Agrarreformen und Agrarrevolutionen

Version vom 14. November 2022, 05:53 Uhr von Staatslexikon (Diskussion | Beiträge) (Agrarreformen und Agrarrevolutionen)

  1. I. Geschichtlich
  2. II. Ökonomisch
  3. III. Sozialethisch

I. Geschichtlich

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1. Agrarreformen

Der Begriff der A.-Reformen drückt in einem weiteren Sinne die obrigkeitlich gesteuerte Anpassung der Agrarstruktur an politisch gewollte Ziele aus. In sozioökonomisch intervenierenden Systemen, wie sie der aufgeklärte Absolutismus des späten 18. Jh. genauso darstellte wie der sich seit dem 19. Jh. entwickelnde bürokratische Interventionsstaat, sind sie integraler Bestandteil staatlichen Handelns mit wirtschafts-, sozial-, finanz- und rechtspolitischen Mitteln. In dieser Weise wird der Begriff in erster Linie von der Politikwissenschaft, Soziologie und Volkswirtschaftslehre gebraucht.

In einem engeren Sinne nutzt die Geschichtswissenschaft den Terminus, um die agrarische Komponente der staatlichen Reformprogramme zu beschreiben, die in der „Sattelzeit“ zwischen der Mitte des 18. und des 19. Jh. die Neuordnung von Staat, Wirtschaft und Gesellschaft anstrebten. Der Kern dieser A.-Reformen bestand darin, die landwirtschaftlichen Produzenten aus überkommenen Bindungen herrschaftlicher (Grund-, Guts-, Leib- und Gerichtsherrschaft) und kommunaler (Allmende) Art sowie von Servituten wie Holz- und Weiderechten zu lösen und sie so zu vollen, selbstständigen Eigentümern zu machen („Bauernbefreiung“).

Durch die Abschaffung der als produktivitätshemmend erkannten Bindungen wurden Hindernisse für Agrarinnovationen beseitigt und es entstand eine gewinnorientierte landwirtschaftliche Betriebsführung, welche in der Lage war, die Erträge durch die Mobilisierung bisher ungenutzter Ressourcen (Boden, Arbeit, Kapital) zu steigern. So wurde einerseits die Steuerkraft der Landwirtschaft (Land- und Forstwirtschaft) erhöht, andererseits die Ernährung der Bevölkerung sichergestellt. Denn die Landwirtschaft war Ende des 18. Jh. dazu kaum mehr in der Lage. Deshalb umfassten die A.-Reformen auch Maßnahmen zur Steigerung der landwirtschaftlichen Produktion. Außerdem wurde durch die Übertragung von Herrschaftsrechten auf den Staat bzw. durch deren Abschaffung (Leibeigenschaft, Feudalismus) ein einheitlicher Untertanenverband ohne intermediäre Gewalten geschaffen.

Neben (staats)wirtschaftlichen Gründen waren es zuerst physiokratisches Gedankengut (Physiokratie) sowie das rationalistische und individualistische Menschenbild der Aufklärung, welche die A.-Reformen provozierten. Schließlich sorgten Einfluss und politischer Druck des revolutionären Frankreichs für die Forcierung der A.-Reformen. Ihre Träger waren zunächst akademische, bürgerliche Kreise, die sich in ökonomischen Gesellschaften zusammenfanden, seit dem Ende des 18. Jh. auch verstärkt die Bürokratie. Die Landbevölkerung beteiligte sich an der öffentlichen Diskussion kaum. Bäuerliche Unruhen beschleunigten jedoch die Durchführung der Maßnahmen, so auch anlässlich der Revolution 1848/49, die einen weitgehenden Abschluss der Reformen brachte. Um als eigenständiger Akteur im Rahmen der A.-Reformen aufzutreten, waren die Interessenlagen innerhalb der ländlichen Bevölkerung zu uneinheitlich. So führte die Aufteilung der Allmende regelmäßig zu Konflikten zwischen den Bauern und den unterbäuerlichen Schichten. Denn durch die Mobilisierung von landwirtschaftlichem Grund und Boden verschoben sich die Anteile von Voll- und Kleinbauern sowie von Landarbeitern und Dienstboten.

