Gesellschaftspolitik

Mit dem Begriff G. werden politische Konzepte, Diskurse und Maßnahmen zusammengefasst, die darauf abzielen, gesellschaftliche Strukturen und Prozesse in Orientierung an Werten wie Gerechtigkeit und Chancengleichheit (Chancengerechtigkeit, Chancengleichheit) zu gestalten. Um dies zu konkretisieren, sind zum einen die Inhalte der G. und zum andern die in dieser Weise handelnden Akteure näher zu beschreiben.

Der Begriff „Gesellschaft“ bezeichnet die Gesamtheit der Kommunikation und Interaktion zwischen Menschen. „Die Operation, durch die soziale Systeme und mithin Gesellschaft sich konstituieren, ist Kommunikation. Wenn immer Kommunikation zustande kommt, bildet sich Gesellschaft“ (Luhmann 2000: 16). Unter „Politik“ können Prozesse der Diskussion und des Aushandelns von Handlungskonzepten sowie deren Umsetzung mittels u. a. eines administrativen Apparates bzw. einer Verwaltungsorganisation verstanden werden. Somit könnte der Gegenstand der G. so gefasst werden, dass in ihr Handlungskonzepte für die Gesellschaft im Ganzen entworfen und umgesetzt werden. Der in dieser Weise handelnde Akteur, das Subjekt der G., wäre ebenfalls die Gesellschaft, d. h. die Gesellschaft entwirft und realisiert in Form der G. Handlungskonzepte für sich selbst.

Mit dieser abstrakten Beschreibung lassen sich allerdings konkrete Formen der G. nicht in Verbindung bringen. Zum einen ist „die Gesellschaft insgesamt“ als Objekt der G. zu umfassend, um sinnvolle Handlungskonzepte entwerfen zu können, da sie sich in eine Vielzahl von Teilbereichen aufgliedert und nicht immer alle Ziele gleichzeitig verfolgt werden können. Zum andern ist die Gesellschaft zu vielgestaltig, um als Subjekt bzw. handelnder Akteur einer derart umfassenden G. in Betracht zu kommen, denn sie umfasst eine Vielfalt unterschiedlicher Akteure und Personengruppen, die ihre heterogenen Interessen und Handlungskonzepte in Form des politischen Diskurses verhandeln. Eine begriffliche Bestimmung der G. muss die Komplexität gesellschaftlicher Teilbereiche und entsprechender Themen sowie die Unterschiedlichkeit gesellschaftlicher Akteure berücksichtigen, um gehaltvoll verwendet werden zu können.

1. Entwicklung von der Sozialpolitik zur Gesellschaftspolitik

Historisch wird die G. in der Tradition der Sozialpolitik gesehen, die einen Ausgleich bzw. Verbesserungen der Lage bes. belasteter bzw. benachteiligter Bevölkerungsgruppen anstrebte. Gegenüber einer gewinnorientierten Wirtschaft sah die Sozialpolitik ihre Aufgabe in der Vertretung der Arbeitnehmerinteressen, die den Schutz vor Risiken und eine ausgleichende Verteilung des erwirtschafteten Wohlstands anstrebte. Im Zuge einer Erweiterung ihres Gegenstandsbereichs über Fragen des Sozialversicherungsschutzes bzw. der Einkommens- und Wohlstandsverteilung hinaus entwickelte sich eine umfassendere G., deren thematisches Spektrum sich auch auf Prävention und zielgruppenspezifische Dienstleistungen erstreckte. Diese Entwicklung betraf sowohl das Spannungsverhältnis von Wirtschaft und sozialem Ausgleich als auch wirtschaftliche Auswirkungen auf andere Lebensbereiche: Im wirtschaftlichen Kontext kamen in den 1960er Jahren Fragen der Demokratisierung des Arbeitslebens durch Mitbestimmung der Arbeitnehmer oder später des gesellschaftlichen Umgangs mit zunehmender Arbeitslosigkeit ins Blickfeld. Über den Wirtschaftsbereich hinaus wurden in den 1970er Jahren gleichberechtigte Bildungschancen, gleiche Entfaltungschancen für Frauen und Männer einschließlich der Vereinbarkeit von Familie und Beruf sowie die Gesellschaft als ganze betreffende Fragen des Umgangs mit begrenzten ökologischen Ressourcen und der Friedenspolitik diskutiert. Gemeinsam ist diesen Themen, dass sie nicht auf einen gesellschaftlichen Bereich (der Bildungspolitik, der Energiepolitik etc.) beschränkt bleiben, sondern die jeweils bereichsspezifische Perspektive um übergreifende Fragestellungen erweitern.

