Atheismus

  1. I. Philosophisch
  2. II. Soziologisch

I. Philosophisch

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Der A. ist eine Weltanschauung, in deren Zentrum die Ablehnung der Existenz eines oder mehrerer Götter steht. Er widerspricht dem Theismus, der die Existenz eines oder auch mehrerer Götter behauptet.

1. Begriffsbestimmung

Abzusetzen ist der A. zusätzlich vom Agnostizismus, der sich in der Frage nach der Existenz Gottes des Urteils enthält. Verschiedene Stärkegrade des A. können unterschieden werden – je nachdem für wie unwahrscheinlich ihre Vertreter die Existenz Gottes halten. Der A. in seiner weitesten Form lehnt jeglichen Bezug auf eine transzendente oder übernatürliche Realität ab. In einem engeren Sinne versteht man unter A. die Verneinung der Existenz eines personalen Gottes. Neben der expliziten Ablehnung des Gottesglaubens gibt es auch impliziten A. Diese Form des A. ist dann gegeben, wenn die Realität Gottes im praktischen Leben keine Rolle mehr spielt, ohne dass es zu einer expliziten Leugnung der Existenz Gottes kommt. Die eindimensionale Verhaftung in der immanenten Wirklichkeit, in der die Frage nach einer transzendenten Dimension gar nicht mehr aufkommt, ist eine in den modernen Industrienationen verbreitete Form eines impliziten A.

2. Verbreitung

Da der Begriff des A. also vieldeutig ist, ist die genaue Bestimmung der Verbreitung des A. in der Weltbevölkerung mit interpretatorischen Schwierigkeiten behaftet. Wenn man sich jedoch auf den expliziten A. beschränkt, lassen sich präzisere Aussagen machen. Nach dem „Global Index of Religiosity and Atheism – 2012“ von WIN-Gallup International bezeichneten sich 13 % der Befragten als überzeugte Atheisten. Die höchste Konzentration von Atheisten findet sich nach dieser Studie in Ostasien. In China identifizierten sich 47 % der Befragten als Atheisten, während es in Westeuropa nur 14 % waren. In Frankreich bezeichneten sich 29 % als Atheisten, in Deutschland 15 %. In Ghana und im Irak bekannten sich weniger als 1 % zum A. Im Vergleich zu früheren Untersuchungen konnte global ein leichter Trend der Zunahme atheistischer Überzeugungen festgestellt werden. Der A. ist also am Beginn des 21. Jh. die Weltanschauung einer signifikanten und wachsenden Minderheit der Weltbevölkerung. Für die Religionsgemeinschaften stellt daher die Auseinandersetzung mit dem A. eine Aufgabe von zunehmender Bedeutung dar.

3. Geschichte

Die Geschichte des A. reicht bis in die antiken Anfänge der östlichen und westlichen Philosophie zurück. Die altindische Charvaka Philosophie, die in den Barhaspati Sutras dargelegt wird, war explizit materialistisch und atheistisch. In der griechischen Antike bildeten sich bereits materialistische Konzeptionen heraus wie der Atomismus des Demokrit, der in der Nachfolge meist atheistisch interpretiert wurde. Diagoras von Melos war ein griechischer Sophist, dem der Beiname „der Atheist“ gegeben wurde. Bei ihm findet man, wie in der sophistischen Bewegung überhaupt, eine aufklärerische Polemik gegen die Ungereimtheiten der anthropomorphen Gottesbilder. Die Kritik an den überkommenen Göttervorstellungen führte auch in der römischen Philosophie zu skeptischen Einstellungen in der Gottesfrage wie etwa in Marcus Tullius Ciceros Werk „De Natura Deorum“.

Das christliche Mittelalter war ein Kulturraum, der atheistisches Denken weitgehend verdrängte. Im islamischen Mittelalter gab es hingegen deutlich sichtbare atheistische Positionen. Der Poet Abu l-’Ala al-Ma’arri hielt alle Religionen für rein menschliche Erfindungen und die heiligen Bücher für nutzlose Geschichten.

