Konstruktivismus

  1. I. Philosophisch
  2. II. Geschichtlich
  3. III. Politikwissenschaftlich
  4. IV. Pädagogisch

I. Philosophisch

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1. Übersicht

Gemessen an der heutigen faktischen Sprachverwendung steht hinter dem Wort „K.“ kein exakt definierter Begriff, es fungiert eher als vage Sammeletikettierung für eine Vielzahl von verwandten Positionen auf verschiedenen Gebieten (Philosophie, Psychologie, Soziologie, Pädagogik, Medienwissenschaften etc.), deren Gemeinsames v. a. in einer negativen Abgrenzung besteht: Abgelehnt wird die Idee einer objektiv vorgegebenen, vorstrukturierten und zugänglichen Wirklichkeit, die in den menschlichen Erkenntnis- und anderen Zugriffsakten nur entdeckt, ans Licht gebracht, nachgezeichnet, abgebildet oder dgl. würde. Vielmehr seien die vermeintlich vorgegebenen „Wirklichkeiten“ wesentlich durch Konstruktionsvorgänge (mit-)konstituiert. Aus konstruktivistischer Sicht begegnet daher v. a. die Verwendung des Worts „Wahrheit“ (in einem Verständnis von Übereinstimmung des Denkens mit der Wirklichkeit) großen Vorbehalten.

2. Methodischer Konstruktivismus

Die seit den 1960er-Jahren entwickelte und zeitweise im deutschen Sprachraum einflussreiche philosophische und wissenschaftstheoretische Strömung des „methodischen“ oder „Erlangen-Konstanzer K.“ (Wilhelm Kamlah, Paul Lorenzen u. a.) bezieht ihre Grundidee z. T. aus dem mathematischen K. und dessen Forderung nach klaren Einführungsverfahren: Angesichts der deutschsprachigen Nachkriegsphilosophie, die weithin ein unbefriedigendes Bild des monologischen Nebeneinanderherredens verschiedener Schulen (Heideggerianer, Neomarxisten, analytische Philosophen, Existenzialisten, Lebensphilosophen u. a.) mit ihren jeweiligen Sprachstilen und Ideenwelten bot, sollten terminologische Klärungen und damit Kommunikationserleichterungen dadurch erfolgen, dass man an die problemlos funktionierenden und schulübergreifend akzeptablen Verständigungs- und Konsensfindungspraktiken in elementaren, lebensweltlichen, außerphilosophischen Situationen und Themen anknüpfte. Philosophisch aufgeladene und notorisch strittige Termini wie „Geltung“, „Tatsache“, „wirklich“, „Begriff“, „Regel“, „Norm“, „Beweis“ und viele andere mehr sollten im Rückgriff auf derlei Praktiken klar eingeführt werden. Beim späteren Gebrauch dieser Termini ist dann aber darauf zu achten, ihnen weiterhin nur jene Bedeutungen beizulegen, die auch im Licht des Einführungsverfahrens gerechtfertigt sind, während weitergehende inhaltliche Assoziationen auszuklammern sind. Ähnlich wurden innerhalb der „konstruktiven Wissenschaftstheorie“ begriffsklärende „Prototheorien“ für einzelne Wissenschaften vorgeschlagen, um auch dort grundlegende Termini durch Rückgriff auf elementare lebensweltliche Arbeitsverfahren zu rechtfertigen; so führt man etwa in der „Protochemie“ den Terminus „Härte“ (bzw. „x ist härter als y“) auf die Technik des Gegeneinander-Ritzens von Gegenständen zurück. Das konstruktivistische Moment all dieser Ansätze besteht darin, dass auch „wissenschaftliche“ Behauptungen immer nur im Wege über die in einer Kommunikationsgemeinschaft akzeptierten Sprachregeln und Vorgangsweisen begründbar sind und kein direkter Abgleich von Behauptung und Wirklichkeit möglich ist. Wissenschaftliche Begriffe sind also Abstraktionen aus einer Praxis und nicht etwa Teile einer „einzig korrekten Weltbeschreibung“; Grundlage der Wissenschaft sind nicht aufzufindende „simple Tatsachen in der Welt“, sondern stabile Handlungs- und Kommunikationszusammenhänge.

