Austeritätspolitik

1. Begriffsentstehung

A. (von lateinisch austeritas, -atis, deutsch: Strenge, Ernst, Herbheit) ist ein vornehmlich im wirtschaftspolitischen Kontext verwendetes Wort zur Umschreibung einer „Sparpolitik“ eines Staates, die im Ziele der Haushaltskonsolidierung steht.

Der Begriff der „Austerität“ wurde zunächst als Schlagwort verwendet, um die nach dem Zweiten Weltkrieg in Großbritannien von Sir Stafford Cripps betriebene Politik zu beschreiben, sowohl die Zahlungsbilanz als auch die öffentlichen Haushalte auszugleichen. Dazu propagierte S. Cripps die Deckelung des Konsums mittels Rationierung und Steuererhöhungen. Im Gesamteffekt sollte eine Verbesserung der preislichen Wettbewerbsfähigkeit erreicht und damit Leistungsbilanzüberschüsse generiert werden. Ziel war eine Stärkung des Britischen Pfunds und eine damit einhergehende Verbesserung der öffentlichen Finanzen.

In den 1980er Jahren wurde der Begriff der A. in den Zusammenhang mit Sanierungsprogrammen des IWF für Entwicklungsländer gestellt. Seitdem wird die A. mit den Problemen der übermäßigen Staatsverschuldung und der mangelnden Wettbewerbsfähigkeit einer Volkswirtschaft verbunden.

Seit der „Großen Rezession“ infolge der Finanzmarktkrise werden unter dem Begriff der A. Konsolidierungsmaßnahmen des Staatshaushalts und makroökonomische Strukturreformen bzw. Anpassungsprogramme zusammengefasst. Seit dem Beginn der Eurokrise im Jahr 2010 griff die Verwendung der A. zunächst im englischsprachigen Raum unter dem Schlagwort Austerity um sich, um den Politikwechsel abstrakt zu beschreiben, mit dem die Regierungen das Ende der fiskalpolitischen Konjunkturprogramme und Bankenrettungsmaßnahmen der Jahre 2008–10 einleiteten.

2. Verwendung des Begriffs

Im engeren Sinne wird unter dem Begriff der A. eine Politik der fiskalpolitischen Konsolidierung bezeichnet, die darauf zielt, die öffentliche Haushaltssituation zu verbessern.

Häufig gehen der A. ein Schock in der Realwirtschaft und eine darauffolgende Phase der Unsicherheit an den Finanzmärkten voraus: In Folge eines Schocks sinken die Steuereinnahmen während die Ausgaben kurzfristig nicht angepasst werden können. Der Staat muss unerwartete Budgetdefizite ankündigen. Bezweifeln die Gläubiger die langfristige Tragfähigkeit der Staatsfinanzen, kann die Refinanzierung der ausstehenden bzw. neu zu finanzierenden Staatsverschuldung unter Druck geraten, so dass ein Anstieg des Zinsniveaus der Staatsverschuldung zu beobachten ist. Die höheren Refinanzierungskosten drücken zusätzlich den fiskalpolitischen Spielraum des Staates. Um kreditwürdig zu bleiben, muss der Staat eine glaubwürdige Strategie vorlegen, wie langfristig tragfähige Haushalte (Haushalt) wiederhergestellt werden können. Andernfalls kann eine Liquiditäts- bzw. Solvenzkrise drohen. Um Spekulationen darüber zu vermeiden, signalisiert der Staat eine Konsolidierungsstrategie. Diese Strategie wird im Allgemeinen mit der A. verbunden.

Im weiteren Sinne werden unter dem Begriff der A. aber auch die Anpassungsprogramme zusammengefasst, die darauf zielen, die Wettbewerbsfähigkeit der Realwirtschaft zu erhöhen. Hierzu zählen Maßnahmen wie Strukturreformen und die Verbesserung von Standortfaktoren zur Anziehung von internationalen Investitionen und zur Aktivierung der Leistungsbilanz.

