Organisierte Kriminalität

1. Begriffliche Eingrenzungen

„O. K.“ ist ein historisch gewachsener Begriff, der ganz unterschiedliche Einflüsse widerspiegelt. Mit ihm wird versucht, Kriminalitätserscheinungen zu erfassen, die von besonderer Tragweite sind und Staat und Gesellschaft vor besondere Herausforderungen stellen. Ob eine Definition überhaupt möglich und sinnvoll ist, wird in Fachkreisen seit Jahrzehnten diskutiert. Im Wesentlichen stehen drei Facetten der Kriminalitätswirklichkeit im Mittelpunkt der Betrachtung: die Organisation von Straftaten, die Organisation von Straftätern und die Organisation von gesellschaftlichen Sphären mit kriminellen Mitteln. Die in Deutschland seit 1990 für die Arbeit der Strafverfolgungsbehörden verwendete Begriffsbestimmung greift diese drei Punkte mit unterschiedlicher Schwerpunktsetzung auf. Danach handelt es sich bei o.r K. im Kern um die „planmäßige Begehung von Straftaten“. Diese Straftaten müssen von mindestens drei Beteiligten „auf längere oder unbestimmte Dauer arbeitsteilig“ ausgeführt werden. Hinzu kommt, dass es bei der Begehung der Taten nicht unbedingt um Profit gehen muss. Der o.n K. werden auch solche Handlungen zugerechnet, die von „Machtstreben“ bestimmt sind. Als Instrumentarien organisierter Krimineller werden dabei neben illegaler Geschäftemacherei und der Anwendung von Gewalt auch die „Einflussnahme auf Politik, Medien, öffentliche Verwaltung, Justiz oder Wirtschaft“ in Betracht gezogen (Bundeskriminalamt 2022, S. 10).

2. Erscheinungsformen

Der Begriff „o. K.“ impliziert, dass es besondere Erscheinungsformen von Kriminalität gibt, die von normaler, einfacher bzw. alltäglicher Kriminalität abzugrenzen sind. Versteht man „o. K.“ in erster Linie als die organisierte Begehung von Straftaten, so geht es um kriminelles Verhalten, das sich mehr oder weniger deutlich von spontanen, impulsiven Taten im „Hier“ und „Jetzt“ abhebt. Als „organisiert“ werden Straftaten insb. dann eingeordnet, wenn sie sorgfältig geplant sind, unterschiedliche Handlungskomponenten ineinandergreifen, und die Taten entweder einen großen Zeitaufwand erfordern oder kontinuierlich ausgeführt werden. Im Ergebnis wird davon ausgegangen, dass die organisierte Begehung von Straftaten effektiver, profitabler und schädlicher ist als „unorganisierte“ Kriminalität, und gleichzeitig durch das versierte Vorgehen der Täter die Ermittlungsarbeit der Polizei erschwert wird.

Legt man den Schwerpunkt auf die Organisation von Straftätern – es handelt sich tatsächlich ganz überwiegend um männliche Täter –, wird o. K. zum einen abgegrenzt von allein handelnden und sozial isolierten Tätern, und zum anderen von gemeinschaftlich handelnden Tätern, die lediglich als amorpher, von Emotionen getriebener Mob Straftaten begehen. O. K. verstanden als die Organisation von Straftätern bezieht sich im engeren Sinne auf den Umstand, dass es Straftaten gibt, die im geordneten Zusammenwirken mehrerer Beteiligter begangen werden, etwa in Form von Drogenhandelsunternehmen oder Einbrecherbanden. Im weiteren Sinne geht es darum, dass Kriminelle über einzelne Straftaten hinaus eingebettet sind in ein Geflecht von Beziehungen mit anderen Kriminellen, wie im Fall italienischer Mafiavereinigungen. Über diese Beziehungsgeflechte sind sie in der Lage, in vielfältiger Form auf die Unterstützung anderer Krimineller zurückzugreifen, um ganz allgemein Risiken und Belastungen zu verringern, die mit einem Leben in der Kriminalität verbunden sind.

