Europäisches Parlament

Das E. P. ist das direkt gewählte und unmittelbar legitimierte parlamentarische Organ der EU, deren Arbeitsweise auf der repräsentativen Demokratie beruht (Art. 10 Abs. 1 EUV). Es ist die unmittelbare Vertretung der Bürgerinnen und Bürger der EU-Mitgliedstaaten (Art. 10 Abs. 2 S. 1 EUV). Die Sicherstellung der Nähe der EU zu den Bürgerinnen und Bürgern ist Anspruch, Aufgabe und wesentliche Legitimationsquelle des E.n P.s Im Unterschied zu anderen internationalen Organisationen sollten schon die Gründungsverträge der EG (EGKS-Vertrag, Euratom-Vertrag und EWG-Vertrag) durch die Einfügung einer parlamentarischen Vertretung eigenständig legitimiert werden. Sie waren von Anfang an auf eine Weiterentwicklung der Institutionen, Entscheidungsverfahren sowie der funktionalen Reichweite angelegt.

1. Entstehung

Bereits mit dem EGKS-Vertrag vom 18.4.1951 wurde die Gemeinsame Versammlung (Art. 3), bestehend „aus (78) Vertretern der Völker der in der Gemeinschaft zusammengeschlossenen Staaten“ geschaffen und der Hohen Behörde als parlamentarisches Kontrollorgan gegenübergestellt. An ihre Stelle trat bei der Gründung von EWG und Euratom auf Grundlage des gleichzeitig geschlossenen Abkommens über Gemeinsame Organe für die Europäischen Gemeinschaften vom 25.3.1957 die („einzige“) Versammlung (Art. 1), welche die in den drei Gemeinschaftsverträgen jeweils der Versammlung übertragenen Befugnisse und Zuständigkeiten ausübte. Diese Versammlung gab sich am 19.3.1958 im Deutschen und Niederländischen den Namen E. P. und dehnte diese Bezeichnung am 30.3.1962 auf alle Gemeinschaftssprachen aus.

2. Direktwahl

Seit 1979 werden auf Grund des Aktes zur Einführung allgemeiner unmittelbarer Wahlen der Abgeordneten des E.n P.s vom 20.9.1976 die Abgeordneten alle fünf Jahre in allgemeiner, unmittelbarer, freier und geheimer Wahl gewählt (Art. 14 Abs. 3 EUV). Die Wahlperiode ist seit 1995 mit der Amtsperiode der Europäischen Kommission synchronisiert. Wahlberechtigt sind Bürgerinnen und Bürger der EU an ihrem Wohnsitz oder in ihrem Herkunftsland (Art. 20 Abs. 2 S. 2 b und Art. 22 Abs. 2 AEUV). Gemäß Art. 7 Abs. 2 des Aktes richtet sich das Wahlverfahren in jedem Mitgliedstaat nach den innerstaatlichen Vorschriften, soweit der Direktwahlakt keine Vorschriften enthält. Seit dem Einlenken Großbritanniens 1999 gilt in allen Mitgliedstaaten jedoch ein Verhältniswahlsystem. In der Bundesrepublik Deutschland z. B. werden die Europaabgeordneten nach den Grundsätzen der Verhältniswahl mit Listenwahlvorschlägen gewählt, wobei diese für ein Land oder als gemeinsame Liste für alle Länder aufgestellt werden können. Eine Sperrklausel ist nach dem Urteil des BVerfG vom 26.2.2014 nichtig, was bei der Europawahl 2014 dazu geführt hat, dass sieben Splitterparteien mit je einem Abgeordneten ins E. P. einziehen konnten.

Nach dem Lissabon-Vertrag (Art. 223 Abs. 1 u. 2 AEUV) hat das E. P. einen Entwurf der erforderlichen Bestimmungen für die allgemeine unmittelbare Wahl seiner Mitglieder nach einem einheitlichen Verfahren in allen Mitgliedstaaten oder im Einklang mit den allen Mitgliedstaaten gemeinsamen Grundsätzen zu erstellen. Der Rat der Europäischen Union erlässt die erforderlichen Bestimmungen einstimmig gemäß einem besonderen Gesetzgebungsverfahren und nach Zustimmung des E.n P.s, die mit der Mehrheit seiner Mitglieder erteilt werden muss. Sie bedürfen allerdings der Ratifizierung durch die Mitgliedstaaten. Ein entsprechender Ratsbeschluss ist bisher jedoch nicht zustande gekommen.

