Wohlfahrt

1. Definition

W. bezeichnet im weitesten Sinne das Erreichen ökonomischer, sozialer und ethischer Ideale und im engsten Sinne die ökonomische Qualität eines gesellschaftlichen Zustands, der sich durch die Produktion und Verwendung (Allokation) von Gütern auszeichnet. Oft wird W. auch als ökonomische Definition des Gemeinwohls verwendet. Ferner kann sich W. auch auf das Wohlergehen (Nutzen) und die Lebensqualität eines Individuums beziehen. Wie W. gemessen wird und welche Determinanten für sie entscheidend sind, ist seit jeher Gegenstand sozialwissenschaftlicher Diskussionen. Mit ihrer Konzeption, Messung und Diskussion befasst sich im Bereich der Wirtschaftswissenschaften die W.s-Ökonomik, die ihre Anfänge in der älteren W.s-Theorie des 18. und 19. Jh. hat und in der paretianischen und neueren W.s-Theorie des 19. und 20. Jh. wesentlich weiterentwickelt wurde. W. ist dabei häufig durch die Verfügbarkeit gewisser Güterbündel definiert, ferner sind aber auch sozialer Status und der relative Wohlstand eines Individuums innerhalb einer Gesellschaft entscheidend für sein Wohlergehen.

Grundlegend für die ökonomische W.s-Theorie ist der methodologische Individualismus nach Carl Menger und Karl Popper, demzufolge kollektive Phänomene auf der Makroebene von individuellem Handeln auf der Mikroebene abgeleitet werden. Für die W. als kollektives Konzept bedeutet das, dass sich die W. einer Gesellschaft durch die individuellen Empfindungen ihrer Mitglieder erklären lassen muss. Damit kommt die W. nicht ohne (subjektive) Werturteile aus.

Als gesamtwirtschaftlicher Indikator für die W. wird häufig das BSP verwendet, das allerdings als Maß aller in einem bestimmten Zeitraum erwirtschafteten Güter und Dienstleistungen eher als Produktionsmaß zu verstehen ist und damit nur eine Approximation an einen W.s-Begriff im oben genannten Sinne sein kann. Konzepte wie der Index der menschlichen Entwicklung (HDI) bilden daher weitere Einflussgrößen wie die Lebenserwartung oder das Bildungsniveau (Bildung) bei der Bemessung der W. in einem Indikator ab.

2. Ältere Wohlfahrtstheorie

Die ältere W.s-Theorie ist wesentlich durch den Nutzensummenutilitarismus (von englisch utility, lateinisch utilitas = Nutzen) von Jeremy Bentham und John Stuart Mill geprägt. Der Utilitarismus orientiert sich am Nutzen der Einzelpersonen und definiert die maximale W. als das „größte Glück der größten Zahl“. W. ist demzufolge die Summe der individuellen Nutzenwerte. Folglich wird von einem kardinal messbaren Nutzen ausgegangen, der sich durch zwei konstituierende Merkmale auszeichnet:

a) Nutzendifferenzen sind sinnvoll interpretierbar und können ins Verhältnis zueinander gesetzt werden.

b) Nutzenwerte sind intersubjektiv, also zwischen verschiedenen Individuen vergleichbar.

Zielsetzung des Utilitarismus ist nun die Maximierung der W. als Summe der individuellen Nutzenwerte.

In der Folge lässt sich eine vollständige Rangordnung aller denkbaren gesellschaftlichen Zustände erstellen; zwei Zuständen A und B kann immer entweder eine unterschiedliche oder eine gleichwertige W. zugeschrieben werden. Es ist also ausgeschlossen, dass unklar ist, ob A oder B vorzuziehen ist – oder ob beide Zustände gleichwertig sind.