3. Sozialer Konstruktivismus in der Erkenntnis- und Wissenschaftstheorie

Der methodische K. hat als explizite Position derzeit an Aufmerksamkeit verloren; inhaltlich verwandtes konstruktivistisches Gedankengut in der Philosophie ist jedoch unter anderen diversen Stichwörtern (Anti-Realismus, Instrumentalismus, Pragmatismus, Inferentialismus u. a.) weiterhin verbreitet. Die ideengeschichtlichen Hintergründe dieser Positionen sind weit gestreut, u. a. spielen die Erkenntnistheorie Immanuel Kants, der amerikanische Pragmatismus (Charles Sanders Peirce, William James, John Dewey) und die Spätphilosophie Ludwig Wittgensteins eine bedeutsame Rolle. Bes. einflussreich in der angelsächsischen Welt sind dabei die Arbeiten von Nelson Goodman und Richard Rorty, die den Modellcharakter jedweder Erkenntnis betonen und die Idee eines Abbildens der Wirklichkeit im Zug des Erkennens bekämpfen, sowie die älteren, mehr wissenschaftssoziologisch argumentierenden Arbeiten von Thomas Kuhn, die auf die faktische Bedeutung herrschender (aber historisch wandelbarer) Denk- und Arbeitsweisen („Paradigmen“) in den Wissenschaften hinweisen.

4. Radikaler Konstruktivismus

Zunächst relativ abgekoppelt von diesen Strömungen entwickelte sich seit den 1970er Jahren der sog.e Radikale K. (urspr.: Humberto Maturana, Francisco Javier Varela, Ernst von Glasersfeld, Heinz von Foerster, später Gerhard Roth, Siegfried Johannes Schmidt, Tom Rockmore u. a.). Diese im Grenzbereich von Philosophie, Soziologie, Psychologie, Pädagogik, Biologie, Informatik, Medienwissenschaften u. a. angesiedelte Denkströmung findet allerdings eigentümlich gespaltenen Zuspruch: Während radikal-konstruktivistische Auffassungen in der akademischen Philosophie (angesichts naheliegender Einwände) randständig sind, bilden sie bes. in den Medienwissenschaften die typische Hintergrundphilosophie („die Wirklichkeit ist die medial konstruierte Wirklichkeit!“). Sie prägen aber (ausgesprochen oder unausgesprochen) auch breite Segmente der Pädagogik, Kulturwissenschaften, Religionswissenschaft, Soziologie, Organisationstheorie, Theorie der Psychotherapie, Theologie u. a. Während der methodische K. die Wirklichkeit der menschlichen Lebenswelt und die in ihr eingebetteten Verständigungs- und Handlungspraktiken zum relativ unproblematischen Ausgangspunkt nimmt (allerdings ohne daraus eine Ontologie der Lebenswelt abzuleiten), betonen radikale Konstruktivisten, dass überhaupt jedwede Annahme von „Wirklichkeit“ durchgehenden Konstruktionscharakter habe. Begründet wird dies z. T. mit Verweis auf naturwissenschaftliche Befunde aus Neurophysiologie, Evolutionsbiologie, Entwicklungspsychologie und Hirnforschung: Da Erkenntnisvorgänge in Organismen stattfinden (sie sind ein Teil der Selbsterhaltung und Selbstorganisation [„Autopoiesis“] lebendiger Systeme) und dort nur in Gestalt der Verarbeitung von elektrisch/chemischen Signalmustern verwirklicht sind, kann es zwischen diesen Signalmustern und einer „äußeren Wirklichkeit“ keinerlei Abbildungsbeziehungen geben. Die Zuweisung irgendwelcher „Bedeutungen“ an solche Signalmuster und damit eine Weltkonstruktion nehmen vielmehr die lebendigen Systeme selbst vor („Selbstreferentialität“). Ab einer gewissen Organisationshöhe kann zu dieser Weltkonstruktion auch ein Selbstbild gehören (d. h. das System kommt in seiner eigenen Weltkonstruktion vor; Systemtheorie), und es kann zwischen verschiedenen Organismen auch konsensuelle Teile ihrer Weltkonstruktionen geben, die dann als „sozial akzeptierte Wirklichkeit“ erscheinen mögen. All dies ändert aber nichts daran, dass es sich letztlich nur um Konstruktionen handelt. Zur Beurteilung solcher Konstruktionen wird z. T. deren „Viabilität“/„Gangbarkeit“ als Kriterium (und konstruktivistischer Ersatzbegriff für „Wahrheit“) ins Spiel gebracht. Der Radikale K. verstand sich urspr. als naturalistische (Naturalismus), an den Naturwissenschaften orientierte Position und ausdrücklich als Gegengewicht zum erkenntnistheoretischen Relativismus der Postmoderne. Mit seiner wachsenden Popularität in verschiedenen Kreisen wurde der biologische Rahmen aber im Lauf der Zeit um kybernetische, sozialpsychologische, soziologische, kulturtheoretische u. a. Theoriefragmente angereichert. Was dann als die konstruierende(n) Instanz(en) fungiert, ist durchaus verschieden (und wird z. T. auch nicht tiefer reflektiert): das Gehirn, der biologische Organismus, der Mensch als einzelnes oder gesellschaftlich geprägtes Wesen, die Gesellschaft, die Kultur oder bes. relevante Teilsysteme davon (etwa die Bildungs- und Mediensysteme), oder innerhalb von Kulturen und Gesellschaften herrschende und das Denken und Handeln leitende Vorstellungswelten und Sichtweisen (etwa Forschungstraditionen, Geschlechter- oder Rollenstereotypen). Radikal-konstruktivistische Positionen dieser losen Art nähern sich damit faktisch doch wieder postmodernen Auffassungen an.

