Kulturelle Bildung: Unterschied zwischen den Versionen

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B. Fuchs: Kulturelle Bildung, Version 04.01.2021, 09:00 Uhr, in: Staatslexikon<sup>8</sup> online, URL: {{fullurl:Kulturelle Bildung}} (abgerufen: {{CURRENTDAY2}}.{{CURRENTMONTH}}.{{CURRENTYEAR}})
 
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Version vom 4. Januar 2021, 12:22 Uhr

Der Begriff der K.n B. steht aktuell gesellschafts-, kultur- und bildungspolitisch hoch im Kurs, obwohl er bereits in den 1970er und 1980er Jahren aufgekommen ist und danach rasch bildungspolitische Karriere gemacht hat. Das 2012 unter der Mitwirkung von 181 Autoren entstandene „Handbuch Kulturelle Bildung“ (Bockhorst/Reinwald/Zacharias 2012) kann die Aktualität des Themas hinreichend belegen. In der Einleitung der Herausgeber wird die wachsende Aktualität und die „erweiterte Bedeutung kultureller Bildung“ sowie die mittlerweile „labyrinthische Komplexität“ (Bockhorst/Reinwald/Zacharias 2012: 21 f.) des Themas hervorgehoben, die eine allgemeingültige Definition des Gegenstandes und des Zieles K.r B. erschweren. Die Themen der K.n B. reichen nach der Auskunft des Handbuchs von Kunst- und Musikpädagogik über Theater-, Tanz-, Museums- und Spielpädagogik bis zu Literaturvermittlung, Medienbildung, Architektur, Stadt- und Umweltgestaltung. Dabei setzt K. B. einen bes.n Akzent auf den lebenslangen und produktiven Umgang mit künstlerischen und ästhetischen Ausdrucksformen, und zwar in allen pädagogischen Praxisfeldern von der Elementar- und Schulpädagogik über Kinder- und Jugendkultur bis zur Erwachsenenbildung mit dem Ziel, Kultur zu leben und aktiv mitzugestalten.

1. Zur Geschichte des Begriffs

Die kulturpädagogische Perspektive spielte bereits bei der Etablierung der Pädagogik als einer eigenständigen Wissenschaft zur Zeit der Aufklärung und des Neuhumanismus (Humanismus) eine zentrale Rolle. Nach Dieter Lenzen handelt es sich bei den Begriffen K. B. bzw. Kulturpädagogik insofern um einen Pleonasmus, als Erziehung und Bildung neben der Individuation des Zöglings stets seine Enkulturation, d. h. seine Hinführung zu einer aktiven Teilhabe an der gegebenen Kultur, im Blick hatten bzw. der nachwachsenden Generation „die Lesbarkeit der kulturellen Symbolwelten zu erschließen suchten“ (Lenzen 1989: 907). Ebenso gehört der Gedanke, dass sich der Mensch durch die geistige Auseinandersetzung mit einer gegebenen oder fremden Kultur bildet, zu den zentralen Gedanken der neuhumanistischen Bildungstheorie, die den Zusammenhang von Bildung und Kultur entweder als Enkulturation oder als Entfremdung gesehen hat. Friedrich Schleiermacher, der über Wilhelm Dilthey die sog.e Geisteswissenschaftliche Pädagogik in ihrem Selbstverständnis maßgeblich geprägt hat, ging bereits von einer Ausdifferenzierung der Kultur in vier relativ autonome Kulturbereiche (Staat, Wissenschaft, Religion und freie Geselligkeit) aus und stellte Erziehung und Bildung vor die Aufgabe, propädeutisch der nachwachsenden Generation die eigenständige und kreative Teilnahme am Kulturprozess zu ermöglichen. Die ethisch geforderte Humanisierung aller Lebensbereiche setzt nach F. Schleiermacher eigentümlich gebildete und zu kritischer Urteilskraft fähige Individuen voraus, die „erhaltend“ und, wenn nötig, „verbessernd“ in die bestehenden Verhältnisse eingreifen. Seine Erörterung der Zielfrage eröffnet von daher den Blick auf zwei dialektisch aufeinander bezogene Ansprüche an die Erziehung: zum einen die Bildung der eigentümlichen Individualität und zum anderen die Einführung in und die eigenverantwortliche Mitgestaltung der kulturellen Systeme.