Mit der Einführung der Direktwahl 1979 wurde die Mitgliederzahl des E.n P.s von 198 (nach dem Beitritt Großbritanniens, Irlands und Dänemarks) auf 410 erhöht, um eine stärkere Differenzierung und Annäherung an die Einwohnerzahl der verschiedenen Mitgliedstaaten zu erreichen. Auf die vier großen Mitgliedstaaten entfielen je 81 Sitze, Niederlande 25, Belgien 24, Dänemark 16, Irland 15 und Luxemburg sechs. Die folgenden Erweiterungen führten schrittweise zu Steigerungen der Abgeordnetenzahlen.

3. Mandatsverteilung im Lissabon-Vertrag

Der Lissabon-Vertrag schuf ein neues System der Mandatsverteilung. Er legt die Höchstzahl der Mandate im E.n P. auf 750 „zuzüglich des Präsidenten“ fest (Art. 14 Abs. 2 S. 2 EUV). Die Mindestzahl pro Mitgliedstaat beträgt sechs, die Höchstzahl 96 Sitze (Art. 14 Abs. 2 S. 3 und 4 EUV), was für Deutschland einen Verlust von drei Mandaten bedeutete. Mit Beginn der 8. Wahlperiode 2014 hat das E. P. nun die vertraglich festgeschriebenen 751 Mitglieder (einschließlich Kroatiens). Im Fall weiterer Beitritte muss die Zahl der Mandate der einzelnen Mitgliedstaaten in diesem Rahmen im Wege des politischen Kompromisses „degressiv proportional“ angepasst werden. Der Europäische Rat erlässt dazu einstimmig auf Initiative des E.n P.s und mit dessen Zustimmung einen entsprechenden Beschluss (Art. 14 Abs. 2 II EUV).

Die Sitzverteilung auf die Mitgliedstaaten verhält sich nach dem Lissabon-Vertrag nur begrenzt proportional zur Einwohnerzahl. In Deutschland, Frankreich und Spanien z. B. vertritt ein Abgeordneter etwa 850 000, in Griechenland 530 000, in Litauen 300 000 und in Malta 66 000 Bürger. Das Gewicht der Stimme des Staatsangehörigen eines bevölkerungsschwachen Mitgliedstaates kann etwa das Zwölffache des Gewichts der Stimme des Staatsangehörigen eines bevölkerungsstarken Mitgliedstaates betragen. Damit bleibt die Zusammensetzung unter dem Legitimationsgesichtspunkt des demokratischen Elementarerfordernisses der Stimmengleichwertigkeit jedes Bürgers unverändert unbefriedigend.

4. Bedeutung der Direktwahl

Allgemein wird die Europawahl wie Kommunal- oder Landtagswahlen als „Sekundärwahl“ oder „Nebenwahl“ gewertet, deren Themen und politische Bedeutung sich vorrangig aus dem Zusammenhang der nationalen Politik ableiten. Nach wie vor dienen Europawahlen neben der Auswahl von Mandatsträgern v. a. der Sanktionierung nationaler Regierungspolitik, dem auch die nationalen Parteien im Wahlkampf Rechnung tragen. Darunter leidet bes. die Legitimierung der EU durch das direkt gewählte E. P. Bei der ersten Direktwahl des E.n P.s im Jahr 1979 lag die Wahlbeteiligung in der damals nur neun Mitgliedstaaten zählenden EU bei 66 %. Seitdem ist sie kontinuierlich gesunken: 2014 auf 43,37 %.