Zu einer wirklichen Blüte des A. kam es aber erst in der Neuzeit. Matthias Knutzen verbreitete 1674 in Jena Flugschriften, in denen die Existenz Gottes strikt geleugnet wurde. Der polnische Ex-Jesuit Kazimierz Lyszczynski verfasste einen Traktat über die Nichtexistenz Gottes. Bei dem französischen Priester Jean Meslier fanden sich nach seinem Tode ein umfangreiches philosophisches Werk und ein Testament, in dem er jede Gottesvorstellung, auch die des aufklärerischen Deismus, strikt leugnete. Religion war für ihn eine Verführung der Massen durch die herrschende Klasse. Das Werk übte Einfluss auf Voltaire und andere Denker der Aufklärung aus. Im Frankreich des 18. Jh. entwickelte sich im Umfeld des Paul-Henri Thiry, Baron d’Holbach eine materialistische Bewegung, die explizit atheistisch eingestellt war. Sein systematisches Werk „Système de la Nature“ entwirft einen Materialismus, der die Existenz eines transzendenten immateriellen Gottes ausschließt. In Grundzügen wird hier bereits das metaphysische System entwickelt, das – bereichert um den Darwinismus – auch von zeitgenössischen Atheisten vertreten wird.

Im 19. Jh. erlebte das atheistische Denken im deutschsprachigen Kulturraum einen weiteren Höhepunkt. Ludwig Feuerbach argumentierte in seinem Werk „Das Wesen des Christentums“, dass die Gottesvorstellung eine Projektion des menschlichen Bewusstseins sei: Die unerfüllten Wünsche und Bedürfnisse des Menschen veranlassen ihn dazu ein ideales Wesen zu imaginieren. Nicht Gott schuf den Menschen nach seinem Bilde, sondern der Mensch schuf Gott nach seinem Bilde. Die Projektionsthese L. Feuerbachs wurde von Karl Marx in seinen „Thesen über Feuerbach“ aufgegriffen. Ebenso wie sein Zeitgenosse Heinrich Heine betrachtete K. Marx die Religion als ein Betäubungsmittel, das die Unerträglichkeit des menschlichen Elends maskieren und durch Vertröstung auf das Jenseits erleichtern solle. Die Überwindung der Religion erfordert nach K. Marx daher nicht primär die argumentative Widerlegung des Gottesgedankens, sondern die Veränderung der gesellschaftlichen Verhältnisse, die durch die Verelendung der Massen (Masse) den Nährboden der Religion erst geschaffen haben. Ein verwandtes Motiv findet sich in der Religionskritik von Friedrich Nietzsche. In seinem Werk „Zur Genealogie der Moral“ charakterisiert er die christliche Moral als eine Sklavenmoral, in deren Fesseln dem Menschen der Aufstieg zu seiner wahren Größe nicht möglich ist. Die Überwindung des Gottesgedankens ist die Voraussetzung eines echten Humanismus, der nur ohne die Rückbindung an eine transzendente Welt entstehen kann. Ebenfalls in der Tradition L. Feuerbachs steht das Werk Siegmund Freuds. Auch für ihn ist Religion Wunscherfüllung, die wesentlich aus der Unfähigkeit resultiert, die Realität ohne alle Illusionen anzuerkennen. In dem Werk „Die Zukunft einer Illusion“ führt er den Gottesglauben auf eine narzisstische Kränkung des Menschen zurück, die dieser in seiner Ohnmacht gegenüber der Natur und des Todes erlebt. Die erfahrene Hilflosigkeit wird durch die Illusion eines schützenden Vaters erträglich gemacht. Zeitgleich argumentierte der Philosoph Bertrand Russell in seinem Werk „Warum ich kein Christ bin“, dass Religion eine Krankheit sei, die aus der Angst hervorgehe. Die jüdisch-christliche Tradition sei eine altorientalische Sklavenreligion, die mit der Vorstellung menschlicher Freiheit und Autonomie unverträglich sei.