2. Agrarrevolutionen

Der Begriff der A.-Revolutionen ist schillernd. In der Politikwissenschaft und Soziologie beschreibt er die gewaltsam herbeigeführte Veränderung landwirtschaftlicher Eigentumsstrukturen außerhalb der bestehenden Rechtsordnung (in Abgrenzung zu A.-Reformen). Karl Marx, der den Begriff wohl erstmals verwendete, gebrauchte ihn im geschichtsphilosophischen Sinne des Historischen Materialismus . Er bezeichnete damit im ersten Bd. von „Das Kapital“ 1867 die Entstehung der agrarkapitalistischen Klassengesellschaft im England des späten Mittelalters. Die Geschichtswissenschaft verwendet den Terminus in erster Linie, um einen ertragssteigernden Wirkungszusammenhang aus sozioökonomischen Wandlungen und technologischen Innovationen zu erfassen.

Dabei ist der Begriff der A.-Revolutionen nicht nur aufgrund seiner teleologischen Komponente problematisch, sondern auch aufgrund seines wertenden Charakters. So impliziert er im Unterschied zu dem der A.-Reformen nicht nur einen beschleunigten, sondern auch erfolgreichen Verlauf im Rahmen eines übergeordneten theoretischen Paradigmas (des Historischen Materialismus oder von Modernisierungstheorien). Deshalb, und um die mit ihm verbundenen Phänomene präziser zu fassen, wird er mit Blick auf die mittelalterliche und neuzeitliche Entwicklung (Neuzeit) zunehmend durch die wertneutralen Begriffe Agrarkapitalismus, Agrarindividualismus, Agrarinnovation und Agrarintensivierung ersetzt.

In der Geschichtswissenschaft bezeichnet die neolithische Revolution die Seßhaftwerdung des Menschen samt Einführung des Ackerbaus. Die hochmittelalterliche A.-Revolution meint die Produktivitätssteigerung durch die Einführung von eisernen Pflügen und Dreifelderwirtschaft, bei der sich zur Erhaltung der Bodenfruchtbarkeit, zur Bodenhygiene und Unkrautbekämpfung ein Brachjahr mit zwei Anbaujahren abwechselte. V. a. aber wird der Begriff der (neuzeitlichen) A.-Revolution verwendet, um die technologischen Innovationen (Innovation) zu benennen, die seit dem Spätmittelalter und dann in Mitteleuropa verdichtet zwischen der Mitte des 18. und des 19. Jh. zu erheblichen Ertragssteigerungen und einem Ende der Hungersnöte führten. Die A.-Reformen dieser Zeit sind dann als Teil der neuzeitlichen A.-Revolutionen zu betrachten. Dabei wird die A.-Revolution als Voraussetzung der Industriellen Revolution (Industrialisierung, Industrielle Revolution) gesehen; in Analogie dazu wurde der Begriff überhaupt erst geprägt.

Zu den besagten Innovationen gehören die Ersetzung der Dreifelderwirtschaft durch die Fruchtwechselwirtschaft mit Hilfe der Bebauung der Brache mit Leguminosen, die Einführung von Vieh- und Pflanzenzucht, eine rationelle Düngerwirtschaft und neue Düngemittel, verbesserte Landtechnik, die Einführung neuer Nahrungs- und Futterpflanzen sowie die Neugewinnung von Ackerland durch Ödlandkultivierung und Aufteilung der Allmende. Bisweilen werden der verstärkte Einsatz von landwirtschaftlichen Maschinen und die Einführung der Agrarchemie seit dem Ende des 19. Jh. als zweite Phase der neuzeitlichen A.-Revolution bezeichnet.

Die Träger der neuzeitlichen A.-Revolution waren dieselben, welche die A.-Reformen propagierten. Die ländliche Bevölkerung verhielt sich aufgrund der mit den Innovationen verbundenen Risiken, aus ihrer Sicht rational, zurückhaltend. Steigende Agrarpreise aufgrund der Bevölkerungszunahme und das am Ende des 19. Jh. expandierende landwirtschaftliche Schulwesen (Landwirtschaftliches Bildungswesen) führten aber zu ihrer zunehmenden Akzeptanz.

