Antimodernismus: Unterschied zwischen den Versionen

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Version vom 14. November 2022, 05:53 Uhr

Im engeren Sinne werden unter dem Begriff A. die theologischen Festlegungen und disziplinären Maßnahmen zusammengefasst, die unter Papst Pius X. v. a. mit der Enzyklika „Pascendi“ (1907) und dem Antimodernisteneid (1910) gegen das häresiologische Konstrukt des Modernismus getroffen wurden. Der Begriff A. begegnet in diesem Sinne schon zeitgenössisch (z. B. bei Johannes Maria Verweyen). In die Vorgeschichte dieses A. werden häufig nicht nur die Maßnahmen unter Leo XIII. gegen den Reformkatholizismus und den Amerikanismus, sondern auch der Antiliberalismus Papst Pius’ IX. einbezogen, wie er sich v. a. in der Enzyklika „Quanta cura“ und dem „Syllabus errorum“ von 1864 ausdrückte. Die lehramtliche Nachwirkung des A. blieb bis hin zum Zweiten Vatikanischen Konzil prägend. Im weiteren Sinne bezeichnet A. eine die Moderne ablehnende Haltung, die über binnentheologische Optionen hinausgeht und auch im außerkirchlichen Raum zu finden ist.

1. Lehramtlicher Antimodernismus

Der theologische Kernpunkt der Enzyklika „Pascendi“ bestand in der Behauptung, dass den vereinzelten Anstrengungen reformorientierter katholischer Exegeten, Dogmenhistoriker und Apologeten ein unausgesprochenes agnostisch-immanentistisches philosophisches System zugrunde liege, das letztlich zur rationalistischen Auflösung des Glaubens führen müsse. „Pascendi“ nahm darüber hinaus auch den kirchlichen Reformismus sowie die autonome Tätigkeit der Laien in Politik und Gesellschaft ins Visier und warnte vor einer Dezentralisierung und Demokratisierung der Kirche. Als Gegenmittel zum Modernismus empfahlen sich deshalb einerseits die neuscholastische Philosophie (Scholastik) und Theologie und andererseits eine autoritäre Leitung durch die kirchliche Hierarchie. In einem Schlussteil traf die Enzyklika praktische Maßnahmen zur Einschärfung der Neuscholastik, zur Maßregelung verdächtiger Dozenten und Priesteramtskandidaten, zur Buchzensur und zur Schaffung eigener antimodernistischer Kontroll- und Zensurgremien in den einzelnen Diözesen.

Durch die Visitation aller italienischen Diözesen und Seminarien unter Pius X. konnte der A. flächendeckende Wirkung erzielen. Auch wenn in Deutschland der A. in vielerlei Hinsicht abgefedert wurde, schaffte die Enzyklika ein Klima der Angst und Denunziation, in dem sich viele katholische Theologen, Historiker und Philosophen auf „sichere“ Gebiete bzw. in die „positive Arbeit“ zurückzogen. Durch den Antimodernisteneid, gegen den die liberale Öffentlichkeit protestierte, war vorübergehend auch der Fortbestand der katholisch-theologischen Fakultäten an staatlichen Universitäten gefährdet, bis Pius X. eine Dispens vom Eid für die deutschen Universitätstheologen gewährte. Außerhalb des eigentlich theologischen Bereiches wandten sich Vorkämpfer des A. wie Albert Maria Weiss auch gegen die von der Hierarchie relativ unabhängige Tätigkeit von Laien in Politik und Gesellschaft (Zentrumsstreit, Gewerkschaftsstreit; Integralismus). Stark betroffen war zumal die Christliche Demokratie in Italien und Frankreich (päpstliche Verurteilung von Marc Sangniers „Sillon“ 1910). Die Gefahr eines Modernismus beschwor man auch im Bereich der katholischen Literatur. Die 1911 erfolgte Indizierung der Kulturzeitschrift „Hochland“ wurde allerdings nicht publiziert. Die französisch-katholischen Propaganda im Ersten Weltkrieg erhob dann sogar den Modernismus-Vorwurf gegen den deutschen Katholizismus als ganzen, der von Protestantismus und Kantismus infiziert sei.

