Synodaler Weg

Systematisch-theologisch

Der S. W. der katholischen Kirche in Deutschland ist ein strukturierter Dialog- und Reformprozess, mit dem die katholische Kirche in Deutschland die strukturellen und theologischen Herausforderungen bearbeitet hat, die im sexuellen Missbrauch durch Kleriker zutage getreten sind. Dieser Prozess wurde gemeinsam von den beiden großen Repräsentanten des Katholizismus in Deutschland, der DBK und dem ZdK, verantwortet und durchgeführt. Er hat 2019 begonnen und wurde 2023 mit der 5. Synodalversammlung beendet. Zur Verstetigung synodaler Beratungs- und Entscheidungsprozesse zu überdiözesanen Belangen wurde ein Synodaler Rat beschlossen, der bis 2026 in einem Synodalen Ausschuss vorbereitet und dann seine Arbeit aufnehmen wird.

1. Anlass und Aufgabe

Mit dem S.n W. reagierten DBK und ZdK auf Erkenntnisse zum Ausmaß und zu spezifisch römisch-katholischen Hintergründen von sexuellem Missbrauch durch Kleriker (an Minderjährigen; das weite Feld von Missbrauch und Manipulation von Erwachsenen, v. a. [Ordens-]Frauen im kirchlichen Dienst und/ oder in geistlichen Kontexten, ist darin noch nicht erfasst), die im Herbst 2018 prominent in der so genannten M(annheim)-H(eidelberg)-G(ießen)-Studie präsentiert wurden. Aufgabe des S.n W.s war nicht die Aufklärung, Aufarbeitung und Ahndung von konkreten Taten und Täterschaften. Es ging vielmehr um die Bearbeitung von „systemischen“ Hintergründen bzw. institutionenspezifischen Faktoren, die Missbrauch und seine Vertuschung durch (leitende) Kleriker begünstigen. Die MHG-Studie hatte explizit benannt: Klerikalismus, also eine standesbezogene Vorrangstellung von geweihten Männern in der Kirche; diskussionswürdige Aspekte der priesterlichen Lebensform (Zölibat) sowie „ambivalente Aussagen und Haltungen der katholischen Sexualmoral zur Homosexualität“ (ZI Mannheim u.a. 2018: 11). Der S.W. hatte sich diese Punkte, ergänzt um einen weiteren, zur Aufgabe gestellt. In vier Synodalforen wurde zu den Themen Macht und Gewaltenteilung in der Kirche (Forum 1), priesterliche Lebensform (Priester) (Forum 2), Frauen in Diensten und Ämtern der Kirche (Forum 3) sowie Leben in gelingenden Beziehungen (Forum 4) gearbeitet. Thema waren also Reformbedarfe in Bezug auf Struktur, Theologie und Spiritualität in der römisch-katholischen Kirche, die in einen prekären systemischen (nicht kausalen) Zusammenhang mit Machtmissbrauch und sexuellem Missbrauch durch Kleriker gebracht werden können.