5. Sitz

Nach wie vor politisch umstritten ist die Frage des Sitzes. Zwar hat der Gipfel von Edinburgh 1992 einen eindeutigen Beschluss gefasst, der mit dem Protokoll Nr. 8 zum Vertrag von Amsterdam 1997 Bestandteil des EU-Vertragswerkes geworden ist. Darin heißt es: „Das Europäische Parlament hat seinen Sitz in Straßburg; dort finden die zwölf monatlichen Plenartagungen einschließlich der Haushaltstagung statt. Zusätzliche Plenartagungen finden in Brüssel statt. Die Ausschüsse des Europäischen Parlaments treten in Brüssel zusammen. Das Generalsekretariat des Europäischen Parlaments und dessen Dienststellen verbleiben in Luxemburg.“ Im Wettlauf bauten ab den 80er Jahren sowohl Frankreich in Straßburg als auch Belgien in Brüssel umfangreiche räumliche Kapazitäten aus. 1993 nahm das E. P. seinen großen Gebäudekomplex in Brüssel in Betrieb, dem bis 2008 mehrere Erweiterungsbauten folgten, so dass der Arbeitsalltag der Abgeordneten, Fraktionen, Ausschüsse und interparlamentarischen Delegationen sich am Sitz von Kommission und Rat in Brüssel vollzieht.

6. Selbstorganisationsrecht

Das E. P. kann seine inneren Angelegenheiten autonom regeln. Es hat sich im Rahmen seines Selbstorganisationsrechts gemäß Art. 232 Abs. 1 AEUV eine Geschäftsordnung (GOEP) gegeben. Allerdings enthält der Lissabon-Vertrag einige Vorgaben hinsichtlich der jährlichen Sitzungsperiode (Art. 229 AEUV), der Wahl von Präsident und Präsidium (Art. 14 Abs. 4 AEUV), der Anhörung der Kommission (Art. 230 Abs. 1 AEUV), erforderlicher Mehrheiten (Art. 231 AEUV) und der Veröffentlichung der Protokolle (Art. 232 AEUV). Das E. P. legt im Rahmen des Protokolls Nr. 8 zum Vertrag von Amsterdam die Häufigkeit, Dauer und Tagesordnung seiner Plenarsitzungen selbst fest. Es hat sich darüber hinaus arbeitsteilig in Ausschüssen und Fraktionen organisiert. Die Ausschüsse spiegeln in ihrer Zusammensetzung die Mehrheitsverhältnisse des Plenums (Art. 199 Abs. 1 GOEP). Daneben können ad hoc-Ausschüsse sowie Untersuchungsausschüsse gebildet werden (Art. 197, 198 GOEP; Art. 226 AEUV).

In den Grenzen des Protokolls über die Vorrechte und Befreiungen der EU und des Direktwahlaktes ist das E. P. befugt, „Regelungen und allgemeine Bedingungen“ für die Aufgabenerfüllung der Abgeordneten festzulegen, die allerdings der Zustimmung des Rates bedürfen (Art. 223 Abs. 2 AEUV). Ein entsprechender Beschluss kam erst 2005 zustande. Er trat am 14.7.2009 in Kraft. Das Abgeordnetenstatut regelt die Rechte der Abgeordneten u. a. vom freien Mandat, über das Stimmrecht im E.n P. bis zur Mitgliedschaft in einer Fraktion. Es hat auch eine weitgehende Angleichung der Bezüge vorgenommen. Danach haben die Abgeordneten Anspruch auf angemessene Entschädigung (38,5 % der Grundbezüge eines Richters am EuGH), Übergangsgeld und Ruhegehalt sowie auf Erstattung der mandatsbedingten Kosten und die Nutzung der Büro- und Kommunikationseinrichtungen und Dienstfahrzeuge des E.n P.s sowie eine Zulage für persönliche Mitarbeiter. Für die Mitarbeiter an den drei Arbeitsorten wurde ein Assistentenstatut geschaffen. Das E. P. hat zu seiner verwaltungsmäßigen Unterstützung ein Generalsekretariat (Art. 222 GOEP) eingerichtet, dem die technische Vorbereitung und Assistenz bei den Sitzungen des Parlaments und seiner Organe obliegt. Es umfasst über 6 700 Bedienstete (davon ein großer Teil im Sprachendienst) in zehn Generaldirektionen und im Juristischen Dienst. Angesiedelt ist es in Luxemburg und Brüssel.