2. Gegenstand und Form der Gesellschaftspolitik

Damit gelangt man zu einem anderen Verständnis von G. als mit dem eingangs skizzierten holistischen Ansatz. In der Pluralität der gesellschaftlich ausdifferenzierten Teilsysteme werden Funktionen bearbeitet, die menschliche Grundanliegen zur Verwirklichung bringen. Im jeweiligen Bereich diese Grundanliegen zu thematisieren und die Gesellschaft so zu gestalten, dass diese zunehmend besser und zunehmend gleichverteilt realisiert werden, ist das Bestreben der G. Darin kommt ihr „normativer“ Charakter i. S. d. Zielrichtung auf eine „gute“ Gesellschaft zum Ausdruck, die „durch die Akzentuierung des Wertes der Gleichheit als Chancengleichheit oder Ausgleich von Benachteiligungen“ charakterisiert ist (Ferber 2012: 161). Diese Akzentuierung kann nicht abstrakt die Gesellschaft insgesamt anvisieren, sondern konkretisiert sich in der Optimierung der Lebensbedingungen im jeweiligen gesellschaftlichen Teilbereich. Die G. wirkt somit als bereichsspezifisches Korrektiv in Richtung auf Chancengleichheit und Benachteiligungsausgleich, indem sie die jeweiligen Zielsetzungen und Perspektiven im Lichte komplementärer oder übergreifender Interessen in Frage stellt. „In diesem Sinne dient Gesellschaftspolitik als ein Leitbegriff, der bewusst und gezielt bestehende Grenzen politischen Handelns überschreitet“ (Ferber 2012: 158).

Strukturell ist der normative Aspekt einer „guten“ Gesellschaft eng mit demokratischen Politikformen verbunden, die eine weitgehende Partizipation der Bürgerinnen und Bürger am gesellschaftspolitischen Diskurs und an politischen Entscheidungen ermöglichen. Zum Gegenstand der G. gehört somit auch, sich verselbstständigende wirtschaftliche Entwicklungen, die sich mit dem Verweis auf Marktmechanismen als „alternativlos“ darstellen, an demokratische Kontrolle (politische Kontrolle) rückzubinden.

3. Akteure der Gesellschaftspolitik

Neben dieser Annäherung an das, was G. beinhaltet, ist eine weitere Frage, welche Akteure die G. gestalten. Ein engeres Verständnis der G. geht davon aus, dass der Staat als Akteur die G. umsetzt: „Gesellschaftspolitik ist demnach zielrationales staatliches Handeln zum Zwecke der bewussten und planmäßigen Gestaltung der Gesamtheit der sozialen Verhältnisse, d. h. der Bedingungen menschlichen Zusammenlebens im modernen Staat“ (Ortlieb/Lösch 1986: 978). Zwar sei es im demokratischen Staat „einzelnen, Gruppen, Bürgerinitiativen, Verbänden, politischen Parteien, Kirchen usw. unbenommen, mehr oder weniger konkrete gesellschaftspolitische Zielvorstellungen zu entwickeln und zu verfolgen, also zu versuchen, die Normen und Institutionen der Gesellschaft nach ihren Vorstellungen und in ihrem Interesse zu beeinflussen. […] Doch Gesellschaftspolitik als planmäßige zielrationale Gestaltung des Gesellschaftsganzen setzt eine dazu legitimierte, zentrale Trägerinstitution gesellschaftspolitischen Handelns voraus, und das kann im modernen Staat nur die exekutive und legislative Staatsgewalt sein […]“ (Ortlieb/Lösch 1986: 982). Die Fortführung dieser Argumentation zeigt jedoch ein Dilemma auf. Wenn nämlich in dieser Weise gesellschaftspolitisches Gestalten an den Staat als einzig legitimen Akteur gebunden wird, bedeutet eine Fortentwicklung der G. zugleich eine Ausweitung staatlichen Handelns. Umgekehrt hätte dann ein liberales Staatskonzept, das den Spielraum staatlichen Handelns zu begrenzen trachtet, zwangsläufig eine entsprechende Reduktion der G. auf die Formulierung weniger zentraler Rahmenbedingungen zur Folge.

