Sprachenregime

Der Ausdruck „S.“ hat erst in jüngerer Zeit in die deutsche Rechtssprache Eingang gefunden. Das aus dem Französischen stammende régime lässt sich mit „System“, „Ordnung“ oder „Regelungskomplex“ übersetzen. Dementsprechend bezeichnet das S. eines Staates oder einer Organisation ihre Sprachenregelung bzw. Sprachenordnung, also die Gesamtheit aller Normen, in denen der Gebrauch der Sprache(n) in und mit dieser Einheit geregelt wird. Der Begriff lässt sich für den einzelstaatlichen, zwischenstaatlichen und überstaatlichen Kontext fruchtbar machen; hierbei wird in Anlehnung an die schweizerische Terminologie zwischen dem konstitutionellen, legislativen, exekutiven und judikativen S. unterschieden (Schübel-Pfister 2004: 48 ff.).

1. Das einzelstaatliche Sprachenregime

Einzelstaatliche S. sind entweder monolingual i. S. d. normativen Festlegung auf eine einzige Staatssprache (z. B. Österreich) oder plurilingual ausgerichtet, wobei im letztgenannten Fall sowohl territorial gegliederte (z. B. Schweiz, Belgien) als auch an die jeweilige Muttersprache anknüpfende (z. B. Südtirol) Regelungsmodelle verbreitet sind (Sprache). Anders als etwa in der österreichischen oder schweizerischen Verfassung findet sich in der Verfassungsordnung der BRD keine ausdrückliche Sprachenklausel. Gleichwohl ergibt sich aus dem in deutscher Sprache abgefassten GG zwanglos die mit Verfassungsrang ausgestattete Anerkennung des Deutschen als Staatssprache (Kirchhof 2004: § 20 Rn. 100 ff.). Auch ohne positiv-rechtliche Bestimmung ist das Deutsche die selbstverständliche Parlamentssprache sowie die Gesetzessprache, in der alle Normen erlassen und verkündet werden müssen.

Das exekutive und judikative S. in der BRD ist einfachgesetzlich geregelt. Nach § 23 Abs. 1 VwVfG ist die Amts- bzw. Verwaltungssprache deutsch; diese Klarstellung wird durch das Schutzkonzept des Abs. 2 bis 4 für Sprachunkundige sowie durch landesrechtliche Spezialregelungen zum Schutz autochthoner sprachlicher Minderheiten ergänzt (Kahl 2006: 386/423 ff.; Mäder, JuS 2000, 1150/1152 f.). § 184 GVG normiert die deutsche Sprache als verbindliche Gerichtssprache und gewährleistet das Recht der Sorben, in ihren Heimatkreisen vor Gericht sorbisch zu sprechen. Die wegen der Garantie des rechtlichen Gehörs gebotene Zuziehung von Dolmetschern für nicht der deutschen Sprache mächtige Personen ist in § 185 GVG vorgesehen. Noch nicht abgeschlossen ist die rechtspolitische Diskussion, ob bei gesondert einzurichtenden Kammern für internationale Handelssachen, sogenannten Commercial Courts, die Verwendung des Englischen als fakultative Gerichtssprache ermöglicht werden soll (Stürner 2019: 1122–1127).

2. Das Sprachenregime im Völkerrecht

Im Völkerrecht bezeichnet der Begriff S. sowohl die Sprachenregelungen internationaler Organisationen als auch die im zwischenstaatlichen Verkehr, insb. bei bi- und multilateralen Verträgen, zum Einsatz kommenden Regelungssysteme. Im internationalen amtlichen Verkehr wurde traditionellerweise jeweils eine einzige Sprache für bestimmte Regionen bevorzugt (Rudolf 1972: 21 ff.). Trotz der Vorherrschaft des Lateinischen und später des Französischen als Diplomaten- und Vertragssprache spielten mehrsprachige völkerrechtliche Verträge zwischen den Nationalstaaten seit jeher eine erhebliche Rolle. In neuerer Zeit hat sich zunehmend die Praxis etabliert, Verträge nicht nur (nachträglich) zu übersetzen, sondern in mehreren Sprachfassungen für verbindlich zu erklären, wobei die besonderen Schwierigkeiten bei der Auslegung mehrsprachiger Rechtstexte in Kauf genommen wurden. Die dazu in der völkerrechtlichen Judikatur entwickelten Auslegungsregeln fanden teilweise Eingang in die Wiener Konvention über das Recht der Verträge aus dem Jahr 1969. Art. 33 Abs. 3 WVRK stellt – entspr. der bereits zuvor anerkannten Einheitsregel – die Vermutung auf, dass die Ausdrücke des Vertrags in jedem authentischen Text dieselbe Bedeutung haben. Gleichwohl auftretende Sprachdivergenzen sind nach Art. 33 Abs. 4 WVRK durch eine umfassende Anwendung der allgemeinen Auslegungsmethoden, insb. durch systematisch-teleologische Erwägungen, zu beheben (Hilf 1973: 101 ff.). Das S. ist auch für den völkerrechtlichen Schutz von Minderheiten bedeutsam. Art. 27 IPbpR sieht vor, dass in Staaten mit sprachlichen Minderheiten deren Angehörigen nicht das Recht vorenthalten werden darf, sich ihrer eigenen Sprache zu bedienen. Im Rahmen des Europarats wurde 1992 die „Europäische Charta der Regional- und Minderheitensprachen“ verabschiedet (von Deutschland ratifiziert, 1998 in Kraft getreten). Bedeutsam sind bilaterale Regelungen, z. B. hinsichtlich Südtirol zwischen Österreich und Italien („Gruber-de Gasperi-Abkommen“ und Folgeregelungen).