5. Philosophische Einschätzung

Der methodische K. bietet mit seinem Ausgang vom lebensweltlichen Fundament eine plausible Lösung für das Anfangs- und Rechtfertigungsproblem in sowohl der Philosophie als auch in den anderen Wissenschaften an. Und unbeschadet des Konstruktionscharakters der Wissenschaft wird der Intuition eines „Umgehens mit der Wirklichkeit“ ein plausibler Platz eingeräumt. Der Radikale K. dagegen stößt auf ein offensichtliches Selbstanwendbarkeitsproblem: Entweder muss er die Biologie (oder die sonstigen Rahmentheorien, mit denen der Konstruktionsvorgang erklärt wird) willkürlich aus dem Bereich bloßer Konstruktionen herausnehmen, sie also doch wieder realistisch deuten und mit Wahrheitsanspruch versehen. Oder aber er muss einräumen, dass wir über den Konstruktionsvorgang letztlich nichts wissen können, womit der Radikale K. aber seinen eigenen Geltungsanspruch unterminiert. Radikaler K. wäre als Theorie damit also selbst nur eine Konstruktion unklarer Provenienz, vielleicht auch eine unter möglichen anderen. Freilich könnte man den Radikalen K. auch als schlichte (erkenntnismetaphysische) These der Unmöglichkeit von Wirklichkeitserkenntnis verstehen; der markante empirisch-wissenschaftliche Aufwand für seine Begründung erscheint dann allerdings merkwürdig. Unbeschadet dieser Kritik ist natürlich einzuräumen, dass Erkenntnisvorgänge durch physiologische, psychologische, semantische u. a. Konstruktionskomponenten in vielfacher Weise beeinflusst werden (bis hin z. B. zu nachweislich falschen, aber subjektiv absolut deutlichen Wahrnehmungen und Erinnerungen); dies legt nahe, Erkenntnisansprüche zwar als fallibel, aber doch mit grundsätzlich möglicher Wirklichkeitsgeltung zu deuten.

6. „Konstruktivismus“ in der politischen Philosophie und Moralphilosophie

Als „K.“ werden in der politischen Philosophie bes. im Gefolge von John Rawls zuweilen Positionen bezeichnet, die Gerechtigkeitsvorstellungen (Gerechtigkeit) und fundamentale Rechtsnormen nicht durch theoretische Einsicht in objektive Vorgaben, sondern durch (gedachte) spieltheoretische Verständigungs- und Abstimmungsprozesse (Spieltheorie) zwischen rationalen Akteuren rechtfertigen wollen. Ähnlich werden als „konstruktivistische“ Moralauffassungen zuweilen jene bezeichnet, die moralische Normen als Produkt gesellschaftlicher Aushandlung und Akzeptanz und nicht als Abbild objektiver normativer Vorgaben erachten.