Georg Wilhelm Friedrich Hegel hatte in seiner 1809 gehaltenen Nürnberger Gymnasialrede die Entfremdung als Bedingung der theoretischen Bildung benannt und dabei metaphorisch vom Zentrifugaltrieb der Seele gesprochen. Die dialektische Form (Dialektik) des menschlichen Geistes prägt auch den Bildungsprozess, dessen erster Schritt in der Entfremdung von sich selbst, d. h. in der Loslösung vom Unmittelbaren, Geläufigen und Vertrauten und in der Hinwendung zum Fremden besteht, um mit bereicherter Kenntnis, erweitertem Horizont und vertieftem Verständnis zu sich selbst zurückzukehren. Grundlagen dieser gelehrten Bildung bildeten für G. W. F. Hegel die alten Sprachen und ihre Literatur.

Im Horizont der Geisteswissenschaftlichen Pädagogik hat Wilhelm Flitner die christliche Glaubenswelt, das philosophisch-wissenschaftliche Problembewusstsein, die exakt naturwissenschaftliche Methode sowie die geschichtliche und politische Welt der Gegenwart als die „vier Wurzeln unserer Kultur“ (Flitner 1960: 59 f.) benannt und unter Bildung die „geistige Begegnung“ (Flitner 1960: 61) mit diesen Kulturbereichen verstanden. Ein daraus resultierendes Kulturverständnis und die Einsicht in die allg.en „geistigen und wissenschaftlichen Voraussetzungen“ sollten ein „waches Mitleben“ (Flitner 1960: 61 f.) und eine aktive kulturelle Mitgestaltung ermöglichen.

2. Zur Aktualität des Begriffs

Eine neue Aktualität erfuhr der Begriff der Kulturpädagogik vor dem Hintergrund der gesellschafts-, kultur- und bildungspolitischen Debatten der 1970er und 80er Jahre. Was aktuell unter K.r B. verstanden wird, hat dort seinen historischen Ursprung. Generell war für die 70er und 80er Jahre ein neues und massiv gestiegenes kollektives Interesse an Kultur und Bildung kennzeichnend, das sich auch in der Bezeichnung „Kulturgesellschaft“ ausdrückte. Die damalige Kulturexpansion kann heute als eine „logische Konsequenz der Bildungsexpansion“ (Liebau 1992: 40) angesehen werden. Aus der soziologischen Perspektive Pierre Bourdieus konnte die Partizipation an Kulturevents und der massenhafte Kulturkonsum als Kampf um kulturelles Kapital gedeutet werden, welches durch „Distinktion“ (Bourdieu 1979) der Status-Sicherung dienen sollte.

Die Kulturkonjunktur kann auch als Reaktion auf die Situation der Orientierungsunsicherheit in einer durch Pluralisierung, Individualisierung und Differenzierung geprägten Welt gesehen werden. Die Erosion traditioneller Orientierungsmuster und einheitlicher Lebenskonzepte und das Infragestellen traditioneller Werte und Normen führte zu „Verunsicherung, Destabilisierung und Entraditionalisierungen“ (Liebau 1992: 47 f.) und in diesem Zuge zu Versuchen, durch die Hinwendung zu Kultur und Kunst neue Orientierungen zu gewinnen. Diese durch Pluralisierung gekennzeichneten gesellschaftlichen Modernisierungsprozesse (Modernisierung) und ihre Folgen wurden in den 1980 und 1990er Jahren unter dem Begriff der Postmoderne diskutiert, wobei der Diskurs durch die Rezeption französischer Autoren wie Jean Baudrillard, Jacques Derrida, Jean-François Lyotard und Michel Foucault entscheidende Anregungen erfuhr. In der Erziehungswissenschaft und den Bildungsdebatten der 1980er Jahre gewann die ästhetische Bildung durch die postmoderne Kritik an Aufklärung und Vernunftorientierung erneut an Bedeutung. Hatte die Pädagogik nach der Einschätzung Eckart Liebaus in den 1970er Jahren mit eben jenem Bezug auf die Aufklärung einen „normativ-universalistischen Horizont“ (Liebau 1992: 8) gewonnen, der ihr bildungspolitisches (Bildungspolitik) und pädagogisch-praktisches Handeln legitimierte, so gerät dieser Horizont in den Debatten der 80er Jahre in die Krise. „Das Andere der Vernunft“ (Böhme 1985) wurde wiederentdeckt, „Illusionen von Autonomie“ (Meyer-Drawe 1990) entlarvt. Die „pädagogischen Hoffnungen“, die in den 70er Jahren an die Idee der Aufklärung durch Wissenschaft geknüpft waren, wurden nun auf „Kunst und Kultur projiziert“ (Meyer-Drawe 1990: 9). Klaus Mollenhauer erinnert in diesem Zusammenhang an die „Vergessenen Zusammenhänge“ (1983) zwischen Ästhetik und Bildung und betont die Bedeutung ästhetischer Erziehung als eine grundlegende Dimension der Auseinandersetzung des Menschen mit seiner Welt. Die Deutsche Gesellschaft für Erziehungswissenschaft diskutierte 1992 auf ihrem Berliner Kongress unter dem Thema „Erziehungswissenschaft zwischen Modernisierung und Modernitätskrise“ mögliche Antworten auf gesellschaftliche Modernisierungsprozesse. Individualisierte Bildungsbiographien rückten in das Interesse der erziehungswissenschaftlichen Forschung. Wie Ursula Brandstätter aufzeigt, wurde im Zuge der Postmoderne-Diskussion auch der Begriff Ästhetik über die Künste hinaus erweitert und stärker auf sinnliche Wahrnehmung und Ästhetisierung der Lebenswelt bezogen.