Kritiker der älteren W.s-Theorie bemängeln einerseits, dass utilitaristische Überlegungen das Opfer eines Einzelnen rechtfertigen können, sofern es mehreren weiteren Personen nützt – wenn also der Nutzenverlust eines Individuums geringer ist als der dadurch entstehende Nutzengewinn der übrigen. Ein solcher Ansatz kann auf ethische Bedenken stoßen, insb. von Seiten der deontologischen Ethik und der Tugendethik (Ethik). Andererseits wird eingewendet, dass der Utilitarismus unter gängigen Annahmen eine Tendenz zur Gleichheit besitzt. Wenn nämlich angenommen wird, dass ein Gut einen positiven, aber abnehmenden Grenznutzen besitzt (konkave Nutzenfunktionen, Erstes Gossensches Gesetz), stiftet der Konsum der ersten Einheit eines Gutes einen größeren zusätzlichen Nutzen als die zweite; in der Folge kann die W. erhöht werden, indem relativ wohlhabenden Personen Güter weggenommen und damit relativ geringe Nutzenverluste in Kauf genommen werden, um dieselben Güter weniger wohlhabenden Personen zu überlassen und damit relativ große Nutzengewinne zu bewirken. Unter der häufig vereinfachenden Annahme identischer Nutzenfunktionen liegt das W.s-Optimum bei einer perfekten Gleichverteilung der Nutzen – und damit auch der zur Nutzenschaffung benötigten Güter. Damit haben utilitaristische Ansätze häufig eine normative Tendenz zur Nivellierung ökonomischer Ungleichheit. In der zweiten Hälfte des 20. Jh. machte sich Anthony Atkinson diese Eigenschaft additiver W.s-Funktionen zunutze, um ein utilitaristisch fundiertes Ungleichheitsmaß (Atkinson-Index) zu konzipieren.

3. Paretianische Wohlfahrtstheorie

Der Begründer der modernen W.s-Ökonomik, Vilfredo Pareto, begriff Nutzen hingegen lediglich als ordinal messbar. Demnach sind die Differenzen individueller Nutzenwerte nicht interpretierbar; es kommt lediglich darauf an, ob der Nutzenwert in einem Zustand A größer, kleiner oder gleich dem Nutzenwert in einem weiteren Zustand B ist. Des Weiteren sind die individuellen Nutzenwerte verschiedener Personen nicht miteinander vergleichbar. Von einer Erhöhung der W. im paretianischen Sinne (Pareto-Verbesserung) spricht man, wenn eine Person bessergestellt werden kann, ohne dass eine andere dadurch schlechter gestellt wird. Ein Pareto-Optimum (Pareto-Effizienz) erreicht man ferner, wenn keine Pareto-Verbesserung mehr möglich ist. Im Vergleich zweier Zustände A und B ist A pareto-superior, wenn er ausgehend von B durch eine Besserstellung von mindestens einem Individuum erreicht werden kann, ohne dass ein weiteres Individuum schlechter gestellt wird. Das Pareto-Kriterium ist somit ein relatives W.s-Konzept (im Gegensatz zum Utilitarismus, der absolute W.s-Werte bestimmt): Ob sich die W. erhöht, verringert oder stagniert, lässt sich nun nicht mehr für alle Zustände sagen. Das Pareto-Kriterium ist damit eine Präordnung gesellschaftlicher Zustände, während der utilitaristische Ansatz eine vollständige Ordnung derselben darstellt.

Die Menge aller Pareto-Optima wird auch als Nutzenmöglichkeitenkurve bezeichnet. Dabei kann kein Pareto-Optimum ausgehend von einem anderen durch eine Pareto-Verbesserung erreicht werden; die Pareto-Optima können also nicht weiter miteinander verglichen werden. An diesem Punkt setzen auch die Kritiker des Pareto-Kriteriums an, die ihm eine „Verteilungsblindheit“ vorwerfen: Die W. nach V. Pareto ist genauso optimal bei perfekter Ungleichheit wie bei perfekter Gleichheit. Ebenso ist eine paretianische Wirtschaftspolitik nahezu immer handlungsunfähig, da politische Eingriffe nur selten gänzlich ohne Verlierer auskommen. Nichtsdestotrotz gilt das Pareto-Kriterium als Minimalbedingung für eine vollständige Ordnung gesellschaftlicher Zustände anhand eines sinnvoll gewählten W.s-Begriffs.

4. Neuere Wohlfahrtstheorie

Nicholas Kaldor und John Richard Hicks versuchten das Pareto-Kriterium durch ein Kompensationskriterium zu verfeinern: Eine W.s-Verbesserung ist demnach auch dann möglich, wenn beim Übergang von einem Zustand in einen anderen gewisse Individuen verlieren und andere gewinnen, die Gewinner aber die Verlierer vollständig für den erlittenen Verlust kompensieren könnten und ihnen immer noch ein Teil des Gewinns bliebe. Tibor de Scitovsky wandte darauf allerdings ein, dass es denkbar ist, dass nach dem Kaldor-Hicks-Kriterium der Übergang von A nach B eine Verbesserung darstellt und ebenso der Übergang zurück von B nach A. Dementsprechend verschärfte er das Kriterium (Scitovsky-Doppeltest).