II. Ökonomisch

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1. Agrarische Unzufriedenheit

Den sprichwörtlichen „tumben“ Bauer hat es zu keiner Zeit gegeben. Die Landwirte haben i. d. R. ökonomisch rational auf Veränderungen reagiert: Unter Subsistenzbedingungen haben sie die Überlebensbedürfnisse ihrer Familien im Blick gehabt. Bei ihrer industriegesellschaftlichen Einbindung in Wettbewerbsmärkte geht es ihnen dagegen – als Reaktion auf Preissignale – um einkommenssichernde Produktionsentscheidungen. Bäuerliche Strategien (Strategie) können indessen nicht losgelöst von den bes.n ökonomischen, sozialen, politischen und natürlichen Bedingungen begriffen werden. Die Unzufriedenheit kann sich in verschiedenen Formen äußern, die sich vom passiven Widerstand über Streiks bis hin zur Revolution erstrecken. Um eine Revolution handelt es sich, wenn mit Hilfe ideologischer Argumente und Gewalt die bestehende Herrschaftsordnung bekämpft wird. Mit einem Aufstand ist allerdings dann nicht zu rechnen, wenn die Bauern in einer solchen desolaten Lage sind, dass sie nur noch um ihr nacktes Überleben ringen. Eine Revolution bricht gewöhnlich dann aus, wenn die Verhältnisse sich zwar verbessert haben, sich aber eine Kluft zwischen der Teilhabe an den erfolgten oder erwarteten Fortschritten und dem tatsächlichen Versorgungszustand auftut. Das Verhalten der Landwirte stellt keine Ausnahme von der Regel dar: Die subjektiv empfundene Unzufriedenheit mit der wirtschaftlichen Situation zeitigt viel eher Verbitterung als der tatsächliche materielle Mangel.

2. Agrarrevolution

Agrarisches Aufbegehren kann gelegentlich erfolgreich sein. Doch was die Landwirtschaft (Land- und Forstwirtschaft) in den Industriestaaten wie in den wenig entwickelten Ländern entscheidend voranbringt, ist weniger der kollektive Protest als vielmehr das unternehmerische Anpassungsvermögen von Landbewirtschaftern, auf die Anforderungen der sich wandelnden Umstände bestmöglich zu reagieren. Die neuzeitlichen A.-Revolutionen – im Gegensatz zum heutigen, modernen Agrarfortschritt – zeichneten sich dadurch aus, dass nahezu alle Mittel für das Wachstum, von der Arbeit über die Arbeitsgeräte bis hin zum einschlägigen Wissen, aus dem bäuerlichen Sektor selbst kamen. Die althergebrachte, vorindustrielle Technologie wurde in den großen wie in den kleinen Betrieben einfach verbessert und effizienter eingesetzt. Die Großbetriebe hatten dabei keinen Vorteil. Es setzten sich im Gegenteil die bäuerlichen Familienbetriebe nicht zuletzt aufgrund geringer Transaktionskosten gegenüber den Großbetrieben durch.

Die Ausweitung der Produktion für den regionalen wie später überregionalen Markt hatte zur Folge, dass die Ressourcen der vorindustriellen familienbetrieblichen Landwirtschaft, Land, wenig Kapital und v. a. Arbeitskraft, in einem bislang unvorstellbaren Maß mobilisiert wurden. Für die westlichen Staaten galt, aber auch auf die heutigen wenig entwickelten Länder trifft zu, dass die Agrarproduktion ohne zusätzliche Kosten allein durch den Arbeitsfleiß der Bauern beträchtlich gesteigert werden kann. Dadurch ist es möglich, den Markt über den familiären Eigenbedarf hinaus mit Agrarerzeugnissen zu beliefern. Nicht wenige Entwicklungsexperten machen den Fehler, die Angebotselastizität der traditionellen arbeitsintensiven Landwirtschaft erheblich zu unterschätzen. Der wirtschaftliche Aufschwung durch die Industrialisierung (Industrialisierung, Industrielle Revolution) hat die bäuerliche Landwirtschaft nicht nur nicht gefährdet, sondern sie vielmehr stabilisiert. Nicht der Wettbewerb auf dem Markt hat in verschiedenen Ländern die bäuerlichen Betriebe zugunsten von privaten oder staatlich-kollektiven Großbetrieben dezimiert, sondern politische Willkür.

