Grundgesetz (GG)

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1. Entstehung

GG ist die offizielle Bezeichnung für die am 23.5.1949 in Kraft getretene Verfassung der BRD. Der Name „GG“ wurde vermutlich auf Anregung des Hamburger Ersten Bürgermeisters Max Brauer gewählt, greift aber auf ältere Begriffsbestände (lex fundamentalis, loi fondamentale) zurück. Er sollte den provisorischen Charakter der Norm zum Ausdruck bringen, insb. sollte die Offenheit der Deutschen Frage unterstrichen und der Akt der Verfassunggebung gegenüber demjenigen einer westdeutschen Staatsgründung deutlich abgegrenzt werden. Das GG entstand auf Drängen der westlichen Alliierten, die ihre drei Besatzungszonen mit einer handlungsfähigen politischen Organisationsstruktur versehen wollten, um im beginnenden Kalten Krieg kein strategisches Vakuum in Mitteleuropa zuzulassen.

Am 1.7.1948 übergaben die westlichen Militärgouverneure den Regierungschefs der Länder in den westlichen Besatzungszonen die sog.en Frankfurter Dokumente, mit denen diese für Anfang September zur Einberufung einer verfassunggebenden Versammlung aufgefordert und ihnen zugl. bestimmte Vorgaben zu Inhalt und Inkraftsetzung dieser Verfassung gemacht wurden. In den anschließenden „Koblenzer Beschlüssen“ setzten die Ministerpräsidenten diese Vorgaben mit – auch für die späteren Verhandlungen charakteristischen – Relativierungen um: Aus der verfassunggebenden Versammlung wurde ein „Parlamentarischer Rat“, aus der Verfassung ein „GG“. Stets ging es der deutschen Seite darum, durch den Prozess nicht die Chancen auf eine Vereinigung aller Besatzungszonen zu vereiteln. Die damals wie heute verwendete Formulierung, es sei darum gegangen, ein „Provisorium“ zu schaffen, brachte und bringt zugl. eine spezifisch deutsche Vorstellung davon zum Ausdruck, welche Dauerhaftigkeit Verfassungen beanspruchen sollen, die – wie nicht nur der französische Fall zeigt – durchaus nicht auf alle Verfassungstraditionen zutrifft.

Wesentliche Vorbereitungen für das GG begannen im sog.en Herrenchiemseer Konvent, zu dem der bayerische Ministerpräsident mit seinen Kollegen in der Westzone im August 1948 Politiker, Beamte und Wissenschaftler eingeladen hatte. Der dort entstandene Entwurf hat die anschließenden Beratungen des Parlamentarischen Rates in der Sache und stilistisch stark geprägt und durch die Formulierung von Regelungsalternativen auch dort strukturiert, wo sich seine Inhalte nicht durchsetzen konnten.

Am 1.9.1948 trafen sich schließlich die von den westlichen Landtagen entsandten 65 Mitglieder des Parlamentarischen Rates zu dessen erster feierlichen Sitzung in Bonn. Das Gremium bestand aus zwei gleich großen Fraktionen von CDU und SPD sowie aus weiteren vornehmlich liberalen und kommunistischen Mitgliedern. Das Gremium war von älteren Juristen mit praktischer Berufserfahrung dominiert, doch waren nur relativ wenige von ihnen durch den Nationalsozialismus ernsthaft belastet. Nur vier der Mitglieder waren Frauen. Organisatorisch, mitunter auch politisch blieb das Gremium stark von den Regierungschefs der Länder abhängig, die über die notwendigen administrativen Ressourcen verfügten, um die Arbeit des Rates zu unterstützen. Das Gremium wählte Konrad Adenauer zu seinem Präsidenten, der die Chance auf Besetzung des einzigen das gesamte zukünftige West-Deutschland repräsentierende Amt nutzte, indem er sich als Außenpolitiker gegenüber den Alliierten profilierte, ohne die Verfassungsberatungen inhaltlich allzu sehr zu prägen.

Die Debatten im Parlamentarischen Rat stießen in der Öffentlichkeit auf relativ wenig Interesse. Die diskutierten Fragen erschienen der Bevölkerung zu abstrakt und abgehoben von „richtigen“ Problemen. Zudem waren die Beratungen von vergleichsweise großem internen Konsens geprägt, der auch darin zum Ausdruck kam, dass viel um Details der Formulierungen in den Ausschüssen gerungen, dagegen deutlich weniger im Plenum diskutiert wurde. Innerhalb des Parlamentarischen Rates waren v. a. der Aufbau der zweiten gesetzgebenden Kammer (Bundesrat mit Vertretern der Landesregierungen oder direkt von den Landesvölkern gewählter Senat), der Status der Kirchen, namentlich ihre Präsenz in den öffentlichen Schulen, und Art und Maß der bundesstaatlichen Ausgestaltung, insb. der Finanzverwaltung, zwischen den politischen Lagern umstritten. Quer zu diesen politischen Konflikten zwischen einem sozialdemokratischen laizistischen Zentralismus einerseits und einem christdemokratischen Föderalismus andererseits lag eine weitere Front: Die Durchsetzung der vollständigen Gleichberechtigung der Frau im heutigen Art. 3 Abs. 2 war namentlich das Werk des Mitglieds Elisabeth Selbert (SPD), die sich mit Hilfe einer öffentlichen Protestbewegung gegen eine große Koalition von Männern durchsetzen konnte und damit nicht zuletzt den ersten Schritt zur Revolutionierung des Familienrechts in der BRD nahm.