Zusätzlich kehrte die neuere W.s-Theorie häufig zur kardinalen Messbarkeit des Nutzens zurück und es entstanden die sogenannten sozialen W.s-Funktionen. Dabei definierten die Arbeiten von Abram Bergson und Paul Samuelson eine soziale W.s-Funktion, die strikt individualistisch eine Funktion ausschließlich der individuellen Nutzenwerte darstellt. Die optimale W. ist hierbei durch einen maximalen Wert der sozialen W.s-Funktion unter der Nebenbedingung vorgegebener gesellschaftlicher Ressourcen definiert. Die notwendige Bedingung für dieses Optimum besagt, dass für alle Individuen die Grenzrate der Substitution, also das Verhältnis der Grenznutzen, dem Preisverhältnis gleichen muss (Zweites Gossensches Gesetz). Andernfalls könnte die Gesellschaft ihre W. durch pareto-verbessernde Tausche erhöhen. John Nash entwarf die Bernoulli-Nash-W.s-Funktion, in der die individuellen Nutzenwerte miteinander multipliziert und nicht – wie im Nutzensummenutilitarismus nach J. Bentham – addiert werden. Kenneth Joseph Arrow zeigte hingegen in seinem Unmöglichkeitstheorem, dass eine aus individuellen Präferenzordnungen abgeleitete kollektive Präferenzordnung (die bspw. durch eine soziale W.s-Funktion charakterisiert werden kann) niemals zugleich mehreren gängigen und intuitiv sinnvoll erscheinenden Axiomen genügen kann.

5. Optimalität der Märkte

Der W.s-Begriff wurde von Alfred Marshall auf einzelne Märkte angewendet. In dieser Interpretation ergibt sich die W. als Summe von Konsumenten- und Produzentenrente (Rente), wobei erstere die Differenz aus der (marginalen) Zahlungsbereitschaft und dem Marktpreis und letztere die Differenz zwischen Marktpreis und Grenzkosten (d. h. den zusätzlichen Kosten) bei der Produktion eines Gutes bezeichnet. Durch den Handel entsteht in der Summe ein sozialer Überschuss, der die W. steigert: Konsumenten profitieren dadurch, dass ihre Zahlungsbereitschaft höher liegt als der tatsächliche Preis und Produzenten profitieren, indem der Preis über ihren Grenzkosten liegt und sie damit einen Deckungsbeitrag erwirtschaften können. Spielraum für einen Tausch gibt es also immer dann, wenn die Grenzkosten unter der marginalen Zahlungsbereitschaft liegen; in diesem Fall kann durch einen beidseitig vorteilhaften, also pareto-verbessernden Tausch ein weiterer sozialer Überschuss gebildet werden. Im Marktgleichgewicht bei vollkommener Konkurrenz gleicht schließlich die Zahlungsbereitschaft den Grenzkosten, weiterer Handel ist nicht mehr förderlich. Im Ersten Hauptsatz der W.s-Ökonomik wurde dieser Befund von K. J. Arrow und Gérard Debreu nachgewiesen: Vollkommene Konkurrenzmärkte sorgen für eine pareto-effiziente Allokation (Verwendung) von Gütern.

Vergleichbare Optimalitätsbedingungen können auch für die Beschaffungsmärkte von Produktionsfaktoren (z. B. Arbeit, Kapital, Boden) formuliert werden. Auf dem Arbeitsmarkt bestimmt sich die Arbeitsnachfrage der Arbeitgeber nach dem Wertgrenzprodukt, d. h. dem Geldwert der zusätzlich von einem Arbeitnehmer produzierten Güter. Ferner wägen die Arbeitsanbieter (also die Arbeitnehmer) zwischen dem Wert der Freizeit und dem Arbeitslohn ab. Im Gleichgewicht ist also der Grenznutzen der Freizeit und der Grenznutzen der vom Arbeitslohn beschafften Güter gleich – und gleicht ebenfalls dem Wertgrenzprodukt. Ähnliche Überlegungen können für andere Produktionsfaktoren angestellt werden; die Optimalität von Faktormärkten unter idealen Wettbewerbsbedingungen sorgt folglich für eine effiziente Allokation der Produktion. Sie ist also eine effiziente Antwort auf die Frage, was mit dem Ziel der W.s-Maximierung in welchem Umfang und mit welchen Faktoren produziert werden sollte. Hingegen sorgt die Optimalität wettbewerblich organisierter Gütermärkte für eine effiziente Allokation von Konsumgütern und bietet damit eine Antwort auf die Frage, welche Haushalte wie viel von welchen Gütern konsumieren sollten, um die W. zu maximieren. Letzten Endes steckt auch hinter diesem Konzept ein utilitaristischer Ansatz, sodass auch hierauf die bereits erwähnten Kritikpunkte am Utilitarismus anwendbar sind.