3. Das Sprachenregime der EU

Während herkömmliche internationale Organisationen regelmäßig mit einer eingeschränkten Sprachenzahl auskommen, spiegelt sich die mit &pfv;„Supranationalität“ umschriebene bes. Rechtsnatur der EU auch in ihrem S. wider. Durchgängiges Prinzip der unionsrechtlichen Sprachenregelung ist der Grundsatz der Gleichberechtigung der nationalen Amtssprachen auf Unionsebene. Gemäß Art. 55 EUV, der von Art. 358 AEUV für entspr. anwendbar erklärt wird, sind die Gründungsverträge der Union in den Sprachen aller Mitgliedstaaten abgefasst und in allen Sprachfassungen gleichermaßen verbindlich. Von diesen Vertragssprachen bzw. authentischen Sprachen sind die Amts- und Arbeitssprachen der Union zu unterscheiden. Unter den Amtssprachen versteht man die Sprachen der externen Kommunikation, während mit dem Begriff der Arbeitssprachen die zum internen Gebrauch der Unionsorgane bestimmten Sprachen bezeichnet werden (Huber 1992: 1/2 f.; C. Luttermann/K. Luttermann 2020: 26). In Umsetzung des Art. 342 AEUV, wonach die Regelung der Sprachenfrage einer sekundärrechtlichen Normierung vorbehalten ist, erklärt die Verordnung Nr. 1 aus dem Jahr 1958 die (ursprünglich vier, derzeit 24) Amtssprachen aller Mitgliedstaaten zu Amts- und Arbeitssprachen der Union. Aus dieser formalen Gleichberechtigung, die sich auch in den einzelnen Geschäftsordnungen der Organe als weiteren Bestandteilen des EU-S.s wiederfindet, folgt insb., dass die Unionsrechtstexte in allen Sprachfassungen gleichermaßen verbindlich sind.

In der Praxis wird der Grundsatz der Gleichrangigkeit der Arbeitssprachen häufig zugunsten der Konzentration auf einige wenige Verkehrssprachen durchbrochen. De facto vollzieht sich das unionale Rechtssetzungsverfahren nur in einzelnen internen Arbeitssprachen, zu denen das Deutsche nicht durchgängig zählt. So hat sich etwa in der Europäischen Kommission während der letzten Jahrzehnte sukzessive die englische Sprache als lingua franca durchgesetzt (Zedler 2015: 77 ff.). Dies ist mit der in der Verordnung Nr. 1 angeordneten gleichen Authentizität aller Sprachfassungen nur schwerlich vereinbar. Zwischen den verschiedenen Fassungen der Unionsrechtstexte kommt es mitunter zu Sprachdivergenzen in Form von Begriffs- und Bedeutungsdivergenzen, die der EuGH im Wege der (auch sprachvergleichenden) Auslegung auflöst (Schübel-Pfister 2004: 227 ff.). Die vom EuGH postulierte Pflicht des nationalen Rechtsanwenders zur Berücksichtigung anderer Sprachfassungen soll der einheitlichen Anwendung des Unionsrechts dienen, steht aber in einem Spannungsverhältnis zu dem schutzwürdigen Vertrauen der Unionsbürger auf die Verlässlichkeit ihrer eigenen Sprachfassung.

Das für Verfahren vor dem EuGH geltende S. weist seinerseits Besonderheiten auf. Gemäß seiner Verfahrensordnung sind die Urteile des EuGH nur in der zuvor verwendeten Verfahrenssprache verbindlich, die der jeweilige Kläger grundsätzlich aus allen Amtssprachen der Union wählen kann. Nicht geregelt ist die interne Arbeitssprache des EuGH, bei der nach wie vor das Französische dominiert. Bes. Organe und Einrichtungen der Union verfügen teilweise über ein spezifisches, von der Verordnung Nr. 1 abweichendes S. mit einer eingeschränkten Zahl an Amts- und/oder Arbeitssprachen (Zedler 2015: 85 ff.). Vom EU-S. im eigentlichen Sinne sind andere Regelungen mit Sprachenbezug zu unterscheiden, zu denen etwa die – im Zusammenhang mit dem Minderheitenschutz stehende – Sprachenpolitik der Union, die Anerkennung subjektiver sprachbezogener Rechte i. S. eines Grundrechts auf die eigene Sprache sowie die Vorgaben der Grundfreiheiten für mitgliedstaatliche Sprachenregelungen zählen.