Hintergründig kamen in den Beratungen auch unterschiedliche Vorstellungen vom Wesen der Verfassunggebung zum Ausdruck: Einem Verständnis derselben als Akt demokratischer Neugründung einer politischen Ordnung, für das etwa Carlo Schmid eintrat, stand eine naturrechtliche Deutung (Naturrecht) des Prozesses als Ausführung eines moralisch determinierten Normbestands gegenüber, der als Rückkehr zu einem christlichen Wertvorstellungen besser entspr.en Zustand verstanden werden konnte und die namentlich von Adolf Süsterhenn vertreten wurde. Kompromissformeln wie die Anrufung von sowohl säkular als auch christlich zu deutenden Menschenrechten und insb. dem Schutz der Menschenwürde in Art. 1 Abs. 1 halfen dabei, diesen Grunddissens sowohl zu überbrücken als auch zu überdecken.

Bedrohlicher für den Erfolg der Verfassunggebung als die internen Konflikte im Parlamentarischen Rat waren die Meinungsunterschiede zwischen den Deutschen und den Alliierten. Letztere wünschten sich v. a. eine deutlich stärker ausgeprägte föderale Struktur. Um den Jahreswechsel 1948/49 erschien ihre Zustimmung zum Entwurf des Parlamentarischen Rates in weiter Ferne. Letztlich kam sie gegen den Wunsch der Vertreter der Besatzungsmächte vor Ort auf Druck der westlichen Außenministerien zustande, die für den heranziehenden Kalten Krieg möglichst schnell die Handlungsfähigkeit einer westdeutschen Regierung herstellen wollten. Nach ihrer Zustimmung wurde das GG durch die westlichen Landtage ratifiziert. Einzig der bayerische Landtag, im Wissen darum, dass es auf seine Stimmen nicht ankommen würde, stimmte dem GG nicht zu. Mit der ersten Wahl zum Deutschen Bundestag am 14.8.1949 und schließlich mit der Aufnahme der Arbeit des BVerfG im September 1951 war die institutionelle Gründung der BRD auf Grundlage der Regeln des GG abgeschlossen.

Trotz des zügigen Beginns einer legitimierten Verfassungspraxis auf Bundesebene wurde die Legitimität des GG wegen des Einflusses der Alliierten und der fehlenden Zustimmung des Bundesvolkes auch später nicht selten in Zweifel gestellt („Geburtsmakel“). Freilich ist unklar, welcher normative Maßstab für eine „normal“ legitimierte Verfassunggebung gelten sollte, wenn diese die Legitimationsbedingungen, auf denen sie beruht, in jedem Fall erst schaffen muss. Das GG war namentlich bei den deutschen Staatsrechtlern in den Anfangsjahren keine beliebte Verfassung, was mit deren Zweifeln am parlamentarischen Regierungssystem, an gesellschaftlichem Pluralismus sowie mit einer ausgeprägten Skepsis gegenüber der selbstbewussten Verfassungsgerichtsbarkeit zu tun hatte. Hinzu kam die fehlende staatliche Einigung, die dem GG aus dieser Sicht etwas von seiner institutionellen Würde zu nehmen schien. Als sich mit dem Kommen der Wiedervereinigung 1989/90 (Deutsche Einheit) die Frage nach einer Verfassungsneuschöpfung in genau dem Zusammenhang stellte, der von den Verfassern des GG vorhergesehen und in Art. 146 geregelt wurde, schreckte die Disziplin freilich mehrheitlich vor einer solchen Entscheidung zurück und beugte ihre staatstheoretische Überzeugungen sowohl politischer Opportunität als auch der Macht der Gewohnheit.

Die Entstehung des GG ist niemals in die politische Imagination der bundesrepublikanischen Gesellschaft eingegangen: Die zeitgenössische Öffentlichkeit hatte andere Sorgen, danach war es zu spät. Obwohl das GG als spektakulär erfolgreiche Kodifikation gilt, auch im Ausland einflussreich wurde und dessen Erfolg mit dem Begriff des „Verfassungspatriotismus“ (Sternberger 1990) eine eigene theoretische Anerkennung erfuhr, wurde es nie zu einer volkstümlichen Verfassung. Bis heute sind auch die prägenden Figuren im Parlamentarischen Rat weitgehend unbekannt geblieben oder wie K. Adenauer, Theodor Heuss und C. Schmid in anderen Funktionen bekannt geworden. Dagegen gingen Namen wie Hermann von Mangoldt, Walter Strauß oder E. Selbert nicht in das allg.e historische Gedächtnis der BRD ein. Die symbolische Kargheit der Verfassunggebung unterstützte diese Entwicklung.

In der wissenschaftlichen Literatur gilt das GG als Schöpfung der verfassunggebenden Gewalt des deutschen Volkes. Normativ kommt dieses Verständnis auch in den Formulierungen der Präambel und der Schlussbestimmung des Art. 146 zum Ausdruck. Diese Annahme verkennt freilich die zentrale Rolle der Länder, die in allen Phasen seiner Entstehung unvermeidlich die maßgeblichen institutionellen Akteure zumindest auf deutscher Seite stellten. Selbst wenn man die Frage nach dem verfassunggebenden Subjekt als eine solche der normativen Zurechnung, nicht als eine solche der realen Autorschaft versteht, erscheint es verfehlt, die Rolle der Länder zu leugnen. Sie bleiben als gründende Institutionen ein wesentlicher Teil der verfassunggebenden Gewalt, die das GG schuf.