Das neue öffentliche Kulturinteresse kann ebenso als Resultat der Öffnung und Demokratisierung der Kultur gelten, die sich zwei Momenten verdankte: Zum einen wandte sich die im Rahmen der 1968er-Bewegung entstandene kritische Öffentlichkeit nicht nur gegen erstarrte gesellschaftliche Konventionen und rigide Moralvorstellungen, sondern auch gegen eine bildungsbürgerliche Kulturtradition, die mit ihrer angeblich elitären musischen Bildung im Sinne einer Heranführung an die Hochkultur eine affirmative Kulturpädagogik betrieb. Aus dieser Distanzierung heraus entstand eine alternative Kulturszene, die mit ihren künstlerisch-kulturellen Innovationen gezielt neue Gruppen jenseits des Bildungsbürgertums ansprach und in Kinderläden, Spielmobilen und Jugendkunstschulen mit alternativen Formen der Kulturvermittlung experimentierte (Wolf 2014: 53). Begriffe wie „Alternativkultur“ oder „Gegenkultur“ zeugten von einer expliziten Distanzierung von einer Kulturtradition, die zunehmend in Verdacht geriet, mit ihrem normativen Kulturbegriff der Legitimation bestehender Zustände und Herrschaftsinteressen zu dienen und mit ihren „Teilhabeversprechungen“ zugl. immer auch „Loyalitätserwartungen“ (Lenzen 1989: 905) zu verbinden.

Zum anderen wurde der Demokratisierungsprozess der Kultur durch eine sozialliberale Kulturpolitik vorangetrieben, die sich selbst als Teil der Gesellschaftspolitik sah. Zu den maßgeblichen kulturpolitischen Akteuren wurden Hilmar Hoffmann und Hermann Glaser. In seinem Buch „Kultur für alle. Perspektiven und Modelle“ (1979) plädierte H. Hoffmann für die aktive Teilhabe aller Bürger an dem künstlerisch-kulturellen Leben der Gesellschaft. Mit der Promulgierung des programmatischen Begriffs der Soziokultur haben H. Hoffmann und H. Glaser den engen Zusammenhang von Gesellschaftspolitik und Kulturpolitik postuliert und den Grundstein dafür gelegt, was man heute mehrheitlich unter K.r B. versteht.

Nach dem aktuellen Dossier „Kulturelle Bildung“ (2007) der bpb wird Soziokultur als eine von allen Bevölkerungsgruppen und sozialen Milieus gleichermaßen gestaltete „aktive“ und „beteiligungsorientierte Kulturpraxis“ bezeichnet, die das Ziel verfolgt, „kreative Potenziale der Lebensgestaltung“ freizusetzen und eine „Kultur für alle“ zu ermöglichen. Nicht zu übersehen ist, dass dieses Verständnis von K.r B. insofern auf einem „engen Kulturbegriff“ fußt, als vorwiegend die künstlerisch-ästhetisch-musische Bildung berücksichtigt und die K. B. auf ästhetische Phänomene eingeschränkt wird.

In institutioneller Hinsicht führte die politisch gewollte Zusammenführung von Gesellschaft und Kultur zur Gründung der Kulturpolitischen Gesellschaft (1976) und des Deutschen Kulturrates (1981) sowie zur Entstehung soziokultureller Zentren, die sich 1979 bundesweit zur Bundesvereinigung Soziokultur e. V. zusammenschlossen.

