Kulturkampf

1. Globale Perspektiven auf einen fundamentalen Konflikt der Moderne

Unter „K.“ wurde lange exklusiv jene Auseinandersetzung zwischen Staat und katholischer Kirche für den Staat und in der Gesellschaft gestritten wurde. Damit rücken erstmals Kulturkämpfe (K.e) außerhalb Europas, jenseits des Katholischen und des 19. Jh. in den Blick.

2. Kulturkampf und Säkularisierung

Unter dem Eindruck von Narrativen und Theorien der „Säkularisierung“ galten K.e lange als Ausdruck einer in der Natur der Moderne liegenden Tendenz zur Rationalisierung und Differenzierung der Gesellschaft in „Sphären“. Doch das Säkularisierungsparadigma war selbst ein Produkt von K.en, die überall dort auftraten, wo Säkularisten die Macht erlangten, um den Einfluss der Religion zu begrenzen. Im 19. Jh. wollten v. a. Liberale (Liberalismus) die Religion zur Privatsache machen, um den Primat des Staates über die Kirche durchzusetzen und religiöse Minderheiten zu emanzipieren. Mit der Konfiszierung kirchlicher Güter und der Auflösung religiöser Orden suchten sie zugl. eine bürgerlich-kapitalistische Gesellschaftsordnung zu etablieren, die auf Lohnarbeit, Ehe und Familie gründete und in der für religiöse Feiertage, Gebet und Kontemplation, die Idealisierung von Armut, Askese und Keuschheit kein Platz mehr vorgesehen war. Radikale Säkularisten – Demokraten und Radikale, Sozialisten und Anarchisten, Freidenker und Positivisten – wollten mehr: Staat und Kirche trennen, Glauben durch Wissen ersetzen sowie Frauen, Kinder und Unterschichten aus klerikaler „Bevormundung“ befreien – was die Liberalen aber ablehnten, da sie die Religion als Instrument zur Disziplinierung der „Unmündigen“ schätzten. Gegen diese unterschiedlichen Projekte der Säkularisierung kämpften religiöse Bewegungen für eine Wahrung und Erneuerung, Ausdehnung und Entgrenzung des Glaubens. Insofern prallten in den K.en konträre Auffassungen über den Platz und den Stellenwert der Religion in der Moderne aufeinander.

3. Kulturkämpfe im 19. Jh.

Der globale Charakter der K.e wurde bereits von Zeitgenossen erkannt. Ihren Ausgang nahmen die K.e im Westeuropa und Lateinamerika des 19. Jh. Die heiße Phase war das letzte Drittel des Säkulums, als Liberale vielerorts Regierungsverantwortung übernahmen. In der Schweiz und in Spanien, wo sie schon zuvor mitregierten, begannen K.e entspr. früher. In Mexiko betrieb Präsident Benito Juárez García 1858–72 eine radikale Politik der Säkularisierung, während in Japan die „aufgeklärte Herrschaft“ (japanisch Meiji) des Tennô Mutsuhito 1868 mit einer Kampagne gegen den Buddhismus begann, der ähnlich wie der Katholizismus in Europa mit dem Ancien Régime identifiziert wurde und dessen kirchliche Amtsträger ebenfalls als korrumpiert, lasterhaft und unmännlich galten.

In Preußen begann der K. dagegen erst 1871 im Zuge der „inneren Reichsgründung“, als Otto von Bismarck gemeinsam mit den Liberalen den „römischen“ Katholizismus und die Zentrumspartei (Zentrum) als „innere Reichsfeinde“ zu marginalisieren suchte. Überlagert wurde der K. hier durch den Konflikt um die „Germanisierung“ der polnischsprachigen Ostprovinzen. Da sich die katholischen Laien indes mehrheitlich mit dem Klerus solidarisierten und umso mehr die Zentrumspartei wählten, suchte die Regierung das Verhältnis zur katholischen Kirche nach 1878 wieder zu entspannen. In den 1880er Jahren rückte daher in Europa der französische K. ins Zentrum der Aufmerksamkeit, der 1905 in das „Gesetz zur Trennung von Staat und Kirche“ mündete, das auf der Idee einer konfessionellen Neutralität des Staates (laïcité; Laizismus) gründete.