Im 20. Jh. war es v. a. der zunehmende Einfluss und Erfolg der Naturwissenschaften, insb. die Verbreitung des darwinistischen Weltbildes, die dazu führten, dass positivistische und naturalistische Philosophien an Einfluss gewannen. Der Bereich des menschlichen Wissens wird in diesen Theorien auf das empirisch Beobachtbare und die Mathematik und Logik beschränkt. Unter diesen Voraussetzungen waren die klassischen Argumente für die Existenz Gottes nicht mehr formulierbar, die Rede von Gott war dem Verdacht der semantischen Unsinnigkeit ausgesetzt. In der den Naturwissenschaften nahestehenden Bewegung der Analytischen Philosophie, bspw. John J. Smart, wurden einige neue Systeme des philosophischen Materialismus in einer begrifflich verfeinerten Form entwickelt, die aber in ihren Grundintuitionen vergleichbar sind mit denen der französischen Materialisten der Aufklärung. Ihr Ziel war ein naturalistisches Weltverständnis (Naturalismus), das alle Eigenschaften der Welt aus einer rein physikalischen Basis ableiten wollte. Für eine transzendente göttliche Realität ließ dieses physikalistische Weltbild keinen Raum. Aber auch in anderen einflussreichen Strömungen, z. B. der französischen Existenzphilosophie, war eine radikale Wendung zur Immanenz zu beobachten. Für Albert Camus soll sich der Mensch angesichts der Absurdität des irdischen Daseins in einer permanenten Revolte auflehnen, gerade im Aushalten der Absurdität findet er aber seine wahre Größe. Die Religion mit ihren Jenseitsversprechungen wirkt dagegen wie eine Flucht vor der Realität. Für Jean Paul Sartre ist der Mensch ein sich frei und ohne jede Vorgaben selbst setzendes Wesen. Der Gedanke, dass ein Schöpfergott den Menschen nach seinem Bilde geschaffen und ihm damit ein Wesen vorgegeben habe, ist mit seinem radikalen Freiheitsbegriff unvereinbar.

Neuartig und bedeutsam war im 20. Jh. das Entstehen von Staaten und staatsübergreifenden politischen Bewegungen, die eine explizit atheistische Doktrin mit brutaler Gewaltanwendung propagierten. Dies gilt sowohl für den stalinistischen Kommunismus (Stalinismus) in der UdSSR wie auch den maoistischen Kommunismus (Maoismus) in der VR China und die ebenfalls maoistischen Roten Khmer in Kambodscha.

Am Ende des 20. Jh. entwickelte sich bes. in der angelsächsischen Welt die Strömung des Neuen A. Sein Anliegen ist es, den gesellschaftlichen Einfluss von Religion einzudämmen und der Verbreitung des A. Vorschub zu leisten. Die vorgelegten Argumente waren philosophiehistorisch nicht neu. Typisch für diese Bewegung ist hingegen eine teilweise aggressive Polemik, die vor einer verzerrten Darstellung der Religion nicht zurückschreckt. Richard Dawkins, der bekannteste Vertreter des Neuen A., argumentierte in seinem Werk „Der Gotteswahn“, dass Religion eines der großen Übel der Menschheit sei. Der Glaube an Gott ist für ihn mit der Akzeptanz eines evolutionären darwinistischen Weltbildes unverträglich.

4. Argumente

Die philosophischen Argumente für den A. sind oft Einwände gegen die Erkennbarkeit Gottes. Einen bedeutenden Schritt in dieser Richtung stellt die Kritik der traditionellen Gottesbeweise dar. Bes. seit Immanuel Kant waren die in der mittelalterlichen Philosophie ausgearbeiteten Gottesbeweise erkenntnistheoretischer Kritik ausgesetzt. Sie argumentieren nach I. Kant außerhalb der Grenzen der Anwendbarkeit der theoretischen Vernunft (Vernunft – Verstand), die ihrem Wesen nach auf das mit den Sinnen Erfassbare ausgerichtet ist. Die Kritik an den Gottesbeweisen ist sehr vielschichtig, aber bestimmte Thesen halten sich bis in die Gegenwart durch: Der ontologische Gottesbeweis, der die Existenz Gottes aus seinem Begriffe ableiten will, beruhe auf der irrigen Annahme, der Begriff der Existenz sei eine Qualität, die durch ein Prädikat zugeschrieben werde. Der kosmologische Gottesbeweis, der Gott als erste Ursache des Universums erweisen will, breche die Kette der Fragen willkürlich ab, denn auch für Gott könne wieder gefragt werden, wer ihn verursacht habe. Der Beweis aus der Kontingenz der Welt würde die logischen Operatoren der Notwendigkeit und Möglichkeit fälschlich auf Gegenstände anwenden. Der teleologische Gottesbeweis, der Gott aus der Ordnung des Kosmos erkennen will, könne bestenfalls einen Demiurgen, nicht aber den allmächtigen, allwissenden und allgütigen Gott des Christentums erweisen. Außerdem bliebe die Möglichkeit, dass die Welt sich einem bloßen Zufall verdanke und die Ordnung selbst nur das zufällige Produkt einer langen evolutionären Geschichte sei. Die Debatte um die Gottesbeweise hat aber mit diesen kritischen Befunden keinen Abschluss gefunden. So entwickelte der Logiker Kurt Gödel eine Version des ontologischen Arguments, die den Ansprüchen der modernen Modallogik gerecht werden sollte. Auf dem Hintergrund der physikalischen Urknalltheorie, die einen Anfang unseres Universums annimmt, wurden neue Versionen des kosmologischen Gottesbeweises entwickelt. So argumentiert Richard Swinburne rein induktiv, dass es unwahrscheinlich ist, dass das Universum „unverursacht“ existiert. Der teleologische Gottesbeweis hat als Argument aus der Feinabstimmung der kosmologischen Konstanten eine Renaissance erlebt. Das Universum ist demnach von Anfang an auf eine extrem unwahrscheinliche und präzise Weise auf das Entstehen von Leben ausgelegt. Die Kritik der Gottesbeweise bleibt somit weiterhin ein zentrales Anliegen des A.