II. Geschichtlich

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1. Begriffsverwendung

In den Diskursen über Geschichte ist K. ein randständiger Begriff. In der Geschichtswissenschaft gibt es keine allg. akzeptierte Definition von K., auch gibt es kaum eine spezielle Behandlung des Konzepts in der internationalen Fachliteratur. Verwendung findet der Terminus dort, wo es um geschichtliche Wirklichkeit bzw. um Referenzialität, also um den Bezug von historischen Aussagen auf einen vergangenen Gegenstand geht. Die philosophische Strömung des Radikalen K. wurde in den 1980er und 1990er Jahren von Historikern kaum rezipiert: Manche Geschichtswissenschaftler, die die erkenntnistheoretische Kritik des Radikalen K. unterschätzten, vertraten den Standpunkt, dass die (Re-)Konstruktion von Geschichte in der Geschichtswissenschaft ebenso als selbstverständlich vorauszusetzen sei wie die Konstruktionshaftigkeit historischer Entitäten und Strukturen (etwa Nationen, Gesellschaften, kollektive Gedächtnisse etc.) und also nicht weiter diskutiert werden müsse. Andere, die die Erkenntniskritik des Radikalen K. ernster nahmen, lehnten diese „postmoderne Richtung“ (Postmoderne) vehement ab, da sie zur Aufgabe eines für die Geschichtswissenschaft konstitutiven Wirklichkeitsverständnisses führe.

2. Konstruktion der Geschichte

Die Auffassung, dass es sich bei Geschichte nicht um eine wahrheitsgetreue Abbildung der Vergangenheit, sondern um eine perspektivenabhängige (Re-)Konstruktion handele, setzte sich im Zuge des Verwissenschaftlichungsprozesses von Geschichtswissenschaft seit der Mitte des 18. Jh. durch. Bereits Johann Martin Chladenius sprach 1752 in seiner „Allgemeinen Geschichtswissenschaft“ vom „Sehepunckt“ (Chladenius 1752: 95), von dem aus ein Historiker seinen Blick auf die Geschichte richte. Johann Gustav Droysens „Historik“-Vorlesung (erstmals 1857) und später die Werke Max Webers trugen maßgeblich dazu bei, die Ansicht allg. zu etablieren, Geschichte werde durch das Subjekt des Historikers bzw. des geschichtlich denkenden Menschen geschaffen und müsse rationalen Wissenschaftsmethoden (Methode) folgen, um den Anspruch auf Objektivität bzw. auf eine diskursiv zu erzielende Intersubjektivität zu erlangen. In diesem Zusammenhang wurde auf das „Vetorecht der Quellen“ verwiesen, dass den Rekonstruktionsmöglichkeiten Einhalt gebiete. Jede (Re-)Konstruktion von Geschichte, die quellenmäßig belegbar sei, dürfe als objektiv gelten; jede Konstruktion, für die es keine Quellen gäbe oder die gar den Quellen widerspräche, müsse als fiktional bzw. unhaltbar gelten.

3. Konstruktionen in der Geschichtswissenschaft

Bes. mit Aufkommen geschichtswissenschaftlicher Strömungen wie der Struktur- und der Sozialgeschichte seit den 1950er Jahren wurde die Konstruktionshaftigkeit leitender Theoriebildungen in der Geschichtswissenschaft betont. Gegenüber älteren Kategorien wie „Staat“, „Nation“, „Ereignis“ oder „Entwicklung“, die unhinterfragt als Wirklichkeiten betrachtet wurden, arbeiteten Struktur- und Sozialhistoriker entweder mit abstrakteren Begriffen wie „Struktur“ oder „Prozess“ oder betonten den thesenhaften Konstruktionscharakter der von ihnen verwendeten Termini, etwa bei „Gesellschaft“ oder „Industrialisierung“. Diese Diskussionen erfuhren einen Höhepunkt in den 1980er und 1990er Jahren, als Historiker sich eingehender mit Erinnerungstheorien und den Konstruktionen sozialer Gedächtnisse auseinandersetzten. Unter Einbezug sozial- und politikwissenschaftlicher Stimmen (Benedict Richard O’Gorman Anderson, Eric Hobsbawm, Terence Ranger) wurden nun geschichtsleitende Kategorien als imaginierte oder erfundene Konstrukte „entlarvt“. Wichtig war dabei die bereits in anderen Zusammenhängen (etwa der Narrativitätstheorie) und Disziplinen erworbene Erkenntnis, dass es gerade bei populären Geschichtsbildern einen nicht klar zu trennenden Übergangsbereich zwischen thesenhaften, objektivitätsorientierten Konstruktionen in der (Geschichts-)Wissenschaft und fiktionalen, auf Identitätsstiftung ausgerichteten Projektionen in die Vergangenheit gibt.