Die Entstehung des GG steht einerseits im Zeichen vieler Zäsuren: des Untergangs der Weimarer Republik, des nationalsozialistischen Zivilisationsbruchs und des verlorenen Angriffskrieges; andererseits setzt es Kontinuitäten fort, namentlich die deutsche rechtsstaatliche Tradition, die im 19. Jh. begann und die durch großes Vertrauen in rechtliche Formen, deren wissenschaftliche Durchdringung und gerichtliche Kontrolle gekennzeichnet ist. Trotz aller Distanzierungsbemühungen seiner Verfasser schließt das GG in vielen Elementen auch an die – in der BRD lange Zeit unterschätzten – Weimarer Traditionen eines parlamentarischen politischen Konstitutionalismus an.

2. Systematik und Stil

Das GG war urspr. ohne großes Bewusstsein für die ästhetische Dimension der Verfassunggebung in elf Abschnitte gegliedert gewesen, denen im Laufe der Zeit noch drei weitere hinzugefügt wurden, von denen zwei die Notstandsverfassung (Staatsnotstand) und die dritte die Gemeinschaftsaufgaben von Bund und Ländern regeln. Der Text lässt sich systematisch auf verschiedenen Ebenen gliedern: Auf der ersten kann zwischen einem grundrechtlichen (Art. 1–19) und einem staatsorganisationsrechtlichen (Art. 20–146) Teil unterschieden werden.

Der grundrechtliche Teil setzt mit der Anrufung der Menschenwürde zu Beginn einen bes.n inhaltlichen Akzent, um daran anschließend eine Fülle verschiedener Freiheits- und Gleichheitsrechte aufzuzählen. Dass das GG anders als die WRV mit den Grundrechten beginnt, ist eine programmatische Entscheidung zugunsten eines normativen Individualismus (oder Personalismus) angesichts der vorangegangenen Schreckensepoche. Der grundgesetzliche Text legt großen Wert auf ein genau differenziertes Schutzkonzept, in dem unterschiedliche Handlungen in verschiedener Weise und unterschiedlich intensiv geschützt werden sollen. Die geschützten Handlungen kommen teilweise aus der atlantischen Verfassungstradition (Meinungsfreiheit, Religionsfreiheit, Eigentumsgarantie) und teilweise aus den spezifischeren Gewährleistungen der Paulskirchenverfassung und der WRV (Wissenschafts-, Kunst-, Berufsfreiheit) Diese Differenzierungen im GG zeugen vom hohen begrifflichen Niveau der Verfassunggebung, zugl. sind sie heute durch die Rechtsprechung des BVerfG weitgehend verschliffen. Die Bedeutung der Frage, welches Grundrecht für einen bestimmten Fall einschlägig ist, ist gegenüber allg. geltenden Rechtfertigungsanforderungen, insb. der alles dominierenden Prüfung der Verhältnismäßigkeit, in den Hintergrund getreten. Dies hängt auch damit zusammen, dass nach heutigem Verständnis alle denkbaren Handlungen, soweit sie nicht unter ein bestimmtes Grundrecht fallen, doch von der allgemeinen Handlungsfreiheit geschützt werden.

Im weitgehenden Verzicht auf Grundpflichten (Ausnahme war für eine Zeit die allg.e Wehrpflicht) steht das GG in einer liberalen Verfassungstradition, die es dem einfachen Gesetzgeber überlässt, die Bürgerschaft rechtsverbindlich in die Pflicht zu nehmen. Das GG ermächtigt den Gesetzgeber zu solchen Verpflichtungen, ordnet sie aber nicht selbst an.

Der den Grundrechten folgende längere staatsorganisationsrechtliche Teil folgt nach einem ersten Abschnitt (II.) mit bedeutsamen prinzipiellen, aber wenig sortierten Regeln einem doppelten, sich systematisch überschneidenden Gliederungsprinzip: Ein erstes, dem die Abschnitte III.-VI. folgen, konstituiert die Verfassungsorgane des GG: Bundestag (Art. 38–49), Bundesrat (Art. 50–53), Bundespräsident (Art. 54–61) und Bundesregierung (Art. 62–69). Diese Abschnitte enthalten Regeln für die Wahl der Organe, Vorschriften zu deren interner Rechtsetzungsautonomie sowie Vorgaben für das Verhältnis der Organe untereinander. Viele der Regelungen lassen der Staatspraxis einigen Raum und sind nur selten Gegenstand verfassungsgerichtlicher Spruchpraxis geworden. So wird man das Verhältnis zwischen der Ressortkompetenz eines Bundesministers, der Richtlinienkompetenz des Bundeskanzlers und der Kompetenz der Bundesregierung als Verfassungsorgan nicht abschließend dem GG entnehmen können. Gleiches gilt für die früh in der BRD zugunsten der Bundesregierung beschränkten Zuständigkeiten des Bundespräsidenten gerade im Bereich der auswärtigen Beziehungen.

