporäre Bedeutung in den 1950er-Jahren historiografisch keine prioritäre Bedeutung zu.

2. Katholisch

2.1 Die Konfrontation von katholischer Kirche und Nationalsozialismus als „Kirchenkampf“

Innerkirchliche Bekenntniskontroversen, die der Konfrontation von DC und Bekennender Kirche vergleichbar wären, gab es im katholischen Bereich nicht, abgesehen von der Auseinandersetzung mit einigen wenigen Theologen, die sich der Illusion hingaben, „Brücken“ zwischen Nationalsozialismus und katholischer Kirche bauen zu können. Dies lag nicht nur an der übernationalen, hierarchischen Organisation der katholischen Kirche mit ihrem, auch lehramtlich verbindlichen Zentrum in Rom, sondern ebenso an der Geschlossenheit der deutschen Bischöfe, die bereits im August 1932 die grundsätzliche Unvereinbarkeit von NS-Weltanschauung und kirchlichem Welt- und Menschenbild verbindlich erklärt hatten und sich allen Versuchen des NS-Regimes, diese Geschlossenheit aufzubrechen, konsequent widersetzten.

Im Ringen um ihre Unabhängigkeit konnte die katholische Kirche, anders als der deutsche Protestantismus, den Umstand nutzen, dass sie als übernationale Organisation auch völkerrechtliches Subjekt war. Mit dem Konkordat zwischen dem Deutschen Reich und dem Heiligen Stuhl (Reichskonkordat) vom Juli 1933 gelang der katholischen Kirche eine vertragsrechtliche Absicherung gegen die Gleichschaltungsbestrebungen des Regimes, die die NS-Machthaber trotz anhaltender Missachtung in einzelnen Punkten als Ganzes bis zum Ende des Dritten Reiches doch nicht aufzukündigen wagten. Welchen Wert dieser viel kritisierte völkerrechtliche Vertrag als Garant für die institutionelle Unabhängigkeit der katholischen Kirche hatte, zeigt sich an den sehr viel brutaleren Formen des K.es, dem die NS-Herrscher die katholische Kirche in den annektierten Gebieten, v. a. in Österreich, aber auch in der Tschechei unterzogen. Die von Nazideutschland abhängigen Satellitendiktaturen in Ungarn, der Slowakei und Kroatien, in denen Katholiken teils zu den Systemträgern zählten, andererseits aber kirchenkampfähnliche Konflikte mit der katholischen Kirche nicht ausblieben, bilden Sonderfälle. In Polen war die Kirche unter deutscher und sowjetischer Besatzungsherrschaft ungehinderter Gewalt und Unterdrückung ausgesetzt.

Das Reichskonkordat bedeutete keineswegs eine Anerkennung des NS-Regimes durch die katholische Kirche, wenngleich das Ende des politischen Katholizismus (Katholizismus) – v. a. der Zentrumspartei (Zentrum) – billigend in Kauf genommen wurde.

Der K. entfaltete sich dann zwischen 1933 und 1937 einerseits als Unabhängigkeitskampf in Auseinandersetzung um die Existenz der im Konkordat zugesicherten katholisch-kirchlichen Subgesellschaft in Form ihres Vereins- und Verbandsnetzwerks. Andererseits ging es, wie auf protestantischer, so auch auf katholischer Seite um die Eindämmung der neuheidnischen Ideologien. Dies geschah v. a. in der frühen Zurückweisung und schließlichen Indexierung (Februar 1934) von A. Rosenbergs „Der Mythus des 20. Jahrhunderts“.

Indessen versuchte der NS-Apparat, die Kirche durch spektakulär inszenierte Devisen- und Sittlichkeitsprozesse gegen Orden und Ordensangehörige zu diskreditieren. Die Konfrontation erreichte ihren Höhepunkt in der päpstlichen Enzyklika „Mit brennender Sorge“ vom März 1937, in der Pius XI. den Nationalsozialismus gleichermaßen als totalitäres politisches System wie als biologistisch-rassistische Weltanschauung verurteilte und zugleich die Bedrohung der Kirche in Deutschland durch den Nationalsozialismus seit 1933 Revue passieren ließ. Das Ergebnis der Enzyklika war eine zugespitzte Konfrontationslage zwischen katholischer Kirche und Nationalsozialismus, jedoch ohne den völligen Bruch (etwa durch den Abbruch der diplomatischen Beziehungen).

Während die Kirche in Deutschland während des Zweiten Weltkriegs auf teils ambivalente Weise zu lavieren versuchte, unternahm der Nationalsozialismus mit Heinrich Himmlers sogenanntem Klostersturm 1940/41 noch einen Anlauf i. S. d. oftmals angekündigten „Vernichtungskampfes“ gegen die Kirche, stellte diesen dann aber für die Zeit nach dem „Endsieg“ zurück. Mit dem „Dekaloghirtenbrief“ vom August 1943 gelang den deutschen katholischen Bischöfen in der letzten Phase des NS-Regimes noch ein gemeinsames Wort gegen dessen verbrecherischen Charakter.

Die katholische Kirche überlebte die zwölf Jahre des NS-Regimes in relativer Unabhängigkeit. Inwieweit ihre Haltung im K. als „Widerstand“ zu kennzeichnen ist, oder inwieweit die Kirche ihrerseits „schuldig“ wurde, ist Gegenstand einer anhaltenden, seit 1945 in unterschiedlichen wissenschaftlichen und publizistischen Zusammenhängen immer wieder aufflammenden Debatte.

