Ökonomische Bildung

Es gibt heute einen breiten Konsens darüber, dass ö. B. ein integraler Bestandteil zeitgemäßer Allgemeinbildung ist. Ohne ein (auch) ökonomisch fundiertes Verständnis von Wirtschaft, Gesellschaft und Politik lässt sich die zunehmend komplexer werdende Wirtschafts-, Arbeits- und Lebenswelt nicht bewältigen und können die Strukturen und Funktionsweisen der modernen, funktional ausdifferenzierten Gesellschaft nicht verstanden werden. Dies gilt ebenfalls für die Bedingungen, unter denen gesellschaftliche Werte in ökonomischen Kontexten wirksam werden. Schülern im allgemeinbildenden Schulwesen soll heute eine Teilhabe an Wirtschaft, Gesellschaft und Politik ermöglicht werden. Auch die ö. B. Erwachsener im Sinne einer Grundbildung rückt in den Blick.

Die ö. B. ist als wissenschaftliche Disziplin und als didaktisches und v. a. schulisches Anwendungsfeld recht jung und ihre Etablierung und Institutionalisierung im deutschen Bildungswesen ist vielerorts immer noch eine Innovationsaufgabe. So verzeichnen zahlreiche empirische Studien zum Stand ökonomischen Wissens bzw. ökonomischer Kompetenzen z. T. gravierende Defizite.

1. Ökonomische Bildung als Beitrag zur Mündigkeit

Ö. B. zielt – wie Allgemeinbildung insgesamt – auf Mündigkeit ab, die zwei Dimensionen umfasst: Eine durch das Zeitalter der Aufklärung geprägte, individualistische Dimension im Sinne von Selbstverwirklichung und Emanzipation und eine soziale Dimension, die die Fähigkeit umschreibt, sich in eine Gemeinschaft einzugliedern und bei den eigenen Entscheidungen auch die Belange der jeweils anderen zu erkennen und zu berücksichtigen. Damit stehen auch ökonomische Lehr-Lern-Prozesse in einem gewissen Spannungsverhältnis zwischen der Befähigung zu individueller Selbstbestimmung und der Übernahme sozialer Verantwortung.

Individuelle Selbstbestimmung gewinnt gerade im ökonomischen Bereich an Bedeutung, weil hier zunehmend die Fähigkeit zu eigenverantwortlichem Entscheiden (Entscheidung) und Handeln (Handeln, Handlung) abverlangt wird. Als grundlegendes Ziel ö.r B. greift individuelle Selbstbestimmung allein zu kurz, es geht um das „sittliche Verhältnis des Menschen zu seiner eigenen Person und zu seiner Gesellschaft“ (Böhm 2005: 445). Das eigene wirtschaftliche Handeln ist stets mit Auswirkungen für andere Menschen verbunden und in sozialen Kontexten gilt es, die Belange anderer mitzudenken und zu berücksichtigen. Eine so verstandene Mündigkeit wird in der Wirtschaftsdidaktik üblicherweise rollenspezifisch ausdifferenziert. Die drei Leitbilder ö.r B. sind erstens mündige Verbraucher, zweitens mündige Erwerbstätige und drittens mündige Wirtschaftsbürger.

2. Befähigung zur Bewältigung von Lebenssituationen

Ein Ziel allgemeiner Bildung ist die Befähigung zur Bewältigung gegenwärtiger und zukünftiger Lebenssituationen, die aber nicht konträr, sondern ergänzend zum bewährten Fachwissen der entsprechenden Bezugsdisziplin zu sehen ist. Bildung zielt u. a. auf die Bewährung ihrer Adressaten in der realen Welt ab.

Als besonderes Merkmal prägt Knappheit ökonomische Lebenssituationen, die wiederum Auswahlentscheidungen unumgänglich macht. Das impliziert, dass eine an Rationalitätskriterien orientierte Entscheidungskompetenz als zentrale Zielperspektive für ö. B. angesehen werden muss. In ökonomischen Entscheidungssituationen sind monetäre und nicht-monetäre Opportunitätskosten zu berücksichtigen, d. h. die entgangenen Erträge der nicht gewählten Handlungsalternativen sind als entscheidungsrelevant zu erkennen und mit ins Kalkül zu ziehen. Die Handlungsempfehlung muss lauten, die privaten und gesellschaftlichen Opportunitätskosten so gering wie möglich zu halten – auch mit Blick auf das Gemeinwohl.