Den Abschnitten über die Verfassungsorgane folgen diejenigen zu den drei Gewalten (gesetzgebende, vollziehende und rechtsprechende) sowie zu den Finanzbeziehungen (VII.-X.). In diesen Abschnitten wird insb. die Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern ausgestaltet. Hervorzuheben sind die Regelungen zum äußeren Gesetzgebungsverfahren (Gesetzgebung), also dem Verfahren im Verhältnis zwischen den Organen. Dazu gehören auch die Regeln zur Änderung des GG selbst und deren inhaltlichen Grenzen (Art. 79). Hervorzuheben ist im Abschnitt zur rechtsprechenden Gewalt die Anordnung der richterlichen Unabhängigkeit (Art. 97 Abs. 1) und spezieller Justizgrundrechte wie dem Schutz vor willkürlicher Verhaftung (Art. 104), vor Misshandlung (Art. 104 Abs. 1 S. 2) und vor rückwirkender Bestrafung (Art. 103 Abs. 2). An die Darstellung der drei Gewalten und der Finanzverfassung schließt der neu eingefügte Abschnitt zur Notstandsverfassung an (Xa., Art. 115a-115l). Der Text endet mit vielfach seit längerem obsolet gewordenen Übergangsregelungen, der systemwidrig ans Ende gesetzten Inkorporation der Staatskirchenartikel der WRV (Art. 140) und der Abschlussregelung zugunsten einer Verfassungsneuschöpfung (Art. 146).

Diese Systematik des GG macht es nicht immer einfach und niemals zwingend, eine bestimmte Norm an einer bestimmten Stelle zu platzieren. So finden sich etwa Fragen der auswärtigen Beziehungen einerseits an einem dafür reservierten Platz des II. Abschnitts (Art. 23 ff.), dann aber auch an vielen anderen Stellen, etwa im Abschnitt für den Bundespräsidenten (Art. 59) oder bei der vollziehenden Gewalt (Art. 88 S. 2).

Mit dieser Gliederung lassen sich zugl. einige inhaltliche Vorgaben machen, die freilich teilweise durch den praktischen Umgang mit dem GG modifiziert worden sind. Der Aufbau des GG legt die Verfassungsentwicklung hin zu einer überragenden Bedeutung der Grundrechte nahe, auch wenn sie nicht einfach dadurch determiniert wurde. Das GG ist als eine Gründung der Länder auch mit verschiedenen Vermutungsregelungen zugunsten der Länderkompetenz ausgestattet (Art. 30, 70, 83). Dort, wo das GG schweigt, sind die Länder zuständig, auch wenn es anders als in seiner Originalversion nicht mehr an allzu vielen Stellen zu Kompetenzfragen schweigt.

Das GG kodifiziert in Art. 20, zum Auftakt des II. Abschnitts, Grundsätze, die durch Art. 79 Abs. 3 gemeinsam mit der Menschenwürde für unabänderlich erklärt werden: Demokratie, Rechtsstaat, Sozialstaat, Bundesstaat und Republik. D. i. nicht allein wegen der angeordneten Unabänderbarkeit bemerkenswert, sondern auch, weil Verfassungstexte sich außerhalb von Präambeln und Deklarationen klassischerweise auf Verfahrens- und Organisationsnormen beschränkten. Die im GG angelegte Neigung zu prinzipiellen normativen Formulierungen, die noch dazu in Verbindung mit einer starken verfassungsgerichtlichen Kontrolle festgeschrieben wurden, hat zu einem spezifisch am Grundsätzlichen orientierten verfassungsrechtlichen Argumentationsstil geführt, der anders als noch unter der WRV oder im heutigen österreichischen Verfassungsrecht auf eine Herleitung anhand konkreter einschlägiger Normtexte weniger Wert legt. Mit Ausnahme des Republikprinzips, das als Verbot einer monarchischen Regierungsform gedeutet wird, wurden allen Prinzipien durch das BVerfG Rechtsfolgen entnommen. Diese reichen beispielhaft vom Recht auf ein Existenzminimum aus der Verbindung von Menschenwürde und Sozialstaatlichkeit über Grenzen rückwirkender Besteuerung aus dem Rechtsstaatsprinzip bis zu Grenzen der Übertragung von Kompetenzen auf die EU aus dem Demokratieprinzip.

Stilistisch unterschied sich das originale GG des Jahres 1949 von der WRV und dessen Vorgängerverfassungen. Seine Sprache ist im Original sachlich, lakonisch und beschränkt sich auf Regelungen, die einen definierten juristischen Gehalt haben. Ornamentales und Programmatisches fehlen dem GG, das eben als eine Übergangsverfassung gedacht und formuliert ist, damit auch ein Sinn für große Symbolik, der 1948/49 nicht zur Verfügung stand und auch anlässlich der Änderungen des GG zur Wiedervereinigung nicht versucht wurde. In den zahlreichen Änderungen, die das GG erfuhr, wurde dieser Stil nicht beibehalten. Während sich die anlässlich der Wiedervereinigung vorgenommenen Anpassungen erfolgreich um Annäherung an den alten Duktus bemühen, wirken viele Änderungen überreguliert, technokratisch und in der Sprache einer Verordnung gehalten. Dies ist Ausdruck fehlenden Vertrauens zwischen den beteiligten politischen Akteuren, das die Notwendigkeit begründet, auch Marginales festzuschreiben.