7. Organe

Aus der Mitte des E.n P.s werden zahlreiche Leitungs- und Koordinationsgremien gebildet. Zu Beginn der Legislaturperiode wählen die Abgeordneten für einen Zeitraum von zweieinhalb Jahren den Präsidenten, 14 Vizepräsidenten und fünf Quästoren. Fraktionen, Ausschüsse und interparlamentarischen Delegationen wählen ihre Vorstände. Der Präsident hat die Leitung über sämtliche Arbeiten des Parlaments und seiner Organe inne. Er unterzeichnet jeden Gesetzgebungsakt im Ordentlichen Gesetzgebungsverfahren (OGV) sowie den Haushaltsplan der EU. Die Vizepräsidenten bilden mit dem Präsidenten und den Quästoren, die für Verwaltungs- und Finanzfragen der Abgeordneten zuständig sind, das Präsidium (Art. 24 GOEP). Dieses trifft Entscheidungen zur internen Organisation, ernennt den Generalsekretär, bestimmt den Stellenplan des Generalsekretariats und entscheidet über die Durchführung der Plenartagungen. Außerdem stellt es den Vorentwurf des Haushaltsplans des E.n P.s auf. Der Präsident bildet mit den Fraktionsvorsitzenden die Konferenz der Präsidenten, die über die laufende Arbeitsorganisation sowie über Fragen im Zusammenhang mit der Gesetzgebungsplanung entscheidet (Art. 26, 27 GOEP).

Das E. P. gehört zum Typus der Arbeitsparlamente. In den Ausschüssen werden dementsprechend die gesetzgeberischen und kontrollierenden Kompetenzen wahrgenommen. Die Ausschüsse werden auf Vorschlag der Präsidentenkonferenz vom E.n P. eingesetzt und in ihren Zuständigkeiten (Art. 196 GOEP) festgelegt. 2017 gab es 20 ständige Ausschüsse. Neben den ständigen Ausschüssen haben die zahlreichen interparlamentarischen Delegationen die Aufgabe, formelle Kontakte zu Parlamenten in Drittstaaten und internationalen Organisationen zu pflegen.

8. Fraktionen

Von zentraler Bedeutung für die legitimierende und integrierende Leistung des E.n P.s sind die Fraktionen. Ihre Funktion ist, die unterschiedlichen Ziele und Interessen der Wähler zu artikulieren, sie in den parlamentarischen Willensbildungsprozess auf europäischer Ebene einzubringen und in Mehrheitsentscheidungen verbindlich zu machen. Im Unterschied zu den nationalen parlamentarischen Regierungssystemen müssen sie aber keine Regierung bilden oder unterstützen. Außerdem sind die einzelnen Fraktionen aus Mitgliedern zwar verwandter aber doch unterschiedlicher nationaler Parteien zusammengesetzt. Beides trägt zu einem geringeren Zusammenhalt als in nationalen Parlamenten bei, führt aber auch zu höherer Flexibilität und zu fließender Mehrheitsbildung.

Die Rechtsstellung ergibt sich aus Art. 33 GOEP. Für die Bildung einer Fraktion sind mindestens 25 Mitglieder aus mindestens einem Viertel der Mitgliedstaaten erforderlich. Die Fraktionen müssen eine gemeinsame weltanschauliche Ausrichtung besitzen. Es kann daher keine „gemischte“ oder „technische“ Fraktion geben, in der sich fraktionslose Abgeordnete nur zu dem Zweck zusammenschließen, sich die Vorteile des Fraktionsstatus zu sichern. Eine solche gemischte Fraktion existierte bis 2001, wurde aber nach einem Urteil des EuGH aufgelöst.