Alternativ eröffnet eine konzeptionelle Lockerung des Verhältnisses zwischen Staat und G. größere Spielräume für deren Umsetzung: Die Gesellschaft bzw. deren Teilgruppen definieren in unterschiedlichen Interaktionen mit staatlichen Institutionen die Zielsetzungen und Umsetzungsformen der G. in verschiedenen Lebenslagekonstellationen laufend neu. Wenn innerhalb des gesellschaftspolitischen Diskurses unterschieden wird, welche Themen und Interessen in der Zivilgesellschaft diskutiert werden und welche davon in staatliches Handeln überführt werden, wirft dies aber die weitergehende Frage auf, mit welchen Prozessen der Selektion, Ergänzung und Uminterpretation dies verbunden ist und mit welchen (zustimmenden oder kritischen) Antworten die Zivilgesellschaft darauf reagiert. In diesem weiter gefassten Verständnis lässt sich formulieren, „dass es bei gesellschaftspolitischen Fragen nicht allein oder auch nur in erster Linie um staatliche Politik geht. Es geht um eine Balance zwischen staatlicher Politik, wirtschaftlichem Handeln und gesellschaftlicher Selbstorganisation, wobei alle Akteure in einen gesellschaftlichen Verantwortungsrahmen eingebunden sind“ (Rehfeld 2015: 548). Interessant ist dann zu verfolgen, welche gesellschaftspolitischen Themen, die in der Zivilgesellschaft diskutiert werden, von den politischen Parteien aufgegriffen und in welcher Form sie als staatliche Politik umgesetzt werden.

Wenn aber nicht nur der Staat, sondern in einem weiteren Verständnis die unterschiedlichen Akteure der Zivilgesellschaft die G. mitgestalten, stellt sich die Frage, wie die Vielzahl gesellschaftspolitischer Interessen und Zielvorstellungen zu konkreten politischen Strukturen gebündelt und realisiert werden kann. In diesem Zusammenhang unterscheidet Jürgen Habermas „drei normative Modelle der Demokratie“ (Habermas 1997: 277). Nach dem liberalen Modell „hat die Politik (im Sinne der politischen Willensbildung der Bürger) die Funktion der Bündelung und Durchsetzung gesellschaftlicher Privatinteressen gegenüber einem Staatsapparat, der auf die administrative Verwendung politischer Macht für kollektive Ziele spezialisiert ist“ (Habermas 1997: 277). Das alternative, als „republikanisch“ bezeichnete Modell sieht dagegen die G. nicht nur als Bündelung wirtschaftlicher Einzelinteressen, sondern darüber hinaus als ein gesellschaftliches Forum, in dem aus dem Diskurs der Bürger heraus gemeinschaftliche Interessen entwickelt werden, die durch die staatliche Administration umgesetzt werden: „In der republikanischen Konzeption gewinnen die politische Öffentlichkeit und, als deren Unterbau, die Zivilgesellschaft eine strategische Bedeutung. Beide sollen der Verständigungspraxis der Staatsbürger ihre Integrationskraft und Autonomie sichern. Der Entkoppelung der politischen Kommunikation von der Wirtschaftsgesellschaft entspricht eine Rückkoppelung der administrativen Macht mit der aus der politischen Meinungs- und Willensbildung hervorgehenden kommunikativen Macht“ (Habermas 1997: 278). Diese „Rückkoppelung“ staatlichen Handelns an den Diskurs der Zivilgesellschaft werde aber in dieser Konzeption – so J. Habermas – zu vereinfacht gesehen, nämlich als unmittelbare Einflussnahme gesellschaftlicher Kräfte auf einen nur noch ausführenden Staatsapparat. Demgegenüber vertritt er das dritte Modell zweier getrennter Ebenen, die sich auf indirekte Weise wechselseitig beeinflussen: Was auf der Ebene der Zivilgesellschaft in offenen, kreativen und informellen Prozessen der Meinungsbildung erörtert wird, nehmen politische Parteien selektiv auf und setzen Teile davon auf der Ebene der formellen, staatlich verfassten Politik um. Der gesellschaftliche Diskurs vollzieht sich somit in „Arenen, in denen eine mehr oder weniger rationale Meinungs- und Willensbildung über gesamtgesellschaftlich relevante Themen und regelungsbedürftige Materien stattfinden kann. Die informelle Meinungsbildung mündet in institutionalisierte Wahlentscheidungen und legislative Beschlüsse, durch die die kommunikativ erzeugte Macht in administrativ verwendbare Macht transformiert wird“ (Habermas 1997: 288). Damit wird zwischen der „Arena“ der gesellschaftspolitischen Diskurse und der institutionalisierten Form ihrer Umsetzung unterschieden. Im Zusammenwirken beider Ebenen werden einerseits Offenheit und Kreativität und andererseits institutionelle Verbindlichkeit der G. miteinander verknüpft. Das politische System „ist ein auf kollektiv bindende Entscheidungen spezialisiertes Teilsystem, während die Kommunikationsstrukturen der Öffentlichkeit ein weitgespanntes Netz von Sensoren bilden, die auf den Druck gesamtgesellschaftlicher Problemlagen reagieren und einflussreiche Meinungen stimulieren. Die nach demokratischen Verfahren zu kommunikativer Macht verarbeitete öffentliche Meinung kann nicht selber ‚herrschen‘, sondern nur den Gebrauch der administrativen Macht in bestimmte Kanäle lenken“ (Habermas 1997: 290).