Umrahmt werden die Normen des GG von einer einleitenden Präambel und einer den provisorischen Charakter des Textes hervorhebenden Schlussbestimmung. Beide standen in ihrer Originalfassung im Zeichen der sich anbahnenden deutschen Teilung. Das BVerfG nahm die Formulierung der Präambel zur Grundlage der Herleitung eines Wiedervereinigungsgebots. Auch in seiner nach der Wiedervereinigung geänderten Fassung sieht das GG weiterhin ausdrücklich die Möglichkeit seiner eigenen Ablösung durch eine neue vom deutschen Volk zu bestimmende Verfassung vor. Ähnlich der Regelung des Widerstandsrechts (Art. 20 Abs. 4) scheint das GG hier die Grenzen des Regelbaren zu überschreiten. Denn eine revolutionäre Verfassungsablösung lässt sich nicht durch die bestehende Ordnung einhegen. Die legale Änderung des GG muss sich dagegen im Rahmen der bestehenden Verfahren und Änderungsgrenzen halten, denen insoweit nichts hinzuzufügen ist.

3. Grundentscheidungen

Fünf Grundentscheidungen prägen das GG: Zum Ersten ein ausgefeilter Grundrechtsteil, der durch die allg.e Rechtsschutzgarantie in Art. 19 Abs. 4 die staatliche Gewalt umfassend unter den Vorbehalt eines auf das Individuum zugeschnittenen Legalitätsverständnisses stellt, das durch die Gerichtsbarkeit zu schützen ist – und dies, obwohl die Kontrollansprüche des BVerfG dem Parlamentarischen Rat nicht in der Weise vor Augen stehen konnten, wie sie sich schließlich verwirklichten. Diese Entscheidung ist dafür mitverantwortlich, dass sich staatliches Handeln in der BRD einem sehr dichten Netz gerichtlicher Kontrollen gegenübersieht und damit im Vergleich zu vielen anderen westlichen Verfassungstraditionen einen gewissen, freilich nicht neuen Überhang des rechtsstaatlichen über das demokratische Element zum Ausdruck bringt. Dies wird allerdings dadurch aufgefangen, dass einer der wichtigsten Wirkungen der weit verstandenen grundrechtlichen Schutzgarantien darin liegt, dass der Vorbehalt des Gesetzes ausgelöst und dadurch ein demokratisches Verfahren erzwungen wird. Die Grundrechte des GG begrenzen also nicht nur, sondern sie befördern auch einen politischen Prozess, der zur Gesetzgebung führt.

Eine zweite Grundentscheidung erfolgte zugunsten der Einrichtung einer parlamentarischen Demokratie, in der die vom Volk ausgehende Staatsgewalt stets durch den Filter eines Repräsentationsorgans (Repräsentation) läuft, der durch Gesetzgebung und parlamentarische Verantwortlichkeit der Regierung alle Staatsgewalt, auch die unabhängigen Gerichte, betrifft. Direktdemokratische Mechanismen erschienen den Schöpfern des GG aus (von der Historiographie mittlerweile bestrittener) Erfahrung mit der Weimarer Republik ungeeignet. Das GG bietet einen ganzen Komplex von Normen, die am Ideal einer stabilen Mehrheitsbildung im Parlament und einer daran anschließenden mit dem Parlament kooperierenden starken Bundesregierung orientiert sind. Eine Teilung der Gewalten zwischen Parlament und Regierung ist dem GG unbekannt, die entscheidende Linie verläuft zwischen parlamentarischer Mehrheit und Regierung einerseits und parlamentarischer Opposition andererseits. Aus diesem Normkomplex ist die Figur des konstruktiven Misstrauensvotums in Art. 67 hervorzuheben, durch die das Parlament sich nicht einfach seiner Verantwortung zur Mehrheitsbildung durch eine Misstrauenserklärung entziehen kann, ohne einem neuen Regierungschef das Vertrauen zu erklären. Zu diesem Komplex gehört auch, dass politischen Parteien in Art. 21 ausdrücklich eine positive Rolle zugesprochen und damit implizit auch die Bedeutung disziplinierter Fraktionen innerhalb des Parlaments vom GG anerkannt wird. Die Probleme der Weimarer Republik mit der Bildung parlamentarischer Mehrheiten waren für diese Entscheidung von Bedeutung. Die vergleichsweise lange Dauer der Regierungszyklen in der BRD illustriert, dass diese Rechnung der Schöpfer des GG aufgegangen ist. Eine gewisse institutionelle Ortlosigkeit des Amts des Bundespräsidenten, der durch die Bundesversammlung, also ein Repräsentationsorgan gewählt, aber keinem Parlament direkt gegenüber verantwortlich ist, ergibt sich ebenfalls aus dieser Grundentscheidung.