Die interne Organisation besteht ähnlich einer nationalen Parlamentsfraktion aus Vorstand, Sekretariat und Mitarbeiterstab. Hinzu kommen nationale Delegationen, die sich aus Fraktionsmitgliedern der gleichen Nationalität zusammensetzen und als wichtiges Bindeglied zur Mutterpartei im Mitgliedstaat fungieren.

EVP Fraktion der Europäischen Volkspartei (Christdemokraten);
darunter: 29 CDU; 5 CSU; 5 ÖVP;
216
S&D Fraktion der Progressiven Allianz der Sozialdemokraten im E. P.;
darunter: 27 SPD; 5 SPÖ;
190
EKR Fraktion der Europäischen Konservativen und Reformisten
darunter: 7 AfD; 1 Familienpartei Deutschlands;
75
ALDE Fraktion der Allianz der Liberalen und Demokraten für Europa
darunter: 3 FDP; 1 FW; 1 NEOS
70
GUE/NGL Konföderale Fraktion der Vereinigten Europäischen Linken/Nordische Grüne Linke
darunter: 7 Die Linke; 1 Tierschutzpartei;
52
Grüne/EFA Fraktion Die Grünen/Europäische Freie Allianz
darunter: 11 Bündnis 90/Die Grünen; 1 Piratenpartei Deutschland; 3 Die Grünen – Die Grüne Alternative; 1 ÖDP;
50
EFD Fraktion Europa der Freiheit und der direkten Demokratie 45
ENF Fraktion Europa der Nationen und der Freiheit
darunter: 4 FPÖ;
38
Fraktionslos 15

Zusammensetzung des E.n P.s nach Fraktionen (2014–2019)

Fraktionen und fraktionslose Mitglieder erhalten ihre Mittel aus dem Parlamentshaushalt. Über die Verteilung wird jährlich auf Vorschlag der Konferenz der Präsidenten und des Präsidiums entschieden. Nach Abzug des den fraktionslosen Mitgliedern zustehenden Anteils werden 2,5 % zu gleichen Teilen auf die Fraktionen aufgeteilt, 97,5 % werden im Verhältnis der von jeder Fraktion errungenen Mandate vergeben.

9. Gesetzgebungsrecht

Nach Art. 14 Abs. 1 EUV wird das E. P. gemeinsam mit dem Rat als Gesetzgeber tätig und übt gemeinsam mit ihm die Haushaltsbefugnisse aus. Außerdem erfüllt es Aufgaben der politischen Kontrolle und Beratung. Es wählt den Präsidenten der Kommission. Im Vergleich zum Anfang 1952 ist das E. P. mit dem Ausbau seiner Kompetenzen parallel zur Verdichtung der Integration der EU bis zum Vertrag von Lissabon große Schritte vorangekommen. Es wäre allerdings verfehlt, die Kompetenzausstattung an den parlamentarischen Modellen der Mitgliedstaaten zu messen. Vielmehr kommt es darauf an, dem Staatenverbund der EU durch das E. P. ein möglichst hohes Maß an demokratisch-parlamentarischer Legitimation zuzuführen. Insofern ist das E. P. nicht in bekannte Parlaments- oder Versammlungstypologien einzuordnen. Auch in seiner bes. Funktion der Integration der Völker ist es auf die Unterstützung der nationalen Parlamente angewiesen.

Die Gesetzgebungsbefugnis bildet seit dem Vertrag von Lissabon die wichtigste Kompetenz. Das Fundament zu ihrer Wahrnehmung bildet das OGV, früher Mitentscheidungsverfahren, nach Art. 289 Abs. 1 und Art. 294 AEUV, bei dem auf der Grundlage eines Kommissionsvorschlags E. P. und Rat gleichberechtigt über die Verabschiedung europäischen Sekundärrechts verhandeln und gemeinsam beschließen. Der Lissabon-Vertrag hat den Anwendungsbereich für das OGV von 45 auf 85 fachspezifische Handlungsermächtigungen ausgedehnt. Hierzu gehören fast alle Einzelbestimmungen in der Justiz- und Innenpolitik, die Rahmenbeschlüsse zur Landwirtschafts- und Fischereipolitik, die Handelspolitik, Teilaspekte der wirtschaftspolitischen Koordinierung sowie Katastrophenschutz und Verwaltungszusammenarbeit.

