Kirchliches Eherecht

1. Katholisches Eherecht

Das katholische Eheverständnis stützt sich auf die Weisungen Jesu (Mk 10,2–12; Mt 5,31 f.; 19,3–12; Lk 16,18) und die paulinische Tradition (Eph 5,21–33). Damit liegt keine in sich geschlossene christliche Ehelehre vor. Diese entwickelte sich unter dem Einfluss der Kirchenväterliteratur, insb. des heiligen Augustinus. Seine Lehre über die Ehegüter bereitete dem k.n E. den Boden, das durch Rezeption des römischen Rechts über Jh. die vertragsrechtliche Konzeption der Ehe betonte. Die mittelalterliche Kanonistik versöhnte die römische und die germanische Rechtstradition mit der Aussage: Der Ehekonsens begründet die Ehe, der geschlechtliche Vollzug macht sie unauflöslich. Die lebenslange, auf die Zeugung und Erziehung von Nachkommen zielende Einehe prägte das christlich-abendländische Eheverständnis und das weltliche Eherecht bis in die jüngste Vergangenheit. Die Zunahme von Wiederverheiratungen nach Scheidungen seit Mitte des 20. Jh. sowie die Anerkennung homosexueller Partnerschaften fragen die Exklusivität der kirchlichen Vorstellungen über die Ehe an. Für den innerkirchlichen Bereich beansprucht die Kirche weiterhin die exklusive Jurisdiktionshoheit. Nach Maßgabe der cann. 1055–1165 CIC (cann. 776–866 CCEO, für die katholischen Ostkirchen) verpflichtet das göttliche Recht alle christlich Getaufen und das kirchliche Recht (Kirchenrecht) darüber hinaus die Katholiken aller Riten. Die eherechtlichen Bestimmungen für die katholischen Ostkirchen im CCEO/1990 entsprechen seit einer Rechtsreform 2016 substantiell denen des lateinischen Rechts. Nur die bürgerlichen Wirkungen der Ehe werden (can. 1059 CIC) dem Staat konzediert.

1.1 Das Wesen der Ehe

Im Zentrum des katholischen E.s steht der Ehekonsens, d. h. die gegenseitige übereinstimmende Willenserklärung der Brautleute, miteinander die Ehe als rechtliche und personale Wirklichkeit begründen zu wollen. Kirchlicherseits geht es hier um einen Initialkonsens, d. h. alle rechtlichen Gültigkeitsanforderungen müssen zum Zeitpunkt der Ehewillenserklärung erfüllt sein. Auf ein späteres Abweichen vom erklärten Willen kommt es nicht an. Davon weicht die weltliche Ehekonzeption des Kontinualkonsens ab, dessen Wegfall eine Scheidung ermöglicht. Auch nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil hält die katholische Kirche am Konsensprinzip fest. Diese vertragsrechtliche Komponente hat das Konzil (GS 48) um eine theologische Wirklichkeit personaler Bindung ergänzt, den Bund (foedus). Die Ehe ist Abbild des Bundes zwischen Christus und der Kirche und daher unter Getauften immer Sakrament (can. 1055 CIC). Dies begründet und festigt zugleich die beiden Wesenseigenschaften der Einheit (Monogamie) und der Unauflöslichkeit (keine Auflösung durch die Gatten selbst) der Ehe (cann. 1056, 1134 CIC). Zu den Weseneigenschaften der Ehe treten die Wesenselemente des Wohls der Ehegatten und der Zeugung und Erziehung der Nachkommen (can. 1101 § 2 i. V. m. 1055 § 1 CIC) hinzu, deren willentlicher Ausschluss den Konsens verungültigt. Eine Eheauflösung ist nur durch die zuständige kirchliche Autorität bei Vorliegen der kanonischen Rechtsgründe möglich, die bis ins 20. Jh. immer weiter ausgedehnt wurden. Unauflösbar bleibt nur die gültige und vollzogene Ehe unter Getauften (can. 1141 CIC). Der Gegenbeweis kann im kanonischen Verfahren angetreten werden (cann. 1141–1150; 1171–1707 CIC und weitere Spezialverfahren, die eigens geregelt sind). Aus Gründen der Rechtssicherheit wird angenommen, dass der erklärte Ehewille mit dem wirklichen Willen übereinstimmt (can. 1101 § 1 CIC). Die Ehe erfreut sich zudem der Rechtsgunst (can. 1060 CIC).