Benedikt XV. wandte sich gegen den Integralismus, behielt aber den theologischen A. bei. Pius XI. verurteilte 1922 den sozialen Modernismus, der die katholische Soziallehre und die Rechte der Kirche in Staat und Gesellschaft missachte. Erste Abmilderungen ergaben sich in theologischer Hinsicht unter Pius XII., v. a. in exegetischen Fragen (Enzyklika „Divino afflante spiritu“, 1943). Allerdings wurde in der zweiten Hälfte seines Pontifikates wiederum die Gefahr eines Neo-Modernismus beschworen, auch wenn dieser Begriff nicht explizit in der Enzyklika „Humani generis“ von 1950 auftaucht. Durch die Selig- und Heiligsprechung von Pius X. (1951 bzw. 1954) ehrte Pius XII. seinen Vorgänger nicht zuletzt als den Papst des A. Erst im Zweiten Vatikanischen Konzil wurden die vom A. erzeugten Problemüberhänge v. a. im Hinblick auf das Verständnis von Schriftinspiration und Offenbarung beseitigt. Das Konzil erkannte zudem mit der Erklärung zur Religionsfreiheit die Freiheitsgeschichte der Moderne in einem zentralen Punkt an, wogegen sich nicht zufällig bes. heftiger Protest von konservativer Seite erhob. Der Antimodernisteneid wurde 1967 durch eine „professio fidei“ ersetzt.

2. (Katholischer) Antimodernismus im weiteren Sinne

In der „Krise der Wirklichkeit“ (Otto Gerhard Oexle) nach 1918 genoss ein kultureller A. eine erhöhte Plausibilität – architektonisch etwa in der Heimatschutzbewegung, philosophisch etwa in der Philosophie Martin Heideggers. Nun gaben nicht mehr Neukantianismus und Historismus den Ton an, sondern Jünger von Stefan George wie Friedrich Gundolf, die sich an Friedrich Nietzsches monumentalischer Historie orientierten. Was F. Gundolf bereits 1911 über den Relativismus als die heutige Form des Atheismus und über die schädliche Tendenz der Zerbröcklung und Zentrifugalisierung sagte, die mit der Renaissance und Reformation begonnen habe, wurde nach 1918 immer mehr common sense. Die allg.e Wende zum „Objektiven“ florierte nicht nur in der protestantischen Theologie (Karl Barth), sondern gerade auch bei katholischen Kultureliten in Deutschland und Frankreich. Vitalistisch geprägte Theologen wie Karl Adam oder Philosophen wie Peter Wust priesen die Objektivität des Katholischen und seiner Seinsidee als Heilmittel für eine kritizistisch, historistisch und subjektivistisch zerfressene, gottlose Moderne und das in ihr entwurzelte Menschentum. Auch Kirchenhistoriker wie Joseph Lortz begriffen die Zeit ab dem Spätmittelalter als Geschichte eines steten subjektivistischen und individualistischen Abfalls von der hochmittelalterlichen Synthese von Glaube und Vernunft bzw. von Kirche und Gesellschaft (Kirche und Gesellschaft). Entsprechend erhofften sich J. Lortz und andere anfänglich vom Nationalsozialismus eine anti-individualistische geschichtliche Wende hin zur Gemeinschaft. Dieses Verständnis der Neuzeit als Deszendenzgeschichte, das sich letztlich vom Traditionalismus und Ultramontanismus des 19. Jh. herleiten lässt, wirkte auch nach dem Zweiten Weltkrieg noch weiter (etwa bei Romano Guardini), wobei der Nationalsozialismus nun als weitere Zuspitzung des Niedergangs interpretiert wurde.