A.-Revolutionen sind – weltweit – dadurch charakterisiert, dass agrarisches Wachstum eng mit der allg.en Wirtschaftsentwicklung und der zunehmenden Einbindung des Agrarsektors in arbeitsteilige Volkswirtschaften verknüpft ist. Während in der ersten Phase lediglich Agrargüter auf dem Markt abgesetzt wurden, kam es in der oft stark zeitversetzten zweiten Phase zur Industrialisierung der Landwirtschaft durch Beschaffung betrieblicher Inputs und sog.er Vorleistungen. Bedeutsam ist v. a. der erste Abschnitt, d. h. der eigeninitiative Ausbruch aus der Subsistenzökonomie. Der auf diesen Schritt erfolgte Übergang zur industrialisierten Agrarproduktion ist dagegen als Reaktion der Landwirte auf Marktsignale und Veränderungen von Relationen der Faktorpreise aufzufassen.

3. Agrarreform

Das erklärte Ziel staatlich betriebener A.-Reformen ist es, die Produktivität und Effizienz der Landwirtschaft (Land- und Forstwirtschaft) zu steigern. Doch in vielen armen, nichtwestlichen Ländern hat die Reform den Bauern mehr geschadet als genützt. In paternalistischer Weise (Paternalismus) wurden die Bodenbewirtschafter über Gebühr reglementiert. Dadurch kommt es zu einer Unterminierung von Eigeninitiative, die nicht zuletzt vom oft erfolgsentscheidenden Wissen um die Umstände von Zeit und Ort profitiert. Weil es gilt, das ökonomische Potential vorindustrieller Landwirtschaft im Zuge wachsender Marktintegration auszuschöpfen, steht im Mittelpunkt von A.-Reformen – immer schon – eine Bodenreform, die das Gegenteil einer zwangsweisen, entschädigungslosen Enteignung von Großgrundeigentum sein sollte. Um die Agrarentwicklung voranzutreiben, setzte man in der Vergangenheit aber nahezu dogmatisch auf die Schaffung immer größerer Betriebe. Doch mittlerweile ist erwiesen, dass mit den industrietypischen Größenvorteilen (economies of scale) in der Agrarproduktion gewöhnlich nicht zu rechnen ist. Dass bäuerliche Familienbetriebe am Markt bestens bestehen, hat jüngst das Beispiel Neuseeland gezeigt.

III. Sozialethisch

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1. Von der Leibeigenschaft zur Bauernbefreiung

Im Neolithikum fand der Übergang von der Nomadenwirtschaft zum sesshaften Ackerbauern statt. Es gab noch keine Grundherrschaft, keinen Staat und keine Kirche. Alle Bauern waren frei, bildeten aber Gemeinschaften, z. B. für die Viehweide als Allmende. Mit der Zeit kam es zur Herausbildung von Hierarchien (Hierarchie). Erfolgreiche Bauern setzten sich durch, errangen mehr Einfluss und Autorität, und so entstand eine Grundherrschaft, sozial als Adel abgehoben. Kirchen und Klöster wurden erst im Mittelalter zu Grundherren. Teils stellten freie Bauern sich freiwillig unter den Schutz von Adligen oder Klöstern, um z. B. den Pflichten freier Bauern wie dem Wehrdienst zu entgehen. Im Mittelalter wurde die Landbewirtschaftung vorwiegend von Leibeigenen, unfreien Bauern erledigt. Sie mussten einen Teil ihrer Ernte an den Grundherrn abgeben, für den sie auch verschiedene Dienste zu erledigen hatten. Die Leibeigenschaft folgte aus der Geburt – Kinder von Leibeigenen blieben Leibeigene.