Allerdings wird dabei impliziert, dass religiöse Menschen nur dann gerechtfertigt sind, an Gott zu glauben, wenn sie einen selbstevidenten oder aus einem sicheren Fundament gewonnenen Beweis für die Existenz Gottes vorlegen können. Die These, dass man nur an das glauben darf, was man auch beweisen kann, ist ein Grundpfeiler vieler atheistischer Argumentationen. Fideistische Varianten des Theismus haben diese These abgelehnt. Bereits Paulus von Tarsus lehrt, dass der Glauben sich durch die Weisheit der Griechen, also die Philosophie, nicht erfassen lasse. Sören Kierkegaard plädierte für einen existentiellen Sprung in den Glauben, der eine Kreuzigung des Verstandes erfordere. Atheisten argumentieren aber, dass Theisten die Einführung einer neuen Entität, also Gottes, begründen müssen. B. Russell entfaltete diesen Gedanken in seinem „Teekannen-Argument“: Wenn jemand behauptete, zwischen Erde und Mars fliege eine Teekanne, die zu klein sei, um sie selbst mit den besten Teleskopen entdecken zu können, dann müsse er einen Beweis für diese Behauptung vorlegen. Ebenso müsse der Theist einen Beweis für die Existenz eines unbeobachtbaren Gottes vorlegen. Aus der Sicht des Theismus ist es aber fragwürdig, ob diese Beweispflicht besteht.

In der zeitgenössischen religionsphilosophischen Bewegung der Reformierten Erkenntnistheorie geht man davon aus, dass man viele basale Überzeugungen nicht beweisen kann, aber dennoch berechtigt ist, sie für wahr zu halten. So argumentiert Alvin Plantinga, dass man nicht beweisen kann, dass andere Menschen ein Bewusstsein haben, aber dennoch gerechtfertigt diese Überzeugung für wahr halten könne. Ebenso verhalte es sich mit dem Glauben an die Existenz Gottes. Aus atheistischer Sicht ist es daher wichtig neben den Argumenten für die Existenz Gottes auch den Gottesbegriff selbst anzugreifen. Der wirkmächtigste Gedanke ist hier, dass die Existenz des Übels in der Welt mit der Existenz eines allmächtigen, allwissenden und allgütigen Gottes logisch unverträglich sei. Der Gedanke geht zurück auf Epikur und wurde von Gottfried Wilhelm Leibniz als „Theodizee Problem“ diskutiert. Es wird gemeinhin als das stärkste Argument für den A. angesehen, auch wenn heute bezweifelt wird, ob der christliche Gott und die Existenz des moralischen Übels schon rein logisch miteinander unverträglich sind. Es ist nämlich möglich, dass auch ein allmächtiger Gott gar keine Welt erschaffen kann, in der es sowohl menschliche Freiheit als auch keinerlei moralisches Übel gibt. Es bleibt aber doch angesichts der Verbreitung von horrendem Übel in der Welt die Frage, ob Gott nicht wenigstens eine bessere Welt mit weniger Übel hätte erschaffen können oder ob er nicht öfter in den Verlauf der Welt korrigierend eingreifen könnte. Der Philosoph Ansgar Beckermann legte in seinem Buch „Glaube“ eine zeitgemäße Verteidigung des A. vor, die mit guten Gründen wieder im Theodizee Problem ihren argumentativen Höhepunkt findet. Das Problem des Übels in der Welt ist die wichtigste Anfrage an das klassische Gottesbild. Die Antworten der christlichen Religionsphilosophen und Theologen auf diese Herausforderung lassen sich bis heute in hauptsächlich zwei Strategien kategorisieren. In der Tradition des Augustinus wurde versucht, das moralische Übel in der Welt als eine selbst für Gott unvermeidbare Konsequenz menschlicher Freiheit zu erklären. In der Tradition des Irenäus wurde die Konfrontation mit dem Übel als eine notwendige Quelle menschlicher Reifung betrachtet.