Die dritte, freilich nicht vom Parlamentarischen Rat allein getroffene Entscheidung betrifft die bundesstaatliche Struktur. Nach dem starken Zentralisierungsschub in der WRV, der im Nationalsozialismus dramatisch verstärkt wurde, schuf das GG eine Re-Föderalisierung, die in gewisser Weise bereits durch seine eigene dezentrale Entstehung vorweggenommen wurde. Dabei griffen die Verfasser des GG in mehrfacher Hinsicht auf die bundesstaatlichen Traditionen des Kaiserreichs zurück. So wählt das GG ein Modell des „Exekutiv-Föderalismus“, in dem im Regelfall die Gesetzgebung des Bundes von den Ländern vollzogen wird und damit beide Ebenen miteinander verschränkt werden. Dieser Vollzug steht im Regelfall in der rechtlichen und politischen Verantwortung der Länder und kann vom Bund nicht hierarchisch kontrolliert werden. Eine solche Kontrolle erfolgt vielmehr wesentlich dezentral über die Anrufung der Gerichte durch Dritte. In der Logik dieser Ausgestaltung des Bundesstaates liegt auch die Wahl des aus dem Kaiserreich überkommenen Bundesratsmodells, also einer Vertretung von Regierungen der Länder, keiner parlamentarischen Versammlung, als eine Art zweite Kammer, die an der Gesetz- und Verordnungsgebung beteiligt wird. Wenn die Länderexekutiven Bundesrecht vollziehen, sollen sie auch an dessen Setzung beteiligt werden. Hieraus wie aus der gesamten Verschränkungskonstruktion folgen aber Schwierigkeiten, die demokratische Verantwortlichkeit für staatliches Handeln klar zurechenbar zu machen. Zu der Entscheidung für den Bundesstaat gehört der im Verfassungsvergleich keineswegs selbstverständliche Schutz der kommunalen Selbstverwaltung (Art. 28 Abs. 2), der eine weitere staatliche Ebene, die aber formal Teil der Landesverwaltung ist, verfassungsrechtlich schützt.

Eine vierte Grundentscheidung betrifft die internationale Einbindung der deutschen Verfassungsordnung. Wie so viele seiner Vorgängerordnungen (Westfälische Friedensverträge, Deutsche Bundesakte, Reichsverfassung, WRV) ist auch das GG Ergebnis einer krisenhaften internationalen Entwicklung. Sein Inhalt ist von außen geprägt. Zugl. gibt das GG der Einbettung der BRD in die internationale Ordnung einen hohen normativen Wert. Diese ist eine verfassungsrechtliche Pflicht, die sich auf alle Arten internationaler Organisationen bezieht, heute aber namentlich auf die universale UNO, auf die NATO als System kollektiver Verteidigung und auf die zwischenzeitlich mit einer speziellen Norm bedachten EU (Art. 23). Mit dem Verbot des Angriffskriegs und einer bes.n Regelung für Verfahren beim Export von Rüstungsgütern (Art. 26) hat das GG nicht nur organisatorische, sondern auch materielle Regelungen auf diesem Feld getroffen.

Eine fünfte Grundentscheidung schließlich bezieht sich auf die sog.e wehrhafte Demokratie. Anders als oft behauptet, kannte auch die Ordnung der Weimarer Republik Maßnahmen des Republikschutzes, doch bewegten sich diese nicht auf der Ebene des Verfassungsrechts. Die Verfasser des GG integrierten gleich eine Fülle von Normen, die den doch nur provisorisch gedachten Bestand der Ordnung sichern sollten. Dazu gehört die Möglichkeit, Individuen und politischen Parteien ihren Schutzstatus durch das BVerfG aberkennen oder schmälern zu lassen (Art. 18 sowie Art. 21 Abs. 2), die freilich nach dem Verbot von SRP und KPD in der frühen BRD in ihrer Anwendung erfolglos blieben. Dazu gehört auch die Bestimmung von Grenzen parlamentarischer Delegation (Art. 80) – der Erfahrung des Ermächtigungsgesetzes geschuldet – sowie schließlich die Stipulierung von Grenzen der Abänderbarkeit des GG in der später so genannten „Ewigkeitsklausel“ (Art. 79 Abs. 3). Ob die Verfasser des GG meinten, auf diese Weise ein Abgleiten in den Autoritarismus zu verhindern, ist zweifelhaft. Vornehmlich dürfte es ihnen darum gegangen sein, einen solchen Übergang klar zu kennzeichnen und ihm damit den Anspruch auf Legalität zu nehmen, den die Nationalsozialisten für die Machtergreifung erhoben hatten.

4. Formelle Änderungen und rechtliche Wandlungen

Das GG kann mit einer qualifizierten Mehrheit von zwei Dritteln in Bundesrat und Bundestag geändert werden (Art. 79 Abs. 2). Von dieser Möglichkeit wurde in den knapp 70 Jahren seiner Geltung vergleichsweise oft Gebrauch gemacht (62 Mal, Stand Juli 2017). Hierin zeigt sich ein mehr von praktischen politischen Notwendigkeiten als von symbolischer Verehrung geprägtes Verhältnis des GG seitens des politischen Prozesses. Die allermeisten Änderungen betreffen die föderale Ordnung, darunter dienten wiederum die meisten der Stärkung der Bundeskompetenzen auf Kosten der Länder. Die systematische Bewegungsrichtung der Änderungen der bundesstaatlichen Ordnung und der Finanzverfassung ist ansonsten uneindeutig. In manchen Momenten scheint sich der Verfassunggeber um die Entflechtung der Strukturen und um die Stärkung demokratischer Verantwortlichkeit auf den verschiedenen Ebenen zu bemühen, häufiger aber verflicht er Tätigkeiten und Finanzierungsströme zwischen Bund und Ländern intensiv. Andere Schwerpunkte betreffen die Einführung neuer Staatsziele (Umweltschutz und Tierschutz in Art. 20a; Staatszielbestimmungen), die sich vornehmlich als Akte symbolischer Rechtsetzung ohne großen praktischen Effekt erwiesen, die Einschränkung grundrechtlicher Schutzbereiche (Asyl, Fernmelderecht, Unverletzlichkeit der Wohnung), die Einbettung der BRD in die EU (Art. 23) und die Privatisierung öffentlicher Infrastruktur (Art. 87e-87f).