Art. 294 AEUV sieht vor, dass die Kommission Rat und E. P. einen Vorschlag unterbreitet. Daran schließen sich bis zu drei Lesungen in beiden Organen an. Gemäß den Protokollen Nr. 1 und Nr. 2 zum Lissabon-Vertrag sind die nationalen Parlamente vor der ersten Lesung des E.n P.s mit einer Frist von acht Wochen im Hinblick auf die Einhaltung des Subsidiaritätsprinzips zu konsultieren, wobei jedes nationale Parlament zwei Stimmen hat.

10. Besonderes Gesetzgebungsverfahren

In bestimmten Fällen werden Gesetzgebungsakte in einem bes. Gesetzgebungsverfahren angenommen (Art. 289 Abs. 2 AEUV). Gesetzgebungsakte des E.n P.s unter Beteiligung des Rates betreffen die Regelungen und allgemeinen Bedingungen für die Wahrnehmung der Aufgaben der Mitglieder des E.n P.s (Art. 223 Abs. 2 AEUV), die Bestimmungen über das parlamentarische Untersuchungsrecht (Art. 226 Abs. 3 AEUV) sowie die Regelungen über den Bürgerbeauftragten (Art. 228 Abs. 4 AEUV). Die Mitwirkung des Rates beschränkt sich auf Zustimmung oder Ablehnung.

Den Schwerpunkt des bes. Gesetzgebungsverfahrens bildet die Annahme eines Gesetzgebungsaktes durch den Rat unter Beteiligung des E.n P.s (Zustimmungs- oder Anhörungsverfahren). Das Zustimmungserfordernis, das dem E.n P. eine Vetoposition sichert, wurde durch die EEA für Beitritte zur EU und den Abschluss von Assoziierungsabkommen eingeführt und durch den Maastrichter Vertrag sowie den Lissabonner Vertrag auf Beschlüsse des Rates von größerer Tragweite für die Organisation der EU sowie auf alle internationalen Übereinkommen ausgedehnt.

Die Zahl der Fälle der Anhörung des E.n P.s wurde durch den Lissabon-Vertrag kaum reduziert. Sie liegt nach wie vor bei 112 Handlungsermächtigungen des Rates (z. B. zum Aufenthaltsrecht mit Blick auf Pässe und Personalausweise, zur sozialen Sicherheit und zur Sozialversicherung, zum aktiven und passiven Wahlrecht bei Kommunalwahlen und bei Wahlen zum E.n P., zu Maßnahmen des Kapitalverkehrs mit Drittstaaten, zur Steuerharmonisierung und Körperschaftsteuer).

Der Lissabon-Vertrag schuf in Art. 290 AEUV die Möglichkeit, der Kommission die Befugnis zu übertragen, Rechtsakte ohne Gesetzescharakter mit allgemeiner Geltung zur Ergänzung oder Änderung bestimmter nicht wesentlicher Vorschriften des betreffenden Gesetzesaktes zu erlassen (sogenannte Delegierte Rechtsakte). Dabei sind Ziele, Inhalte, Geltungsbereich und Dauer der Befugnisübertragung ausdrücklich festzulegen. Um die Durchführung der verbindlichen Rechtsakte der Union nach einheitlichen Bedingungen in den Mitgliedstaaten sicherzustellen, können die Kommission oder in entsprechenden Sonderfällen der Rat sogenannte Durchführungsrechtsakte (Art. 291 AEUV) erlassen.

Grundsätzlich verfügt die Kommission auch nach dem Lissabon-Vertrag über das Initiativmonopol zum Erlass europäischen Sekundärrechts (Art. 17 Abs. 2 EUV). Seit dem Maastricht-Vertrag hat das E. P. allerdings das Recht („unvollkommenes Initiativrecht“), an die Kommission eine Aufforderung zur Vorlage von geeigneten Vorschlägen (Art. 225 AEUV) zu richten, was dem Recht des Rates nach Art. 241 und Art. 135 AEUV entspricht. Das E. P. benennt regelmäßig im Rahmen seiner Entschließung zum jährlichen Arbeitsprogramm der Kommission die erforderlichen Initiativen, wobei die Kommission nun explizit verpflichtet ist, ihre Gründe mitzuteilen, wenn sie der Aufforderung des E.n P.s nicht nachkommt.

