Öffentliche Theologie

Ö. T. bezeichnet Diskurse, in denen die öffentliche Bedeutung akademischer Theologie, religiöser Orientierungen sowie kirchlichen Redens und Handelns deskriptiv, konstruktiv und kritisch reflektiert und mitgestaltet wird. Während sich international, interkontextuell und interkonfessionell keine einheitliche Definition durchgesetzt hat und der Begriff zwischen der Bezeichnung einer spezifischen öffentlichen Praxis von religiösen Gruppierungen, v. a. Kirche und Christen, der Theorie einer solchen Praxis und eines positionellen Programms schillert, ist in Deutschland die Definition von Wolfgang Vögele am weitesten verbreitet, nach der Ö. T. „die Reflexion des Wirkens und der Wirkungen des Christentums in die Öffentlichkeiten der Gesellschaft hinein ist“ (Vögele 1994: 421) und die „orientierend-dialogische Partizipation an öffentlichen Debatten“ (Vögele 1994: 421 f.) einschließt.

1. Begriffsgeschichten

Der Unterschiedlichkeit der Entdeckungszuammenhänge von Ö.r T., die der südafrikanische Theologe Dirk Jacobus Smit in sechs Geschichten zusammengefasst hat, erklärt die unterschiedlichen Akzentuierungen. Meistens wird der Begriff auf den lutherischen Chicagoer Kirchenhistoriker Martin Emil Marty zurückgeführt, der in der durch Robert Neelly Bellah initiierten Debatte um eine US-amerikanische „civil religion“ insb. Reinhold Niebuhr als „public theologian“ (Marty 1974: 340) beschrieb. Damit pointierte M. E. Marty public theology im Unterschied zur civil religion erstens als gesellschaftskritisch und zweitens im Spannungsfeld von religiöser Gemeinschaft und landesweiter Öffentlichkeit. Als zweiter „Gründungsvater“ Ö.r T. wird häufig der römisch-katholische und ebenfalls Chicagoer Theologe David Tracy genannt, der in der Debatte um die Privatisierung der Religion ab den 1970er Jahren Theologie als öffentlichen Diskurs entfaltet hat. Einschlägig ist dabei seine Unterscheidung dreier Öffentlichkeiten mit entsprechenden Plausibitätslogiken, in denen der Theologe steht: Gesellschaft, Kirche und „Akademie“. Seit den 1980er Jahren haben dann Theologen unterschiedlicher Schulen und Konfessionen den Begriff aufgenommen, insb. Max Lynn Stackhouse, Ronald Frank Thiemann und Robert Benne.

Ähnlich verlief die Entwicklung in Deutschland, wo der Begriff Ö. T. zunächst 1969 von dem Politikwissenschaftler Hans Maier und 1972 dem evangelischen Theologen Wolfgang Huber als Alternativbezeichnung für die von Johann Baptist Metz, Jürgen Moltmann u. a. betriebene neue politische Theologie erwogen wurde. Ö. T. hätte hier die historischen Aufladungen des Begriffs „Politische Theologie“ vermieden und die gesamtgesellschaftliche Dimension von Glaube und Theologie betont. Diese Akzentierung auf (zivil-)gesellschaftliche Diskurse blieb prägend, als Ö. T. nach der Erfahrung der zivilgesellschaftlichen Rolle der Kirche (Zivilgesellschaft) in den letzten Jahren der DDR Anfang der 1990er in der von W. Huber geprägten, kirchenbezogenen Fassung Verbreitung fand. So versteht Heinrich Bedford-Strohm Ö. T. als „Reflexion von Fragen öffentlicher Bedeutung im Lichte theologischer Traditionen“ (Bedford-Strohm 2015: 215) und profiliert diese über das „Reden der Kirche“ (Bedford-Strohm 2015: 217) als traditionsbezogen, kommunikationsorientiert („zweisprachig“ [Bedford-Strohm 2015: 219]), konstruktiv-kritisch, interdisziplinär und ökumenisch. Torsten Meireis fokussiert in der Tradition W. Hubers das diskursive Zustandekommen religiöser Orientierungen auch über den christlichen Kontext hinaus.