4. Geschichtswissenschaft und Radikaler Konstruktivismus

Während Werke von Autoren wie B. Anderson und E. Hobsbawm Resonanz bei Historikern fanden, weil sie Kernbegriffe geschichtswissenschaftlicher Arbeit kritisch hinterfragten und zum reflektierteren Umgang bes. mit Kollektividentitäten mahnten, wurden zeitgleiche Anstöße aus Neurobiologie und Kognitionswissenschaften sowie Kybernetik und Erkenntnistheorie (etwa Humberto Maturana, Francisco Javier Varela, Ernst von Glasersfeld, Heinz von Foerster) mit Nachdruck als unbrauchbar abgelehnt. Ursache hierfür war, dass der Radikale K. und ähnliche Auffassungen nicht nur die Referenzialität historischer Aussagen auf eine vergangene Wirklichkeit in Frage stellen, sondern auch die Wahrnehmungs- und Erkenntnisvorsetzungen des Historikers bzw. des geschichtlich denkenden Menschen als Konstruktion bezeichnen. Wenn man sowohl die Erkenntnismöglichkeiten des jeweils gegenwärtigen Subjekts als auch die von diesem erzielten Erkenntnisse über die Vergangenheit als Konstruktionen betrachte, sei keine sinnvolle historische Aussage mehr möglich, so die Kritik am K. Konstruktivistische Thesen machen also für geschichtswissenschaftliche Belange nur dann Sinn, wenn sie das für die Geschichtswissenschaft grundlegende Verständnis von Wirklichkeit im Sinne einer Gegebenheit nicht grundsätzlich in Frage stellen.

III. Politikwissenschaftlich

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In der Fachdisziplin der Internationalen Beziehungen steht K. (genauer: Sozial-K.) für eine Ende der 1980er Jahren entstandene Theorie, die in Auseinandersetzung mit der „realistischen“ (Realismus) und der „liberalen“ (Liberalismus) Richtung zur Deutung der internationalen Beziehungen entstanden ist. Gemeinsam sind den verschiedenen sozialkonstruktivistischen Theorien die Grundannahmen, dass die soziale Wirklichkeit nicht objektiv vorgegeben ist, sondern durch soziale Interaktionen geformt und verändert werden kann. Nicht die materiellen Gegebenheiten zählen, sondern ihre Bedeutungen.

Das Versagen der realistischen und liberalen Theorien, das Ende des Kalten Kriegs vorherzusehen, hatte ihre Schwächen deutlich zu Tage treten lassen. Anstelle der Annahme, dass die UdSSR sich „totgerüstet“ habe (Realismus) bzw. auf Grund der Überlegenheit des marktwirtschaftlichen Systems zusammengebrochen sei (Liberalismus), macht der K. einen Normenwandel für das Ende des Kalten Kriegs verantwortlich. Die unter Michail Sergejewitsch Gorbatschow einsetzenden Reformen und die Öffnung der UdSSR werden als Ergebnis des zunehmenden nationalen und internationalen Drucks sowie eines einsetzenden Wertewandels innerhalb der UdSSR interpretiert.

Die Normenforschung stellt bis heute einen wichtigen Teilbereich des K. in den Internationalen Beziehungen dar. Viele Normen, etwa kodifiziert in der UN-Charta oder internationalen Abkommen, werden eingehalten, selbst wenn es den situativen Interessenslagen der Staaten widerspricht. Erklärt werden kann bspw. die Ausbreitung der Menschenrechte, die durch das Zusammenspiel von lokalen Gruppen und transnationalen Akteuren (z. B. NGOs), welche Druck auf nationale Regierungen aufbauen und so Reformen herbeiführen, gelingen kann.