Diese Unterscheidung und indirekte Koppelung von gesellschaftspolitischem Diskurs der Zivilgesellschaft und den institutionellen Strukturen des politischen Teilsystems kommt dem Verständnis Niklas Luhmanns von relativ unabhängig voneinander agierenden Teilsystemen der Gesellschaft recht nahe. Allerdings zeigt sich N. Luhmann skeptisch gegenüber den positiven Konnotationen, die J. Habermas mit dem zivilgesellschaftlichen Diskurs verbindet. In einer gegen J. Habermas gerichteten Polemik schreibt er dem Begriff der Zivilgesellschaft „so deutlich schwärmerische Züge“ zu, „dass man, wenn man fragt, was dadurch ausgeschlossen wird, die Antwort erhalten wird: die Wirklichkeit. Zivilgesellschaft – das ist jetzt die alte Zwänge abwerfende, sich nur durch freien Austausch von Argumenten bestimmende Vereinigung aller Menschen […]“ (Luhmann 2000: 12). Demgegenüber betont er die in sich geschlossene Wirkungsweise des staatlichen Systems als einer Organisation, die gekennzeichnet sei „durch die harte Differenz von Mitgliedern und Nichtmitgliedern, durch hierarchisch geordnete Abhängigkeiten, durch verteilte, nur im Rahmen von Zuständigkeiten abstimmungsbedürftige Entscheidungsbefugnisse, deren Produkte von anderen hinzunehmen sind“ (Luhmann 2000: 13). Das politische System, das J. Habermas zwar nicht unmittelbar, aber doch durch eine von der gesellschaftspolitischen Diskussion ausgehende „Stimulation“ beeinflusst sieht, grenzt N. Luhmann als eigenständige, gegenüber solchen Diskussionen relativ immune Organisation ab. Für das Konzept einer G., die „nicht konkrete gesellschaftliche Ziele vorgibt, sondern nach selbstbestimmten, politisch, sozial und wirtschaftlich handelnden Menschen fragt, die ihre Gesellschaft gestalten“ (Rehfeld 2015: 549), bietet N. Luhmanns Verständnis des politischen Systems offensichtlich keinen Raum.