Setzt man o. K. primär in Bezug zur Organisation gesellschaftlicher Sphären, dann handelt es sich um einen systemischen Zustand, der dadurch gekennzeichnet ist, dass Kriminelle als Macht- und Ordnungsfaktor auftreten und in ihrem Einflussbereich Regeln setzen und durchsetzen. Dies kann auf kriminelle Milieus oder bestimmte illegale Märkte beschränkt sein. Der Einfluss Krimineller kann sich darüber hinaus aber auch auf marginalisierte Subkulturen, Sektoren der legalen Wirtschaft oder die Gesellschaft insgesamt erstrecken; dann typischerweise in Allianzen mit gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Eliten. Kriminelle Machtstrukturen füllen so entweder ein Machtvakuum, das dort entsteht, wo der Staat nicht willens oder in der Lage ist, selbst regulierend einzugreifen, oder sie werden zum Akteur in gesellschaftlichen Auseinandersetzungen.

Die der o.n K. zugerechneten Phänomene treten kontextabhängig in sehr unterschiedlichen Konstellationen entlang der drei Dimensionen von organisierten Straftaten, organisierten Straftätern und organisierten gesellschaftlichen Sphären auf. Es ist keineswegs zwingend, dass sich die Qualität der Straftatenbegehung, der Grad der Organisation der beteiligten Straftäter und die Entwicklung von kriminellen Machtstrukturen gleichmäßig in eine Richtung entwickeln. Vielmehr ergibt sich die konkrete Ausprägung o.r K. aus dem Zusammenspiel unterschiedlicher Faktoren, die z. B. beeinflussen, welche Gelegenheiten für die Begehung von Straftaten sich ergeben, welche Anreize und Zwänge für ein Leben in der Kriminalität bestehen, welche Voraussetzungen dafür existieren, dass Kriminelle sich vernetzen und zusammenschließen, welche individuellen und kollektiven Interessen und Präferenzen der kriminellen Akteure sich durchsetzen können und welche Spielräume ihnen von Staat, gesellschaftlichen Eliten und Zivilgesellschaft eröffnet und zugestanden werden.

3. Ausmaß, Auswirkungen und Gegenmaßnahmen

Es bereitet erhebliche Schwierigkeiten zu beurteilen, welche Tragweite o. K. hat. Dies beruht zum einen auf der Vielschichtigkeit der in Betracht zu ziehenden Phänomene, die jeweils unterschiedliche und teils gegenläufige Konsequenzen mit sich bringen, zum anderen auf dem Umstand, dass die einzelnen Phänomene eher schwer zu identifizieren und systematisch zu erfassen sind.

Die Tragweite organisierter, ebenso wie normaler Kriminalität, bemisst sich zunächst nach der Häufigkeit und den direkten Folgen der begangenen Straftaten, etwa den verursachten Schäden bei Eigentums- und Vermögensdelikten wie Wohnungseinbruchsdiebstahl oder Kapitalanlagebetrug. Straftaten im Zusammenhang mit illegalen Märkten, bei denen es um das Angebot illegaler Güter und Dienstleistungen geht, wird die Tragweite am Marktvolumen, an den von Kriminellen erzielten Profiten oder an den Folgekosten bemessen, etwa den Behandlungskosten für Drogenabhängige, den Beseitigungskosten für illegal entsorgte Abfälle oder den Einnahmeverlusten des Staates im Fall des illegalen Handels mit hochversteuerten Waren wie Zigaretten oder Alkohol.

Die Organisation von Straftätern trägt tendenziell zur Erhöhung der Effektivität der Straftatenbegehung bei, eröffnet und erleichtert aber auch den Zugang zur und den Verbleib in der Kriminalität. Dadurch wird die Wahrscheinlichkeit zukünftiger Straftaten erhöht.

