Allgemeines Bürgerliches Gesetzbuch: Unterschied zwischen den Versionen

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Im Aufbau folgt das ABGB dem Institutionensystem des Gaius: Nach einer kurzen Einleitung (§§&nbsp;1–14) gliedert es sich in drei Teile (1.&nbsp;Personenrecht, 2.&nbsp;{{ #staatslexikon_articlemissing: Sachenrecht | Sachenrecht }}, 3.&nbsp;Gemeinschaftliche Bestimmungen). Einem weiten Sachenrechtsbegriff folgend sind im Zweiten Teil „Von dem Sachenrechte“ neben den dinglichen Rechten (Sachenrecht im engeren Sinne und Erbrecht) mit den „persönlichen Sachenrechten“ auch das vertragliche und außervertragliche Schuldrecht mitumfasst. In seiner Substanz ist es durch eine Mischung aus naturrechtlich systematisiertem römisch-gemeinen Recht ({{ #staatslexikon_articlemissing: Naturrecht | Naturrecht }}) und altösterreichischen Landesrechten charakterisiert, wobei bei der Erarbeitung auch das preußische ALR und punktuell der französische [[Code Civil]] Berücksichtigung fanden. Trotz der im Zeitpunkt des Inkrafttretens noch existierenden ständisch-feudalen Sozialstruktur manifestieren sich bereits naturrechtlich-liberale Positionierungen (z.&nbsp;B. Verbot der {{ #staatslexikon_articlemissing: Sklaverei | Sklaverei }} und Anerkennung angeborener, schon durch die Vernunft einleuchtender Rechte in §&nbsp;16, der Grundsatz <I>in dubio pro libertate</I> in §&nbsp;17, die Entschädigungspflicht bei Enteignung gemäß §&nbsp;365), denen die Funktion von „präkonstitutionellem Verfassungsrecht“ zukam. Während K.&nbsp;A. von Martinis Entwurf noch dem „vorkritischen Naturrecht“ zuzuordnen ist, wurde durch den insofern von Immanuel Kant beeinflussten F.&nbsp;von Zeiller die Trennung von Recht und Moral konsequenter durchgehalten.
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Im Aufbau folgt das ABGB dem Institutionensystem des Gaius: Nach einer kurzen Einleitung (§§&nbsp;1–14) gliedert es sich in drei Teile (1.&nbsp;Personenrecht, 2.&nbsp;[[Sachenrecht]], 3.&nbsp;Gemeinschaftliche Bestimmungen). Einem weiten Sachenrechtsbegriff folgend sind im Zweiten Teil „Von dem Sachenrechte“ neben den dinglichen Rechten (Sachenrecht im engeren Sinne und Erbrecht) mit den „persönlichen Sachenrechten“ auch das vertragliche und außervertragliche Schuldrecht mitumfasst. In seiner Substanz ist es durch eine Mischung aus naturrechtlich systematisiertem römisch-gemeinen Recht ([[Naturrecht]]) und altösterreichischen Landesrechten charakterisiert, wobei bei der Erarbeitung auch das preußische ALR und punktuell der französische [[Code Civil]] Berücksichtigung fanden. Trotz der im Zeitpunkt des Inkrafttretens noch existierenden ständisch-feudalen Sozialstruktur manifestieren sich bereits naturrechtlich-liberale Positionierungen (z.&nbsp;B. Verbot der {{ #staatslexikon_articlemissing: Sklaverei | Sklaverei }} und Anerkennung angeborener, schon durch die Vernunft einleuchtender Rechte in §&nbsp;16, der Grundsatz <I>in dubio pro libertate</I> in §&nbsp;17, die Entschädigungspflicht bei Enteignung gemäß §&nbsp;365), denen die Funktion von „präkonstitutionellem Verfassungsrecht“ zukam. Während K.&nbsp;A. von Martinis Entwurf noch dem „vorkritischen Naturrecht“ zuzuordnen ist, wurde durch den insofern von Immanuel Kant beeinflussten F.&nbsp;von Zeiller die Trennung von Recht und Moral konsequenter durchgehalten.
 