Zu den umstrittensten Änderungen des GG gehört die Einführung einer Notstandsverfassung im Jahre 1968, die mit einem eigenen Abschnitt versehen wurde (Xa.). Die Debatte um diese Frage in den späten 1960er Jahren verlief konfrontativ, das Projekt selbst war schon deutlich länger in der juristischen Diskussion. Das Ergebnis des verfassungsändernden Prozesses wirkt aus heutiger Sicht vorsichtig und legitimationsbewusst. Die unbegrenzte Ermächtigung der Exekutive für einen (vermeintlichen) Notfall ist dem GG auch in diesem Spezialregime fremd. Als Kompensation für die Einführung der Notstandsverfassung wurde dem GG ein eigenes Widerstandsrecht (Art. 20 Abs. 4) eingefügt, das der Bürgerschaft das Recht zur Verteidigung der eigenen Ordnung gegenüber einem verfassungsfeindlichen Putsch geben sollte. Die juristische Konstruktion der Norm bleibt freilich ungewiss.

Formelle Änderungen des GG müssen ausdrücklich dessen Text ändern (Art. 79 Abs. 1). Damit soll sichergestellt werden, dass der Text des GG alle wichtigen verfassungsrechtlichen Entscheidungen enthält und nicht wie in der WRV durch politische ad-hoc-Entscheidungen durchbrochen werden kann, die sich in der Urkunde nicht wiederfinden lassen. Trotz dieser Vorkehrung haben sich unweigerlich viele für das GG relevante Veränderungen neben dem Text abgespielt. Vier wesentliche sind zu nennen:

Als erste Wandlung ist die Konstitutionalisierung von Recht und politischem System in der BRD zu nennen. Obwohl sich der Parlamentarische Rat ausdrücklich für eine spezialisierte und starke Verfassungsgerichtsbarkeit ausgesprochen hatte, war der Einfluss, den das BVerfG auf die gesamte deutsche Rechtsordnung nehmen würde, in diesem Maße nicht abzusehen. Er dürfte auch im internationalen Vergleich als sehr weitgehend zu beurteilen sein. Dies zeigt sich auch an den Konflikten zwischen dem Gericht und den politischen Organen namentlich in der Frühphase. Auf der institutionellen Ebene wurde das vom GG ausdrücklich nicht als Verfassungsorgan eingerichtete Gericht damit zu einem wesentlichen Akteur des politischen Systems der BRD, das sich mit Duldung der anderen Organe den Status des Verfassungsorgans bald selbst zusprach. Auf der rechtlichen Ebene entwickelten sich damit die Grundrechte zu Normen, die in allen Bereichen der Rechtsordnung, nicht nur in jenen, die unmittelbar die Rechtsbeziehungen zwischen Staat und Gesellschaft (Staat und Gesellschaft) regeln, von Bedeutung sind. In der politischen Auseinandersetzung wurde schließlich die Behauptung der Verfassungswidrigkeit zu einem ubiquitär verwendeten Vorwurf, der dazu führte, dass so gut wie jedes politisch umstrittene Projekt auch zu einem verfassungsrechtlichen Problem wurde, das eine verfassungsgerichtliche Entscheidung verlangte. Das Ausgreifen der Grundrechte des GG ist damit nicht allein durch das BVerfG zu erklären. In manchen Fällen war es wie im Fall des vom Gericht entwickelten Rechts auf informationelle Selbstbestimmung Ergebnis einer politischen Bewegung gegen die Volkszählung des Jahres 1983, die die Rechtsprechung aufnahm und formalisierte. In anderen Fällen wie beim Schutz des Rechts von Toten oder bei der Rechtsprechung zum Schwangerschaftsabbruch hat das Gericht den Grundrechtsschutz ohne oder gegen den Trend politischer Bewegungen erweitert.

Die Konstitutionalisierung von Recht und Politik ist nicht auch allein im Bereich der klassischen Grundrechte zu beobachten. Ein anderes Beispiel stellt das Wahlrecht dar, für dessen Ausgestaltung das GG in Art. 38 Abs. 1 vier Prinzipien aufstellt (Allgemeinheit, Freiheit, Gleichheit, Geheimheit), die dazu dienen sollten, faire und ergebnisoffene Wahlen zu ermöglichen, ohne deswegen das komplexe, noch dazu bundesstaatlich strukturierte Wahlsystem vorzugeben. Heute konstituieren sie ein dichtes Netz verfassungsrechtlicher Regeln, das es fast unmöglich macht, ein verfassungskonformes Wahlrecht zu entwerfen.