Einen grundlegenden Ansatz für die Erklärung von Wandlungsprozessen in der Weltpolitik entwickelte Alexander Wendt in „A Social Theory of International Politics“ (1999). A. Wendt geht davon aus, dass staatliches Handeln von der internationalen Umgebung (Kultur) geprägt ist und unterscheidet hierbei drei Kulturen: Die Hobbes’sche, geprägt von Anarchie und Feindschaft zwischen den Staaten; die Lock’sche, gekennzeichnet von (wirtschaftlichem) Konkurrenzkampf und Rivalität; sowie die Kantianische, in der Staaten sich als Freunde wahrnehmen. Solche Kulturen werden durch die Interaktionen der Staaten bestätigt oder auch transformiert. Das Ende des Kalten Kriegs kann so als durch Annäherung hervorgebrachter Wandel von einer Hobbes’schen zu einer Locke’schen Kultur verstanden werden.

In der konstruktivistischen Außenpolitikforschung richtet sich der Blick weniger auf das internationale System, als vielmehr auf Fremd- und Selbstwahrnehmung von Staaten. Während die Rollentheorie bes. die Effekte von Fremdwahrnehmungen auf die Außenpolitik betont, widmen sich identitätstheoretische Ansätze eher der Eigenwahrnehmung von Staaten, also der Erforschung ihrer nationalen Identitäten. Die Ursache von Konflikten (Internationale Konflikte) wird hierbei im starken othering von Fremdgruppen, also der diskursiven Hervorhebung und Konstruktion von negativen Unterschieden, gesehen. Solche Umdeutungen von Konflikten bilden die Grundlage für außenpolitischen Wandel, etwa von Nicht-Intervention zur militärischen Intervention der USA in den Bosnienkriegen.

Im Zuge des Aufkommens des sozialkonstruktivistischen Forschungsprogramms wurde auch der zentrale Begriff der Sicherheit (security) neu diskutiert. Dabei plädierte die sog.e Kopenhagener Schule für eine Ausweitung des Sicherheitsbegriffs. Statt von traditionellen materiellen Bedrohungen im Rahmen militärisch-strategischer Fragestellungen auszugehen, richtet sie den Blick darauf, welche Ereignisse oder Akteure Staaten als Bedrohungen wahrnehmen und wie diese „versicherheitlicht“ (securitized) werden. Zentral ist hierbei, wie Bedrohungen durch Sprechakte (speech acts) im politischen Raum konstruiert werden. Wird ein Thema erfolgreich versicherheitlicht, kann die Exekutive Notfallmaßnahmen durchführen, die jenseits normaler politischer Prozesse legitimiert werden. So führte z. B. die erfolgreiche Versicherheitlichung des Terrorismus zur (weitgehenden) Akzeptanz des Ausbaus der Sicherheitsüberwachung, in einigen Staaten auch zur Ausrufung des Staatsnotstands.

Während die Kritik an diesen „Versichertheitlichungen“ in den Texten der Kopenhagener Schule implizit mitschwingt, entwickelten sich aus ihr die sog.en Critical Security Studies. In der Tradition kritischer Theorien stellen sie explizit auf die negativen Folgen von „Versicherheitlichungen“ ab, wie etwa die Einschränkung von Bürgerrechten, aber auch das sich daraus ergebende othering marginalisierter Gruppen. Selbst- und Fremdbilder, sowie die Funktion von othering sind auch in anderen kritischen, feministischen und postkolonialen Ansätzen zentral. Während methodisch häufig Ähnlichkeit zur „klassischen“ konstruktivistischen Forschung besteht, sind die Ansprüche unterschiedlich. Anders als „klassische“ Ansätze geben sich kritische Forscher nicht mit der Beschreibung und Erklärung der sozialen Wirklichkeit – ihrer Rekonstruktion – zufrieden, sondern wollen die Verhältnisse kritisieren und letztlich verändern. Zudem gewinnt in den diversen kritischen Ansätzen der Machtbegriff (Macht) – wenn auch als weniger materiell verstanden als im Realismus – wieder an Bedeutung.