4. Im Brennpunkt: Der Katholizismus

Im Brennpunkt der K.e des 19. Jh. stand der Konflikt zwischen römischem Katholizismus und liberal regierten Nationalstaaten. Doch auch innerhalb der Konfessionen und Religionen wurden Kontroversen zwischen Liberalen und Konservativen (Konservatismus) geführt. Während Liberale jedoch in Protestantismus und Judentum vielerorts tonangebend werden konnten, gelang ihnen dies im Katholizismus selten. Zwar gab es auch hier prominente Geistliche und Theologen wie Vincenzo Gioberti oder Ignaz von Döllinger, die für eine liberale Reform der Kirche eintraten. Im Kontext solcher innerkatholischer Kontroversen wurde 1840 auch der Begriff „K.“ geprägt: in einer anonymen Rezension der Schrift „Die Bedeutung des Kampfes der liberalen katholischen Schweiz mit der römischen Kurie“ (1839) des deutsch-schweizerischen Radikalen Ludwig Snell, die in der katholischen „Zeitschrift für Theologie“ veröffentlicht wurde. Nach 1848 wurden liberale jedoch von ultramontanen Katholiken marginalisiert. Der Ultramontanismus strebte ebenfalls eine religiöse Erneuerung des Katholizismus an. In Reaktion auf die für die Kirche traumatische Erfahrung der Französischen Revolution von 1789 wollte er jedoch die Macht der römischen Kurie (ultra montes = jenseits der Berge) stärken und das päpstliche Definitionsmonopol in Glaubensfragen durchsetzen, um eine Rekatholisierung der Welt zu starten. Papst Pius IX., der zu Beginn seiner Amtszeit als liberaler Hoffnungsträger gefeiert worden war, vollzog angesichts der antiklerikalen Gewalt der Römischen Republik, des piemontesischen K.es der 1850er Jahre und der italienischen Eroberung des Kirchenstaates inkl. Roms eine ultramontane Wende. Seine dogmatische Gegenoffensive (Unbefleckte Empfängnis 1854, „Syllabus errorum“ 1864, Päpstliche Unfehlbarkeit 1870) markierte den Auftakt zur Zentralisierung der katholischen Kirche, die auf Rom und den Papst ausgerichtet wurde. Als globaler Akteur suchte die Kurie den Katholizismus fortan weltweit zu kontrollieren und zu homogenisieren, um der Säkularisierung allerorten entgegenzuwirken, was v. a. liberale Regierungen als Eingriff in die Souveränität ihrer Staaten verurteilten. Deshalb rückte im letzten Drittel des 19. Jh. der Konflikt liberal regierter Staaten mit der katholischen Kirche ins Zentrum der Aufmerksamkeit.

5. Konfliktfelder und Ergebnisse

Da K.e nicht nur die Beziehungen zwischen Staat und Kirche (Kontrolle des Klerus, Zivilstandsregister; [ Kirche und Staat ]) oder wissenschaftliche und theologische Probleme (historische Kritik v wörtliche Auslegung religiöser Schriften, Schöpfungslehre v Evolutionstheorie), sondern auch grundlegende Fragen der Lebensführung betrafen (religiöse v weltliche Erziehung/Übergangsriten), erfassten sie nahezu alle Bereiche der Gesellschaft. Sie wurden in Stadt und Land, Presse und Literatur, Parlament und Hörsaal, Schule und Familie sowie auf Kanzeln und Synoden, in Karikaturen und Ikonen, Demonstrationen und Prozessionen ausgetragen. Da es um „letzte Dinge“ ging, kam es vielerorts zur Anwendung physischer Gewalt, mitunter sogar zu kriegerischen Auseinandersetzungen wie im Schweizer Sonderbundskrieg und im italienischen Kampf um Rom, im mexikanischen Reformkrieg oder in den spanischen Karlistenkriegen. Im Ergebnis der K.e stand neben einer Neujustierung des Verhältnisses von Staat und Religion oft eine langfristige Spaltung der Gesellschaft in politisch-konfessionelle Milieus oder klerikal-laizistische Blöcke. Im Kontext demokratischer Systeme mit Wahlrecht und Pressefreiheit brachten säkularistische Versuche der Trennung von Politik und Religion zudem meist ungewollt populäre politisch-religiöse Bewegungen wie den politischen Katholizismus oder den politischen Islam hervor, die fortan mit zu den Säkularisten konkurrierten.

6. Ausblick

Im 20. Jh. wurden Projekte der Säkularisierung auf andere Teile der Welt ausgedehnt, bes. offensiv in China (1912–49), der Sowjetunion (1917–41) und der Türkei (1924–38). Dennoch erscheint der globale Sieg des Säkularismus, der lange als augemacht galt, heute zweifelhafter denn je. In der islamischen Welt ist er seit der Iranischen Revolution 1979 auf dem Rückzug. Auch in anderen Religionen sind antiliberale Kräfte erstarkt. Vielerorts flammen daher neue K.e auf, die nun meist von religiösen Akteuren ausgehen, die auf eine Revision säkularistischer Errungenschaften drängen und sich etwa an der Emanzipation von Frauen und Homosexuellen oder an der Evolutionslehre (Evolution) entzünden. In Westeuropa stellen demographische Veränderungen infolge muslimischer Einwanderung und Diaspora-Identitäten heute Arrangements zur Disposition, die im 19. Jh. zwischen Staaten und christlichen Kirchen gefunden wurden, um K.e zu lösen oder zu befrieden, die der gegenwärtigen religiös-säkularen Vielfalt dieser Gesellschaften aber nur noch bedingt gerecht werden.