In den 1980er Jahren führten politische Förderprogramme und ein zivilgesellschaftliches Engagement (Zivilgesellschaft) zu einer wachsenden Ausdifferenzierung der Kulturlandschaft und zur Erschließung neuer Praxisfelder der kulturellen Bildung. Auf kommunaler Ebene entstanden theater-, museums-, medien- und musikpädagogische Initiativen. Hochschulen, Akademien und Universitäten boten kulturpädagogische Studiengänge an. Auf der Grundlage eines ethnologischen Kulturbegriffs gerieten die Lebensweisen und Alltagskulturen verstärkt in den Blick, so dass die Leistung K.r B. nicht zuletzt daran gemessen wurde, was sie im Hinblick auf Lebenskunst und humane Lebensführung zu leisten vermag. Als dominierende Grundprinzipien k.r B. wurden neben kultureller Teilhabe und Partizipation, Stärke- und Interessenorientierung, insb. Freiwilligkeit, Öffentlichkeit und Anerkennung definiert. Das Prinzip der Interessenorientierung führte in theaterpädagogischer Perspektive bspw. dazu, sich von den „Konventionen des bürgerlichen Repräsentationstheaters“ (Taube 2012: 621) partiell zu lösen, um lebensweltorientiert thematisch stärker an die Lebenswirklichkeit der Besucher anzuknüpfen. In der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen sollten die Perspektiven der jüngeren Generation ernst genommen und die Interessen der Jugendlichen quasi „anwaltlich vertreten“ (Taube 2012: 621) werden.

Exemplarisch zeigt sich der Wandel von der traditionellen Kulturpädagogik zu dem soziokulturellen Konzept der K.n B. an der Entwicklung der Bundesvereinigung Kulturelle Kinder- und Jugendbildung (BKJ). Die BKJ, 1963 als Bundesvereinigung Musische Jugendbildung e. V. gegründet, hatte sich 1971 nominal in Bundesvereinigung Kulturelle Kinder- und Jugendbildung umbenannt. Die damit verbundene inhaltliche Neubestimmung war bemerkenswert: War in der musischen Bildung v. a. ihre Bedeutung für die Persönlichkeitsbildung gesehen worden, richtete sich das Augenmerk nun auf die Außenwirkung kultureller Bildung in Form ihrer sozialen und politischen Funktionen. Interessant hinsichtlich des Selbstverständnisses der BKJ und des von ihr angestrebten Zieles sind die Jahresberichte aus den Jahren 2015 und 2016.

Während sich die BKJ 2015 unter dem Motto „Jugend mit Wirkung. Kultur und Bildung gemeinsam gestalten“, dafür einsetzte, Kindern und Jugendlichen ungeachtet ihrer sozialen und kulturellen Herkunft die Möglichkeit zu einer aktiven und selbstbestimmten Aneignung der Welt durch Kultur, Spiel und künstlerische Praxis zu ermöglichen und allen Kindern gleiche Bildungschancen zu gewährleisten, trat im Jahre 2016 der politische Aspekt in den Vordergrund. Unter dem Titel „Zivilgesellschaft stärken. Recht auf kulturelle Teilhabe, Partizipation und gerechtere Bildungschancen durchsetzen“ wurde zunächst auf die Gefährdung des kulturellen und demokratischen Zusammenhalts in Deutschland und Europa durch Rechtspopulismus (Populismus) und Radikalisierungstendenzen hingewiesen. Das engagierte Eintreten für Demokratie hängt nach der erklärten Einschätzung der BKJ von Teilhabechancen und gesellschaftlichen Mitgestaltungsmöglichkeiten ab. Aus diesem Grund will die BKJ v. a. zivilgesellschaftliche Strukturen und Orte schaffen, an denen ein kultureller und gesellschaftlicher Konsens ausgehandelt werden kann.

Auf neues Interesse stieß die K. B. schließlich im Anschluss an die PISA-Studien aus den Jahren 2001 und 2004, die erhebliche Mängel im deutschen Bildungssystem aufgedeckt hatten. Dass das bildungspolitische Interesse an der K.n B. v. a. im Hinblick auf die Ermöglichung gerechter Bildungschancen nach wie vor anhält, wird u. a. durch das Programm „Kultur macht stark! Bündnisse für Bildung“ des BMBF deutlich, das Kooperationsprojekte für benachteiligte Kinder und Jugendliche finanzstark fördert.