Seit den frühen Ansätzen einer ökonomischen Lebenssituationen-Didaktik werden den drei Rollenbildern des mündigen Verbrauchers, Erwerbstätigen und Wirtschaftsbürgers üblicherweise die folgenden drei Situationsfelder zugeordnet:

a) Die Bewältigung von Lebenssituationen im Situationsfeld Konsum (Leitbild: mündige Verbraucher) hat zu berücksichtigen, dass der Handlungsspielraum für Individuen in der modernen Gesellschaft wächst und die Vielfalt an Wahlmöglichkeiten in allen Bereichen zunimmt. Eine solche, grundsätzlich positiv besetzte Optionenvielfalt verlangt vom Einzelnen jedoch vermehrt selbständige und individuell rationale Entscheidungen. Aufgrund der Komplexität und Dynamik moderner Gesellschaften und der allgegenwärtigen Informationsasymmetrien sind solche Entscheidungen stets mit Risiken verbunden. Ö. B. kann die strukturellen Ursachen moderner Konsumrisiken offenlegen und allgemeine Lösungsansätze beschreiben.

b) Im Situationsfeld Arbeit und Beruf (Leitbild: mündige Erwerbstätige) geraten insb. die individuellen Lebens- und Berufspläne der Schüler in den Fokus. Bes. relevant erscheint in diesem Kontext ein Wissen über die Funktionsweise der modernen Wirtschafts- und Arbeitswelt. Den Perspektiven von Unternehmern und Arbeitnehmern wird in diesem Situationsfeld bes. Aufmerksamkeit geschenkt.

c) Im Situationsfeld Wirtschaftsgesellschaft (Leitbild: mündige Wirtschaftsbürger) wird der Fokus darauf gelegt, dass wirtschaftliches Handeln stets innerhalb eines staatlichen Rahmens (Wirtschaftsordnung) stattfindet. Um an Wirtschaft, Gesellschaft und Politik mitwirken zu können, müssen nicht nur Alltagssituationen bewältigt, sondern auch die dahinter verborgenen, gesellschaftlichen Strukturen verstanden werden.

Bildungsprozesse, die umfassend zur gesellschaftlichen Partizipation befähigen wollen, lassen sich aber nicht allein über die Befähigung zur Bewältigung von Lebenssituationen definieren, denn darüber hinaus soll die allgemeinbildende Schule ihren Adressaten eine Teilhabe an Wirtschaft, Gesellschaft und Politik ermöglichen. Dazu gehört die Vermittlung eines fachlich fundierten „Struktur- und Funktionenwissens“ (Krol u. a. 2006: 65 f.), das es ermöglicht, soziale Phänomene und gesellschaftliche Probleme aus ökonomischer Perspektive zu verstehen und zu beurteilen. Es geht darum, die Ökonomie und deren Funktionsweise im Sinne einer „Grammatik der Gesellschaft“ (Kaminski 1997: 144) zu durchschauen.

3. Befähigung zu ökonomischem Denken

Unter der Befähigung zu ökonomischem Denken ist zu verstehen, dass Kinder und Jugendliche in die Lage versetzt werden, mit Hilfe eines spezifisch ökonomischen Zugriffs eine fachlich fundierte Analyse wirtschaftlicher und weiterer gesellschaftlicher Phänomene vorzunehmen. Will die allgemeinbildende Schule ihren Bildungsauftrag vollumfänglich einlösen, müssen Schüler in die Lage versetzt werden, auch in diesem Sinne eine kognitive und emotionale Auseinandersetzung mit Wirtschaft und Gesellschaft, mit familiärer oder überhaupt privater Lebensführung und wirtschaftlichen Möglichkeiten und Notwendigkeiten zu führen.

Die Bestimmung von Begriff und Gegenstand eines fachspezifischen Wissens über die Strukturen eines Wirklichkeitsbereichs und den heuristischen Instrumenten zur Analyse dieses Wirklichkeitsbereichs erfolgt in den Fachdidaktiken v. a. im Rahmen von kategorialen Ansätzen. Als „Strukturmerkmale des Wirtschaftens“ (Kruber 2000: 290 f.) bezeichnet Klaus-Peter Kruber das Denken in Kategorien der ökonomischen Verhaltenstheorie, das Denken in Wirkungs- und Kreislaufzusammenhängen und das Denken in ordnungspolitischen Zusammenhängen. Konkretisiert wird die kategoriale Didaktik mit Hilfe von Stoffkategorien wie bspw. Knappheit, Anreize, Spezialisierung, Risiko, Verteilung etc. Solche Stoffkategorien erleichtern die Auswahl und didaktische Umsetzung von Unterrichtsgegenständen und sie können als Heuristiken bei der fachspezifischen Erklärung und Analyse helfen.