Ein anderes gewichtiges Argument des modernen A. wird aus dem Erfolg der Naturwissenschaften, insb. der neodarwinistischen Theorie gewonnen. Es gibt in der Natur keine prinzipiellen Erklärungslücken mehr, die ein direktes wirkursächliches Eingreifen Gottes plausibel machen würden. Die Folge ist ein Rückzugsgefecht, in dessen Verlauf der Platz für Gott immer enger wird. Er spielt dann keine wirkliche Rolle mehr im Leben der Menschen, da das Erhören von Bittgebeten oder das Wirken von Heilungswundern einen nicht nachvollziehbaren Eingriff in die naturgesetzlichen Kausalzusammenhänge darstellte. Die moderne Wissenschaft kennt keinerlei Anhaltspunkte für die Existenz eines direkten Handelns Gottes in der Welt. Dieses Argument bezweifelt daher nicht direkt die Intelligibilität des Gottesbegriffs, sondern macht die Annahme der Existenz Gottes überflüssig. Die berühmte Antwort des Pierre-Simon Laplace auf die Frage nach Gott „Ich brauche diese Hypothese nicht!“ gewinnt durch die Fortschritte der Naturwissenschaften an Bedeutung. Die klassische Antwort, dass Gott nur als Erstursache die Schöpfung hervorbringt und im Sein erhält, nicht aber in sie eingreift, kann das Problem der Entgöttlichung der Welt nicht befriedigend lösen. Erst recht kann dies nicht durch einen unwissenschaftlichen Kreationismus gelingen. In dem Erstarken des unhaltbaren Kreationismus bes. in der angelsächsischen Welt wird gerade eine Ursache für das Entstehen des Neuen A. gesehen. Erst wenn es gelingt, ein Wirken Gottes in der Welt zu denken, das nicht in Spannung steht mit den Ergebnissen der Naturwissenschaften, wird der Theismus diese atheistische Herausforderung meistern können. In der Prozesstheologie, die sich von Alfred N. Whitehead inspiriert, wird bspw. angenommen, dass die wirkursächlichen Relationen der Welt indeterministisch sind, so dass Gott über einen in der gesamten Natur angenommenen geistigen Aspekt finalursächlich in der Weise einer Attraktion oder eines „Lockens“ in der Welt wirken kann, ohne sie jemals wirkursächlich zu etwas zu zwingen. Andere Ansätze versuchen über den Indeterminismus der Quantenmechanik Raum für göttliches Wirken zu schaffen. Der weitere Verlauf dieses Dialogs zwischen Theologie und Naturwissenschaft wird nicht unerheblich darüber entscheiden, in welchem Maß der A. an gesellschaftlicher Relevanz gewinnt. Die Theologie wird aufzeigen müssen, wo Gott in einer durch die Naturwissenschaften entzauberten Welt als relevant verortet werden kann.