Die Unzufriedenheit mit den Herrschaftsverhältnissen führte im 16. Jh. zu Bauernaufständen und -kriegen, die aber nicht zur Befreiung der Bauern führten. Interessant ist dabei die Rolle Martin Luthers. Während nämlich die Führer der Bauernaufstände sich auf die Reformation und M. Luther beriefen, distanzierte sich dieser mehr und mehr von der Bewegung, bis er sie am Ende sogar extrem scharf angriff. Erst die Französische Revolution gab schließlich den Anstoß zu einer umfassenden „Bauernbefreiung“. Trotz einiger Erfolge verblieben weite Teile der Bevölkerung, auch der bäuerlichen, noch in sehr ärmlichen Verhältnissen. Eine Folge davon waren Auswanderungen (Migration) nach Nord- und Südamerika, um sich dort eine neue Existenz aufzubauen, was aber nur einem Teil erfolgreich gelang.

Als Fazit bleibt: Die Bauernbefreiung allein konnte die Lage der Bauern nicht verbessern, denn die „befreiten“ Bauern mussten erst noch lernen, einen Betrieb zu führen. Zudem waren sie vermehrt den Kräften des Marktes ausgesetzt, und schließlich hatten sie an den Staat Abgaben zu leisten.

2. Auswirkungen der Industrialisierung

Die Industrialisierung (Industrialisierung, Industrielle Revolution) hat mit ihren Techniken auch die Landwirtschaft (Land- und Forstwirtschaft) beeinflusst. Positiv ist zu nennen, dass es seit Mitte des 19. Jh. in den Industrieländern (außer in Kriegszeiten) keine Hungersnöte mehr gab. Massive Umwälzungen entstanden durch die Nutzung technischer Möglichkeiten und die Einsparung von Arbeitskräften, was zu einer Abwanderung vom Land in die Städte führte. Mit der Erfindung von Dampfmaschine, Eisenbahn und Dampfschiff wurden kostengünstige Transporte möglich, z. B. Getreideexporte nach Deutschland. Dieses Getreide war preislich günstiger als einheimische Erzeugnisse. Hiervon profitierten v. a. die Konsumenten, aber auch die Landwirte, die Getreide zu Fleisch und Milch veredelten. Eine Gefahr waren die niedrigeren Preise für Getreide erzeugende Betriebe.

Die Politik sah sich in dieser Situation vor der Entscheidung: Sollte man die Billigimporte als Chance oder als Gefahr sehen? Der französische Agrarpolitiker Jules Méline stellte 1889 die Frage „Was sollte aus der bäuerlichen Bevölkerung werden […], wenn ihre Arbeit nicht mehr […] erlauben würde zu leben?“ (zit. n. Aldenhoff-Hübinger 2002: 11). Er kam zu dem Schluss, dass das Problem mehr als nur wirtschaftlicher, vielmehr zugl. nationaler, politischer und sozialer Natur, die Nahrungsmittelerzeugung mehr als nur die reine Produktion sei.

In Deutschland, Frankreich und weiteren Ländern wurde ab 1880 durch protektionistische Maßnahmen regulierend in den Agrarmarkt eingegriffen. Demgegenüber sprachen sich z. B. die Niederlande und Dänemark für eine Beibehaltung des Freihandels aus. Die protektionistische Politik Deutschlands, anderer Länder und später auch der EU, beginnend mit Getreidezöllen, fortgesetzt mit Mengenbegrenzungen, Verwendungsverpflichtungen etc., hatte zum Ziel, die Erzeugerpreise wichtiger Agrarprodukte zu stützen, um so den Landwirten ein akzeptables Einkommen zu ermöglichen. Im Laufe der Zeit, v. a. seit den 1950er Jahren, stieg die inländische Erzeugung schneller als die inländische Nachfrage. Das führte zu strukturellen Überschüssen, die wiederum auf den Preis drückten und zugl. kostenträchtige Lagerhaltung und Exporterstattungen erforderten. Dadurch geriet die Agrarpolitik immer mehr in die Kritik und die Unzufriedenheit bei Landwirten, Steuerzahlern und Handelspartnern wuchs.