4. Befähigung zu wirtschaftsethischer Reflexion

Zusätzlich zu den bis hierhin entfalteten Zielen ö.r B. hat ö. B. auch zur Reflexion normativer Fragestellungen im Spannungsfeld von Ökonomik und Ethik bzw. Wirtschaft und Moral beizutragen. Der Erwerb gesellschaftlich geteilter Wertvorstellungen (Wert) und moralischer Urteilskompetenzen ist kein evolutorischer Selbstläufer, sondern vielmehr das Ergebnis komplexer Bildungs-, Erziehungs- und Sozialisationsprozesse. Kinder und Jugendliche beim Aufbau individueller Wertemaßstäbe zu unterstützen, sie über die Begründung von Normen aufzuklären und ihnen ein Wissen um die Durchsetzbarkeit moralischer Forderungen in Wirtschaft und Gesellschaft zu vermitteln, ist ein wesentlicher Teil des allgemeinbildenden Anspruchs ö.r B.

In der wirtschaftsdidaktischen Literatur wurden die wirtschaftsethischen Dimensionen des Ökonomieunterrichts fundiert aufgearbeitet. Forderungen nach bspw. einer „moralischen Dimensionierung des Fachunterrichts“ (Liening 1996: 98) oder einer Ausbildung der „moralischen Stützen des Wirtschaftssystems“ (Steinmann 1996: 35) legen einen Schwerpunkt auf eine individualethische Auseinandersetzung mit Wirtschaft und Ökonomik. Hinzu treten institutionenethische Argumente (Institutionenethik). K.-P. Kruber arbeitet die Erklärungskraft institutionenethischer Konzeptionen von Wirtschaftsethik heraus und stellt sie den individualethischen Ansätzen gegenüber. Jan Karpe und Gerd-Jan Krol heben die ethische Relevanz der Institutionalisierung regelgesteuerter Anreize hervor und skizzieren die Ansatzpunkte eines institutionenethischen Fundamentes der ö.n B. Thomas Retzmann entwickelt ein umfassendes Konzept wirtschaftsethischer Bildung, das die Individual-, Unternehmens- und Ordnungsethik umfasst. Hans Kaminski u. a. haben einen umfassenden didaktischen Ansatz für Wirtschaftsunterricht in Schulen ausgearbeitet.

5. Ökonomische Bildung in allgemeinbildenden Schulen

Die bisherigen Ausführungen haben die Eckpunkte eines idealtypischen Konzepts ö.r B. als integralen Bestandteil einer zeitgemäßen Allgemeinbildung skizziert. Die besten pädagogischen Ideen werden aber unwirksam bleiben, wenn es keine institutionellen Rahmenbedingungen für ihre Realisierung gibt. Der quantitative Umfang ökonomischen Lernens in deutschen Schulen variiert aber erheblich; tatsächlich reicht zur Zeit das Spektrum der fachlichen Zuordnungen von Weltkunde, Politik, Erdkunde oder Verbraucherbildung über Gemeinschaftskunde, Gesellschaftslehre, Sozialwissenschaften, Politik/Wirtschaft oder Arbeitslehre bis hin zu Wirtschaft, Wirtschaftslehre oder Wirtschaft und Recht. Fraglos aber ist der fachdidaktisch entscheidende institutionelle Handlungsrahmen für schulische Lehr-Lern-Prozesse das Schulfach, in dem die thematischen Zusammenhänge für die Lernenden nachvollziehbar werden.

Aber auch die Qualität ökonomischer Lehr-Lern-Prozesse ist von der Frage der Institutionalisierung in Schulen abhängig. Geht man mit John Hattie davon aus, dass die Lehrkraft (Lehrer) die wichtigste Determinante für unterrichtliche Qualität ist, kommt der Lehrerbildung multiplikative Bedeutung zu. Das Vorhalten eines einschlägigen Lehramtstudiengangs ist unterdessen von der Existenz des entsprechenden Schulfachs in dem jeweiligen Bundesland abhängig. Aus diesen und weiteren Gründen plädiert die weit überwiegende Mehrzahl der Wirtschaftsdidaktiker für ein Fach Wirtschaft. In der bildungspolitischen Realität in den Bundesländern gerät die ö. B. aber immer wieder in Verteilungskonflikte innerhalb der Bundesländer. Eine bundesweit etablierte ö. B. in allgemeinbildenden Schulen erscheint zurzeit nur schwer erreichbar.

Unter der Maßgabe der aktuellen bildungspolitischen Entwicklungen droht die wirtschaftsdidaktische Forschung in ein Spannungsfeld zwischen Marginalisierung (im Rahmen von Nachbar- oder Integrationsfächern) und Spezialisierung (durch Fokussierung auf einzelne didaktische Teilaufgaben wie finanzielle Allgemeinbildung) zu geraten.