2. Arbeitsformen und Strukturen

Organe des Diskursformats S. W. waren die Synodalversammlung, das Synodalpräsidium, das erweiterte Synodalpräsidium sowie die Synodalforen. Das Synodalpräsidium bestand jeweils aus dem Vorsitzenden der DBK, dem Präsidenten/der Präsidentin des ZdK sowie dem stellvertretenden Vorsitzenden der DBK und einer Person aus dem Vizepräsidium des ZdK. Zum Erweiterten Synodalpräsidium gehörten überdies die je zwei Vorsitzenden der Synodalforen sowie die beiden geistlichen Begleiterinnen und Begleiter des Prozesses. Die vier Synodalforen, hauptverantwortlich für die Sacharbeit, bestanden aus je ca. 30 Mitgliedern, darunter Bischöfe, Laien und Fachexpertinnen und -experten. Die Synodalversammlung war das entscheidende Gremium des S.n W.s. Ihr gehörten ca. 230 Personen an: alle (bis zu 69) Mitglieder der DBK, ebenso viele Vertreterinnen und Vertreter des ZdK sowie 92 Vertreter verschiedener Berufs- und Interessensgruppen der Kirche, bspw. der Priester, der Gemeindereferentinnen und -referenten und der Ordensleute, der jüngeren Generation (u30), des katholischen Verbandswesens (Katholische Organisationen) und der universitären Theologie. Knapp die Hälfte der Versammlung bestand aus Klerikern. Etwa zwei Drittel der Synodalinnen und Synodalen waren männlich. Bischöfe und Frauen waren mit rund einem Drittel etwa gleich stark vertreten. Die Synodalversammlung beriet und befand in jeweils zwei Lesungen über Texte aus den Synodalforen oder dem Präsidium. Neben einer Präambel und einem fundamentaltheologischen „Orientierungstext“ gab es zwei Arten von Beschlusstexten: Jedes Synodalforum legte einen rund 35-seitigen Grundlagentext vor. In kurzen, rund 4-seitigen Handlungstexten wurden diese auf umsetzbare und überprüfbare Schritte hin konkretisiert, bspw. Umstrukturierungen in diözesanen Gremien und Zuständigkeiten, Voten an den Heiligen Stuhl, bestimmte Aspekte der universalkirchlichen Lehre (z. B. zur Bewertung von Homosexualität) zu ändern oder autoritativ beendete Debatten (z. B. zur Frauenordination) wieder zu öffnen. Zur Beschlussfassung war eine Zweidrittelmehrheit der gesamten Synodalversammlung inklusive einer Zweidrittelmehrheit der Bischöfe erforderlich. Um einen Beschluss zu verhindern, reichten folglich bereits 24 bischöfliche Nein-Stimmen (gut 10% der Synodalversammlung) aus. Während der 4. Vollversammlung im September 2022 trat dieser Fall ein: Der Grundlagentext des Synodalforums 4 wurde zwar von der Mehrheit des Plenums (82%) angenommen, von einer Minderheit (40%) der Bischöfe aber abgelehnt; die Beschlussfassung ist damit gescheitert. Auch die Umsetzung der Beschlüsse in diözesanes oder überdiözesanes Recht ist von den Bischöfen abhängig. Denn „Beschlüsse der Synodalversammlung entfalten von sich aus keine Rechtswirkung“ (Satzung, Art. 11.5); die privilegierte Rechtsstellung des Diözesanbischofs wird nicht angetastet. Daran wird deutlich: Der S. W. hat sich zwar die Aufgabe gestellt, Machtverhältnisse in der katholischen Kirche kritisch zu reflektieren und neue Wege zu erarbeiten, um die derzeitige Konzentration der potestas ordinis (der qua Weihe übertragenen Vollmacht) und der potestas iurisdictionis (der Leitungsvollmacht) des Bischofs aufzubrechen, zu teilen, zu begrenzen und zu kontrollieren. Im Diskurs- und Beschlussformat des S. W. selbst schlug sich das aber noch nicht nieder; er blieb ganz im Rahmen des geltenden Kirchenrechts.