2.2 Der Begriff „Kirchenkampf“ im katholischen Umfeld (zeitgenössisch)

Die Rede vom „Kampf“ des Nationalsozialismus gegen die katholische Kirche tritt sowohl in kirchlichen als auch in NS-Dokumenten schon bald nach der „Machtergreifung“ auf. In der Wahrnehmung der meisten deutschen Bischöfe wurde dieser Kampf jedoch, ihrer z. T. weit ins Kaiserreich zurückreichenden Sozialisation entsprechend, i. d. R. als „Kulturkampf“ gedeutet. Der katholische Publizist Waldemar Gurian sprach in einer der frühen Veröffentlichungen zur Situation 1936 (verfasst im Herbst 1935) vom „Kampf um die Kirche im Dritten Reich“ (Gurian 1936) und bezog sich dabei auf beide Konfessionen. Als Ziel des vom Nationalsozialismus geführten Kampfes sah W. Gurian zu diesem Zeitpunkt die Etablierung einer „dritten“, nicht-christlichen, sondern nationaldeutschen, diesseitsgläubigen, neuheidnischen Religion an, die er als Schritt zur „Vollendung des Dritten Reiches“ (Gurian 1936: 35) beschrieb und die den Rahmen eines „Kulturkampfes“ sprenge. Indessen verwendete wohl der Berliner Bischof Konrad Graf von Preysing unter Mitwirkung seines Beraters Walter Adolph in einer Denkschrift vom Oktober 1937 als erster hoher katholischer Würdenträger den Begriff „Kirchenkampf“, um die „totalitäre Weltanschauungsdiktatur in ihren Auswirkungen“ (Kösters 2011: 91) auch auf die katholische Kirche zu kennzeichnen. Vorherrschend blieb aber katholischerseits doch die Semantik des „Kampfs“ bzw. „Kulturkampfes“, auch des „Abwehrkampfs“ und, v. a. während der Kriegsjahre, des „Vernichtungskampfs“.

2.3 Übertragung auf die Situation in der DDR

Eine breitere Verwendung des K.-Begriffes setzt auf katholischer Seite erst nach 1945 ein. Die evangelischerseits intensiv geführte Debatte färbt hier sicher ab; freilich scheint es auch eine eigenständige Rezeptionslinie zu geben, die wiederum mit dem Presseverantwortlichen und späteren Generalvikar des geteilten Bistums Berlin, W. Adolph, zusammenhängt: W. Adolph zog aus den Erfahrungen mit dem Dritten Reich Konsequenzen für die Positionierung der katholischen Kirche gegenüber der sozialistischen Diktatur in der DDR und sah die Kirche im zweiten deutschen Staat sowie im Ostblock insgesamt, in Parallele zu den Entwicklungen zwischen 1933 und 1945, in einem neuen K., diesmal in Konfrontation mit der atheistisch-materialistischen Ideologie des Kommunismus. In dieser Bedeutung findet der K.-Begriff in Verlautbarungen der Berliner Bischöfe Wilhelm Weskamm und Julius Döpfner, der Berliner Bistumspresse und W. Adolphs selbst verschiedentlich Verwendung. Mitunter kommentierten diese Äußerungen kritisch eine Aussage Walter Ulbrichts vom Mai 1953, derzufolge der SED-Staat „keinen Kirchenkampf“ (Ulbricht 1992: 185) führe.

2.4 Forschungsgeschichte

In Arbeiten der katholisch kirchlichen Zeitgeschichtsschreibung blieb der Begriff K. aber im Wesentlichen auf die NS-Zeit bezogen. Eine gewisse Konjunktur lässt sich für die Zeit zwischen Mitte der 1960er – den Jahren der „Eskalation der Diskussion über das Verhältnis von Kirche und Nationalsozialismus“ (Conzemius 1988: 41) – und Ende der 1980er-Jahre feststellen. Durch die 1962 gegründete katholische „Kommission für Zeitgeschichte“ wurde er dezidiert auch für den katholischen Bereich als Leitbegriff reklamiert (Rudolf Morsey, Konrad Repgen, Klaus Gotto, Hans Günter Hockerts, Ludwig Volk). In jüngerer Vergangenheit wurden erneuerte begriffliche Überlegungen über die adäquate Kennzeichnung des Vorgehens des NS-Regimes gegen katholische Kirche und Katholizismus angemahnt.

3. Fazit

In Bezug auf die Geschichte beider kirchlich-konfessioneller Großgruppen während des Dritten Reichs resultierte der Begriff K. als Epochenbezeichnung aus einer historiografischen Engführung der mit ihm verbundenen Forschungsarbeit zur NS-Zeit. Er suggeriert ein Forschungsfeld im Sinne einer Geschichte des kirchlichen Widerstands. Die weniger präjudizierende und umfassendere Begrifflichkeit „Nationalsozialismus und Kirche[n]“ (Mehlhausen 1994) ist konfessionell multiperspektivisch und öffnet ein komplexeres Forschungsfeld; sie subsumiert unter inhaltlichen Gesichtspunkten den Bereich der NS-Kirchenpolitik ebenso wie die unterschiedlichen Dispositionen und Haltungen der Kirchen und deren konkrete Realisierung in den kirchlichen Handlungsfeldern während der NS-Herrschaft.