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Version vom 15. August 2021, 11:40 Uhr

1. Entstehung und Entwicklung

Das urspr. 1 502 Paragraphen umfassende „Allgemeine bürgerliche Gesetzbuch für die gesammten Deutschen Erbländer“ (ABGB) wurde vom österreichischen Kaiser Franz I. im Juni 1811 kundgemacht und trat am 1.1.1812 in Kraft. Die Vorarbeiten reichen in die Zeit Maria-Theresias zurück und stehen im Zusammenhang mit den (auf Vereinheitlichung, Zentralisierung und Professionalisierung abzielenden) Staats- und Behördenreformen des aufgeklärten Absolutismus.

Bereits 1753 war eine Kompilationskommission mit der Ausarbeitung eines Entwurfs beauftragt worden; der (unter maßgeblicher Mitwirkung von Josef Azzoni vorbereitete) Codex Theresianus 1766 wurde vom Staatsrat aber als zu stark gemeinrechtlich, zu lehrbuchhaft und zu umfangreich verworfen. Ein durch Johann Bernhard von Horten gekürzter und umgearbeiteter erster Teil wurde 1786 unter Joseph II. in Kraft gesetzt. Unter Leopold II. kam es zur neuerlichen Einsetzung einer Gesetzgebungskommission, welche von Karl Anton von Martini geleitet wurde; diese stellte 1796 den „Entwurf Martini“ fertig, welcher (in leicht angepasster Form) 1797 als „Bürgerliches Gesetzbuch für Galizien“ für West-Galizien, Ost-Galizien und die Bukowina eingeführt wurde. Als „Ur-Entwurf“ lag dieser Gesetzestext einer durch Franz von Zeiller als Redaktor betreuten Hofkommission zugrunde, welche von 1801 bis 1806 eine Erste Lesung durchführte; nach weiteren Überarbeitungen („Revision“ 1807/1808, „Superrevision“ 1809/10) erhielt das ABGB schließlich am 26.4.1811 die kaiserliche Sanktion.

Abgesehen von einzelnen Hofdekreten im frühen 19. Jh. wurde das ABGB erst in den Jahren 1914–1916 durch drei „Teilnovellen“ im Sinne pandektistischer Dogmatik modifiziert. Das ursprünglich konfessionell differenzierte Eherecht des ABGB wurde durch das EheG 1938 ersetzt, welches u. a. die Möglichkeit der Scheidung auch für Katholiken eröffnete. Größere Reformen zielten seit den 1970er Jahren auf die Nichtdiskriminierung von unehelichen Kindern im Familienrecht, die konsequente Gleichberechtigung (Gender), die Stärkung des Konsumentenschutzes (in Umsetzung von EU-Richtlinien) sowie Reformen im Personenrecht (Sachwalterschaft, Vertretungsbefugnis nächster Angehöriger und Vorsorgevollmacht).

2. Struktur und Inhalt

Im Aufbau folgt das ABGB dem Institutionensystem des Gaius: Nach einer kurzen Einleitung (§§ 1–14) gliedert es sich in drei Teile (1. Personenrecht, 2. Sachenrecht, 3. Gemeinschaftliche Bestimmungen). Einem weiten Sachenrechtsbegriff folgend sind im Zweiten Teil „Von dem Sachenrechte“ neben den dinglichen Rechten (Sachenrecht im engeren Sinne und Erbrecht) mit den „persönlichen Sachenrechten“ auch das vertragliche und außervertragliche Schuldrecht mitumfasst. In seiner Substanz ist es durch eine Mischung aus naturrechtlich systematisiertem römisch-gemeinen Recht (Naturrecht) und altösterreichischen Landesrechten charakterisiert, wobei bei der Erarbeitung auch das preußische ALR und punktuell der französische Code Civil Berücksichtigung fanden. Trotz der im Zeitpunkt des Inkrafttretens noch existierenden ständisch-feudalen Sozialstruktur manifestieren sich bereits naturrechtlich-liberale Positionierungen (z. B. Verbot der Sklaverei und Anerkennung angeborener, schon durch die Vernunft einleuchtender Rechte in § 16, der Grundsatz in dubio pro libertate in § 17, die Entschädigungspflicht bei Enteignung gemäß § 365), denen die Funktion von „präkonstitutionellem Verfassungsrecht“ zukam. Während K. A. von Martinis Entwurf noch dem „vorkritischen Naturrecht“ zuzuordnen ist, wurde durch den insofern von Immanuel Kant beeinflussten F. von Zeiller die Trennung von Recht und Moral konsequenter durchgehalten.