Kriminelle Machtstrukturen stellen per se eine Herausforderung für Staat und Gesellschaft dar, denn es handelt sich um die Ausübung nicht legitimierter Macht. Dies führt tendenziell zu einer Untergrabung staatlicher Autorität und der Neutralisierung von Strafverfolgung, was wiederum günstigere Bedingungen für die Begehung von Straftaten schafft. Allerdings kann die Entstehung krimineller Machtstrukturen auch zu einer Reduzierung von Kriminalität führen, etwa wenn kriminelle Gruppierungen in ihrem Einflussgebiet gegen bestimmte Straftaten wie den Verkauf harter Drogen oder Straßenraub vorgehen, oder wenn Mechanismen der Konfliktvermeidung und Konfliktschlichtung im kriminellen Milieu Wirkung zeigen.

Auswirkungen organisierter Kriminalität sind darüber hinaus in größeren gesellschaftlichen Dimensionen beobachtbar. Bspw. können illegale Finanzströme, die sich aus kriminellen Gewinnen speisen, Wechselkurse und das Preisniveau auf dem Immobilienmarkt beeinflussen. Die kriminelle Einflussnahme auf die legale Wirtschaft kann Investoren abschrecken und damit die wirtschaftliche Entwicklung hemmen. Schließlich können kriminelle Einflussnahmen auf staatliche Institutionen, die Medien und die Zivilgesellschaft zu einer Aushöhlung demokratischer und rechtsstaatlicher Prozesse (Demokratie, Rechtsstaat) führen.

In der Gesamtschau lassen sich drei Szenarien aufzeigen, die unterschiedliche Entwicklungsstufen organisierter Kriminalität erfassen. Auf der ersten Stufe, die repräsentativ sein dürfte für die Situation in Nord-West-Europa, versuchen kriminelle Akteure, sich durch konspiratives und unspektakuläres Vorgehen möglichst im Verborgenen zu halten. Auf der zweiten Stufe versuchen sie durch Korruption und Einschüchterung Immunität gegenüber Strafverfolgung zu erlangen. Auch hierfür gibt es in Nord-West-Europa einige Belege. Jedoch scheint es sich (noch) eher um Ausnahmen von der Regel zu halten. Auf der dritten Stufe treten kriminelle Akteure dem Staat und den gesellschaftlichen Eliten auf gleicher Ebene gegenüber, und zwar einerseits als Partner in Machtallianzen und andererseits als Konkurrenten. Diese Konstellation zeigt sich insb. in Gesellschaften in Umwälzungsphasen, etwa den Staaten des früheren Ostblocks Anfang der 1990er Jahre. Im Extremfall kommt es zu einer Konfrontation zwischen Staat und kriminellen Organisationen, wie im Fall des Medellín-Kartells in Kolumbien oder der Sizilianischen Mafia in Italien in den 1980er und frühen 1990er Jahren. Allerdings haben sich diese gewalttätigen Auseinandersetzungen aus engen Verflechtungen zwischen kriminellen, politischen und staatlichen Strukturen ergeben. Es geht also nicht um eine bloße Eskalation des Grundkonfliktes zwischen Legalität und Illegalität.

Die Entwicklung in Richtung einer Durchdringung von Gesellschaft, Staat und Wirtschaft durch organisierte Kriminalität kann durch verschiedene Faktoren aufgehalten und umgekehrt werden. Ein wichtiger Faktor ist effektive Strafverfolgung, wozu nicht zuletzt verdeckte Ermittlungsmethoden wie elektronische Überwachung gehören, aber auch fallübergreifende Lagebilder als Grundlage strategischer Kriminalanalyse. Ein weiterer Faktor ist die Effizienzsteigerung staatlicher Institutionen, bspw. der Zivilgerichtsbarkeit (Gerichtsbarkeit), um der Entstehung einer Nachfrage nach außerrechtlicher Durchsetzung privater Interessen entgegenzuwirken. Wichtig ist in diesem Zusammenhang aber auch erhöhte Transparenz staatlichen Wirkens, um Spielräume krimineller Einflussnahme zu minimieren. Schließlich bedarf es einer starken Zivilgesellschaft und risikobereiter Medien, die die Resilienz staatlicher und gesellschaftlicher Institutionen erhöhen.