3. Ansatz und Kritik

Grundlage des Reformprojekts S. W. ist die Erkenntnis, dass die Bearbeitung von Missbrauch durch Kleriker nicht auf individualethische Fragen beschränkt werden darf. Es müssen vielmehr systemische Faktoren kritisch in den Blick genommen werden, die Strukturen und Verhaltensweisen, Sprache und Symbolik, Spiritualität und Theologie der Kirche, des Amtes, des Frauenbildes, der kirchlichen Sexualethik und der Geschlechteranthropologie prägen. Missbrauch durch Kleriker wird beim S.n W. also nicht als bedauerlicher, eigentlich unerklärlicher Ausnahmefall in einem an sich lebensdienlichen System Kirche verstanden, sondern als Symptom von prekären Grundeinstellungen, theologisch ausgedrückt: von „Strukturen der Sünde“ dieser Kirche. An diesem Punkt setzen Kritiker und Kritikerinnen des S. W. an, die dem Reformprozess „Missbrauch des Missbrauchs“ vorwerfen: Der S. W. instrumentalisiere die „Missbrauchskrise“, um davon unabhängige „Reformagenden“ in der Ekklesiologie, der Amtstheologie, der Geschlechteranthropologie und der kirchlichen Sexuallehre durchzusetzen. (Macht-)Missbrauch durch Kleriker habe seinen Ermöglichungsgrund nicht im Inneren der Kirche, sondern dringe von außen in die Kirche ein. Kirchenlehren und -strukturen dürften deshalb gerade nicht „aufgeweicht“ werden. Sie müssten vielmehr stabilisiert werden. Das kirchliche Machtgefüge und Priesterbild dürften demnach nicht „demokratisiert“ und entzaubert werden, vielmehr müsse der Unterschied zwischen Kirche und säkularer Gesellschaft betont werden. Sexualethische Normen und Geschlechterbilder dürften gerade nicht zeitgemäß angepasst werden, sie müssten vielmehr rigoros eingeschärft werden, um Missbrauch zu verhindern. Problemdiagnose und Therapie werden von Engagierten einerseits, Kritikern des S. W. andererseits also gegenläufig bestimmt, je nachdem, ob Missbrauch durch Kleriker als bedauerliche Ausnahme eines im Kern heilen Systems oder als typisches Symptom eines in Teilen prekären Gefüges gewertet werden. Gilt ersteres, muss Missbrauch sorgfältig aufgeklärt und geahndet werden. Aber eine Reform von Strukturen und Lehren ist weder nötig noch hilfreich. Gilt letzteres, wie dies der S. W. zugrunde legt, muss die Auseinandersetzung mit Missbrauch zugleich eine Auseinandersetzung mit Missbrauch begünstigenden Strukturen und Lehren der Kirche sein. Dann müssen entsprechende Korrekturen erfolgen. Von daher erklärt sich der heftige Widerstand gegen das Reformprojekt S. W. vonseiten der römischen Kurie und von Teilen der Weltkirche. Wenn Missbrauch durch Kleriker institutionell begünstigt wird, muss das System Kirche im Ganzen auf den Prüfstand.