II. Soziologisch

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1. Definition

Der Begriff A. leitet sich vom griechischen átheos ab und bedeutet wörtlich „ohne Gott“. Soziologische Bestimmungen folgen i. d. R. dieser Wortbedeutung und definieren A. als Abwesenheit eines Glaubens an die Existenz Gottes (bzw. von Göttern), die nicht notwendig eine Leugnung oder Ablehnung Gottes implizieren muss. Stephen Bullivant unterscheidet allerdings zwischen einem positiven (starken) A. und einem negativen (schwachen). Während letzterer allein die Abwesenheit eines Gottesglaubens bezeichnet, ist der positive A. überzeugt, dass Gott nicht existiert. Ungeachtet der etymologischen Herkunft entstanden seit der Frühen Neuzeit im lateinischen Europa eine Reihe konkurrierender und unübersichtlicher Definitionen, die zugleich Narrative erzeugten, auf die bis heute Bezug genommen wird. Zu ihren konstitutiven Elementen gehören etwa die Argumentation, dass Menschen zu allen Zeiten Gott (im Verborgenen) geleugnet hätten bzw. verfolgt wurden; die Ansicht, Atheisten hätten überlegene intellektuelle Fähigkeiten, weil sie aufdeckten, dass die Erklärung der Existenz Gottes auf dem Betrug von Priestern zur Herrschaftslegitimation beruhe; das Theodizee-Argument; die Behauptung einer natürlichen Affinität von Wissenschaft und A.

2. Verflechtung mit der Religionskritik

Auch wenn zu allen Zeiten in allen Kulturen Ausdrucksgestalten von „Unglauben“ existieren, kommt der A. als philosophische Position und empirisch relevantes Phänomen erst in den europäischen Gesellschaften der Neuzeit auf. In der Epoche der Aufklärung erschütterten zum einen die Entdeckung anderer Völker und Religionen (Religion) sowie neue wissenschaftliche Erkenntnisse, zum anderen die friedensgefährdende Aggressivität der Konfessionskriege und die unerbittlichen Konflikte zwischen den Konfessionen im Hinblick auf konkurrierende Wahrheitsansprüche (Konfessionalisierung, Religionskonflikte) das Vertrauen in Autoritäten (Autorität) und traditionelle Ordnungsmodelle. In dieser Zeit entsteht ein neuzeitlicher Religionsbegriff, der konfessionsübergreifend zum Oberbegriff wird und es ermöglicht, die verschiedenen Glaubensbekenntnisse zu neutralisieren und tendenziell in den privaten Bereich zu verweisen.

Die Argumente des philosophischen und skeptischen A. im 17. Jh. zielten „allein auf die Destruktion des Wahrheitsanspruchs der Annahme der Existenz Gottes“ (Schröder 2003: 26, Herv. i. O.). Die frühen, nur durch anonyme Texte bekannten Atheisten, die etwa unter Zuhilfenahme des Theodizee-Arguments Gottesbeweise kritisierten, plädierten zugleich für die Verschonung der jeweils herrschenden positiven Religion. Ihr Grundgedanke ist: „Es ist von Nutzen, dass die meisten die Überzeugung teilen, [dass es einen Gott gibt,] aber wahr ist diese Überzeugung nicht“ (Theophrastus redivivus, Anonymus 1981/82: 91; zit. n. Schröder 2003: 26). Die Stärke des skeptischen A. liegt nach Winfried Schröder darin, dass er keine dogmatische Position begründen will, aber in seinen beweistheoretischen Argumenten zu einem ernstzunehmenden Gegner des Theismus wird und darin den späteren reduktionistischen Erklärungsansätzen überlegen ist.

Erst in der philosophischen Aufklärung des 18. Jh. wurde die Religion selbst angegriffen, wobei die radikalen Atheisten unter den Aufklärern zunächst eine Minderheit bildeten. Jedoch mehrten sich ab Mitte des 18. Jh. Kräfte, die für die Entmachtung oder Abschaffung des Christentums und seiner Institutionen plädierten. Ansichten, die die Religion als Bedrohung der politischen und rechtlichen Ordnung, somit als Störfaktor kennzeichnen, finden sich bei Jean Meslier, David Hume, Claude Adrien Helvétius und Paul-Henri Thiry d’Holbach. Während dem Christentum ein erhebliches Konfliktpotential unterstellt wurde, das Christen zu Untertanen mache, die zum Aufruhr neigten, wurden Atheisten als friedliebend betrachtet, weil sie kein Heilsmonopol beanspruchten. Die Behauptung, der A. sei eine Folge der Expansion der Naturwissenschaften und eine Begleiterscheinung des im 18. Jh. anwachsenden Antiklerikalismus beruht nach W. Schröder jedoch auf einer Rückprojektion: die gebildeten Eliten (Elite) der frühen Moderne hätten in den Naturwissenschaften zunächst eine Festigung der Fundamente des Theismus erblickt. Überhaupt ist ein antiklerikaler A. nicht typisch für die Aufklärung, denn die meisten Denker der Zeit wollten weder die Funktion der Religion noch die Möglichkeit ihrer Versöhnung mit der Vernunft (Vernunft – Verstand) verloren geben. Ein konsequenter Antiklerikalismus ist zudem häufiger bei Religionskritikern anzutreffen, die sich eindeutig vom A. distanzierten: bspw. Voltaire, der eine Vernunftreligion – den Gott der Philosophen – propagierte und insgesamt den Glauben an Gott für nützlich hielt.