Dabei ist es in den Wirtschaftswissenschaften umstritten, ob die A. einen positiven oder negativen Einfluss auf das Wirtschaftswachstum ausübt. Ebenfalls ist es umstritten, ob eine steuer- oder ausgabenfokussierte Politik zielführend ist, um exzessive Schuldenstände abzubauen.

3. Kontroverse

Die Auswirkungen der A. werden kontrovers diskutiert. Umstritten ist der Effekt der A. auf das BIP. Unterstützer der A. argumentieren, dass sie wachstumsfördernd wirke und lediglich angebotssteigernde Strukturreformen nachhole: „Was da so qualvoll Austeritätspolitik genannt wird, ist die Antwort auf vorangegangene Fehlentwicklungen, die von den internationalen Investoren und Kapitalmärkten nicht mehr akzeptiert werden“, so Michael Hüther (Hüther 2014). Im Gegensatz dazu kommen nachfrageorientierte Ökonomen zu der Schlussfolgerung, dass die „Austeritätspolitik […] die Hauptschuld am Rückgang des Bruttoinlandsprodukts“ trägt (Gechert/Rannenberg 2015). Angelsächsische Ökonomen gehen hier noch weiter: Stellvertretend für die nachfrageorientierte Perspektive beschreibt Paul Krugman die europäische A. als „ökonomische[n] Selbstmord“ (Krugman 2012) und verortet die Urheber dieser Politik in der deutschen Wirtschaftspolitik.

4. Hintergründe

Wenn der Effekt einer wirtschaftspolitischen Maßnahme so umstritten ist, lohnt es sich, den Wirkungszusammenhang zwischen der „Sparpolitik“ und dem Wirtschaftswachstum genauer zu untersuchen. Die Verfechter der wachstumsfördernden Sparpolitik des Staates berufen sich auf empirische Evidenz, die eine Gruppe italienischer Ökonomen im Jahr 2009 vorlegte: Alberto Alesina und Silvia Ardegna haben nachgewiesen, dass Haushaltskürzungen einen positiven Effekt auf das Wirtschaftswachstum haben. Sie führen ihre Beobachtung auf das entschlossene politische Handeln zurück, das im privaten Sektor vertrauensbildend wirke und damit Wachstumsimpulse hervorrufe, die größer als die kontraktive Wirkung des Rückgangs des staatlichen Konsums sind. Diese Studien stehen im Widerspruch zu den Analysen des IWF. Hier fanden Jaime Guajardo u. a. den genau entgegengesetzten Effekt, indem kontraktive Wirkungen der A. signifikant nachgewiesen wurden. In neueren Studien (z. B. von Òscar Jordà und Alan M. Taylor) wird darauf hingewiesen, dass es von der Konjunktur, dem Zinsniveau und dem Entwicklungsstand der Volkswirtschaft abhängig sei, wie die A. wirke. Das Gesamtbild unterstreiche jedoch die Gültigkeit der IWF-Studien und widerlege die Studien von A. Alesina und S. Ardegna. Zu dieser Debatte werden laufend neue Beiträge hinzugefügt. Erwähnenswert ist eine Studie, die an der Universität Groningen erstellt wurde. Rasmus Wiese, Richard Jong-A-Pin und Jakob De Haan (2015) kritisieren, dass fiskalpolitische Anpassungsperioden entweder verbalanalytisch (IWF) oder mittels einfacher Mittelwertabweichungen (A. Alesina und S. Ardegna) identifiziert werden. Sie schlagen eine ökonometrische Identifizierung (Ökonometrie) mittels Strukturbruchtests vor und finden bemerkenswerte Ergebnisse: Z. B., dass es vielmehr von der politischen Fragmentierung abhängig sei, ob A. positiv wirke.

Überdies hat die Kontroverse über die Wirkung der A. eine Relevanz für die ökonomische Theorie: Da der Multiplikator wohl negativ und auch positiv sein kann, schlussfolgert Gilles Saint-Paul, dass die theoretischen Modelle unterdefiniert seien. Unabhängig davon, wie nun der Effekt der A. zu beurteilen ist, bleibt festzuhalten, dass die Kontroverse um deren Wirkungsweise auf die Notwendigkeit weiterer politökonomischer Untersuchungen hinweist.