Für die Auslegung ruft das ABGB dazu auf, neben der „eigentümlichen Bedeutung der Worte in ihrem Zusammenhang“ und der „klaren Absicht des Gesetzgebers“ (§ 6) auch den „natürlichen Sinn eines Gesetzes“ zu berücksichtigen; im Falle einer Lücke des Gesetzes ist auf ähnliche gesetzlich entschiedene Fälle bzw. Rechtsprinzipien sowie letztlich auf die „natürlichen Rechtsgrundsätze“ zurückzugreifen (§ 7).

Für den Erwerb dinglicher Rechte sieht das ABGB das Zusammenwirken eines wirksamen Kausalgeschäftes (iusta causa, titulus) und einer rechtlichen Übertragungsart (modus: Übergabe bzw. Grundbuchseintragung) vor. Ein verkehrsfreundlich ausgerichteter Gutglaubenserwerb ist unter Umständen sogar bei gestohlenen oder abhanden gekommenen beweglichen Sachen möglich (§ 367). Das gesetzliche Erbrecht folgt dem Parentelensystem (§§ 731 ff.). Ausdruck des liberalen Grundansatzes (Liberalismus) ist die weitgehende Verwirklichung der Vertragsfreiheit (§ 883). Das Bemühen um die Balance der Parteieninteressen zeigt sich im Irrtumsrecht (§ 871 ff.). Neben Wucher ist eine Anfechtung auch wegen laesio enormis für jeden übervorteilten Partner eines synallagmatischen Vertrages möglich (§§ 934 f.), eine Regelung, die seit 1978 (außer gegenüber Unternehmern) sogar zwingend ist. Das Schadenersatzrecht umfasst sowohl vertraglichen, als auch deliktischen Schadenersatz und ist vom Grundsatz der Verschuldenshaftung geprägt (§ 1295). Der Umfang des Ersatzes differiert je nachdem, ob grobes oder leichtes Verschulden vorliegt (§ 1323 f.). Ausnahmsweise kann auch ohne Verschulden gehaftet werden (z. B. die Billigkeitshaftung noch nicht Deliktsfähiger gemäß § 1310).

3. Ausstrahlung

Der Geltungsbereich des ABGB erstreckte sich neben den Gebieten des heutigen Österreich (im Burgenland allerdings erst ab 1922) auch auf habsburgische Gebiete wie Böhmen, Mähren, Galizien, die kroatische und slawonische Militärgrenze, Südtirol, Görz und Istrien, Krain, Ungarn (1853 bis 1861), Siebenbürgen, Kroatien-Slawonien, den Freistaat Krakau (seit 1855) sowie seit 1812 auf das Fürstentum Liechtenstein (wo es teilweise noch heute gilt). Auch nach dem Zerfall Österreich-Ungarns galt es in Teilen der Nachfolgestaaten (Polen, Tschechoslowakei, Rumänien, Jugoslawien) weiter. Übersetzungen, in denen sich die Mehrsprachigkeit des Habsburgerreiches, aber auch die internationale Bedeutung des ABGB spiegeln, gibt es auf Französisch, Englisch, Polnisch, Tschechisch, Italienisch, Rumänisch, Lateinisch, Serbisch, Ungarisch, Kroatisch, Slowenisch, Ukrainisch sowie Hebräisch.