Erst seit dem 19. Jh. haben, v. a. in Frankreich, reformorientierte oder revolutionäre politische Strömungen mit antiklerikaler Ausrichtung den A. offen propagiert. Es kam zu einer deutlichen Allianz von A. und Naturwissenschaften, v. a. bei den Protagonisten der bürgerlichen Freidenkerbewegung (z. B. Ludwig Büchner, Ernst Haeckel) sowie in der frühen Arbeiterbewegung. Die Religionskritik radikalisiert sich in Deutschland in der Auseinandersetzung mit der Philosophie Georg Wilhelm Friedrich Hegels. David Friedrich Strauß bestreitet die historische Existenz Jesus und deutet die Evangelien als von Menschen geschaffene identitätsstiftende Mythen (Mythos) sowie Christus als Menschheitssymbol. Damit legt er die Grundlage für die anthropologische Deutung des Christentums, die Ludwig Feuerbach aufgreift. Er kehrt das Schöpfer-Mensch-Verhältnis um: Nicht Gott hat den Menschen, sondern der Mensch hat Gott erschaffen. Sein Grundgedanke ist, dass der Mensch etwas von sich auf anderes projiziert, und diese Projektion ihn hindere, sich als soziales Wesen zu begreifen: „Wird diese Projektion aufgehoben, so geht es um elementare gesellschaftlich menschliche Dinge: um Existieren, Arbeit, Essen, Wohnen, um soziale Bindungen vielfältigster Art“ (Eßbach 2014: 683). Karl Marx, der sich zunächst im Horizont L. Feuerbachs bewegt, hält die Religionskritik für abgeschlossen und richtet seine Aufmerksamkeit radikal auf die Kritik der gesellschaftlichen Verhältnisse, um diese so zu verändern, dass es „keines Opiums mehr bedarf“ (Weinreich 2012: 147). In der Auseinandersetzung mit Max Stirner erweitert K. Marx die Kritik der Religion hin zu einer Kritik der Ideologie, erklärt Religion also zu einem sekundären Überbauphänomen, das den sozialstrukturellen Bedingungen zugrunde liegt und überflüssig wird, sobald sich die Sozialstrukturen ändern.

3. Organisierter Atheismus

Die Feuerbachsche Projektionsthese wird für viele in den nachfolgenden Generationen zum Bestandteil ihres Weltbildes. V. a. die Transformation von Theologie in Anthropologie und von Religion in Politik findet im Vormärz zahlreiche Anhänger und wird Grundlage für die Bildung oppositioneller Gruppen in Deutschland. Während die sozialen Träger des A. im 17./18. Jh. Intellektuelle der adligen Oberschicht waren, die die ökonomische Basis und die sozialen Voraussetzungen besaßen, abweichende philosophische Weltdeutungen entwickeln zu können, bildeten sich dann im 19. Jh. auch freireligiöse und freigeistige Organisationen und damit Formen eines organisierten A. heraus, die sich die Propagierung atheistischer Überzeugungen und Interessen (z. B. Trennung von Staat und Kirche [ Kirche und Staat ], Abschaffung des weltanschaulichen Religionsunterrichts an Schulen, Feuerbestattung oder Jugendweihe) zum Ziel setzten und im Übergang vom 19. zum 20. Jh. breiten Widerhall fanden. Zu den zunächst rein männlichen Vereinen gesellten sich erst im 20. Jh. Frauen, die vorher ohnehin Vereinen nicht beitreten durften und zudem als religiös-irrational galten. Die drei wichtigsten Gruppierungen des organisierten A., von denen bis heute Nachfolgeorganisationen in der einen oder anderen Form existieren, meist als Zusammenschlüsse von Verbänden mit niedriger Mitgliederzahl, sind: die Freireligiöse Bewegung, das Bürgerliche Freidenkertum sowie das Arbeiterfreidenkertum.