11. Haushaltsrecht

Das E. P. war von Anfang an am Haushaltsverfahren beteiligt. Bis 1970 verfügte aber nur der Rat über die Entscheidungsbefugnis. Erst mit dem Vertrag von 1970 erhielt das E. P. die Letztentscheidungsgewalt über die nichtobligatorischen Ausgaben und mit dem Vertrag von 1975 die Möglichkeit, den gesamten Haushaltsplan abzulehnen. Der Vertrag von Lissabon hat schließlich das zwischenzeitlich entwickelte und auf interinstitutionellen Vereinbarungen zwischen E.m P., Kommission und Rat beruhende Haushaltsverfahren abgelöst und die Haushaltsbestimmungen einer grundlegenden Revision unterzogen. Zunächst legt der Rat gem. Art. 311 AEUV nach Anhörung des E.n P.s einstimmig die Art und Höhe der Eigenmittel fest. Dieser Beschluss bedarf der Ratifizierung durch die nationalen Parlamente. Danach beschließt der Rat einstimmig und nach Zustimmung des E.n P.s, die mit der Mehrheit seiner Mitglieder erfolgen muss, über den mehrjährigen Finanzrahmen (Art. 312 AEUV), in dem u. a. die jährlichen Obergrenzen der Mittel für Verpflichtungen und Zahlungen festgelegt werden. Darauf folgt der Beschluss über den Jahreshaushalt entspr. dem Haushaltsverfahren nach Art. 314 AEUV, das sich im Wesentlichen am OGV gem. Art. 294 AEUV orientiert. Damit trägt das E. P. gemeinsam mit dem Rat die Verantwortung für die Verteilung aller Finanzmittel der Union. Allerdings entscheiden die Mitgliedstaaten im Rahmen des Eigenmittelbeschlusses über die längerfristige Ausgabenpolitik der Union.

Im Bereich der Haushaltskontrolle war und ist das E. P. allein verantwortlich, da der Rat nur eine Empfehlung abgibt, die die Grundlage der Entscheidung des E.n P.s über die Entlastung der Kommission zur Ausführung des Haushaltsplans bildet (Art. 319 Abs. 1 AEUV). Dafür erstattet der EuRH nach Abschluss eines jeden Haushaltsjahres einen Jahresbericht (Art. 287 Abs. 4 AEUV) und legt gem. Art. 287 Abs. 1, II AEUV „eine Erklärung über die Zuverlässigkeit der Rechnungsführung sowie die Rechtmäßigkeit und Ordnungsmäßigkeit der zugrunde liegenden Vorgänge“ vor. Die Kontrolle erstreckt sich auf die Verwendung von Haushaltsmitteln, sowohl bei Organen und juristischen Personen der Union als auch bei Dritten, die durch Subventionen der EU begünstigt werden (Art. 287 Abs. 3 AEUV).

12. Kontrolle

Das Recht, von anderen Institutionen Informationen zu verlangen, über die gewonnenen Erkenntnisse öffentlich zu beraten und gegebenenfalls Sanktionen zu beschließen, gehört zu den grundlegenden parlamentarischen Funktionen. War ursprünglich das Kontrollrecht des E.n P.s nur auf die Kommission gerichtet, umfasst es nunmehr die gesamte Tätigkeit der Organe und Einrichtungen der Union mit Ausnahme der Gerichte (Art. 226 AEUV).