4. Ertrag und Ausblick

Der S. W. der katholischen Kirche hat Themenfelder und Probleme benannt, die teils über Jahrzehnte in Kirche und Theologie unter Tabu standen, nun aber weltkirchlich debattiert werden. Das ist der wesentliche Ertrag. Das betrifft insbesondere das kirchliche Machtgefüge und die Rolle des geweihten Amtes in der Kirche, reicht aber tief in das Selbstverständnis der Kirche hinein. So nimmt es nicht wunder, dass nahezu alle Invektiven der römischen Kurie gegen den S. W. auf den Erhalt dieses Machtgefüges gerichtet waren. Im Ergebnis verbucht der SW hier einen differenzierten Grundtext, der eine Erneuerung der kirchlichen Organisation zugunsten von Gewaltenteilung und -kontrolle, qualifikations- und kompetenzbasierter Zugänglichkeit von Machtpositionen und organisierten checks and balances eröffnen könnte. Leider ist die Arbeit an diesem Thema dennoch ein Torso geblieben: die Verstetigung synodaler Entscheidungsstrukturen im Synodalen Rat ist erst in Vorbereitung. Die Entscheidung über deren Einführung auf Bistums- und Pfarreiebene wurde dem erst noch zu bildenden Synodalen Ausschuss bzw. Rat überantwortet, da sich unter den Bischöfen keine hinreichende Mehrheit dafür gebildet hat. Im zweiten Themenfeld, der Erneuerung des fraglich gewordenen Priesterbildes, sind wichtige Schritte in Richtung Missbrauchsprävention und -ahndung gegangen worden. Internationale Aufmerksamkeit wird aber v. a. das Votum zur Freistellung des Zölibats für Diözesanpriester finden, so zurückhaltend (Bitte um Prüfung, um weitere Ausnahmeregelungen) es auch formuliert worden ist. Das dritte Synodalforum konnte einen differenzierten theologischen Grundtext zur (mangelnden) Geschlechtergerechtigkeit in der Kirche zum Beschluss bringen, dessen Konsequenz die Forderung der Öffnung des geistlichen Amtes auf allen Ebenen (Diakonin, Priesterin, Bischöfin) ist. Jedoch bleiben die konkreten Empfehlungen vorsichtig. Der Fokus der Handlungstexte liegt auf der Öffnung des Diakonats für Frauen; außerdem soll die Verbindlichkeit des römischen „Nein“ zur Priesterweihe für Frauen (Johannes Paul II., Ordinatio Sacerdotalis, 1994) geprüft und die Debatte zum Thema weitergeführt werden. Den Beschluss, die Sonntagspredigt durch qualifizierte Theologinnen offiziell zu legitimieren und ihnen auch die Taufspendung zu eröffnen, beantwortete der Vatikan bereits wenige Tage nach Abschluss des S. W. negativ; beides sei nicht erlaubt und gefährde die Identität des priesterlichen Amtes. Das vierte Synodalforum hat schwerpunktmäßig zur kirchlichen Anerkennung queerer Sexualitäten gearbeitet. Der Grundtext des Forums scheiterte in der 4. Synodalversammlung an der Sperrminorität von 21 (Weih-)Bischöfen. Wichtige Handlungstexte fanden jedoch alle nötigen Mehrheiten. Zu nennen sind insbesondere das Votum zur (mittlerweile erfolgten) Änderung der kirchlichen Grundordnung, derzufolge sexuelle Orientierung, Partnerschaft und Zivilehe (Ehe) nach Scheidung kein Kündigungsgrund für kirchliche Angestellte mehr sind; das Votum zur offiziellen Einführung (bereits angebotener) Segensfeiern für Paare, die nicht der kirchlichen Ehelehre entsprechen; das Votum an den Papst, die diskriminierenden Äußerungen des Katechismus zu Homosexualität grundsätzlich zu revidieren. Der S. W. hat international hohe Aufmerksamkeit erfahren. Mittlerweile ist deutlich, dass in unterschiedlicher Weise nahezu überall in der Weltkirche nach Lösungen für die in Deutschland aufgerufenen Probleme gesucht wird. Es gibt großes Interesse an konkreten Lösungsvorschlägen aus Deutschland und mehr noch an der theologischen Aufarbeitung der Probleme, die beim S. W. im Genre der Grundtexte erfolgte. Diese Texte bereiten die großen Reformthemen fundiert auf und zeigen theologisch valide Perspektiven auf, die in einen weltkirchlichen Rezeptionsprozess, aktuell etwa in die Beratungen der aktuellen Weltbischofssynode zur Synodalität, eingebracht werden können. Gleichzeitig ist eine immer stärkere Polarisierung zu verzeichnen, oft im Verbund mit einem auch politischen Rechtsruck der Kritiker. Deshalb konnte der S. W. in Deutschland lediglich ein Schritt auf einem an Hindernissen reichen Weg weltkirchlicher Erneuerung sein. Was nun in Deutschland umgesetzt werden kann, ist bereits Kompromiss, freilich einer, der von einer breiten Mehrheit der Bischöfe und der Gläubigen getragen ist. Ein Paradigmenwechsel auf institutioneller und doktrineller Ebene, der die institutionellen Defizite der katholischen Kirche gegenüber demokratischen Standards und die doktrinellen Defizite der Geschlechteranthropologie und Sexualethik gegenüber dem Ethos der Menschenrechte beheben würde, ist inzwischen zwar klar als nötig erkannt, seine Verwirklichung aber noch nicht in Sicht.