IV. Pädagogisch

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Konstruktivistisches Denken und Handeln spielte in den letzten Jahrzehnten in der Philosophie, den Sozialwissenschaften als auch der Pädagogik eine zunehmend wichtige Rolle. Ansätze hierzu sind zahlreich. Aus dem Spektrum der Philosophie ist v. a. die Phänomenologie zu nennen, die das konstruktivistische Denken vorbereitet hat und durch Peter Ludwig Berger und Thomas Luckmann beeinflusst wurde. Das kybernetische Denken ist ebenfalls wesentlich, das v. a. vom Radikalen K. etwa bei Heinz von Foerster aufgegriffen wurde, aber auch die Systemtheorie, die für eher naturalistisch begründete konstruktivistische Ansätze wie bei Humberto Maturana und Francisco Javier Varela oder bei der speziellen Konzeption bei Niklas Luhmann von Bedeutung waren. Als psychologische Vorläufer können v. a. Jean Piaget mit seiner konstruktiven Psychologie gelten, der bes. bei Ernst von Glasersfeld breit rezipiert wird. Aus einer ganz anderen kulturkritischen (Kulturkritik) Richtung kommen aber auch postmoderne Diskurse (Postmoderne) aus dem Kontext von Poststrukturalismus, den Cultural Studies und insb. dem Feminismus zum Tragen, die nicht nur einflussreich für den kulturell orientierten K. waren und sind, sondern in großen Teilen selbst eine eigene Dimension sozial konstruktivistischer Ansätze begründen. In Deutschland haben die konstruktivistisch orientierte systemische Familientherapie und mit ihr in Zusammenhang stehende Beratungsansätze eine wesentliche Bedeutung für die Begründung einer konstruktivistischen Sichtweise gewonnen, weil sie das Beziehungsgeschehen thematisieren und in einer Wende hin zu Kommunikation, Interaktion und Beziehungen stehen. In diesem Zusammenhang war insb. der Beitrag der Kommunikationstheorien wichtig, wie sie z. B. im Anschluss an Gregory Bateson oder Paul Watzlawick u. a. entwickelt wurden. Nicht zu vergessen ist als Vorläufer des K. der Ansatz von John Dewey.

In der Philosophie haben explizit konstruktivistische Theorien wie der methodische K., wie er von Paul Kamlah und Wilhelm Lorenzen begründet wurde, umfassend auch im deutschen Sprachraum gewirkt. In diesem Ansatz, der durch Peter Janich zu einem Kulturalismus ausgeweitet wurde, geht es vorrangig um eine Rekonstruktion rationalen Zweck-Mittel-Denkens. Aus solcher Rekonstruktionsarbeit heraus will man Prototypen wissenschaftlicher Voraussetzungen, bisher insb. in den Naturwissenschaften, erschließen. Konstruktivistische Theorien des Sozialen sind von Karin Knorr-Cetina oder durch die sozialpsychologischen Arbeiten von Kenneth J. Gergen weiterentwickelt worden. Auch der interaktionistische K., der durch die „Systemisch-konstruktivistische Pädagogik“ (Reich 2010) und die „Konstruktivistische Didaktik“ (Reich 2012) Verbreitung gefunden hat, ordnet sich dem sozialen K. zu.

Im Bereich der psychologischen Lehr- und Lernforschung wird mittlerweile in Deutschland im Blick auf die pädagogischen Umsetzungen ein gemäßigter K. angeführt. Gemeint sind hier sehr unterschiedliche Ansätze der Lehr- und Lernforschung, die eine Kombination von konstruktivistischer Begründung des Lehrens und Lernens mit traditionellen Lehr- und Lernverfahren einnehmen. Die Begriffe radikal oder gemäßigt sind jedoch denkbar schlechte Zuschreibungen zu einer Erkenntniskritik, die unterschiedliche Begründungen und Geltungen einnimmt, die immer nur von außen als radikal oder gemäßigt zugeschrieben werden, die aber in der Begründung selbst und in der behaupteten Geltung allenfalls als viabel, als passend hinsichtlich eines Erfolgs, einer Nützlichkeit, einer Vision, einer effektiven Praxis usw. beurteilt werden können. In englischsprachigen Standardwerken zur pädagogischen Psychologie oder zu Lerntheorien wird daher nüchterner von einer konstruktivistischen Theoriegrundlage gesprochen. Hier werden neuere sozial-kognitive und konstruktivistische Ansätze als gegenwärtig relevante Forschungsansätze gesehen, die für die neuere Lehr- und Lernforschung zentrale Maßstäbe setzen.

Betrachtet man die Entwicklung der Theorien des K. im Zusammenhang, dann ist zu erkennen, dass es sich keineswegs um eine klare und abgeschlossene Schule oder Richtung handelt. Insb. im Kulturbezug zeigt sich, dass der K. als Erkenntniskritik in den letzten Jahren auch Anschluss an soziale Deutungen sucht und hier eigenständige Positionen entwickeln konnte.