Die Freireligiöse Bewegung ist vom Linkshegelianismus, v. a. von D. F. Strauß beeinflusst und geht auf linke Massenbewegungen im Vorfeld der 1848er-Revolution zurück. Das Scheitern der Märzrevolution bewirkte eine Entpolitisierung und Rückbesinnung auf die religiös-weltanschaulichen Grundlagen. 1859 schlossen sich die Deutsch-Katholiken und die protestantischen Lichtfreunde im Bund freireligiöser Gemeinden Deutschlands zusammen, der bis 1918 einen Sonderstatus zwischen Kirche und Verein einnahm und in der Weimarer Republik den Status einer K.d.ö.R. erhielt. Während die Freireligiösen „frei in der Religion“ sein wollten, propagierten die Freidenker ein „frei von Religion“ (Fincke 2002: 5). Die Wurzeln des bürgerlichen Freidenkertums lagen dagegen in der aufklärerischen Religionskritik, insb. C. A. Helvétius und Baron d’Holbach, deren materialistische Auffassung (Materialismus) der Welt keinen Raum mehr für religiöse Optionen ließ. 1881 wurde eine deutsche Sektion gegründet, der auch Personen aus freireligiösen Gemeinden angehörten, was immer wieder zu Spannungen führte. Die freigeistigen Verbände konzentrierten sich auf zwei Nahziele: die Agitation für die Feuerbestattung und den Kirchenaustritt. Das der SPD nahestehende Arbeiterfreidenkertum hob sich vom reformbürgerlichen und linksliberalen Kurs der Freireligiösen und Freidenker ab, setzte sich radikal-sozialdemokratisch für die Arbeiterklasse ein und führte den Kampf gegen Kirche und Religion auf der gesellschaftspolitischen Ebene. Ab 1905 gründeten sich rein proletarische Freidenkerverbände, die ihre Ideen in der Zeitschrift „Atheist“ publizierten. Das freigeistige Verbandswesen, das im Ersten Weltkrieg ein Schattendasein führte, nahm in der Weimarer Republik großen Aufschwung, der sich v. a. der hohen Akzeptanz für die Feuerbestattung verdankte. Es bildete im Weltanschauungsspektrum der Weimarer Republik eine kulturpolitische Größe, die es nach seiner Wiedergründung in der BRD – nachdem es im Nationalsozialismus verboten war – nicht wieder erreichte. Heute bestehen in Deutschland drei große Dachverbände, in denen sich freireligiöse, freidenkerische und atheistische Verbände organisieren. V. a. der 1993 gegründete Humanistische Verband Deutschlands, der nicht mehr kirchenfeindlich auftritt, beansprucht trotz seiner geringen Mitgliederzahl, die Interessen aller Konfessionslosen zu vertreten und kämpft um die Gleichstellung mit den Kirchen, was zu Spannungen mit den atheistischen Verbänden führt.

4. Ausblick

Während der theoretische A., also die Frage nach der Existenz Gottes heute kaum noch eine Rolle spielt, ist der alltagspraktische A. nach wie vor Bestandteil von Weltanschauungen. Dabei finden wir ein ambivalentes Bild vor: Während die Anzahl überzeugter positiver Atheisten konstant niedrig bleibt, werden atheistische Weltanschauungen heute teils biographisch begründet, teils ähneln sie den neuzeitlichen Narrativen, wobei Frauen ihr Bekenntnis zum A. weniger als Männer mit rationalistischen oder materialistischen Argumenten begründen. Obwohl in westlichen Ländern die Religionslosen deutlich zunehmen und mitunter – wie in Deutschland – nahezu 30 % der Bevölkerung darstellen, profitiert der organisierte A. davon nicht. Insgesamt zeigt sich, dass weder der Impuls zur Abkehr vom Christentum im 18. Jh. noch der Rückgang der konfessionell-kirchlichen Bindungen seit den 1960er Jahren eine Dynamik hin zum A. entfacht; dieser fällt vielmehr wie andere Weltanschauungen der Individualisierung und Säkularisierung anheim.