3. Reformen der EU-Agrarpolitik

In der EU führten die zunehmend größer werdenden Probleme der bisherigen Agrarpolitik im Jahr 1992 zur Beendigung der über 100 Jahre durchgeführten Preisstützungspolitik. Man kam zu der Erkenntnis, dass der Preis nicht zugl. die Funktion des Ausgleichs von Angebot und Nachfrage und die Sicherung des Einkommens übernehmen kann. Daher sollte der Preis in erster Linie die Steuerung des Marktes übernehmen. Da bei sinkenden Preisen die Einkommen stark unter Druck geraten, wurden zur teilweisen Kompensation der Einkommensverluste produktbezogene Direktzahlungen an die Landwirte eingeführt.

Maßgebliche Kritik an diesen Direktzahlungen kam von den Handelspartnern. Zwar konnte sich die EU zunehmend am Welthandel beteiligen, ohne die Exporte zu subventionieren (Subvention), die Landwirte in der EU hatten aber den Vorteil der produktbezogenen Direktzahlungen. Einen Ausweg stellte die 2003 vorgenommene Entkoppelung der Direktzahlungen dar, deren Höhe nur an die bewirtschaftete Landfläche gebunden ist. Durch ihre Verbindung mit Umweltauflagen konnten die Direktzahlungen gegenüber den Ländern außerhalb der EU begründet werden.

Es folgte aber die Frage nach der gesellschaftspolitischen Begründung der entkoppelten Direktzahlungen. Das Argument, die Direktzahlungen seien ein Entgelt für die Einhaltung der Umwelt- und Tierschutzauflagen (Cross Compliance), ist nur bedingt stichhaltig, weil diese in weiten Teilen den Anforderungen an eine gute fachliche Praxis entsprechen, deren Einhaltung keinen finanziellen Ausgleich vorsieht. Auch wird eine weitgehend einheitliche Flächenprämie diesem Argument nicht gerecht, da die Betriebe ganz unterschiedlich betroffen sind.

Diesen Kritiken wurde mit der Reform von 2014 teilweise Rechnung getragen, indem die Gewährung von Direktzahlungen vermehrt an die Einhaltung von Umweltauflagen, die teils über die Fachgesetzgebung hinausgehen, gekoppelt wurde. Allerdings wird von Umweltseite bemängelt, dass das Niveau der Auflagen zu gering sei, um merkliche Verbesserungen der Umweltwirkungen der Landwirtschaft zu realisieren, zumal die heutige Landwirtschaft ein wesentlicher Verursacher von Umweltproblemen ist.

Diese Kritik führt zu der Frage nach der weiteren Entwicklung. Dabei ist darauf hinzuweisen, dass die EU-Agrarpolitik (Europäische Agrarpolitik) im Abstand von sechs Jahren überprüft und ggf. neu ausgerichtet wird. In diesem Zusammenhang ist daran zu erinnern, dass für die EU aufgrund der gesellschaftlichen Erwartungen und der relativ dichten Besiedelung das Konzept der multifunktionalen Landwirtschaft als Leitbild etabliert wurde. Demzufolge überlagern sich die Funktionen Landbewirtschaftung, Erholung und Wohnen. Im Gegensatz dazu finden wir in dünnbesiedelten Ländern häufig eine Funktionstrennung. Insofern besteht in der EU eine hohe Bereitschaft, die Landwirte für die Erbringung zusätzlicher Leistungen gesondert zu honorieren. Als Devise hat dabei zu gelten: Öffentliche Gelder sind für öffentliche Güter einzusetzen.

An die künftige Agrarpolitik wird der Anspruch gestellt, Teil der Gesellschaftspolitik zu werden, um damit eine breite Akzeptanz der Bevölkerung zu erreichen. Diese integrative Gesellschaftspolitik kann nur dann die erforderliche Zustimmung der Bevölkerung erfahren, wenn sie sich besser um eine Ausbalancierung der Nachhaltigkeitsziele bemüht.