6. Marktversagen, staatliches Handeln und Wohlfahrtsverluste

Die Pareto-Optimalität kompetitiver Märkte bewegte die Ordnungsökonomik dazu, staatliches Handeln dort zu fordern, wo Marktversagen auftritt. Marktversagen entsteht wiederum, wenn ein vollkommener Wettbewerb verhindert wird oder aber schädlich ist. Das geschieht insb. in drei Fällen: bei der Existenz eines natürlichen Monopols, bei externen Effekten und bei Informationsasymmetrien.

Ein natürliches Monopol zeichnet sich durch über den gesamten Marktumfang sinkende Durchschnittskosten aus. Ein einzelnes Unternehmen wird dann effizienter produzieren, wenn es sich den Markt nicht mit einem weiteren Unternehmen teilen muss. Dadurch entsteht aber im Extremfall monopolistische Marktmacht, die i. S. d. Monopolisten dazu genutzt würde, um seinen Gewinn auf Kosten der W. zu steigern, indem er die Preise erhöht und das Angebot verknappt. Staatliches Handeln zielt in diesem Bereich häufig darauf, dass bspw. die Preise oder Erlöse gedeckelt werden, um sich dem W.s-Optimum anzunähern (Regulierungsökonomik).

Externe Effekte (Externalitäten) entstehen, wenn die Produktion oder der Konsum eines Gutes nicht nur mit Kosten bzw. Erträgen für die beteiligten Anbieter und Nachfrager, sondern auch mit solchen für unbeteiligte Dritte verbunden ist. Eine negative Externalität verursacht zusätzliche Kosten für unbeteiligte Dritte; auf Märkten mit negativen Externalitäten wird folglich ineffizient viel produziert. Arthur Cecil Pigou schlug daher vor, die Kosten Dritter zu internalisieren, indem das jeweilige Gut durch Lenkungssteuern verteuert wird (Pigou-Steuer). Eine positive Externalität hingegen verursacht zusätzliche Erträge für unbeteiligte Dritte. In diesem Fall kann eine staatliche Subvention dafür sorgen, dass eine pareto-effiziente Menge am Markt produziert wird.

Schließlich können Informationsasymmetrien sogar verhindern, dass überhaupt ein Markt entsteht, obwohl er die W. maximieren würde. Grund dafür ist, dass eine wichtige Annahme des vollkommenen Wettbewerbs nicht erfüllt ist: Markttransparenz. Asymmetrisch verteilte Informationen können zu einer ineffizienten Vorsicht bei manchen Marktteilnehmern führen. Staatlicherseits entsteht möglicherweise Handlungsbedarf, Informationen besser auf die Marktseiten zu verteilen.

Ähnlich wie in Fällen des Marktversagens können aber auch staatliche Eingriffe sogenannte W.s-Verluste (deadweight loss) verursachen, v. a. wenn sie ein Wettbewerbsgleichgewicht stören. So können Steuern die am Markt gehandelten Güter verteuern und damit die abgesetzte Menge reduzieren, wodurch im Regelfall die W. schrumpft (Harberger Dreieck). Auch direkte Eingriffe in den Preismechanismus verursachen einen W.s-Verlust: Ein bindender Mindestpreis führt dazu, dass ein Gut für Nachfrager mit relativ niedriger Zahlungsbereitschaft unattraktiv wird, während ein bindender Höchstpreis relativ unrentable Unternehmen vom Markt verdrängt. In beiden Fällen sinkt die gehandelte Menge, wodurch auch die W. sinkt. Vor diesem Hintergrund sind auch staatliche Eingriffe in Reaktion auf Externalitäten sorgfältig abzuwägen: Da der Staat im Regelfall weder das exakte Ausmaß der Externalität noch die genaue Zahlungsbereitschaft der Nachfrager (d. h. die Nachfragekurve) oder die genauen Kosten der Anbieter (d. h. die Angebotskurve) kennt und daher auch nicht weiß, wie der Eingriff gestaltet sein muss, um das effiziente (wohlfahrtsoptimale) Gleichgewicht zu erreichen, führt eine staatliche Intervention nicht zwangsläufig zu einer W.s-Steigerung.