Das stärkste Kontrollrecht besitzt das E. P. im Misstrauensvotum gegen die Kommission nach Art. 234 AEUV. Der Antrag kann nur mit der Mehrheit von zwei Dritteln der abgegebenen Stimmen, die auch die Mehrheit der Abgeordneten repräsentieren müssen, angenommen werden. In diesem Fall müssen die Mitglieder der Kommission geschlossen ihr Amt niederlegen. Bis 2017 wurden zwölf Misstrauensanträge gestellt, von denen keiner angenommen wurde. Der Rücktritt der Kommission (Jacques Santer) im März 1999 wurde durch die Verweigerung der Entlastung durch das E. P. für die Haushaltsführung ausgelöst.

13. Wahlrechte

Seit 1994 ist das E. P. förmlich am Verfahren zur Ernennung der Kommission beteiligt. Gemäß Art. 17 Abs. 7 EUV des Vertrags von Lissabon „wählt“ es nun den Präsidenten der Kommission, nachdem der Europäische Rat ihm nach entsprechenden Konsultationen mit qualifizierter Mehrheit einen Kandidaten vorgeschlagen hat, wobei er das Ergebnis der Wahlen zum E.n P. berücksichtigt. Erhält dieser Kandidat nicht die Mehrheit, schlägt der Europäische Rat einen neuen Kandidaten vor. Der Rat nimmt, im Einvernehmen mit dem gewählten Präsidenten und nach Anhörungen im E.n P., dessen Personalvorschläge für die Kommission an. Danach stellt sich die gesamte Kommission einem Zustimmungsvotum, worauf sie vom Europäischen Rat ernannt wird. Mit der Nominierung und Durchsetzung des „siegreichen Spitzenkandidaten“ (Jean-Claude Juncker) als Kommissionspräsidenten stellten die europäischen Parteien/Fraktionen bei der Europawahl 2014 erstmals einen unmittelbaren legitimatorischen Zusammenhang zwischen E.m P. und Kommissionspräsident her.

Das E. P. wählt außerdem den Bürgerbeauftragten der EU (Art. 228 AEUV) und es entscheidet gemeinsam mit dem Rat über die Ernennung des Europäischen Datenschutzbeauftragten (Art. 16 Abs. 2 EUV). Eine Anhörung des E.n P.s erfolgt vor der Ernennung der Mitglieder des Direktoriums der EZB gem. Art. 283 AEUV und der Mitglieder des Rechnungshofes gem. Art. 286 Abs. 2 AEUV. Im Sekundärrecht zeichnet sich eine Tendenz zu verstärkter Mitwirkung des E.n P.s bei Ernennungen ab (z. B. beim ESFS).

14. Repräsentations- und Beratungsfunktion

Als Organ der repräsentativen Demokratie (Art. 10 Abs. 1 EUV) gehört zu den Aufgaben des E.n P.s die Artikulation und Einbringung der Interessen der Bürger und Völker in den öffentlichen Beratungs- und Entscheidungsprozess mittels Aggregation unterschiedlicher politischer Positionen sowie die Vermittlung der Entscheidungen zu den gesellschaftlichen Gruppen und Bürgern. Träger und zugleich Vermittler dieses Legitimationsprozesses sind in erster Linie die Abgeordneten und ihre Parteien/Fraktionen, aber auch Verbände, gesellschaftliche Gruppen und Massenmedien. Im Ringen um das europäische Gemeinwohl ist das E. P. befugt, „über jede Frage zu beraten, die die Gemeinschaften betrifft“, sowie „Entschließungen über derartige Fragen anzunehmen“ (EuGH, Rs. 230/81). Die Verfahren bestimmt das E. P. im Rahmen seines Selbstorganisationsrechts (Art. 232, Abs. 1 AEUV). Dazu kommt die Pflege der Beziehungen zu den Parlamenten der EU-Mitgliedstaaten, den assoziierten und weiteren Drittstaaten.

Die Rechte des E.n P.s wurden im Zuge der Vertragsänderungen von der EEA über Maastricht bis Lissabon sowie durch zahlreiche interinstitutionelle Vereinbarungen zwischen den EU-Organen beständig ausgeweitet. Trotzdem tun sich die Unionsbürger immer noch schwer mit dem einzigen direkt gewählten supranationalen Parlament.