Neben diesen dreien nennt D. J. Smit (2013) drei weitere Geschichten Ö.r T., in denen der Begriff nicht notwendigerweise vorkommt, nämlich: Befreiungskämpfe gegen Unterdrückung, Globalisierung und die Debatte um die Rückkehr der Religionen in den öffentlichen Raum.

In Transformationsgesellschaften haben sich Ö. T.n mit dem Anliegen verbunden, Theologien der Befreiungen unter demokratischeren Bedingungen weiterzudenken (z. B. für Südafrika). Von daher ist auch interkontextuell die Rolle prophetischer Gesellschaftskritik zum Thema von Ö.r T. geworden.

Prägende Ö. T.n sind u. a. entstanden in Südafrika (Nico Koopmann, D. J. Smit, John W. de Gruchy, Etienne de Villiers u. a.), Großbritannien (Duncan Baillie Forrester, Will Storrar, Elaine L. Graham u. a.), Australien (James Haire u. a.), Neuseeland, Brasilien (Rudolf von Sinner).

2. Organisationen

Die Diskurse Ö.r T. werden durch Forschungseinrichtungen, -verbünde und Publikationsorgane auf Dauer gestellt. Das 2007 in Princeton gegründete Global Network for Public Theology (GNPT) vernetzt weltweit solche Forschungseinrichtungen. Das daran angeschlossene „International Journal of Public Theology“ fungiert seit 2007 als internationales Forum Ö.r T. Aus Deutschland sind die 2008 von H. Bedford-Strohm gegründete Dietrich-Bonhoeffer-Forschungsstelle für Öffentliche Theologie in Bamberg und das von T. Meireis und Rolf Schieder 2016 ins Leben gerufene Berlin Institute for Public Theology, das auch eine interreligiöse Weitung intendiert, Mitglieder des GNPT. Explizit auf die Thematisierung von Ö.r T. richten sich die Buchreihen „Öffentliche Theologie“ seit 1993 und „Theology in the Public Square“ seit 2010/11.

3. Themen und Grundfragen

Inhaltlich geht es in Diskursen Ö.r T. zum einen um die materialen Fragen gesellschaftlicher Debatten, also bes. um Themen der Bereichsethiken in individual- und sozialethischer Perspektivierung, der Moraltheologie, Gesellschaftslehre, Dogmatik, Religionsphilosophie oder Praktischen Theologie. Zum anderen werden dabei Grundfragen verhandelt, die in das Spannungsfeld von Partikularität und Allgemeinheit, Traditions- und Öffentlichkeitsbezug führen. Nach der einen Seite stellt sich damit die Frage nach der Bibel- und Traditionshermeneutik. In interreligiöser Weitung wird zunehmend nach der Bedeutung unterschiedlichster religiöser Traditionen gefragt. Nach der anderen Seite stellt sich die Frage nach dem Öffentlichkeitsbegriff (Öffentlichkeit), der in Ö.n T.n des globalen Nordens kommunikationstheoretisch insb. im Rekurs auf Jürgen Habermas und vereinzelt (systemtheoretisch) im Rekurs auf Niklas Luhmann gefasst wurde. Jüngere Arbeiten haben eine praxistheoretische Weitung vorgeschlagen, die etwa die körperliche Ermöglichung von Öffentlichkeit fokussiert.

Insgesamt lassen sich auf das Christentum im westlichen Kontexten bezogen drei Grundfragen Ö.r T. identifizieren: „die sozialethische Grundfrage nach der öffentlichen Geltung partikularer religiöser Orientierungen, die fundamentaltheologische nach der öffentlichen Kommunizierbarkeit besagter Geltungsansprüche und die ekklesiologische nach der Rolle der Kirche in der Öffentlichkeit christlicher Orientierung“ (Höhne 2015).