4. Aktuelle Formen und Aufgaben der Gesellschaftspolitik

Anknüpfend an das von J. Habermas skizzierte Verständnis wird G. im Diskurs einer Zivilgesellschaft entwickelt, die einer Pluralität unterschiedlichen Meinungen und Interessen Raum gibt. Dieser Diskurs fließt im Rahmen einer repräsentativen Demokratie nicht unmittelbar in politische Entscheidungen ein, sondern wird als Anregung in das politische System eingespeist und dort zu politischen Konzepten geformt. Dabei ist mit N. Luhmann kritisch zu bewerten, dass die im historischen Kontext der 1970er und 1980er Jahre entstandene positive Konnotation der Zivilgesellschaft als Arena für demokratische Strömungen und Bürgerinteressen mit fortschrittsorientiertem bzw. emanzipatorischem Gesamtduktus, der als kritisches Element das zur Verharrung tendierende Politik- und Verwaltungssystem in Bewegung bringt, nicht immer gegeben sein muss. Zum einen können sich in der „Zivilgesellschaft“ auch rückwärtsgewandte, zukunftsskeptische Strömungen (unter der klischeehaften Selbstetikettierung als „das Volk“ bzw. „die authentische Volksmeinung“) Ausdruck verschaffen. Zum anderen darf die Einflussnahme wirtschaftlicher Interessen und gesellschaftlicher Eliten auf die Politik in Form des Lobbyismus (Lobby), der zur Durchsetzung von Partikularinteressen dient, nicht übersehen werden. Im Rahmen des zivilgesellschaftlichen Diskurses nimmt neben der Öffentlichkeit der mündigen Bürger auch die Halböffentlichkeit der Lobbyisten Einfluss auf staatliches Handeln, dgl. seitens der Wirtschaft finanzierte Stiftungen, Think Tanks und Kampagnenagenturen.

N. Luhmanns Skepsis gegenüber der Konzeption einer gesamtgesellschaftlichen (positiv-emanzipatorischen) Entwicklung kann berücksichtigt werden, indem G. auf einzelne gesellschaftliche Teilsysteme bezogen wird, in denen für jeweils konkrete Bereiche politische Konzepte ausgehandelt und umgesetzt werden können. Unter der Voraussetzung einer Pluralität bereichsspezifischer Politiken wie Bildungspolitik, Wirtschaftspolitik, Arbeitsmarktpolitik, Gesundheitspolitik, Sozialpolitik etc. mit den Akteuren des jeweiligen politischen Systems kann dann die Chance der G. darin liegen, das unmittelbar systemangehörige Denken zu hinterfragen, indem Fragen aus anderen Bereichen bzw. in übergeordnetem Interesse bestehende Perspektiven vertreten und kritisch zu systemimmanenter Politik in Stellung gebracht werden.

Die aktuelle Relevanz eines in diesem Sinne kritischen und auf eine „gute“ Gesellschaft ausgerichteten gesellschaftspolitischen Diskurses kann exemplarisch an folgenden Themen verdeutlicht werden:

a) Im Spannungsfeld von Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik bringt die G. Aspekte der guten Arbeit und der gerechten Wohlstandsverteilung zur Sprache. Dies geschieht u. a. in der Diskussion um prekäre Beschäftigungsverhältnisse und Mindestlohn zur Vermeidung von Erwerbstätigkeit im Niedriglohnbereich („Working Poor“) und in der Diskussion darüber, welcher Grad an Armutsrisiken toleriert werden soll. An diesem Diskurs sind v. a. Akteure aus Politik, Wirtschaft und Gewerkschaften sowie Verbänden beteiligt.

b) Im Bereich der Umweltpolitik ist es ein gesellschaftspolitisches Anliegen, die nachhaltige Sicherung ökologischer Ressourcen gegen kurzfristige ökonomische Interessen durchzusetzen. An diesem Diskurs sind Akteure aus Wirtschaft, Wissenschaft, Politik und Bürgerinitiativen beteiligt. In diesem Zusammenhang steht auch die Gestaltung einer Energiepolitik, die den Umgang mit den weltweit verfügbaren Rohstoffressourcen nicht allein unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten bewertet und die (am Beispiel der Nutzung von Atomenergie) das technisch Machbare sorgfältig gegenüber den damit verbundenen Sicherheitsrisiken abwägt.