Die in dem bereits erwähnten „Handbuch Kulturelle Bildung“ erfassten Beiträge lassen zwei Grundtendenzen innerhalb der aktuellen Diskussion um die Bedeutung K.r B. deutlich werden: Neben dem soziokulturellen Ansatz, der weiterhin an einer Funktionalisierung des Ästhetischen für soziale und politische Zwecke festhält, finden sich unter bildungstheoretischer Perspektive Beiträge, die an die lange Tradition ästhetischer Bildung anknüpfen und auf die exzeptionelle Bedeutung des Ästhetischen in der Bildung hinweisen. Gerd Taube und Rolf Bolwin betonen die Bildungswirkung des Theaters und den Eigenwert der dort ermöglichten ästhetischen Erfahrung, die u. a. in der Differenzwahrnehmung gesehen wird. Die darstellende Kunst des Theaters eröffnet Räume, um „von einer anderen Wirklichkeitsebene aus auf die Wirklichkeit des Alltags“ (Taube 2012: 618) zu sehen. V. a. der performative Charakter einer neuen Theaterpädagogik soll es Kindern und Jugendlichen ermöglichen, das Theater als einen „experimentellen Raum“ (Taube 2012: 619) zu nutzen, um mit ästhetischen Mitteln ihre Lebenswirklichkeit zu erforschen. Bereits Marcus Düwell hatte 1999 darauf hingewiesen, dass das reflexive Moment der ästhetischen Erfahrung das eigene Verhältnis zur Welt bewusst macht, dabei neue Möglichkeiten der Weltsicht eröffnet und alternative Lebens- und Handlungsmöglichkeiten vor Augen stellt.

R. Bolwin weist generell auf die bedenkliche Marginalisierung ästhetischer Bildungsprozesse in der Bildungsdebatte hin, die über die Konzentration auf verwertbares Wissen und nützliche Kompetenzen Momente wie Wahrnehmung, Erfahrung und Kreativität aus dem Blick verliert. In Zukunft müsse es von daher vermehrt darum gehen, „Reflexivität und Kreativität sowie Sprachkompetenz“ (Bolwin 2012: 623) im Medium der Kunst zu fördern. Speziell das Theater biete Möglichkeiten der Konfrontation mit anderen Erfahrungen und alternativen Lebensentwürfen und regt durch die Identifikation bzw. Ablehnung des auf der Bühne Dargestellten zu eigener Meinungs- und Urteilsbildung an.

U. Brandstätter arbeitet in ihrem Artikel die Kernmerkmale ästhetischer Erfahrung heraus, wobei sie u. a. auf die Selbstbezüglichkeit ästhetischer Wahrnehmung hinweist, die zu einem Ineinander von „Selbst- und Weltbezug“ bzw. von „Ich-Erfahrung und Welt-Erfahrung“ führe (Brandstätter 2012: 176). Die bes. Wirkung von Kunst wird von U. Brandstätter auch darin gesehen, dass gewohnte und vertraute Wahrnehmungs- und Denkweisen aufgebrochen werden, um neuen Perspektiven, Sichtweisen und Entwürfen Raum zu verschaffen.

Ähnlich argumentiert Dagmar Fenner, wenn sie darauf hinweist, dass die ästhetische Erfahrung den Einzelnen aus der „alltäglichen Lebenswelt mit subjektiven Interessen und Bedürfnissen und äußeren Erwartungshaltungen“ befreit, um ihm einerseits „Entlastung vom Alltagsstress, Entspannung, ästhetisches Wohlgefallen“ (Fenner 2012: 185) zu bereiten und um ihm andererseits das Spiel mit unterschiedlichen „Welt- und Selbstsichten“ (Fenner 2012: 186) zu ermöglichen. Unter einer „individualethischen Hinsicht“ (Fenner 2012: 186) weist D. Fenner darauf hin, dass gerade die an sich zweckfreie ästhetische Erfahrung mit Freude erfüllt und so indirekt zu einem geglückten Leben beitragen kann. Schließlich können im Medium des Ästhetischen Empathie und Solidarität entwickelt und durch die Darstellung moralischer Konfliktsituationen Anstöße zu ethischen Überlegungen geben werden.

Zusammenfassend lässt sich die Vorstellung einer modernen Kulturvermittlung mit Birgit Mandel folgendermaßen definieren: „Kulturvermittlung ist nicht nur Verständnishilfe zwischen Kunst und Publikum, sondern meint auch die spezifischen Stärken der Künste für das Zusammenleben im Alltag zu nutzen, ihre Fähigkeit, kommunikative Prozesse in Gang zu setzen, die Wahrnehmung auf das Gewohnte zu verrücken, zu zeigen, dass alles auch ganz anders sein könnte“ (Mandel 2005: 16).