Eine zweite Wandlung, die sich zumindest auch jenseits formeller Textänderungen abspielt, besteht in der Unitarisierung des Bundesstaates. Die Diagnose, dass sich die bundesstaatliche Struktur heute weniger aus eigenen politischen Prozessen in den Ländern speist als vielmehr aus der Beteiligung der Länder am politischen Prozess des Bundes, wurde bereits in den 1960er Jahren von Konrad Hesse gestellt und trifft nach wie vor zu. Ein Wandel ist insb. in der Rolle des Bundesrates zu erkennen, der von einer Ländervertretung mehr und mehr zu einer Art zweiter Kammer wurde, die von bundesparteipolitischen Präferenzen dominiert ist. Zwar ist diese Entwicklung in der Anlage des Exekutiv-Föderalismus von Anfang an vorgezeichnet, denn mit dieser Entscheidung haben die Verfasser des GG der Verflechtung von Bund und Ländern den Vorzug gegenüber eindeutig unterscheidbaren politischen Prozessen gegeben. Nicht vorhergesehen war aber die hohe Zahl an Gesetzen, die der Zustimmung des Bundesrates bedürfen. Die Tatbestände, die die Zustimmungsbedürftigkeit auslösen, sind unübersichtlich über das gesamte GG verteilt. Jüngere Versuche, die Beteiligungsquote durch Änderungen des GG zu senken, waren relativ erfolgreich, trotzdem spielt der Bundesrat bei der Gesetzgebung des Bundes weiterhin eine größere Rolle als von den Schöpfern des GG geplant.

Als dritte Wandlung ist die Europäisierung der Rechtsordnung zu nennen, die vom GG rechtlich ermöglicht wurde, um dann wesentlich an diesem vorbei zu laufen. Urspr. als internationale Organisation völkerrechtlicher Provenienz, wenn auch mit bes.n Eigenschaften entworfen, wirken Rechtsakte der EU heute auf verschiedenste Art und Weise in die deutsche Rechtsordnung ein und beschränken damit sowohl den Vorrang des GG als auch dessen Anspruch, die Grundlagen der Rechtsordnung in einer einheitlichen Urkunde abzubilden. Damit werden auch materielle Regelungen des GG wie die Grundrechte zumindest in ihrer Anwendbarkeit beschränkt. Eine Änderung des GG, die Öffnung der Bundeswehr für weibliche Kampfkräfte, war unmittelbar durch die europäische Rechtsprechung vorgegeben. Während die wesentlichen Entscheidungen zu Vorrang und Vorbehalt des Europarechts europarichterrechtliche Schöpfungen waren, die am Text des GG vorbeigingen, wurde im Rahmen der Zustimmung zum Vertrag von Maastricht das GG so ergänzt, dass sich nun wesentliche normative Determinanten für den deutschen Beitrag zur EU und wichtige Regelungen zur Beteiligung von Bundestag und Bundesrat im GG wiederfinden (Art. 23). Das ändert nichts daran, dass sich entscheidende Teile des heute in Deutschland geltenden Rechts nicht mehr im GG abgebildet finden.

Schließlich ist die Beteiligung deutschen Militärs bei Kampfeinsätzen im Ausland auch Gegenstand eines wichtigen verfassungsrechtlichen Wandlungsprozesses. Dass die Frage der Konstitutionalisierung des Militärs schon für die Schöpfer des GG nicht beantwortet war, zeigt der bereits 1950 ausbrechende Kampf um den Wehrbeitrag, der wesentlich in verfassungsrechtlichen Kategorien geführt wurde. Die Entscheidung für den 1956 ergänzten Verfassungstext setzte eine Beschränkung auf Militäreinsätze im Rahmen des westlichen Verteidigungsbündnisses und zur Selbstverteidigung voraus. Als sich nach 1989 der Einsatzrahmen veränderte, entwickelte das BVerfG einen strengen Vorbehalt parlamentarischer Zustimmung für Einsätze im Ausland, der letztlich in der Kodifizierung eines eigenen Entsendegesetzes mündete. Nicht alle verfassungsrechtlichen Probleme sind damit geklärt, aber es hat sich mit der gefestigten Praxis einer genauen Mandatserteilung durch den Bundestag eine neue Staatspraxis entwickelt, die so im GG nicht angelegt war. Sie führt auch dazu, dass der militärische Einsatz selbst heute durch das Parlament genauer bestimmt wird als die politischen Ziele, die mit diesem verbunden sind.

5. Ausblick

Das GG wird allg. als eine erfolgreiche und für viele andere Ordnungen vorbildliche Verfassung betrachtet. Dieser Eindruck ist im Ganzen zutreffend, bedarf aber in mehrerer Hinsicht der Qualifikation. Zutreffend ist er zum einen, weil sich das hohe Maß an demokratischer Stabilität zumindest auch dem GG und dem mit ihm geschaffenen Institutionenwesen verdankt, zum anderen, weil das GG in seiner Konkretisierung durch das BVerfG wie wenige Verfassungsordnungen in vielen Teilen der Welt als gut funktionierende, wenn nicht vorbildliche Ordnung verstanden wird. Zu qualifizieren ist diese positive Bewertung namentlich, weil sich das GG des Jahres 2017 von dem des Jahres 1948/49 durch eine gewaltige Anzahl von Änderungen, durch eine so nicht vorhersehbare Rechtsprechung des BVerfG und durch die Überwölbung der deutschen Rechtsordnung durch europäisches und internationales Recht ganz wesentlich unterscheidet. Das GG ist deswegen weniger als ein stabiles Fundament richtig beschrieben denn als ein flexibles Instrument politischer Selbstorganisation.