1.2 Die rechtliche Ordnung der Ehe

CIC/1983 und CCEO behandeln das katholische E. im Kontext des Sakramentenrechts in den cann. 1055–1165 CIC bzw. cann. 776–866 CCEO nach einleitenden Grundbestimmungen in zehn Kapiteln von der Ehevorbereitung über die Gültigkeitserfordernisse und die Aufhebung bis zur Gültigmachung rechtsfehlerhaft geschlossener Ehen. Die Ehe ist Bund und Vertrag, wobei der Akt der Eheschließung die vertragsrechtliche Seite abbildet (vgl. cann. 1055 § 2, 1058, 1085 § 2, 1086 § 3 1094, 1098, 1101 § 2, 1102 § 1 CIC). Vertragsziele sind die Begründung der ganzheitlichen Lebensgemeinschaft (consortium totius vitae), das Wohl der Ehegatten und der Raum für die Nachkommenschaft. Die Ehe hat ihr rechtliches Fundament in der Schöpfungsordung, daher ist das Recht auf Ehe ein Menschenrecht, soweit keine rechtlichen Hinderungsgründe entgegenstehen (can. 1058 CIC). An die einleitenden Normen schließen sich Vorschriften über die Ehevorbereitung an (cann. 1063–1083 CIC). Hier werden u. a. sieben dispensable Trauverbote (can. 1071 § 1 CIC) normiert. Sie richten sich an die für die Ehevorbereitung Verantwortlichen und die der Trauung Assistierenden. Der CIC/1983 kennt nur noch verbietende Ehehindernisse. Erstere sind in den cann. 1083–1094 CIC zusammengestellt und in solche göttlichen und kirchlichen Rechts unterschieden. Nur Letztere sind durch den Ortsordinarius bzw. den Apostolischen Stuhl dispensierbar (can. 1078 § 1 CIC). Dem mangelhaften Ehekonsens widmen sich die cann. 1095–1107. Sie beschreiben ein rechtserhebliches Abweichen des erklärten vom wirklichem Willen wenigstens eines der Brautleute. Das Spektrum reicht von psychopathologischen Unfähigkeiten über Unkenntnis, Irrtum, Täuschung und Zwang bis zu Bedingungen und Vorbehalten gegen den vorgelegten Eheentwurf der Kirche. Aus Gründen der Rechtssicherheit erstrebte die Kirche früh eine Formpflicht zur Eheschließung. Sie konnte erst mit dem CIC/1917 universalkirchlich durchgesetzt werden. In den cann. 1108–1123 CIC werden die Formerfordernisse normiert: persönliche Konsensleistung (oder durch Stellvertreter) vor amtlich beauftragtem Assistenten und zwei Zeugen im Rahmen einer liturgischen Feier, möglichst in einer Kirche. Zur kanonischen Eheschließung sind alle Katholiken rechtlich verpflichtet, auch die aus der Kirche ausgetretenen (can. 1117 CIC). Nichterfüllung führt zur Nichtigkeit. Die cann. 1124–1129 CIC handeln über die konfessions- bzw. religionsverschiedenen Ehen, die unter einem kirchlichen Erlaubnisvorbehalt stehen und gleichfalls der Formpflicht unterliegen, von der in Einzelfällen dispensiert werden kann (can. 1127 § 2 CIC). Doppeltrauungen sind verboten (can. 1127 § 3 CIC). Ungültig geschlossene Ehen können im Nachinein gültig gemacht werden, entweder durch eine convalidatio simplex, durch einen neuen Ehekonsens (cann. 1156–1160 CIC) oder durch eine sanatio in radice, die rechtlich auf den Zeitpunkt der Ehewillenserklärung abstellt (cann. 1161–1165 CIC).

2. Evangelisches Eherecht

Nach reformatorischem Verständnis kommt der Kirche keine Jursidiktion über die Ehe zu. Auch wenn die Ehe nicht als Sakrament anerkannt wird, so gehört sie doch zum Bereich der Heilsordnung. Martin Luthers Trauungsbüchlein (1529) bleibt dabei, dass die Ehe durch den Konsens der Gatten zustande kommt. Die evangelischen Kirchen haben das theologische Eheverständnis lange Zeit mit den Katholiken geteilt. Die evangelischen Kirchenordnungen sahen die Eheschließung der Brautleute vor dem Pfarrer vor. Mit dem Aufkommen der Zivileheschließung wird die Trauungshandlung konstitutiv vor die staatliche Autorität verlagert. Der kirchlichen Trauung kommt fortan deklarative Bedeutung zu. Sie wird daher zurecht in einigen Kirchen auch als Einsegnung bezeichnet. Mit Anerkennung der Zivileheschließung als Konstitutivum für den Heiratswillen haben die evangelischen Kirchen mit der Zeit das Wesenselement der Unauflöslichkeit der christlichen Ehe aufgegeben, weil dies nicht Bestandteil der Erklärung gemäß § 1353 BGB ist. Zudem ist eine kirchliche Trauung für evangelische Christen nicht obligatorisch, sondern freiwilliger zusätzlicher religiöser Akt, der keine rechtliche Bindungswirkung entfaltet. Die Agenden sehen die evangelische Trauung für evangelische und konfessionsverschiedene Christen vor. Auch religionsverschiedene Paare werden i. d. R. getraut. Die Möglichkeit der Trauung homosexueller Paare wird von der evangelischen Landeskirche unterschiedlich gehandhabt. Einige haben keine diesbezügliche Ordnung und überlassen die Entscheidung dem betreffenden Pfarrer/der Pfarrerin. Andere Landeskirchen sehen einen „kirchlichen Segnungsgottesdienst anlässlich einer Eheschließung“ vor, wieder andere sprechen von einer „Trauung“. In diesen Landeskirchen können Pfarrer oder Pfarrerin jedoch aus Gewissensgründen eine Amtshandlung ablehnen, eine Dimissorale ausstellen und die Paare an andere Pfarrer überweisen. Die stattgefundene Amtshandlung wird in die Kirchenbücher eingetragen.