c) In der Medizinethik werden die Umsetzung (und Vermarktung) des biotechnisch Machbaren oder die Rückbindung bspw. der Reproduktion menschlichen Lebens an ethische Normen diskutiert. An diesem Diskurs sind v. a. Akteure aus Wissenschaft, Politik, ethischen Organisationen und Religionsgemeinschaften beteiligt.

d) Gleichstellungspolitisch ist zu fragen, wie die Sicherung der Karrierechancen von Frauen (auch in Führungspositionen) und der Vereinbarkeit von Familie und Beruf für Männer und Frauen auch dann gelingt, wenn dies unmittelbar wirtschaftlichen Interessen entgegensteht. An diesem Diskurs, der u. a. auch die Quotierung von Führungspositionen vorsieht, beteiligen sich insb. Vertreterinnen und Vertreter von Politik, Sozialpartnern und Gleichstellungsinitiativen.

e) Zu den gesellschaftspolitischen Aspekten der Bildungspolitik gehört die Frage, inwieweit neben dem systemeigenen Fokus des Bildungssystems auf die Vermittlung von Qualifikationen und die Gestaltung der Curricula auch die Inklusion von Menschen mit Lernschwierigkeiten (aufgrund von kognitiven Beeinträchtigungen oder migrationsbedingten Sprachdefiziten) garantiert werden kann. An diesem Diskurs sind Akteure aus Bildungspolitik, Wissenschaft und Verbänden beteiligt.

f) Auch die Umsetzung universeller Menschenrechte für alle benachteiligten Personengruppen wie Menschen mit Behinderungen, Menschen mit Migrationshintergrund oder ethnische Gruppen ist ein Thema einer G., die sich an den Normen einer guten Gesellschaft orientiert.

g) Gesellschaftspolitische Fragen in der Außen- und Migrationspolitik beziehen sich auf die Gestaltung des globalisierten Austauschs. In diesen Zusammenhang gehören die Regelung von Immigration nach humanitären (Primat der Versorgung von Flüchtlingen) oder wirtschaftlichen (Primat des Fachkräftebedarfs) Kriterien ebenso wie die Integration nationaler Staaten in internationale Organisationen wie die EU oder, umgekehrt, nationalstaatlich orientierte Desintegration (mitsamt ihren wirtschaftlichen und sozialen Folgen).

h) Im Bereich der internationalen Finanzpolitik stellt sich aus gesellschaftspolitischer Perspektive die Frage, ob internationale Finanzkrisen nur im Einklang mit den Mechanismen und Interessen der „Finanzmärkte“ gelöst werden können, oder ob dazu politische Alternativen denkbar sind.

Die G. ist normativ auf ein gutes Leben und gleichberechtigte Lebenschancen für alle Mitglieder der Gesellschaft ausgerichtet. Ihre Akteure sind die in demokratischen Strukturen partizipierenden Personen und Gruppierungen der Zivilgesellschaft, die behauptete Sachzwänge in übergreifendem Interesse hinterfragen. Über das Spannungsfeld von Wirtschaft und jenem sozialpolitischen Ausgleich hinaus, aus dem sich die G. entwickelt hat, erweitert diese ihren Gegenstandsbereich auf die demokratisch-politische Gestaltung von Lebensbereichen, die der Eigenlogik gesellschaftlicher Teilsysteme und den davon ausgehenden Sachzwängen unterworfen sind. In einer globalisierten Welt unter dem Einfluss international agierender Organisationen stoßen die Möglichkeiten einer solchen Gestaltung an ihre Grenzen. Dennoch fordert Wolfgang Streeck: „Demokratisierung heute müsste heißen, Institutionen aufzubauen, mit denen Märkte wieder unter soziale Kontrolle gebracht werden können: Märkte für Arbeit, die Platz lassen für soziales Leben, Märkte für Güter, die die Natur nicht zerstören, Märkte für Kredit, die nicht zur massenhaften Produktion uneinlösbarer Versprechen verführen“ (Streeck 2013: 237). Die Herausforderung der G. besteht darin, die beispielhaft skizzierten Entwicklungen in unterschiedlichen gesellschaftlichen Teilbereichen zu beobachten, kritisch zu analysieren und den Diskurs über mögliche Optimierungen konkreter Lebensbedingungen aktiv mitzugestalten.